Archiv für den Monat: Oktober 2012

Linkshändigkeit, Migräne, Dyslexie und Immunstörungen

Chronologische Sammelbesprechung von fünf Arbeiten aus den letzten 30 Jahren; noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet; Anlass der Recherche war mein erster (und hoffentlich letzter), harmloser und kurzer Migräne-Anflug mit Aura vorletzte Woche:

Norman Geschwind, Peter Behan: Left-handedness: Association with immune disease, migraine, and developmental learning disorder. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 79, 1982, 5097-5100

Leonardo da Vinci, ein berühmter Linkshänder (mutmaßliches Selbstporträt)

Eine damals aufsehenerregende Arbeit, in der die aus klinischen Beobachtungen gewonnene Hypothese getestet werden sollte, dass bei Linkshändern und ihren Angehörigen Autoimmunerkrankungen, Migräne und Lernschwierigkeiten wie Dyslexie gehäuft auftreten. In zwei voneinander unabhängigen Studien wurden Immunstörungen und Lernschwierigkeiten bei Linkshändern deutlich häufiger festgestellt als bei Rechtshändern. In einer dritten Studie wurde der Linkshänderanteil bei Menschen mit Migräne bzw. der Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis mit dem Linkshänderanteil in einer Kontrollgruppe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen; er war höher.   Weiterlesen

Hunde- und Katzenhaltung schützt Kleinkinder vor Atemwegserkrankungen

Kapverdisches Kind mit Hund, Fotograf: F. Mira, Quelle: http://www.flickr.com/photos/fhmira/3714025646/ (CC BY-SA-2.0)

Nur eine Kurzzusammenfassung, da der Artikel nichts über Autoimmunerkrankungen aussagt:

Eija Bergroth et al.: Respiratory Tract Illness During the First Year of Life: Effect of Dog and Cat Contacts. Pediatrics 2012;130;211, DOI:10.1542/peds.2011-2825 (Open Access)

Diese finnische Studie zeigt, dass Hundehaltung (und in etwas geringerem Ausmaß auch Katzenhaltung) in einem ländlichen Lebensraum für ein gesünderes erstes Lebensjahr von Kleinkindern sorgt: weniger Otitis (Ohrentzündungen) und Rhinitis („Schnupfen“ usw.), weniger Antibiotikabehandlungen nötig. Husten trat dagegen ungefähr gleich häufig auf wie in haustierfreien Haushalten.

Der günstige Effekt ist am stärksten, wenn das Tier viel Zeit draußen verbringt – vermutlich, weil es dann besonders viel „Dreck“ und damit eine größere Bakterienvielfalt ins Haus schleppt. Andere Studien haben die Haltung von Haustieren (mit Fell und Auslauf – Aquarienfische oder Schildkröten reichen nicht!) bereits mit einem geringeren Allergierisiko in Zusammenhang gebracht. Jetzt zeigt sich, dass das während des letzten Schwangerschaftsdrittels und nach der Geburt geprägte kindliche Immunsystem durch die Tiere nicht einfach gedämpft, sondern insgesamt besser geschult und eingeregelt wird.

Dringende Leseempfehlung: An Epidemic of Absence

Ich bin noch nicht durch, aber mein Urteil steht bereits fest. Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Moises Velasquez-Manoff hat ein hervorragendes Sachbuch über die Hygiene- oder Alte-Freunde-Hypothese geschrieben: auf aktuellstem Wissensstand und gut lesbar – sofern man einigermaßen Englisch kann. (Hoffentlich wird es eine deutsche Fassung geben; einen Verlag habe ich schon neugierig gemacht.) In bester amerikanischer Manier wechseln sich erzählerische Intros mit verständlichen und dennoch informationsdichten Passagen über den wissenschaftlichen Background ab.

Die immense Zunahme von Allergien und Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahrzehnten führt der Autor auf die allzu erfolgreiche Bekämpfung von Krankheitserregern, vor allem Würmern und anderen Eukaryoten, zurück: eine Hypothese, für die sich die Belege häufen und die mich hier im Blog schon öfter beschäftigt hat. (Einen Überblick bietet dieser Artikel, den ich ursprünglich für Spektrum.de geschrieben habe).

Anlass für die gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema (bis hin zum Selbstversuch, der Infektion mit dem Hakenwurm Necator americanus) war die eigene Erkrankung an Alopecia universalis und Asthma. Ich bin ein wenig neidisch auf den Autor, der im Grunde fast das Buch geschrieben hat, das mir vorschwebt. Zugleich bin ich froh, weil ich offenbar auf der richtigen Spur bin. Außerdem wird sich mein Buch im Aufbau und vor allem in der Aufmachung doch so sehr von „An Epidemic of Absence“ unterscheiden, dass die beiden Bücher sich keine Konkurrenz machen.

Gemäßigter Langzeit-Alkoholkonsum scheint RA-Risiko bei Frauen deutlich zu senken

Ethanol (Strukturformel)

Diese Literaturzusammenfassung – wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet – schließt an die Arbeit über die negative Korrelation von Alkoholkonsum und Hashimoto-Erkrankungen an, über die ich vor einigen Monaten berichtet habe. Die Indizien verdichten sich, dass diese Effekte nicht einfach auf eine erbliche Veranlagung zurückzuführen sind, die sowohl eine Neigung zum Alkoholkonsum als auch ein verringertes Erkrankungsrisiko bewirkt, sondern dass Alkohol tatsächlich dämpfend auf die Entzündungsprozesse einwirkt, die an Autoimmunerkrankungen beteiligt sind. Interessant auch, dass es nicht auf die Art der alkoholischen Getränke (Bier, Wein oder Spirituosen) anzukommen scheint.

Daniela Di Giuseppe et al.: Long term alcohol intake and risk of rheumatoid arthritis in women: a population based cohort study. BMJ 2012;345:e4250, doi:10.1136/bmj.e4230 (Open Access)

Abstract: Daten aus der schwedischen Mammografie-Kohorte, 34.141 Frauen der Geburtsjahrgänge 1914 bis 1948, Befragungen 1987 und 1997; Follow-up Anfang 2003 bis Ende 2009 mit 226.032 Personenjahren: 197 neue Fälle von rheumatoider Arthritis (RA). Statistisch signifikant 37% geringeres RA-Risiko bei Frauen, die >4 Gläser Alkohol pro Woche (1 Glas = 15 g Ethanol) tranken, ggü. Frauen, die <1 Glas/Woche oder gar keinen Alkohol tranken. Konsum aller Alkoholtypen (Bier, Wein, Schnaps) einzeln nichtsignifikant invers mit RA-Risiko assoziiert. Langzeiteffekte: Frauen, die sowohl 1987 als auch 1997 angaben, >3 Gläser/Woche zu trinken, hatten gegenüber denen, die gar keinen Alkohol tranken, ein um 52% reduziertes RA-Risiko. Weiterlesen

DNA-Schleifen: Introns mit risikoassoziierten SNPs als Enhancer für benachbarte Autoimmun-Risikogene

Wie im letzten Beitrag angedeutet, wird durch die Daten des gigantischen ENCODE-Projekts (Encyclopedia of DNA Elements) und neue Techniken wie 3C (chromosome conformation capture), mit denen sich Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Teilen des Erbguts analysieren lassen, nun endlich klar, warum die bisherigen Versuche, Risikogene für Autoimmunerkrankungen dingfest zu machen, so bescheidene Ergebnisse erbracht haben. Jahrelang wurden mit Hilfe von genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) alle möglichen sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismen oder SNPs (single nucleotide polymorphisms) identifiziert, die irgendwie mit einem erhöhten Risiko verbunden waren, bestimmte Autoimmunerkrankungen zu bekommen. Manchmal lagen diese Hochrisiko-SNPs tatsächlich in oder direkt neben Genen, von denen man weiß, dass ihre Proteine etwas mit dem Immunsystem zu tun haben. Oft blieb der Zusammenhang aber völlig rätselhaft.

Jetzt zeigt sich: Man sollte immer auch untersuchen, ob die Sequenzen, in denen die SNPs liegen, womöglich gar keine Immunsystem-Proteine codieren, sondern als Steuerungselemente die Intensität der Ablesung anderer Gene in der weiteren Umgebung beeinflussen. Im Folgenden stelle ich eine Arbeit vor, in der auf diese Weise ein völlig neues Risikogen für Typ-1-Diabetes identifiziert wurde, dessen Funktion noch nicht bekannt ist. Die Autoren haben auch ein Modell entwickelt, das die „Fernwirkung“ der Sequenz mit den SNPs auf das Risikogen erklären kann.

Meine Notizen sind – wie immer – noch nicht allgemein verständlich aufbereitet.

Lucy J. Davison et al.: Long-range DNA looping and gene expression analyses identify DEXI as an autoimmune disease candidate gene. Human Molecular Genetics 21/2, 2012,  322-333; doi:10.1093/hmg/ddr468 (Open Access)   Weiterlesen