Archiv für den Monat: Juli 2013

Statusbericht und Urlaubspause

Bis Ende August wird hier nichts Neues zu lesen sein. Ich schreibe aber bis zum Aufbruch in den Urlaub weiter am Buch. In den letzten Wochen habe ich viel spannende Fachliteratur gelesen, die mir wieder eine Menge Aha-Erlebnisse verschafft hat. Nur ein kleiner Teil davon wird im Buch landen – schon aus Platzgründen. Aber inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich manchmal fünf, sechs, sieben Artikel lesen muss, um eine Frage zu klären, die mich umtreibt – auch wenn hinterher niemand dem einen Satz oder Absatz im Buch, der daraus resultiert, diesen Aufwand ansieht.

Besonders interessant fand ich einige Artikel zu Bakteriophagen in unserer Darmschleimhaut, die sich als Symbiosepartner erweisen: Sie leben von pathogenen Bakterien, die sich ebenfalls in dieser Schleimschicht aufhalten müssen, um in die Schleimhaut eindringen zu können. So schützen die Viren uns als körperfremder Vorposten des Immunsystems vor Pathogenen.

Auch über die Veränderung des Immunsystems beim Altern (Teil II des Buches) und die Evolution des Immunsystems (Teil III) habe ich viel gelesen und dabei Wissenslücken geschlossen. Beim Schreiben steht mir jetzt die Charakterisierung der Zellen des Immunsystems bevor. Das sind nicht eben wenige – vor zehn Jahren wäre dieses Kapitel deutlich kürzer ausgefallen. Aber zum Beispiel die Zusammenhänge zwischen der Gestalt und der Funktion der jeweiligen Zellen zu schildern, wird sicher interessant.

Das Zeichnen habe ich momentan zurückgestellt. Nach dem Urlaub ist erst mal eine Reihe „langweiliger“ Skizzen (wichtige Makromoleküle, Aufbau der lymphatischen Organe, Stammbaum der Immunzellen usw.) an der Reihe. Jedenfalls geht es kontinuierlich voran, wenn auch langsamer als erhofft.

Stop Watching Us: Ich habe viel zu verbergen

Es wird mal wieder Zeit für einen Beitrag, der auf den ersten Blick nicht ins Autoimmunbuch-Blog passen mag. Obwohl ich gerade mit Schreiben ganz gut vorankomme und gerne „im Fluss“ geblieben wäre, habe ich mich am Samstag trotz der Hitze an der Kölner #StopWatchingUs-Demonstration beteiligt. Mein kleines Plakat hat es dank @boydroid sogar in den Artikel des Kölner Stadt-Anzeigers geschafft: StopWatchingUsMit etwa 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die Protestveranstaltung recht überschaubar – was wohl nicht nur an der Hitze lag, sondern auch an einer gewissen Resignation eines Teils der Bevölkerung und Gleichgültigkeit oder gar Zustimmung zur verdachtsunabhängigen Massenüberwachung bei einem anderen Teil. Immer wieder begegnen einem Schulterzucken, vermeintliche Abgeklärtheit („Hab ich schon lange gewusst!“), unangemessene Vergleiche zwischen freiwilliger Datenpreisgabe in den Social Media auf der einen und geheimdienstlicher Datenschnüffelei auf der anderen Seite, vage Verweise auf durch Geheimdienstaktivitäten verhinderte Attentate und allerlei Spielarten des Spruchs „Wir haben doch nichts zu verbergen“. So wird der Protest gegen die flächendeckende Kommunikationsüberwachung mit dem Hinweis ins Lächerliche gezogen, für den langweiligen Kram, den die Überwachungsgegner in ihren E-Mails und SMS schrieben, interessiere sich sowieso kein Dienst.  Weiterlesen

Chemische Formeln sind Kassengift

Das habe ich mir jedenfalls gerade anhören müssen. 🙂 Dennoch eine neue Skizze fürs Buch: die Code-Sonne, die zeigt, welches Basentriplett bei der Translation in welche Aminosäure übersetzt wird. Für zwei der 20 natürlichen Aminosäuren sind auch die Strukturformeln zu sehen. Rechts in den Strukturformeln der bei allen Aminosäuren identische Teil. Durch Verbindung der Aminogruppe (NH2) einer Aminosäure mit der Hydroxygruppe (OH) des Säurerests der nächsten Aminosäure entstehen unter Wasserabscheidung Peptide; der rechte Teil wird also zum Grundgerüst der Polypeptidkette. Links der variable Rest: die Seitenkette der Aminosäure, die mal kleiner, mal (wie hier) größer ausfällt und entweder hydrophil oder hydrophob sein kann.

P1120583_Codesonne_neu_650Die Dastellung ist unorthodox: Ich habe alles nach der zweiten (mittleren) Base der Tripletts sortiert und nicht nach der ersten (in der Sonne ganz  innen). So erkennt man, dass immer dann, wenn die mittlere Base ein U ist, eine Aminosäure mit hydrophober/apolarer Seitenkette in das Polypeptid eingebaut wird. Wenn in der Mitte des Tripletts dagegen die komplementäre Base, das A, steht, werden überwiegend Aminosäuren mit hydrophiler/polarer Seitenkette eingebaut. Die dritte Base des Tripletts ist in vielen Fällen unbedeutend; egal, ob dort A, U, C oder G steht – in das Polypeptid wird dieselbe Aminoäsure eingebaut.

Einer (Außenseiter-)Hypothese zufolge ist die Polaritätssortierung anhand der mittleren Base kein Zufall: Wenn beide DNA-Stränge in Gegenrichtung, aber im selben Raster abgelesen werden, sodass immer dann, wenn auf einem Strang ein A in der Mitte eines Tripletts steht, auf dem Gegenstrang ein T in der Mitte steht (das dem U auf der mRNA entspricht), entstehen zwei Polypeptide, die komplementäre Verteilungen hydrophiler und hydrophober Aminosäuren aufweisen. Diese beiden Polypeptide sollen sich dann auch komplementär zusammenfalten: Hydrophile Aminosäuren landen im wässrigen innerzellulären Milieu an der Oberfläche der Proteine und bilden dort Ausstülpungen (maximale Berührungsfläche mit dem Wasser), während hydrophobe Aminosäuren sich eher vom wässrigen Zytoplasma zurückziehen und Einstülpungen bilden (minimale Wechselwirkung mit dem Wasser). Diese beiden Proteine würden dann wie Puzzlestücke aneinanderpassen. Solche Proteinpaare könnten z. B. in den Regulierungsnetzwerken des Immunsystems eine Rolle spielen und evtl. auch an Autoimmunerkrankungen beteiligt sein.

Schädliche Antioxidantien: Vitamin E und Vitamin C verkürzen das Leben wilder Erdmäuse

Ein weiterer wissenschaftlicher Artikel, der mit vermeintlichen Gewissheiten aufräumt – und gut zu dem aktuellen Artikel in The Atlantic passt:

Selman et al.: Deleterious consequences of antioxidant supplementation on lifespan in a wild-derived mammal (2013)

In den letzten Jahrzehnten hat die Freie-Radikale-Theorie des Alterns weite Verbeitung gefunden. Ihr zufolge schädigen freie Radikale, vor allem reaktive Sauerstoffspecies, die Proteine, Fette und DNA der Zellen, und diese Schäden nehmen mit dem Alter zu. Antioxidantien wie Vitamin C oder Vitamin E sollen als Nahrungsergänzungsmittel diesen Prozess bremsen. Die Autoren haben in früheren Experimenten Labormäuse ein Leben lang mit Vitamin E versorgt und auf diese Weise deren Lebensspanne gegenüber der Kontrollgruppe verlängert. Bezüglich des Effekts beim Menschen liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor.

Nun haben die Autoren anstelle von Labormäusen Erdmäuse aus einer Wildpopulation verwendet, diesen mit ihrer Nahrung Vitamin C bzw. Vitamin E verabreicht und sie bei 7 °C bzw. bei 22 °C gehalten, um zu prüfen, ob die erhöhte Stoffwechselrate in kühler Umgebung den Effekt der Antioxidantien auf die Lebensdauer beeinflusst. Sie erwarteten längere mittlere Lebensspannen bei einer Supplementierung – und mussten überrascht das Gegenteil feststellen: Sowohl bei kühler als auch bei warmer Umgebung lebten die supplementierten Erdmäuse erheblich kürzer als die Erdmäuse aus den Kontrollgruppen (Mediane bei 7 °C: Vit. C 353 Tage, Vit. E 424 Tage, Kontolle 477 Tage; bei 22 °C: Vit. C 303 Tage, Vit. E 305 Tage, Kontrolle 368 Tage).

Bei Kühle wogen mit Vitamin E supplementierte Erdmäuse bei identischer täglicher Nahrungsaufnahme im Alter von 11 Monaten deutlich mehr als die Kontrolltiere. Insgesamt fraßen die Mäuse bei Kühle wegen des erhöhten Stoffwechselumsatzes erwartungsgemäß mehr als bei Wärme. Sowohl bei Vitamin-C- als auch bei Vitamin-E-Supplementierung waren bei beiden Umgebungstemperaturen nicht etwa weniger, sondern etwas mehr oxidative DNA-Schäden in den Lymphozyten und in den Hepatozyten zu verzeichnen als in der Kontrollgruppe (statistisch nicht signifikant).

Die Gründe für den unterschiedlichen Ausgang des Experiments an Labormäusen und an Erdmäusen sind derzeit unbekannt. Neben dem lebensverkürzenden Effekt der Antioxidantien verblüfft im neuen Experiment auch die längere mittlere Lebensspanne bei Kälte – gilt eine hohe Stoffwechselrate doch eigentlich als lebensverkürzend.

Entwurmung kann andere Mäuse-Parasiten stärken und die Überlebensrate senken

In den letzten Tagen habe ich zwei Artikel gelesen, in denen aufgrund von Versuchen an wilden Nagetieren mit vermeintlichen Gewissheiten aufgeräumt wird. Hier eine kurze Zusammenfassung der ersten Arbeit von Pedersen und Antonovics, Anthelmintic treatment alters the parasite community in a wild mouse host (2013):

Die Autoren haben in einem Eichenwaldgebiet in Virginia Weißfuß- und Hirschmäuse gefangen und sie randomisiert zwei Gruppen zugeordnet. Die erste Gruppe erhielt eine einmalige Injektion des Anti-Nematoden-Mittels Ivermectin und die zweite stattdessen eine Wasserinjektion. Außer Nematoden hatten die Mäuse auch Kokzidien (parasitische Protisten) und Bandwürmer. Erwartet wurde eine höhere Überlebensrate und damit Wiederfangquote in der Gruppe, die mit Ivermectin behandelt worden war: Dass Wurmbefall den Organismus belastet und die Eliminierung der Würmer die Tiere stärkt, ist schließlich die Grundannahme hinter allen Wurmbehandlungen. Tatsächlich wurden aber von den nicht behandelten Tieren ein etwas höherer Anteil wieder gefangen; unter ihnen hatten offenbar mehr Tiere überlebt.

Unter den wiedergefangenen Ivermectin-behandelten Mäusen war die Nematoden-Prävalenz um 28% zurückgegangen, in der Kontrollgruppe dagegen nur um 8% (signifikanter Unterschied). Bei den Ivermectin-behandelten Mäusen war die Kokzidien- und Bandwürmer-Prävalenz gegenüber dem Erstfang signifikant angestiegen, während sie in der Kontrollgruppe gesunken bzw. gleich geblieben war. Im Unterschied zur Prävalenz wurde die Intensität des Wurmbefalls durch die Behandlung nicht beeinflusst, was darauf hindeutet, dass das Mittel nicht die Vermehrung, sondern die Etablierung der Parasiten im Wirt stört.

Offenbar bilden die unterschiedlichen Darmparasiten der wilden Mäuse ein Ökosystem, in dem die einzelnen Arten miteinander um Raum und Ressourcen konkurrieren und einander womöglich auch durch die Auslösung von Immunreaktionen bekämpfen. Durch die Bekämpfung der Nematoden verbessern sich die Lebensbedingungen für die Kokzidien, die mit Gewichtsabnahme und geringeren Winter-Überlebensraten assoziiert werden. Solche unintendierten Auswirkungen sollten bei Eingriffen stets mit bedacht und überprüft werden.

Für mich in Zusammenhang mit der Hygiene-Hypothese vor allem interessant: ein weiterer Hinweis auf die Beeinflussung des Immunsystems durch Würmer, die anderen Krankheitserregern das Leben schwer machen. So werden die Saumzellen des Dünndarmepithels bei einem Wurmbefall schneller erneuert, wodurch zum Beispiel Kokzidien, die in solchen Zellen leben, Ressourcen entzogen werden.

Autoreaktive Plasmazellen als Hausbesetzer

Neue Skizzen fürs Buch:
P1120556_Plasmazellennischen_Seniorenresidenz_700Die Zahl der Nischen, in denen reife Plasmazellen (antikörperproduzierende B-Zellen) langfristig überleben können, ist im gesunden Körper begrenzt. Plasmazellen, die keine solche Nische im Knochenmark oder in der Milz ergattern können, sterben ab. So wird das Immunsystem nach einer Infektion wieder auf ein Normalmaß heruntergeregelt.
P1120558_Plasmazellennischen_Hausbesetzer_700Bei einer Autoimmunattacke wird der Organismus von zahlreichen Plasmazellen überschwemmt, die autoreaktive Antikörper produzieren. Durch ihre schiere Überzahl können sie einer Hypothese zufolge alte Plasmazellen aus ihren Überlebensnischen verdrängen, so dem Zelltod entkommen und weiterhin Autoantikörper produzieren. Da sie sich in diesem Stadium nicht mehr vermehren, ist ihnen mit den üblichen Immunsuppressiva schwer beizukommen, denn diese Wirkstoffe setzen überwiegend an der Zellteilung an (Zytostastika).

Hashimoto-Thyreoiditis kein Ausschlussgrund für Registrierung als Knochenmarkspender

Auf der Website der DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei
gemeinnützige Gesellschaft mbH steht unter den Ausschlusskriterien unter anderem:

Erkrankungen des Autoimmunsystems:
wie z.B. rheumatoide Arthritis (Rheuma), Kollagenosen, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

Erkrankungen der endokrinen Drüsen:
wie z.B. Diabetes mellitus, Morbus Basedow

Da ich mich an eine Diskussion in einem Hashimoto-Forum zu erinnern meinte, der zufolge Menschen mit Hashimoto-Thyreoiditis zwar kein Blut spenden dürfen, wohl aber als Knochenmarkspender infrage kommen, habe ich bei der DKMS nachgefragt. Die Antwort:

Der Morbus Hashimoto gehört zu den wenigen Autoimmunerkrankungen, die für eine Stammzellspende kein großes Problem darstellen. Es ist lediglich wichtig, dass die Schilddrüse medikamentös gut eingestellt ist. Allerdings kann es sein, dass Sie – zumindest zeitweise – nur für die operative Stammzellentnahme aus dem Beckenknochen zugelassen werden können. Dies würde genauer abgeklärt werden, sobald Sie für einen Patienten als Spender in Frage kommen.

Dann man los! Hier geht es zur Registrierung.