Archiv für den Monat: Januar 2015

„Aber das ist alles egal!“

Wieder einmal ein Beitrag, der mit dem Hauptthema dieses Blogs nichts zu tun hat – abgesehen davon, dass die Beschäftigung mit diesem Kapitel meiner Familiengeschichte mich in den letzten Wochen Kraft gekostet hat, die nicht ins Blog oder ins Buch fließen konnte. Die folgenden Dokumente und Transkripte habe ich in den letzten Tagen – jeweils exakt 70 Jahre nach dem angegebenen Datum – bereits bei Facebook veröffentlicht.

1945-01-23_Brief_Bruno_zu_Trudels_Geburtstag

23.1.45
Mein liebes Frauchen!

In Eile packe ich einige Sachen zusammen.

Zu Deinem Geburtstag liegt auch etwas dabei, falls ich nicht mehr Gelegenheit haben sollte, Dir zu gratulieren, wünsche ich Dir jetzt schon alles Gute. Grüsse mir die Kinder schön. Hoffentlich sehe ich Euch noch mal wieder.

Sei innig gegrüßt
von Deinem Bruno.

1945-01-30_Vorletzter_Brief_1000

Posen, den 30.1.45

Ihr Lieben.

Auch heute bin ich heil und gesund. Unsere Lage ist nicht gerade rosig, aber wollen wir hoffen, daß doch noch das Wunder geschieht und wir aus diesem Schlamassel herauskommen.

Wo mögen wohl die Briesener Eltern mit Gretel und den Kindern sein. Hoffentlich sind alle rechtzeitig in Sicherheit gekommen. Meine Gedanken sind sehr oft bei Euch, nur weiß ich nicht, wen sie bei Euch antreffen. Unser Posen wird wohl binnen kurzer Zeit nur noch Schutt und Asche sein, der grösste Teil ist es schon. Aber das ist alles egal!

Wenn ich doch nur wüsste, wie es Euch allen geht.
Seid recht innig gegrüsst
von Eurem
Bruno.

1945-01-31_Letzter_Brief_1000

Posen, den 31.1.45

Meine Lieben!

Unsere Lage ist nach wie vor dieselbe geblieben, jedenfalls ist sie nicht beneidenswert. Man muß schon „ein bisschen“ die Zähne zusammenbeissen. Heute früh war es mir beinah schlecht gegangen, aber im richtigen Moment kaltes Blut und eine ordentliche Portion Glück hilft über die unmöglichsten Situationen hinweg.

Sollten wir wirklich noch mal aus diesem Hexenkessel lebend herauskommen, so hatte man mehr als einfaches Glück. Aber wollen wir auf dieses hoffen und unser Möglichstes dazu tun.

Herzliche Grüße allen allen, ganz besonders aber meinem Frauchen und meinen drei Purzen
von Eurem
Bruno u. Papi

194#_Bruno_Tiedtke

In Erinnerung an meinen Großvater Bruno Tiedtke, der als Angehöriger der Dolmetscherkompanie 21 vermutlich zwischen dem 18. und dem 23. Februar 1945 in Posen starb.

Ärger mit dem Passwort

Normalerweise wird an der Grenze von Lymphstrukturen sehr genau geprüft, welche Zellen hineindürfen. Autoreaktive B-Zellen werden abgewiesen, sodass sie eingehen, weil sie keine Überlebensnischen finden. Zytotoxische T-Zellen (CD8+-Zellen) werden eingelassen, um im Inneren aufzuräumen – zum Beispiel von Viren befallene B-Zellen abzutöten, bevor sie sich vermehren.

P1240322_Einlasskontrolle_tertiäre_Lymphstruktur_650

In den tertiären Lymphstrukturen vieler Menschen mit Autoimmunerkrankungen scheint diese Einlasskontrolle nicht zu funktionieren: Die nützlichen zytotoxischen T-Zellen werden abgewiesen, autoreaktive B-Zellen aber eingelassen.

Crosslinking: Wie B-Zellen erfahren, wann sie aufhören können

Immunreaktionen, die viel Energie kosten und auch den eigenen Körper schädigen können, sollten beendet werden, sobald sie nicht mehr nötig sind. Um das zu erfahren, setzen B-Zellen Rezeptoren ein, die an das konstante Ende von Antikörpern andocken:

P1240317_B-Zelle_Crosslinking_Immunkomplex_ohne_IK_650

Oben: Bindet ein frei im Gewebe oder Blut umhertreibendes Antigen an einen antigenspezifischen B-Zell-Rezeptor, so löst dieser in der B-Zelle eine Signalkette aus, die zur Produktion von Antikörpern führt. Denn freie Antigene deuten auf eine Gefahr hin, die bekämpft werden muss.

Unten: Bindet gleichzeitig ein benachbarter Fc-Rezeptor (hier FcγR, ein Rezeptor für Gamma-Immunglobulin) an das konstante Ende eines Antikörpers, so kann die B-Zelle davon ausgehen, dass das Antigen bereits von Antikörpern erkannt und zu einem Immunkomplex gebunden wurde – dass die Gefahr also bereits gebannt ist. Der Fc-Rezeptor stoppt daher die Signalkette; die B-Zelle produziert keine weiteren Antikörper.

Die doppelte Bindung von Immunkomplexen durch B-Zell-Rezeptoren und Fc-Rezeptoren nennt man Crosslinking (Vernetzung).

Räumliche und lineare Antigen-Erkennung

Noch eine nachgeholte Simpel-Skizze für den bereits geschriebenen Teil des Buches:

Proteine und andere Antigene bestehen zwar aus Kettenmolekülen, haben aber auch eine charakteristische dreidimensionale Gestalt (Brezel).

P1240316_Antigen-Erkennung_3D_vs_2D_650

Immunglobuline, also B-Zell-Rezeptoren und Antikörper, erkennen ihr spezifisches Antigen-Epitop an seiner dreidimensionalen Struktur (Brezel-Ausschnitt links).

Bei der Antigenbindung durch T-Zell-Rezeptoren kommt es dagegen nur auf die Aminosäuresequenz eines kurzen, linearen Antigenabschnitts an (Buchstabenfolge rechts).

Wie aussagekräftig sind Immunzellkonzentrationen im Blut?

Wie findet man heraus, ob bestimmte Immunzelltypen an einer organspezifischen Autoimmunerkrankungen oder chronischen Entzündungen beteiligt sind? Wenn nicht gerade eine Operation oder eine Biopsie ansteht, die einem Gewebeproben liefert, misst man die Konzentrationen der Zelltypen in einer Blutprobe und versucht daraus auf die Verhältnisse im erkrankten Organ oder Gewebe zu schließen.

P1240189_kommunizierende_Röhren_Wurm-Chemotaxis_650

Im einfachsten Fall stehen Gewebe und Blut wie kommunizierende Röhren miteinander in Verbindung: Werden mehr (oder weniger) Zellen eines Typs produziert, kommen sie sowohl im Blut als auch im Gewebe häufiger (oder seltener) vor.

Tatsächlich bewegen sich Immunzellen aber aktiv in das Gewebe hinein oder aus ihm heraus. Je stärker einerseits ihre Chemotaxis und andererseits die Signale, die das Zielgewebe aussendet, desto schneller bewegen sie sich dort hin. Schlimmstenfalls ist ein Organ so isoliert, dass die Veränderung einer Zellkonzentration im Blut überhaupt nichts über die Vorgänge vor Ort aussagt.

Oder die Konzentrationen stehen in einem reziproken Verhältnis: Im Blut lassen sich kaum noch Zellen eines bestimmten Typs nachweisen, weil bereits fast alle in ihr Zielorgan eingewandert sind und auch dort bleiben, oder umgekehrt.

Und was hat das mit dem Wurm mit der Wäscheklammer auf der Nase zu tun? Nichts. Der gehört in einen anderen Teil des Buches.

Follikuläre T-Helferzelle

Die Produktivität hat ab Mittag unter den Nachrichten aus Frankreich gelitten. Aber eine Zeichnung gibt es:

P1240183_Tfh_Rezeptoren_und_Liganden_650

Follikuläre T-Helferzellen nehmen in den Lymphknoten mit follikulären B-Zellen Kontakt auf und versorgen sie, sofern sie die Qualitätsprüfung bestehen, mit Informationen, Überlebenssignalen und Stimulatoren für Zellteilungen, Affinitätsreifung und Immunglobulin-Klassenwechsel. Für einen erfolgreichen Kontakt müssen mindestens acht verschieden geartete Signale ausgetauscht werden.

Affinitätsreifung der B-Zellen in den Keimzentren

In den Follikeln des sekundären und tertiären Lymphgewebes kommt es nicht nur zum Immunglobulin-Klassenwechsel, den ich im letzten Beitrag skizziert habe, sondern auch zur Affinitätsreifung durch somatische Hypermutation und anschließende Selektion auf verbesserte Antigen-Bindungsstärke:

P1240180_Follikel_Affinitätsreifung_650

Im Uhrzeigersinn, bei 4 Uhr beginnend:

A  Eine B-Zelle, die ein Antigen aufgenommen hat, präsentiert ihren Fund einer T-Helferzelle und wird vollends aktiviert, sofern der T-Zell-Rezeptor das Antigen erkennt. Sie erhält von der T-Helferzelle die Lizenz, in das Keimzentrum des Follikels einzutreten.

B  Im Keimzentrum des Follikels vermehrt sich die B-Zelle stark durch Teilung. Währenddessen verändert das Enzym AID in dem Gen, das die antigenspezifische Bindungsstelle des Immunglobulins codiert, nach dem Zufallsprinzip einzelne Basen (A, T, C, G). Diesen Vorgang nennt man somatische Hypermutation.

C  Die B-Zellen treten aus der dunklen Zone des Keimzentrums in die helle Zone über, wo sie von dendritischen Zellen (DC) erwartet werden und nach der Mutation eine Selektion durchlaufen.

D  Die dendritischen Zellen präsentieren ihnen das Antigen, um die Bindungsstärke des mutierten B-Zell-Rezeptors zu prüfen.

E  Hat die Mutation die Bindung der Immunglobuline an das Antigen geschwächt, stirbt die B-Zelle durch Apoptose kontrolliert ab.

F  Hat die Mutation die spezifische Bindung an das Antigen gestärkt, so führt die B-Zelle dieses Antigen nun auf ihrem MHC-Klasse-II-Komplex einer follikulären T-Helferzelle vor, die es mit ihrem spezifischen T-Zell-Rezeptor erkennt. Durch diesen Kontakt wird auch der Klassenwechsel bei den Immunglobulinen ausgelöst, sodass die B-Zelle nun kein IgM mehr herstellt, sondern IgG, IgE oder IgA – je nachdem, welchen Botenstoff die T-Helferzelle ausschüttet.

Je nach Bedarf und dem Ergebnis dieser weiteren Prüfung schlägt die B-Zelle danach einen von vier Wegen ein:

G  Die B-Zelle ist unbrauchbar, weil sie der T-Zelle ihr Antigen nicht effizient präsentiert, und stirbt durch Apoptose.

H  Die B-Zelle ist zur humoralen Abwehr geeignet, verlässt das Keimzentrum und entwickelt sich zur Plasmazelle weiter, die massenhaft Antikörper erzeugt.

I  Einige B-Zellen reifen stattdessen zu Gedächtniszellen heran, die mit ihrem Wissen um die aktuelle Infektion dafür sorgen, dass das Immunsystem auf ein späteres erneutes Auftreten desselben Antigens schneller und stärker reagieren kann.

J  Einige besonders schlagkräftige B-Zellen erhalten die Order, erneut in das Keimzentrum einzutreten, um sich zu vermehren und durch Mutation und Selektion weiter zu verbessern. So steigert der Organismus die Affinität der Immunglobuline zu einem bestimmten Antigen mit der Zeit. Diesen Vorgang nennt man Affinitätsreifung.

T-Zell-Rezeptoren sind degeneriert

Manche Fachbegriffe fordern Missverständnisse geradezu heraus; „degeneriert“ gehört sicherlich dazu. Gemeint ist, dass das Repertoire der T-Zell-Rezeptoren in jedem einzelnen Menschen zwar groß ist (schätzungsweise 1-100 Millionen unterschiedliche Typen), aber längst nicht ausreicht für eine hochspezifische 1:1-Erkennung jeweils eines Antigen-Peptids durch einen Rezeptortyp. Die Zahl der Peptide, die die antigenpräsentierenden Zellen im Laufe unseres Lebens auf ihren MHC-Molekülen präsentieren können, ist einfach gigantisch. Daher muss ein T-Zell-Rezeptor auf zahlreiche verschiedene Peptid-MHC-Komplexe reagieren können. Und so geht’s:

P1240133_TCR-Degeneration_650

 

Unten das MHC-Molekül, das als Präsentierteller in der Membran einer antigenpräsentierenden Zelle (etwa einer dendritischen Zelle oder einer B-Zelle) verankert ist. In der Mitte das Peptid, also die Aminosäurenkette, die diese Zelle aus einem aufgenommenen Antigen gewonnen hat und nun vorführt. Und oben der T-Zell-Rezeptor, der in der Membran einer T-Zelle verankert ist. Dieser Rezeptor braucht nur an wenige Stellen – teils an der Oberfläche des MHC-Moleküls, teils an der ihm zugewandten Seite des Peptids – wirklich gut zu binden, um die T-Zelle zu aktivieren. Die Hohlräume zeigen: Welche Aminosäure-Seitenketten ihm an den anderen Stellen entgegengestreckt werden, ist dem Rezeptor egal.

Folglich erkennt eine T-Zelle mit ihrem individuellen Rezeptortyp nicht nur ein Antigen, sondern etliche. Hier sind es zwei Pickelhauben (in meinen Cartoons die typische Kopfbedeckung pathogener Bakterien), aber leider auch ein harmloser Bauhelm – also ein Antigen, das vielleicht von einem Pflanzenpollenkorn, von einem gutartigen Bakterium aus unserem Mikrobiom oder von einer körpereigenen Zelle stammt:

P1240133_TCR-Degeneration_Helme_650

Und hier noch eine „realistischere“ oder zumindest weniger schematische Darstellung der Bindungsstelle eines MHC-Moleküls und des passenden T-Zell-Rezeptors:

MHC-Peptid-TCR-Bindung_650

Wir blicken aus der Perspektive der T-Zelle auf die Front eines MHC-Moleküls der antigenpräsentierenden Zelle. Die Kontur des darauf präsentierten Antigen-Peptids ist gepunktet. Die sechs „Würmer“ sind die entscheidenden Erkennungsschlaufen an der Front des ansonsten unsichtbaren T-Zell-Rezeptors. Normalerweise binden nur die mittleren zwei oder drei Schlaufen Aminosäuren des Antigen-Peptids, während die äußeren Schlaufen vor allem mit der Oberfläche des MHC-Moleküls Kontakt haben.

Da die mittleren Schlaufen nicht starr, sondern ein wenig verformbar sind, akzeptieren sie unterschiedliche Peptide als Bindungspartner. Ab und zu leider auch solche, die aus Autoantigenen stammen. Und wenn dann noch ein paar Kontrollmechanismen versagen, kommt eine Autoimmunreaktion in Gang.