Gemäßigter Langzeit-Alkoholkonsum scheint RA-Risiko bei Frauen deutlich zu senken

Ethanol (Strukturformel)

Diese Literaturzusammenfassung – wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet – schließt an die Arbeit über die negative Korrelation von Alkoholkonsum und Hashimoto-Erkrankungen an, über die ich vor einigen Monaten berichtet habe. Die Indizien verdichten sich, dass diese Effekte nicht einfach auf eine erbliche Veranlagung zurückzuführen sind, die sowohl eine Neigung zum Alkoholkonsum als auch ein verringertes Erkrankungsrisiko bewirkt, sondern dass Alkohol tatsächlich dämpfend auf die Entzündungsprozesse einwirkt, die an Autoimmunerkrankungen beteiligt sind. Interessant auch, dass es nicht auf die Art der alkoholischen Getränke (Bier, Wein oder Spirituosen) anzukommen scheint.

Daniela Di Giuseppe et al.: Long term alcohol intake and risk of rheumatoid arthritis in women: a population based cohort study. BMJ 2012;345:e4250, doi:10.1136/bmj.e4230 (Open Access)

Abstract: Daten aus der schwedischen Mammografie-Kohorte, 34.141 Frauen der Geburtsjahrgänge 1914 bis 1948, Befragungen 1987 und 1997; Follow-up Anfang 2003 bis Ende 2009 mit 226.032 Personenjahren: 197 neue Fälle von rheumatoider Arthritis (RA). Statistisch signifikant 37% geringeres RA-Risiko bei Frauen, die >4 Gläser Alkohol pro Woche (1 Glas = 15 g Ethanol) tranken, ggü. Frauen, die <1 Glas/Woche oder gar keinen Alkohol tranken. Konsum aller Alkoholtypen (Bier, Wein, Schnaps) einzeln nichtsignifikant invers mit RA-Risiko assoziiert. Langzeiteffekte: Frauen, die sowohl 1987 als auch 1997 angaben, >3 Gläser/Woche zu trinken, hatten gegenüber denen, die gar keinen Alkohol tranken, ein um 52% reduziertes RA-Risiko.

Einleitung: Dass langfristiger Alkoholkonsum die Immunfunktion beeinflussen und Alkohol die Produktion entzündungsfördernder Moleküle herunterregeln kann, ist  bekannt. Bisher aber nur Fall-Kontroll-Studien, die überwiegend auf eine inverse Relation zwischen Alkoholkonsum und RA-Risiko bei Männern und Frauen hindeuteten. In keiner dieser Studien wurde die Art des Alkohols (Bier, Wein, Schnaps) einbezogen; außerdem könnten sie durch einen Erinnerungs-Bias beeinträchtigt gewesen sein. Daher nun prospektive Studie mit einer für die weibliche schwedische Bevölkerung repräsentativen Kohorte, bei der auch Dosis und Art des Alkohols abgefragt wurden.

Methoden: Antwortraten bei den schriftlichen Befragungen 74% (1987) bzw. 70% (1997). Aus der Datenanalyse wurden alle Frauen ausgeschlossen, die keine Angaben zum Alkohol gemacht hatten oder die schon RA oder andere Formen von Arthritis hatten.  Danach bestand die Kohorte zu Beginn des Follow-ups aus 34.141 Frauen im Alter von 54-89 Jahren.

Aus den 1997er-Fragebogenangaben wurde die mittlere Zahl der alkoholischen Getränke pro Woche berechnet (1 Standardglas = 15 g Alkohol, also etwa 500 ml Bier, 150 ml Wein oder 50 ml Spirituosen). Beim Follow-up wurden die RA-Fälle mit Hilfe dreier schwedischer Register ermittelt. Für die Untersuchung des Langzeiteffekts wurden auch die Daten von 1987 herangezogen.

Als potenzielle Confounder wurden Alter, Rauchen (nie, früher, z. Zt. bis zu 10 Zig./Tag, z. Zt. über 10 Zig./Tag), BMI, Bildungsniveau, Kinderzahl (0, 1, 2, >2), Menopause (ja/nein), Fleischkonsum und Milchproduktekonsum berücksichtigt. In das letztlich entwickelte Modell floss nur das Rauchen als Confounder ein, da die anderen Faktoren die geschätzten relativen Erkrankungsrisiken kaum beeinflussten.

Ergebnisse: Frauen, die regelmäßig Alkohol tranken, konsumierten mehr Wein als Bier oder Schnaps, und sie rauchten häufiger als Frauen, die nur gelegentlich etwas tranken. Diejenigen, die >4 Gläser/Woche tranken, waren jünger und rauchten häufiger als die, die weniger tranken. Die altersstandardisierte RA-Rate war bei denen, die >4 G./W. tranken, mit 7 pro 10.000 Personenjahren geringer als bei denen, die <1 G./W. tranken (9,1 pro 10.000 Personenjahre). Nach weiterer Korrektur um den Raucherstatus war das RA-Risiko für Abstinenzlerinnen um 9% größer und für regelmäßigere Konsumentinnen um 19% kleiner als für Gelegenheitstrinkerinnen.

Nach Korrektur um das Alter und die Einflussgröße Rauchen war das relative RA-Risiko von Frauen, die über 4 Gl./W. tranken, signifikant 37% geringer als bei weniger als einem G./W. Weitere Korrekturen um die anderen oben genannten potenziellen Confounder änderten am Ergebnis nichts. Trinkende Raucherinnen hatten ein relatives Risiko von 0,77, bei trinkenden Nichtraucherinnen (die auch nie geraucht hatten)  betrug es 0,38.

Bei einem Konsum oberhalb von 4 G./W. war keine weitere dosisabhängige Risikoverringerung zu verzeichnen. Frauen, die sowohl 1987 als auch 1997 über 3 G./W. tranken, hatten ein um 52% geringeres RA-Risiko als Frauen, die zu beiden Zeitpunkten keinerlei Alkohol tranken.

Diskussion: Langfristiger Alkoholkonsum war in dieser Studie mit einem halbierten RA-Risiko verbunden. Dabei kam es auf die Art der alkoholischen Getränke nicht an.

Vergleich mit anderen Studien: Vier Fall-Kontroll-Studien ergaben ebenfalls eine signifikante inverse Assoziation zwischen Alkoholeinnahme und rheumatoider Arthritis, in einer weiteren blieb der Zusammenhang nichtsignifikant. Zwei weitere prospektive Kohortenstudien ließen keinen Zusammenhang erkennen. Allerdings wurden die Daten in einer davon (amerikanische Frauen) nicht um das Rauchen korrigiert, das positiv mit Alkoholkonsum korreliert und zugleich ein starker RA-Risikofaktor ist.

Biologische Mechanismen [für mich besonders interessant]: Bei Tieren wie Menschen regelt Alkohol Immunantworten herunter; bei Tieren verringert er die Produktion bestimmter entzündungsfördernder Cytokine. Versuch an Mäusen: 10% Ethanol im Trinkwasser verzögerte den Ausbruch und stoppte den Fortgang von RA, und zwar durch Veränderungen der angeborenen Immunabwehr. Studie an Menschen: U-förmiger Zusammenhang zwischen täglichem Alkoholkonsum und Interleukin-6-Konzentration vor dem Ausbruch von RA; bei 10-12 g Ethanol/Tag (etwa ein Drink) IL-6-Minimum; Konzentration an löslichem TNF-Rezeptor 2 sank mit steigendem täglichen Alkoholkonsum (zwischen 0 und 20 g/Tag). Querschnittstudie an Frauen: Konzentration an C-reaktivem Protein (RA-Marker) bei mäßigem Alkoholkonsum (bis zu 20 g/Tag) am niedrigsten. Fall-Kontroll-Studie an britischen RA-Patienten: inverse Assoziation zwischen Alkoholkonsum und allen fünf untersuchten RA-Markern.

Stärken und Schwächen der Studie: Die Hauptstärken sind das prospektive, populationsbasierte Design, bei dem die Selbstauskünfte über den Alkoholkonsum nicht durch einen differenziellen Erinnerungsbias beeinflusst worden sind, die Repräsentativität für die schwedische weibliche Bevölkerung und die Befragungen im Abstand von 10 Jahren, durch die Aussagen über eine Langzeitwirkung möglich wurden. Zu den Nachteilen zählt, dass die Auswirkungen hoher Alkoholdosen nicht ermittelt werden konnten, da es in der Kohorte der älteren Schwedinnen praktisch keine starken Trinkerinnen gab. Außerdem könnten die Befragten ihren Alkoholkonsum heruntergespielt haben (sozial erwünschte Antworten); dagegen spricht allerdings die Konstanz ihrer Aussagen 1987 und 1997.

2 Gedanken zu „Gemäßigter Langzeit-Alkoholkonsum scheint RA-Risiko bei Frauen deutlich zu senken

  1. Hanns-Lutz Opperman

    Kennen Sie eine Studie der den Zusammenhang von Alkohol und Migräne untersucht? Ethanol als Entzündungsinhibitor und Ethanol als Auslöser für Migräne Episoden??

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  2. Andrea Kamphuis Beitragsautor

    Leider nicht, Herr Opperman. Da ich mich vor allem für Autoimmunerkrankungen interessiere, habe ich danach noch nicht gesucht. Google Scholar liefert mir gerade einen interessanten Treffer aus dem Jahr 2008: http://www.springerlink.com/content/mk54g77012480406/
    Der Artikel steckt hinter einer Bezahlschranke, aber im Abstract wird schon klar, was auch in anderen Migräne-Studien betont wird: Retrospektive Studien mit Befragungen zu Migränetriggern sind schwer zu interpretieren, da der Konsum eines Lebens- oder Genussmittels kurz vor einer Episode nicht heißen muss, dass dieses Mittel die Episode auch ausgelöst hat. Vielleicht bahnt sich ohnehin eine Episode an, und der „Heißhunger“ nach irgendetwas ist nur ein Frühwarnzeichen. Die aussagekräftigeren prospektiven Studien ergaben keinen klaren Hinweis auf Ethanol als Auslöser.

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