Bürgerwehr-Sturmtrupps – und Klaus Mann

Vorweg, erstens: Ich behalte mir vor, die Kommentarfunktion zu diesem Beitrag – notfalls auch im ganzen Blog – zu sperren, und bei der Freischaltung von Kommentaren mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch. „Zensur“? Geht woanders spielen.

Vorweg, zweitens: Eigentlich wollte ich an diesem Wochenende viele neue Erkenntnisse zum Immunsystem bloggen, in Zeichnungen umsetzen und ins Buchmanuskript einarbeiten. Aber es fällt mir zur Zeit schwer, mich darauf zu konzentrieren. Ich wohne übrigens in Köln.

Vollpfosten gründen Bürgerwehren

Ich weiß: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Viele Hunde, die bellen, beißen nicht (manche aber doch). Von einer Absichtserklärung bei Facebook oder in anderen sozialen Medien bis zur nachhaltigen gesellschaftlichen Praxis ist es ein weiter Weg. Dennoch beunruhigt es mich, dass im Lauf der letzten Tage Kölner „Bürgerwehren“ und „Sturmtrupps“ wie Pilze aus dem Boden schießen. Die meisten haben bisher überschaubaren Zulauf; der Polizei ist die Entwicklung bekannt; sie behält die Gruppen im Auge.

Wer sind, was wollen diese Bürgerwehren?

Es sind Security-Männer des Kölner Großbordells „Pascha“ darunter und ein Stabsunteroffizier der Bundeswehr. Bodybuilder, gescheiterte Existenzen, auch einige sympathisierende Frauen, Telefonsexarbeiterinnen, Angestellte der chemischen Industrie, Selbständige. Anonymen Kommentaren zufolge sympathisieren auch Polizisten mit diesen Bestrebungen, aber das kann hohles Geschwätz sein. Viele Personen treten mit Klarnamen und plausiblen, bereits lang geführten Facebook-Profilen auf, aus denen sich zum Teil die Genese ihrer Frustration ableiten lässt. (Der Stabsunteroffizier etwa hat 2015 mehrere Hundert nicht auszahlbare und nicht abzufeiernde Überstunden angesammelt – einen Teil davon bei Einsätzen an den nordrhein-westfälischen „Drehscheiben“ für Flüchtlinge.)

Der Gründer des „Sturmtrupps“ trägt die Tätowierung „Legio Patria Nosta“ auf seinem breiten Kreuz, das Motto der Fremdenlegion. Manche treten mit Phantasienamen wie „Wächter Midgards“ auf und nennen „Zukunft – Volk – Familie – Heimat – Gemeinschaft“ als ihre Werte, was sich mit der an den Mund geführten Bierdose auf dem Profilbild offenbar reibungslos verträgt. Einer dieser Kämpfer für die Frauenrechte hat anstelle eines Porträts den Spruch „Ein Foto von mir würde dich nur unnötig geil machen“ eingestellt. Einer hat ein Youtube-Video gepostet, das „Hier siehst du ein man der ein Esel sexuell penetriet“ heißt. Ein anderer meint: „Weshalb wurde der Messerstecher auf die Bürgermeisterin überhaupt festgenommen? Sie ist es doch selber Schuld gewesen, denn sie hatte keinen Abstand gehalten!“ Ein weiterer erklärt: „Ich hoffe, die deutschen Medien wissen jetzt auch, warum in solchen Ländern wie Syrien, Ägypten, Iran die Polizei so hart ran geht. Diese Leute vom Sexmob bekommen da die Schwänze abgeschnitten. Und das ist auch richtig so.“ (Orthografie korrigiert)

Sie wollen regelmäßig durch die Straßen Kölns patrouillieren, um „unsere Frauen“ vor sexuellen Übergriffen durch „Rapefugees“ zu schützen. Sie rekrutieren gezielt in Türsteher- und Kraftsportler-Kreisen. Sie verabreden bereits erste Termine für „Spaziergänge“. Zum Teil möchten sie mit der Polizei kooperieren (die sich dafür ganz herzlich bedanken wird, ebenso wie die meisten Frauen). Zum Teil erklären sie freiheraus: „Scheißt auf die Bullen, unsere Frauen brauchen jetzt Schutz, also lasst uns loslegen“ (Orthografie korrigiert). Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie „auch mit G…“ vorgehen möchten, was in diesem Kontext nur „Gewalt“ heißen kann.

Hier manifestiert sich ein Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, eine Aufkündigung der Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols in einem beängstigenden Ausmaß. Was mich phasenweise etwas beruhigt, ist die beinahe flächendeckende Dummheit dieser Gestalten – angefangen bei einer Rechtschreibung, die von funktionalem Analphabetismus nicht weit entfernt ist – was sie nicht daran hindert, das Internet vollzuschreiben. Das Ganze macht bislang einen zwar aktionistischen, aber planlosen Eindruck: Kinder in Männerkörpern spielen Blockwart.

„Du kommst nie zur Macht!“

Aber als ich gestern jemandem von diesen Möchtegern-Bürgerwehren erzählte, erinnerte er mich an Klaus Mann. Der entdeckte 1932 in der Carlton-Teestube Hitler am Nebentisch, sah ihm aus nächster Nähe beim Verdrücken mehrerer Erdbeertörtchen zu, studierte sein Gesicht und lauschte seinem Geschwätz. Er nahm ihn als „bösartigen Spießer“ bar jeder Größe oder Begabung wahr und kam zu dem Schluss: „Du wirst nicht siegen, Schicklgruber, und wenn du dir die Seele aus dem Leibe brüllst. Du willst Deutschland beherrschen? Diktator willst du sein – mit der Nase? Daß ich nicht kichere! […] Laß dir nur noch ein Erdbeertörtchen kommen, Schicklgruber – es ist wohl das fünfte? –; in ein paar Jahren kannst du dir’s nicht mehr leisten; ein Bettler, ein Vergessener wirst du sein, in ein paar kurzen Jährlein. Du kommst nie zur Macht!“ (Klaus Mann, „Der Wendepunkt“)

Er hat seinen Irrtum bitter bereut.

Ich bin verunsichert. Meine Zuversicht, dass solche Vollpfosten unserer Gesellschaft nicht ernsthaft gefährlich werden können, ist seit Monaten dahin, und die letzte Woche hat das Unbehagen verstärkt. Unser Staat wird vorerst mit ihnen fertig, keine Frage. Aber das Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen, der Presse und der Politik, das von den „Ereignissen“ der Silvesternacht, der bräsigen Desinformationsstrategie der Polizeileitung und eben dem Gebrüll der tapferen Bürgerwehr-Mannen geschürt wird, hat sich nach meinem Eindruck in weiten Teilen der Bevölkerung festgefressen, die diesen Staat trägt … solange sie überzeugt ist, dass er seine Sache gut macht.

Was, wenn die Bürgerwehr-Klappspaten ihren Goebbels finden?

3 Gedanken zu „Bürgerwehr-Sturmtrupps – und Klaus Mann

  1. Teresa Tanz

    Auch mich verfolgt das ungute Gefühl seit Monaten, seit dem 1. Januar hat es sich verstärkt. Und Dein Bericht trägt nichts zu meiner Beruhigung bei.
    Ich wohne zwar nicht in Köln, aber auch in Bayern ist der Druck zu spüren – die CSU hetzt schließlich auch schon lange. Und wenn ich mir dann noch die Entwicklungen in den umliegenden Staaten anschaue, dann kann ich mir nicht helfen: Ich fühle mich an die Zeit der Weimarer Republik erinnert. Womit wir wieder bei Klaus Mann wären …

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  2. Uli

    Klar, dass die schlimmen Ereignisse der Silvesternacht in den sozialen Netzwerken dazu führen, dass Leute ihren Rassismus offen kundtun bis hin zur Gründung virtueller „Bürgerwehren“, die wahrscheinlich größtenteils rein virtuelle Machtdemonstrationen bleiben. Das ist historisch neu, niemals gab es in früheren Krisenzeiten für so viele normale Menschen die Möglichkeit, ihren Vorurteilen öffentlich Ausdruck zu verleihen. Dennoch: Alltagsrassismus und Ausländerfeindlichkeit sind in vielen Kreisen nicht ungewöhnlich. Früher blieb es beim Familiengespräch, heute wird alles veröffentlicht. Meine Zuversicht ist seit Silvester auch etwas angeknackst, aber es gibt auch keinen Grund zur Panik. Die nächsten Wahlumfragen werden zeigen, wo es hingehen könnte. Parallelen zur Nazi-Bewegung sehe ich als Historiker kaum. Von der spezifischen Gemengelage, die die NSDAP 1933 (ohne Wählermehrheit) an die Macht brachte, fehlt fast alles!

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  3. Andrea Kamphuis Beitragsautor

    Liebe Teresa, lieber Uli,
    mir geht es tatsächlich vor allem um die Verunsicherung, nicht um Parallelen zu anderen historischen Situationen. Ich traue mir derzeit kein Urteil über die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung zu, anders als Klaus Mann 1932 – der allerdings aus heutiger Sicht auch besonders naiv an die Beurteilung Hitlers heranging (Glaube an Physiognomik usw.).
    Ich halte dieses Eingeständnis der Verunsicherung – und die daraus logisch folgende Zurückhaltung bei der Ableitung politischer Forderungen – eigentlich für einen zivilisatorischen Fortschritt. Nur hat diese Zurückhaltung derzeit kaum eine Chance in all dem Geschrei. Politiker aller Parteien – auch der Grünen, deren Mitglied ich grummelnderweise immer noch bin – üben sich in Aktionismus und lassen sich von der moralischen Entrüstung weiter Teile der Bevölkerung vor sich her treiben. (Einige lassen sich nicht treiben, sondern nutzen die Gunst der Stunde zur beschleunigten Durchsetzung ihrer Vorhaben.) Das Bundesverfassungsgericht darf den Scherbenhaufen dann wieder aufräumen …
    Verzagt grüßt euch
    Andrea

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