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Abb. 249: Wie eine Immunneuropathie entsteht

1. Eine antigenpräsentierende Zelle (hier eine dendritische Zelle) gewinnt ein Antigen aus einem Pathogen. Die Infektion bemerken wir oft gar nicht; sie ist »stumm« oder »maskiert«.

2. Die antigenpräsentierende Zelle zeigt das Antigen und einen Kostimulator (die Kerze) vor. T-Helferzellen mit passendem T-Zell-Rezeptor werden aktiviert.

3. Die T-Helferzellen aktivieren B-Zellen mit derselben Antigen-Spezifität.

4. Die B-Zellen stellen Antikörper gegen das Antigen her und bekämpfen so die Infektion.

5. Einige T-Zellen überwinden die Blut-Hirn-Schranke und verwechseln Teile der Myelinscheiden um die Nervenzellen mit dem Pathogen-Antigen.

6. Myelinscheiden sind fettreiche Membranen von Schwann-Zellen: Gliazellen, die um Axone (Nervenzellausläufer) gewickelt sind und eine Isolationsschicht bilden. Sie sind für die
Weiterleitung von Nervenimpulsen notwendig. Links ein Längsschnitt durch ein Axon und seine Myelinscheide, rechts ein Querschnitt.

7. Die autoreaktiven T-Zellen rekrutieren Zellen der angeborenen Abwehr, zum Beispiel Makrophagen.

8. Die angelockten Immunzellen greifen die Myelinscheiden an. Das kann zu einer Lähmung
führen.

9. Bei einigen Immunneuropathien aktivieren autoreaktive T-Helferzellen auch autoreaktive
B-Zellen.

10. Die B-Zellen stellen Autoantikörper her, die an Myelinscheiden binden und so die Attacken anderer Immunzellen verstärken. – Medikamente oder die Selbstregulation des Immunsystems können die Angriffe rechtzeitig beendet. Dann bauen überlebende Gliazellen die Myelinscheiden allmählich wieder auf. Die Nerven können wieder Impulse weiterleiten; die Lähmung geht zurück.

11. Bleibt die Myelinscheide dagegen defekt, strömen durch Ionenkanäle massenhaft Ionen (z. B. Kalzium) in die Nervenzellen ein. Die Mitochondrien schwellen an und schädigen die Axone (Sterne). Dann sterben die Axon-Enden (Kreuze), und der Kontakt zu anderen Nervenzellen bricht ab.

12. In der Nähe können sich Lymphfollikel bilden, in denen autoreaktive B-Zellen eine Affinitätsreifung durchlaufen. Außer antikörperproduzierenden Plasmazellen entstehen dabei Gedächtniszellen, durch die die Autoimmunreaktion chronisch werden kann.

13. In anderen Fällen verhindern regulatorische T-Zellen die Chronifizierung: Sie schicken die autoreaktiven Lymphozyten rechtzeitig vom Platz und beenden die Immunreaktion.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 244: Von der Krebsvorstufe zur Autoimmunerkrankung


1. Eine Zelle wird zur Krebsvorläuferzelle; sie produziert sehr viel von einem für unreife Zellen
typischen Protein.

2. Eine Mutation (MUT) in einer solchen Zelle verändert das Protein.

3. Im Tumor kommen Zellen mit der Mutation und solche mit dem normalen Protein vor, dem
sogenannten Wildtyp (WT).

4. Aus mutierten Zellen wird das veränderte Protein freigesetzt, zum Beispiel, wenn sie sterben.

5. Antigenpräsentierende Zellen nehmen dieses Antigen auf und präsentieren es zusammen mit Kostimulationssignalen (Kerze).

6. Das Antigen wird wegen seiner Fremdartigkeit als gefährlich eingestuft und aktiviert das Immunsystem.

7. Die aktivierten Effektorzellen bekämpfen den Tumor. Dabei treten weitere Proteine aus – sowohl veränderte als auch unveränderte.

8. Auch das normale Protein wird nun als Antigen präsentiert, zusammen mit Kostimulationssignalen.

9. Im Kontext der laufenden Immunreaktion wird auch das normale Autoantigen als gefährlich eingestuft (molekulare Mimikry); autoreaktive Lymphozyten werden aktiviert (bystander activation).

10. Fernab vom Tumor, zum Beispiel in Blutgefäßwänden, produzieren unreife Zellen dasselbe Antigen und werden damit zum Ziel der Abwehr.

11. Die Lymphozyten greifen die unreifen Zellen an und setzen so noch mehr der Autoantigene frei, auf die sie reagieren.

12. Dieser Teufelskreis läuft auch weiter, wenn der Tumor längst verschwunden ist: Die Autoimmunerkrankung hat sich etabliert.

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Abb. 209: Kostimulationssignale

Eine antigenpräsentierende Zelle, die nur ein Antigen vorzeigt, aktiviert T-Zellen nicht nachhaltig, auch wenn deren T-Zell-Rezeptor das Antigen erkennt. Nur wenn
gleichzeitig ein Kostimulationssignal (die Kerze) das Vorliegen einer Gefahr bestätigt, wird die T-Zelle aktiv.

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Abb. 164: Professionelle und unprofessionelle Antigenpräsentation

Neben den professionellen antigenpräsentierenden Zellen (APCs) wie Makrophagen und dendritischen Zellen können während einer Entzündung oder einer Autoimmunerkrankung auch »unprofessionelle« APCs auftreten: Körperzellen, die ebenfalls MHC-Klasse-II-Moleküle herstellen, aber schlechter reguliert werden können als Immunzellen.

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Abb. 158: Korezeptoren wie CD4 stabilisieren die Antigen-Bindung

Oben: Eine Bindung zwischen einem T-Zell-Rezeptor (oben) und einem Komplex aus MHC-Molekül und Antigen-Peptid (unten) alleine ist instabil.

Unten: Korezeptoren wie CD4, die seitlich an das MHC-Molekül binden, stabilisieren die Bindung.

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Abb. 130: Antigenpräsentierende Zelle aktiviert T-Zelle

T-Zellen werden von antigenpräsentierenden Zellen aktiviert. In meinen Zeichnungen haben T-Zellen einen unregelmäßigen, »ausgebeulten« Umriss, und antigenpräsentierende Zellen sehen wie Kellner aus.

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Abb. 119: Dendritische Zellen präsentieren Antigene

Die dendritischen Zellen gehören zu den antigenpräsentierenden Zellen, in diesem Buch an ihren Präsentiertellern zu erkennen.

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Abb. 35: Verlängerung der Befehlskette

Je mehr man über das Immunsystem erfuhr, desto länger wurde die Befehlskette bis zu den Abwehrmaßnahmen.

(a) Anfangs ging man davon aus, dass Pathogene wie dieses Bakterium von Antikörpern bemerkt und bekämpft werden.

(b) Dann entdeckte man die Produzenten der Antikörper, die B-Zellen, und die hier nicht dargestellten zytotoxischen T-Zellen.

(c) Diese Zellen werden aber nur aktiv, wenn T-Helferzellen (TH) bestätigen, dass etwas im Argen liegt.

(d) T-Helferzellen wiederum werden von antigenpräsentierenden Zellen (APC) aktiviert, die ihnen Antigene vorz igen – hier die Pickelhaube des Bakteriums.

(e) Später erkannte man, dass die APCs zugleich mit dem Antigen ein zweites Signal präsentieren müssen, das sie vom beschädigten Gewebe erhalten haben: einen Kostimulator. Hier liefert eine Zelle des Darmepithels (DE) dieses Alarmsignal (die Kerze).

(f) Im Lauf der Koevolution mit unserer Darmflora haben wir einige Abwehr-Aufgaben an diese friedfertigen Bakterien ausgelagert: Im Idealfall warnen sie unser Darmepithel vor Eindringlingen, bevor diese überhaupt Schäden anrichten. Denn eine spätere und dann umso heftigere Immunreaktionen auf die Pathogene würde sowohl das Darmepithel als auch die Darmflora belasten.

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Das Immunsystem nach Matzinger: alarmbereite Feuerwehr statt xenophober Cops

Charles A. Janeway (1943-2003)

Charles A. Janeway (1943-2003)

Wer aus dem Stegreif das Immunsystem definieren soll und dabei auf sein Schulwissen oder seither Angelesenes baut, wird wahrscheinlich ungefähr sagen, dass dieses System das Selbst vor Angriffen von außen schützt, indem es auf Fremdes im Körper reagiert und dieses nach Möglichkeit zerstört, isoliert oder ausscheidet – zum Beispiel Krankheitserreger oder Allergene. Als Vertreter dieses traditionellen Verständnisses, das auch als „self-nonself model“ bezeichnet wird, habe ich hier den Immunologen Charles Janeway skizziert, auf den eines der großen Lehrbücher der Immunologie zurückgeht. Er vertrat eine moderne Variante des Konzepts, der zufolge das Immunsystem nicht jedes „nonself“ angreift, sondern nur „infectious nonself“, also Infektionserreger (s. u.).

Polly Matzinger (*1947)

Polly Matzinger (*1947)

Vor einigen Jahrzehnten stellte Polly Matzinger dieses Konzept infrage, denn es ließ ihres Erachtens zu viele Phänomene außer Acht – etwa Autoimmunstörungen, bei denen das Immunsystem körpereigenes Gewebe bekämpft, oder die heilsame Wirkung dieses Systems bei sogenannten sterilen Entzündungen, etwa Quetschungen, bei denen keine Keime in den Körper eindringen. Sie nannte ihr Konzept „Danger theory“, denn das Immunsystem reagiert ihr zufolge auf Gefahren aller Art, ob diese nun von außen (aus dem „nonself“) kommen oder im Inneren (im „self“) angesiedelt sind.

Lange galten die Konzepte als unverträglich, und die Anhänger beider Schulen bezichtigten die jeweils andere Schule zum Beispiel, „Selbst“ oder „Gefahr“ tautologisch oder zu schwammig zu definieren. Dahinter steckten auch kulturelle Differenzen. So entstand das traditionelle Bild vom Immunsystem wesentlich im Zweiten Weltkrieg, als man viele Brandwunden zu versorgen hatte und bei den Hauttransplantationen regelmäßig Abstoßungsreaktionen beobachtete, die nur dann nicht auftraten, wenn die Haut von einem eineiigen Zwillingsgeschwister stammte – also von einem zweiten Selbst. Die Begrifflichkeit dieser Schule ist entsprechend kriegerisch: Angriff, Eindringlinge, Abwehr und so weiter. Als sich in den 1970er-Jahren das ökologische Denken ausbreitete, suchte man nach Alternativen: nach einem integrativeren Konzept, in dem zwischen dem Selbst und der Umwelt keine Mauern oder Gräben lagen, sondern durchlässige „grüne Grenzen“.

Nach Matzinger reagiert das Immunsystem nicht auf alles, was nicht zum Körper gehört (alles außerhalb des linken Kreises, "non-self") und auch nicht auf alle Baktrien, Viren usw. (rechter Kreis, "infectious nonself"), sondern auf alles, was eine Gefahr darstellt (mittleres Oval, "danger" - ob nun körpereigen wie Krebszellen oder körperfremd wie Pathogene.

Nach Matzinger reagiert das Immunsystem nicht auf alles, was nicht zum Körper gehört (alles außerhalb des linken Kreises, „nonself“) und auch nicht auf alle Bakterien, Viren usw. (rechter Kreis, „infectious nonself“), sondern auf Gefahren (mittleres Oval, „danger“) – ob nun körpereigene wie Krebszellen oder körperfremde wie Pathogene. Autoimmunerkrankungen wären demnach in derselben Schnittmenge zwischen Selbst und (vermeintliche) Gefahr angesiedelt wie Krebs.

Doch welche Instanzen in unserem Körper entscheiden, wann eine Gefahr vorliegt, und setzen eine angemessene Immunreaktion in Gang? In ihren Essays „The Danger Model in Its Historical Context“ und „The Danger Model: A Renewed Sense of Self“ stellt Matzinger die Entwicklung der immunologischen Modelle und die wiederholte Vorverlagerung dieser Kontrollinstanz dar. Den Anfang macht das ursprüngliche, von Frank Macfarlane Burnet 1959 vorgestellte Self-nonself-Modell, dem zufolge die Lymphozyten (hier eine B-Zelle) aktiviert werden, sobald sie ein fremdes Antigen erkennen. Demnach hätte das Antigen (hier ein Bakterium) die Kontrolle:

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Auf dieselbe Weise sollten auch T-Zellen infizierte Körperzellen erkennen und dann gegen sie vorgehen. 1969 erweiterten P. Bretscher und M. Cohn das Modell um ein zweites Signal, das eine Absicherung gegen zerstörerische Überreaktionen darstellt. Denn man hatte entdeckt, dass einmal aktivierte B-Zellen durch somatische Hypermutation eine Vielzahl leicht unterschiedlicher Rezeptoren hervorbringen, von denen sehr viele an körpereigene Antigene binden und so ständig Autoimmunreaktionen auslösen müssten. Also postulierte man, dass nur solche B-Zellen überleben, die das von ihren Rezeptoren erkannte Antigen einer T-Helferzelle vorzeigen (2) und von dieser die Bestätigung erhalten, dass es sich um ein fremdes Antigen handelt (3). In diesem Modell hat die T-Helferzelle die Kontrolle über die Immunreaktion:

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1974 ergänzten K. J. Lafferty und A. J. Cunningham das Tableau um einen weiteren Zelltyp, der heute als antigenpräsentierende Zelle (APC) bekannt ist, und ein weiteres Signal, die sogenannte Kostimulation (3). Denn wie sich gezeigt hatte, sind T-Helferzellen im Grundzustand inaktiv. Wie die B-Zellen brauchen sie, um richtig aufzuwachen und Alarm zu schlagen, mehr als bloß Kontakt zu einer B-Zelle, die ihr ein passendes Antigen vorzeigt. Fehlt die Kostimulation durch eine APC, sterben die T-Helferzellen und in der Folge auch die B-Zellen – oder aber die T-Helferzellen werden tolerant, d. h. sie schlagen nicht Alarm, sondern wirken vielmehr beschwichtigend auf die B-Zellen ein. In diesem Modell steuert also die antigenpräsentierende Zelle die Immunreaktion:

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Rätselhaft blieb allerdings, wieso ausgerechnet antigenpräsentierende Zellen – also Makrophagen und dendritische Zellen – diese wichtige Kontrollfunktion ausübern sollten. Schließlich haben sie als Zellen der angeborenen Abwehr keine antigenspezifischen Rezeptoren und können gar nicht zwischen fremden, potenziell gefährlichen Antigenen und irgendwelchen harmlosen körpereigenen Proteinschnipseln usw. unterschieden.1989 schlug der eingangs erwähnte Charles Janeway eine Lösung vor.

Ihm zufolge können die APCs getrost alles präsentieren, was sie finden, ob nun fremd oder körpereigen (1). Die T-Helferzellen werden nur dann aktiv, wenn sie gleichzeitig ein weiteres Signal empfangen (2), das nur entsteht, wenn die APC über bestimmte Rezeptoren, die „pattern recognition receptors“ (PRRs), typische Strukturen erkennen, die eindeutig nicht aus dem eigenen Körper, sondern von evolutionär sehr weit entfernen Organismen stammen müssen. Solche Strukturen oder Muster werden als „pathogen-associated molecular patterns“ (PAMPs) bezeichnet. Ein typisches Beispiel sind Lipopolysaccharide (LPS), die in der äußeren Membran sehr vieler Bakterien vorkommen: In unserem Körper gibt es nichts Ähnliches. Also sind auch die antigenpräsentierenden Zellen nicht ständig aktiv, sondern nur, wenn sie Gefahr wittern. In diesem Modell haben letztlich die PRRs die Kontrolle:

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Aber Janeways „infectious nonself“-Modell kann nicht erklären, warum das Immunsystem auch auf Transplantate oder Tumoren reagiert, die ja keine für die PRRs erkennbaren Bestandteile evolutionäre sehr fremder Organismen enthalten. Auch Autoimmunerkrankungen bleiben in diesem Modell rätselhaft, denn meistens sind dabei ebenfalls keine Bakterien, Viren oder Pilze im Spiel.

Auftritt Matzinger. Sie schlug 1994 vor, dass die APCs nicht nur durch PAMPS alarmiert werden können, sondern auch durch DAMPs, also „danger-associated molecuar patterns“ oder „damage-associated molecular patterns“. Bei Transplantationen sterben zum Beispiel auf einen Schlag recht viele Zellen des Implantats ab, sobald dieses wieder durchblutet wird. Auch bei Krebs kommt es zu einem massenhaften Zellsterben, und viele Krankheitserreger fallen dem Immunsystem selbst gar nicht auf, verletzen aber zahlreiche Zellen, aus denen dann Substanzen austreten, die normalerweise ausschließlich im Zellinneren zu finden sind – etwa DNA oder RNA. APCs nehmen solche DAMPs zum Teil über dieselben Rezeptoren wahr wie PAMPs, denn beide Substanzklassen sind evolutionär sehr alt und gut konserviert, also nahezu unveränderlich und damit leicht zu erkennen. In diesem Modell hat das verletzte Gewebe die Kontrolle über die Immunreaktion:

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Das Gewebe steuert Matzinger zufolge nicht nur,  ob eine Immunreaktion in Gang kommt, sondern teilweise auch, welcher Art sie ist. Denn das jeweilige Gewebe oder Organ weiß selbst am besten, welche Immunreaktion ihm gefährlich werden könnte: Im Auge oder anderen lebenswichtigen Organen werden zurückhaltende Reaktionen benötigt, etwa in Form von Antikörpern in der Tränenflüssigkeit. Andernorts kann die Abwehr energisch zuschlagen, um eine Ausbreitung einer Gefahr zu verhindern.

Am Ende eines viertelstündigen Vortrags, der unten verlinkt ist, fasst Matzinger ihre Vorstellung vom Immunsystem in einem eingängigen Bild zusammen: Es besteht ihr zufolge nicht etwa aus schießwütigen Cops, die auf jeden losgehen, den sie nicht spätestens in der Highschool kennen gelernt haben …

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… sondern aus Feuerwehrleuten im Bereitschaftsdienst, die in der Einsatzzentrale in aller Ruhe Karten spielen, bis ein Alarm eingeht. Dann rücken sie aus und löschen den Brand. Dabei ist es ihnen völlig egal, ob ein Nachbar die 112 angerufen hat, ein durchreisender Vertreter oder sogar der Brandstifter selbst.

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Lange litt Matzingers „danger theory“ darunter, dass sie selbst keine Experimente durchführt, sondern eher Theoretikerin ist. Und DAMPs waren verdammt schwer nachzuweisen. Inzwischen hat man aber einige sehr überzeugende Beispiele gefunden. Eines davon, ein Protein mit dem sperrigen Kürzel HMGB1, werde ich im nächsten Beitrag vorstellen. Es übt zahlreiche Funktionen aus, reguliert seine Aktivität auf faszinierende Art und Weise selbst und spielt bei mehreren Autoimmunerkrankungen eine unglückliche Rolle: Es tritt aus den vom fehlgeleiteten Immunsystem beschädigten Zellen aus und treibt dann den Teufelskreis an.

Linktipps

Polly Matzinger (2001): The Danger Model in Its Historical Context

Polly Matzinger (2002): The Danger Model: A Renewed Sense of Self (PDF)

Video: Polly Matzinger Recaps 65 Years of Immunological Theory in One Diagram (2016, 16 Minuten)

Ansätze zu zielgerichteten Therapien von Autoimmunerkrankungen

Im Magazin „The Scientist“ hat Lawrence Steinman vor einigen Tagen neue, im Tierversuch vielversprechende Therapieansätze vorgestellt, mit denen das Immunsystem dazu gebracht werden soll, auf bestimmte Autoantigene nicht mehr zu reagieren. Das wäre ein großer Fortschritt gegenüber den heutigen Immunsuppressionstherapien, die Entzündungen und Immunreaktionen unspezifisch dämpfen, was zu einem erhöhten Infektionsrisiko und zahlreichen Nebenwirkungen führt.

Steinman ist nicht nur Pädiater und Neurologe an der Stanford University, sondern auch Gründer eines Unternehmens mit dem treffenden Namen Tolerion, das sich auf die Entwicklung von Plasmiden und anderen biologischen Wirkstoffen spezialisiert hat, die nach ihrer Injektion oder Inhalation eine solche Toleranz des Immunsystems für ein Autoantigen induzieren sollen.

Leider ist bei vielen Autoimmunerkrankungen das maßgebliche Autoantigen noch gar nicht bekannt – oder es gibt mehrere Autoantigene, die gleichzeitig oder nacheinander die Krankheit vorantreiben. So verlief eine klinische Phase-2-Studie an MS-Patienten, in der ein Plasmid Toleranz gegen Myelin-Basische Protein (MBP) induzieren sollte, enttäuschend – vermutlich weil etliche andere Autoantigene ebenfalls zu Multipler Sklerose beitragen.

Bisher nur im Tierversuch erprobt wurde ein Plasmid, das ein Myasthenia-gravis-Autoantigen codiert: den Acetylcholin-Rezeptor (AChR). Antigepräsentierende Zellen, die diese Plasmide aufnehmen, exprimieren AChR anschließend ohne die sonst üblichen Kostimulatoren auf ihrer Oberfläche, sodass die passenden T-Zellen durch diese Präsentation nicht zu einer Autoimmunreaktion ermuntert, sondern tolerant gestimmt werden.

Wohl wegen einiger Fehlschläge bei prinzipiell ähnlichen Therapieansätzen gegen Krebs und wegen der vergleichsweise wenigen Betroffenen hält sich pharmazeutische Industrie bei der Weiterentwicklung und klinischen Erprobung solcher spezifischer Therapien gegen Autoimmunerkrankungen bisher ziemlich zurück. Immerhin: Für Typ-1-Diabetes laufen bereits einige frühe klinische Studien.

Steinmans Team hat ein Plasmid entwickelt, auf dem das Gen für Proinsulin – das normalerweise von den Betazellen der Bauchspeicheldrüse hergestellte Vorprodukt für Insulin – mit einer Sechs-Basen-Sequenz namens GpC kombiniert ist, die Immunreaktionen dämpft. Im Tierversuch wiesen besonders diabetesanfällige Mäuse (sogenannte NOD-Mäuse) nach der Injektion dieses Plasmids einen normaleren Zuckerstoffwechsel, weniger entzündetes Bauchspeicheldrüsengewebe und weniger gegen Proinsulin gerichtete Antikörper auf. Das Wirkprinzip ist dasselbe wie beim Myasthenia-gravis-Therapieansatz: Antigenpräsentierende Zellen wie Makrophagen oder auch Muskelzellen präsentieren den T-Zellen das Proinsulin ohne die sonst üblichen Kostimulatoren wie CD80 der CD86; daraufhin werden die T-Zellen, deren Rezeptoren Proinsulin erkennen, tolerant.

In einer kleinen placebokontrollierten Studie an 80 Typ-1-Diabetikern, die 2012 endete, wurde als primärer Endpunkt die Konzentration von C-Peptid erfasst, einem 31 Aminosäuren langen Fragment von Proinsulin. Seine Konzentration soll anzeigen, wie gut die Bauchspeicheldrüse noch arbeitet. In Patienten, denen das Plasmid injiziert wurde, stieg die Konzentration, während sie in der Kontrollgruppe sank. Vermutlich hatten sich bereits geschädigte, aber noch lebensfähige Betazellen in den Bauchspeicheldrüsen erholt, sodass sie wieder mehr Proinsulin herstellen konnten. T-Zellen, die auf andere Antigene reagieren, wurden durch die Therapie nicht inaktiv; sie war also – wie erhofft – autoantigenspezifisch.

Ein anderer vielversprechender Ansatz ist die Entnahme und Kultivierung von regulatorischen T-Zellen oder Tregs aus den Bauchspeicheldrüsen von Typ-1-Diabetikern: In einer (allerdings sehr kleinen) Studie von Jeffrey Bluestone und seinem Team war die C-Peptid-Konzentration noch zwei Jahre nach der Behandlung besser als in der Kontrollgruppe – wohl weil das Interleukin-10, das die vermehrten Tregs ausschütteten, die Entzündung der Bauchspeicheldrüse dämpfte.

Die Gruppe von Pere Santamaria an der University of Calgary schließlich hat in Tierversuchen Erfolge mit Nanopartikeln erzielt, die mit Peptiden aus Autoantigenen und Bruchstücken des MHC-Komplexes beschichtet sind und im Körper die Rolle von antigenpräsentierenden Zellen einnehmen. Da wiederum die Kostimulatoren fehlen, stimmen sie autoreaktive T-Zellen zu Tregs um. Bei Mäusen funktioniert das mit verschiedenen Autoimmunerkrankungsmodellen, darunter Diabetes. Am Menschen wurde das Verfahren noch nicht erprobt.