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Vom Kaiserschnitt bis zur Erdnussbutter: Einflüsse auf das kindliche Immunsystem

Unter dem Titel Early-Life Microbiome wurden in The Scientist zwei Studien beschrieben, in denen – anders als in der gestern vorgestellten Mäuse-Studie – die Entwicklung des Mikrobioms von Kleinkindern untersucht wurde. (Die Fachartikel selbst stecken hinter Bezahlschranken.) Das erste Team hat Stuhlproben aus den ersten drei Lebensjahren von 39 finnische Kindern analysiert. Während in der Darmflora der meisten vaginal geborenen Kindern Bacteroides vorherrschten, fehlten diese Bakterien bei den per Kaiserschnitt zur Welt gekommenen und auch bei einigen vaginal geborenen Kindern in den ersten 6-18 Monaten. Nach einer frühen Antibiotika-Therapie wegen Atemwegs- oder Ohrinfekten fanden sich im Mikrobiom der Kinder Antibiotikaresistenz-Gene, von denen einige wenige noch lange nach der Behandlung nachzuweisen waren. Das andere Team hat die Entwicklung der Darmflora von 43 US-amerikanischen Kindern über die ersten beiden Lebensjahre verfolgt und festgestellt, dass neben der Geburtsmethode und Antibiotika auch die Muttermilch bzw. Muttermilchersatz die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen. Kausale Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und später auftretenden Störungen des Immunsystems wie Allergien oder Autoimmunerkrankungen lassen sich mit solchen Studien allerdings nicht nachweisen.

Einen Schritt zur Aufklärung des Zusammenhangs zwischen früher Darmflora-Dysbiose und späterem Asthma hat das Team um K. E. Fujimura in seiner Arbeit „Neonatal gut microbiota associates with childhood multisensitized atopy and T cell differentiation“ unternommen, über die ebenfalls The Scientist berichtet: Neonatal Gut Bacteria Might Promote Asthma. Kinder, in deren Darmflora im Alter von einem Monat vier „gute“ Bakteriengruppen (Bifidobacteria, Lactobacillus, Faecalibacterium und Akkermansia) schwächer und zwei Pilze (darunter Candida) stärker vertreten waren als bei den meisten Gleichaltrigen, hatten im Alter von zwei Jahren ein dreimal höheres Allergierisiko und im Alter von vier Jahren ein deutlich erhöhtes Asthmarisiko. Diese Risiken werden offenbar durch Stoffwechselprodukte der Darmflora vermittelt, die die Entwicklung der T-Zellen beeinflussen. Den Allergie- und Asthma-anfälligen Kindern fehlten entzündungshemmende Fettsäuren und Oligosaccharide (Zucker), die die Darmflora aus der Muttermilch produziert. T-Zellen aus gesunden Erwachsenen, die Stoffwechselprodukten der Mikrobiome der Hochrisiko-Kinder ausgesetzt wurden, entwickelten sich bevorzugt zu Th2-Helferzellen, die mit Allergien in Verbindung gebracht werden. Zugleich bildeten sich weniger regulatorische T-Zellen (Tregs), die Allergien dämpfen können. Unter den Darmflora-Produkten fielt vor allem das Lipid 12,13-DiHOME auf, das alleine schon die Entwicklung von T-Zellen zu Tregs verhindern konnte.

Um Allergierisiken geht es auch in einem weiteren The-Scientist-Artikel: Study: Nail-Biters, Thumb-Suckers Have Fewer Allergies. In einer Längsschnittstudie haben Stephanie J. Lynch und ihre Kollegen gut 1000 Neuseeländer untersucht, die 1972 oder 1973 geboren wurden. Unter denjenigen, die als Kinder am Daumen gelutscht oder an ihren Nägeln geknabbert hatten, reagierten 39 Prozent in einem Allergietest positiv auf mindestens ein gängiges Allergen. Wer nichts davon getan hatte, kam auf 49 Prozent. Und nur bei 31 Prozent derer, die früher sowohl am Daumen gelutscht als auch an den Nägeln gekaut hatten, schlug der Allergietest an: eine Bestätigung der Hygiene-Hypothese, denn durch das Lutschen und Knabbern nehmen Kinder Mikroorganismen aus ihrer Umwelt auf. Bei Asthma oder Heuschnupfen zeigten sich dagegen keine Unterschiede zwischen den Gruppen.

Auch zur alten Streitfrage, ob eine frühe Allergen-Exposition spätere Überreaktionen des Immunsystems eher fördert oder hemmt, gibt es Neues. Unter dem Titel Further Support for Early-Life Allergen Exposure berichtet The Scientist über eine Metaanalyse von 146 Studien mit zusammen über 200.000 Kindern. Die Ergebnisse: Kleinkinder, die schon früh Eier oder Erdnüsse zu sich nehmen, haben ein geringeres Risiko, später allergisch auf diese Lebensmittel zu reagieren. Bei Milch, Fisch und Muscheln, Nüssen und Weizen gab es dagegen keine hinreichenden Indizien für eine Schutzwirkung durch frühe Aufnahme in den Speiseplan. Auch für einen Schutz vor Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie durch eine frühe Konfrontation des Immunsystems mit Weizen oder anderen Gluten-Quellen fanden die Forscher keine Hinweise.

Frühe Antibiotika-Gaben verändern Mikrobiom, Gen-Expression im Darm, Immunsystem und Diabetes-Risiko

Bevor ich die vor dem Urlaub begonnene Artikelserie zum Immunsystem, Krebs und Autoimmunerkrankungen zu Ende bringe, möchte ich auf einige neuere Arbeiten über das Immunsystem und das Mikrobiom von Menschen- und Mäusekindern hinweisen. Den Anfang macht eine Studie an jungen NOD-Mäusen:

Antibiotic Therapy During Infancy Increases Type 1 Diabetes Risk in Mice: eine Meldung zu A. E. Livanos et al., „Antibiotic mediated gut microbiome perturbation accelerates development of type 1 diabetes in mice“ (Bezahlschranke, daher nur Abstract gelesen)

Für Typ-1-Diabetes gibt es genetische Risikofaktoren, aber auch Trigger in unserer Lebenweise – anders lässt sich der rasante Anstieg der Prävalenz in den westlichen Ländern im letzten halben Jahrhundert nicht erklären. Schon länger hat man die Veränderung der frühkindlichen Darmflora durch Antibiotika im Verdacht, den Ausbruch der Erkrankung in späteren Jahren zu fördern.

In dieser Studie erkrankten Mäuse des für Typ-1-Diabetes anfälligen NOD-Stamms mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn sie in der ersten Lebensphase mit Antibiotika behandelt wurden. Die Jungmäuse erhielten die erste Tylosin-Gabe, während sie noch gesäugt wurden, und zwei kurz danach. Diese Pulse sollten dem Timing vieler Antibiotika-Behandlungen von Kleinkindern entsprechen.

Mit 32 Wochen war der Anteil der an Diabetes erkrankten männlichen Mäuse im Tylosin-Arm doppelt so hoch wie im Vergleichsarm. Kurz nach den Antibiotika-Gaben veränderte sich zudem die Darmflora der männlichen Tiere; vor allem Bifidobacteria und die Bacteroidales der S247-Familie gingen zurück. Diese Bakterien-Taxa werden beim Menschen mit einer gesunden, ungestörten Darmflora assoziiert: Bifidobacteria helfen Säuglingen, den Zucker aus der Muttermilch abzubauen, und S247-Bacteroidales sind bei isoliert lebenden indigenen Gruppen viel stärker vertreten als bei US-Amerikanern.

Auch das Immunsystem der Mäuse veränderte sich infolge der Antibiotika-Gaben: In der Darmschleimhaut fanden sich weniger Th17-Helferzellen und weniger regulatorische T-Zellen (Tregs), zu deren Aufgaben die Abwehr von Pathogenen gehört. Im Darm der behandelten Mäuse wurde unter anderem das Gen für das Protein Serum-Amyloid A (SAA) schwächer exprimiert. Normalerweise regen Darmbakterien die Darmschleimhautzellen zur Produktion von SAA an, das wiederum Th17-Helferzellen anlockt. Auch der Lipidstoffwechsel der Bakterien und die Expression von Mäusegenen, die an der Cholesterinsynthese beteiligt sind, waren gestört. – Zu prüfen wäre nun, ob Antibiotika bei Menschenkindern ähnlich wirken.

Archäogenetik des humanen Mikrobioms

Schnelle Notizen zu vier Artikeln über die DNA-Sequenzierung von altem menschlichem Kot (Koprolithen) und die daraus rekonstruierte Zusammensetzung des Mikrobioms – technisch erst seit zwei, drei Jahren möglich:

Tito R. Y. et al. (2012): Insights from characterizing extinct human gut microbiomes. PLOS ONE (Open Access)

Etwa 8000 Jahre alte Koprolith-Proben aus der Hind Cave („versteinerte“ Kothaufen aus offener Höhle in den südlichen USA): überwiegend unbekannte rDNA-Quellen. Etwa 1600 Jahre alte Proben aus Caserones (Verdauungstrakt natürlicher Mumien, nördliches Chile): ähneln am ehesten Kompost. Etwa 1400 Jahre alte Proben aus Rio Zape (mit Ton bedeckter Abfallhaufen in tiefer, trockener Höhler im nördlichen Mexiko): Großer Anteil ähnelt dem Darm-Mikrobiom aus heutigen bäuerlichen Gemeinschaften; eine der Proben dürfte von einem Kind stammen (kindertypische Darmflora). Außerdem Daten aus den Stuhl-Analysen von Ötzi und einem 1918 verstorbenen und im Gletschereis eingefrorenen österreichischen Soldaten herangezogen. -> Humanmikrobiome aus altem Stuhl – auch vom 1918 verstorbenen Europäer – ähneln viel stärker der Darmflora der Landbevölkerung in Burkina Faso (und zum Teil von nichtmenschlichen Primaten) als jener US-amerikanischer Großstädter -> deutlicher Hinweis, dass der moderne westliche Lebensstil sich in den letzten <100 Jahren stark auf unsere Darmflora ausgewirkt hat.   Weiterlesen

Vergleich der Darmflora in Amazonien, Malawi und den USA

Eine hervorragende Ergänzung zu der Arbeit von De Filippo et al., die ich bereits für eine Buchskizze genutzt habe. Zusammenfassung, noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet:

Tanya Yatsunenko et al.: Human gut microbiome viewed across age and geography. Nature 486, 222–227 (14.06.2012), doi:10.1038/nature11053; PDF

Abstract: Analyse des Mikrobioms aus Stuhlproben von 531 Personen und der Genaktivität im Stuhl von 110 dieser Personen. Gesunde Kinder und Erwachsene aus der Amazonasgegend in Venezuela, dem ländlichen Malawi und Metropolen in den USA. In den ersten drei Lebensjahren reift das Darm-Mikrobiom in allen drei Populationen auf ähnliche Weise; z. B. ändert sich die Genaktivität, die mit der Vitaminsynthese und dem Vitaminstoffwechsel zusammenhängt, mit dem Alter. Die Artenzusammensetzungen und die Repertoires der Genfunktion unterscheiden sich deutlich zwischen den USA und den beiden anderen Ländern.   Weiterlesen

Dickdarmbakterien regulieren über kurzkettige Fettsäuren unser Immunsystem

J. K. Nicholson etl al: Host-Gut Microbiota Metabolic Interactions. Science 336, 08.06.2012, 1262-1267: Firmicutes wie Eubacterium, Roseburia, Faecalibacterium und Coprococcus zerlegen für den menschlichen Organismus unverdauliche Ballaststoffe wie Hemizellulosen im Dickdarm in kurzkettige Fettsäuren wie Buttersäure, Essigsäure oder Proprionsäure. Diese senken den pH-Wert im Dickdarm, hemmen durch die Ansäuerung das Wachstum von Pathogenen wie Salmonellen, stimulieren die Wasser- und Natriumabsorption, beteiligen sich an der Cholesterinsynthese, versorgen die Darmepithelzellen und einige Darmbakterien mit Energie und stimulieren die Leptinproduktion in Adipozyten (zumindest in Zellkulturen und Mäusen).   Weiterlesen