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Hunde, Vieh und Darmbakterien schützen vor Asthma

Die Durchsicht der seit Mitte September aufgelaufenen Wissenschafts-Newsletter hat ergeben: ausnahmsweise keine grundstürzenden Neuigkeiten auf dem Gebiet der Immunologie, insbesondere der Autoimmunerkrankungen. Zwei Arbeiten zum Asthma-Risiko haben Aufmerksamkeit erregt, obwohl sie nur bestätigen, was sich schon in den letzten Jahren abgezeichnet hat.

Bereits 2012 hatte ich hier kurz von einer finnischen Untersuchung berichtet, der zufolge Hun­de­hal­tung im länd­li­chen Raum für ein gesün­de­res ers­tes Lebens­jahr von Klein­kin­dern sorgt: weni­ger Ohr­ent­zün­dun­gen und Schnup­fen, weni­ger Anti­bio­ti­ka­be­hand­lun­gen. Wichtig war, dass die Haustiere genug Zeit an der frischen Luft verbrachten, um mit den nötigen Keimen in Berührung zu kommen.

Vermittelt wird die Schutzwirkung vermutlich – zumindest teilweise – über das Enzym A20 in unseren Schleimhäuten, dessen Aktivität durch Endotoxine (Lipopolysaccharide aus Bakterienzellwänden) angeregt wird.

Nun hat ein schwedisches Forscherteam in einer landesweiten Kohortenstudie über 600.000 zwischen 2001 und 2010 in Schweden geborene Kinder auf Zusammenhänge zwischen Asthma und Kontakt zu Hunden oder Vieh untersucht. Dabei zeigte sich: Kinder, die im ersten Lebensjahr Kontakt zu einem Hund hatten, hatten im Kindergarten- und Grundschulalter ein verringertes Asthma-Risiko. Kontakt zu Bauernhoftieren verringerte das Risiko, später an Asthma zu erkranken, noch stärker als Hundekontakt.

Doch nicht nur Bakterien aus der Tierhaltung, sondern auch solche aus unsere eigenen Darmflora können vor Asthma schützen. Kanadische Wissenschaftler haben die Bakterien im Kot von drei Monate alten Kindern analysiert und in den nächsten drei Jahren verfolgt, ob die Kinder Ekzeme oder Atemgeräusche entwickelten, die als erste Anzeichen von Asthma gelten. In der Darmflora von Säuglingen, die später diese Anzeichen zeigten, waren die Bakteriengattungen Faecalibacterium, Lachnospira, Veillonella und Rothia signifikant schwächer vertreten als bei den anderen Säuglingen, und ihr Kot enthielt weniger Acetat als normal – eine der kurzkettigen Fettsäuren (SCFA), von denen hier schon öfter die Rede war: Stoffwechselprodukte, mit denen bestimmte Darmbakterien unser Immunsystem beeinflussen. Diese Dysbiose war transient; später normalisierte sich die Zusammensetzung der Darmflora.

Im Tierversuch ließ sich das Asthma-Risiko durch Animpfen keimfrei geborener Mäuse mit Darmbakterien aus asthmatischen Artgenossen erhöhen, durch Übertragung der vier genannten Bakteriengattungen dagegen verringern. Ob das auch bei Menschen funktioniert, muss sich noch erweisen. Weiter untersucht werden sollte auch, ob neben dem Asthma-Risiko auch das Risiko von Autoimmunerkrankungen durch eine vorübergehende Dysbiose kurz nach der Geburt erhöht wird.

Literatur:

T. Fall et al.: Early Exposure to Dogs and Farm Animals and the Risk of Childhood AsthmaJAMA Pediatr. 2015;169(11):e153219. doi:10.1001/jamapediatrics.2015.3219 (nur Abstract frei);

dazu auch: Hunde senken Asthmarisiko. Früher Kontakt mit Hunden schützt Kinder gegen die Überreaktion des Immunsystems

M.-C. Arrieta et al.: Early infancy microbial and metabolic alterations affect risk of childhood asthmaScience Translational Medicine 30 Sep 2015: Vol. 7, Issue 307, pp. 307ra152, DOI: 10.1126/scitranslmed.aab2271 (nur Abstract frei);

dazu auch: Jef Akst: Gut Bacteria Linked to Asthma Risk. Four types of gut bacteria found in babies’ stool may help researchers predict the future development of asthma und Mit vier Bakterien gegen Asthma. Darmflora bei Säuglingen liefert vielversprechenden Ansatz für eine vorbeugende Therapie

Auswertung Wissenschafts-Newsletter, Teil 1

Nach langer Pause wegen Überstunden und Krankheit stürze ich mich wieder in die Arbeit am Buch. Ich bin immer noch mit der Beschreibung der wichtigsten Mechanismen beschäftigt, über die Infektionen mutmaßlich Autoimmunerkrankungen auslösen: molekulare Mimikry, Bystander Activation, Epitope Spreading und polyklonale Aktivierung, z. B. durch Superantigene.

Nebenbei wühle ich mich durch die Wissenschafts-Newsletter der letzten Monate. Evtl. fürs Buch relevante Meldungen verlinke ich hier. Den Anfang macht The Scientist, vor allem mit Meldungen zum Mikrobiom.

Microbes Fight Chronic Infection: Eine am 23.10.2014 in Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass Clostridium scindens und in geringerem Umfang 10 weitere Bakterien-Taxa aus dem Darm-Mikrobiom Antibiotika-behandelte (und daher dysbiotische) Mäuse vor Infektionen mit Clostridium difficile schützen können. Evtl. lässt sich daraus eine Therapie für dysbiotische Menschen entwickeln, die weniger riskant ist als die Stuhltransplantationen, die derzeit in, äh, aller Munde sind.

Gut Microbes Trigger Malaria-Fighting Antibodies: Eine am 04.12.2014 in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass E. coli im Darm von Mäusen die Bildung von Antikörpern gegen den Kohlenwasserstoff Galα1-3Galb1-4GlcNAc-R (kurz: α-gal) auslöst, der sowohl an der Oberfläche der Bakterien als auch auf Malaria-Erregern (bei Mäusen Plasmodium berghei, bei Menschen Plasmodium falciparum) zu finden ist. Diese Antikörper sind auch im Blut gesunder Menschen in großen Mengen anzutreffen. Dank einer Dreifach-Mutation in den gemeinsamen Vorfahren der Menschen und der Menschenaffen stellen unsere Zellen kein α-gal mehr her, sodass die Antikörper nicht den eigenen Körper angreifen. Mit P. berghei infizierte Mäuse mit den durch das Bakterium induzierten Antikörpern im Blut erkrankten nur halb so häufig an Malaria wie Mäuse ohne die Antikörper.    Weiterlesen

Von Dirigenten, Schlusssteinen und ungeladenen Gästen

Einen Mangel an Metaphern und Analogien kann man der Mikrobiom-Fachliteratur wahrlich nicht vorwerfen.

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George Hajishengallis (2013) diskutiert zum Beispiel die Frage, ob das Bakterium Porphyromonas gingivalis bei Parodontitis den entzündlichen Knochenverlust wirklich verursacht oder eher dirigiert („orchestrates“). Ein anderes Bild für denselben Sachverhalt: So, wie erst der Schlussstein („keystone“) einen Trockenbau-Mauerbogen zusammenhält, ist dieses Bakterium ein zentraler Bestandteil der entzündlichen Mundflora, aber nicht die alleinige Ursache der Erkrankung.

Im Netzwerk der gegenseitigen Abhängigkeiten im Ökosystem eines dysbiotischen Mikrobioms sitzen solche „keystone species“ wie die Spinnen im Netz (schraffierter Kreis): Sie erleichtern vielen anderen Arten, die zur Krankheit beitragen, das Überleben und profitieren ihrerseits von vielen weiteren Organismen. Nur wenige Arten im System sind gar nicht auf andere Organismen angewiesen. Im Netzwerk rechts sind sie mit Sternchen markiert, im Torbogen links ruhen sie direkt auf dem Erdreich.

Kultivieren – und damit durch Standardtests eindeutig nachweisen – lassen sich bisher oft nur diejenigen Arten eines Mikrobioms, die nicht auf die anderen Organismen angewiesen und insofern für das Gesamtgefüge eher untypisch sind: eben die untersten Steine des Bogens.

Genau wie in einem dysbiotischen Mikrobiom (zum Beispiel dem Biofilm bei einer Parodontitis oder der Darmflora bei einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung) stabilisieren sich auch die Arten in einem homöostatischen Mikrobiom (zum Beispiel einer gesunden Mund- oder Darmflora) gegenseitig: Die Ausscheidungen der einen Art dienen der nächsten als Rohstoffe. Die Arten nutzen alle Ressourcen so gründlich, dass ein Eindringling schlechte Karten hat, weil es für ihn keine Nische gibt.

In einem stabilen Mikrobiom beeinflussen die Teilnehmer außerdem ihre Umwelt so, dass die Bedingungen für ihr eigenes Gedeihen und das Gedeihen ähnlicher Organismen ideal sind (pH-Wert, Nährstoffe, Sauerstoffgehalt usw. – siehe Gleich und gleich gesellt sich gern). Ein Eindringling, der andere Bedürfnisse hat (hier: Pathogen = Biertrinker), hat so lange schlechte Karten, wie die übrige Gemeinschaft (hier: Kommensalen = Weintrinker) stabil bleibt.

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Wird die etablierte Gemeinschaft aber destabilisiert, beispielsweise durch Antibiotika, durch Attacken des Immunsystems oder durch eine hartnäckige Diarrhö, können sich Eindringlinge ausbreiten und ein neues Beziehungsgeflecht aufbauen – sozusagen eine Biertrinker-Kultur. Jessica Ferreyra et al. (2014) sprechen von „Party Crashers“, also ungeladenen Gästen. Auf einmal sind die alten Kommensalen in der Minderheit, und sie kommen mit den neuen Umweltbedingungen nicht zurecht, sodass sie die Hegemonie nicht einfach zurückerobern können.

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Jetzt befindet sich das System im rechten tiefen Tal in der untersten Abbildung im Artikel über die Resilienz, und es bedürfte einer erneuten „Kulturrevolution“, um es wieder in den homöostatischen Zustand zurückzubewegen – sofern das überhaupt möglich ist.

Resilienz durch Vielfalt

In der Fachliteratur zum Mikrobiom ist immer wieder von Resilienz die Rede, also der Rückstellkraft eines dynamischen Systems bei Störungen. Wie in der Makroökologie, die sich mit Lebensräumen wie Wäldern beschäftigt, zeigt sich auch bei der Erforschung des Mikrobioms: Ein Ökosystem kehrt nach einer Störung umso sicherer in seinen ursprünglichen Gleichgewichtszustand zurück, je größer seine Biodiversität ist – je mehr Arten also in ihm vorkommen.

P1180362_Resilienz_Artenreichtum_650Das Rückstellvermögen eines Systems wird gerne durch eine Kugel in einem parabelförmigen Tal versinnbildlicht, das bei hoher Resilienz tief und bei geringer Resilienz flach ist. Eine Störung, etwa eine akute Erkrankung, führt in einem bereits „erodierten“, zum Beispiel durch mehrfachen Antibiotika-Einsatz oder einseitige Ernährung verarmten System leichter dazu, dass die Kugel aus ihrer Kuhle herauskullert.

Die größere Widerstandskraft artenreicher Ökosysteme ist vermutlich auf ihre sogenannte funktionelle Redundanz zurückzuführen: Jede für den Erhalt des Ganzen wichtige Aufgabe – beispielsweise die Herstellung eines Stoffwechselprodukts, das andere Arten im Mikrobiom oder die Zellen des Wirts benötigen – kann durch mehrere Angehörige des Systems erledigt werden.

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Wie bei einem Klappbuch, in dem Kinder aus mehreren Köpfe, Rümpfen und Fortbewegungsorganen alle möglichen Fabelwesen zusammensetzen können, macht es nicht viel aus, wenn ein Element verloren geht: Reißt man ein Kopf-Blatt heraus, sind immer noch andere Köpfe übrig, sodass das Wesen komplett bleibt. Gibt es dagegen nur ein Kopf-Blatt, steht und fällt die Fähigkeit, ganze Wesen zu bilden, mit dem Erhalt dieses einen Blattes.

Angenommen, unser System könne zwei Gleichgewichtszustände annehmen, einen „gesunden“ (links) und einen „kranken“ (rechts), und befinde sich am Anfang in einem gesunden dynamischen Gleichgewicht (Homöostase, Kugel links). Wie kommt es dann zu chronischen Erkrankungen?

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Wenn z. B. unsere Darmflora durch die Ernährung oder den ständigen Einsatz antimikrobieller Substanzen allmählich verarmt, schwindet ihre Resilienz. Das linke Tal wird flacher, sodass eine Störung wie eine Infektion die Kugel ins rechte Tal schubsen kann (Dysbiose). Um die Homöostase wiederherzustellen, reicht es meist nicht, die Kugel noch einmal anzustupsen, denn der Abhang, den sie überwinden müsste, um wieder nach links zu gelangen, ist zu steil.

Von langfristig eingenommenen pro- oder präbiotischen Lebensmitteln oder radikaleren Mikrobiom-Therapien wie der Verabreichung lebender Würmer oder Stuhltransplantationen erhofft man sich stattdessen einen allmählichen Umbau des „Landschaftsprofils“: Das linke Tal soll wieder tiefer und das rechte flacher werden, sodass das System in seinen gesunden Gleichgewichtszustand zurückspringen kann und dann auch dort bleibt.

Dass das gelingt, ist keineswegs sicher: Die Diversität und damit die Resilienz eines Ökosystems ist viel leichter zu reduzieren als wieder aufzubauen. Das gilt für Urwälder und Fichten-Monokulturen ebenso wie für unsere Darmflora.

Was kann uns das Hadza-Mikrobiom wirklich lehren?

P1180271_Hadza-Umwelt_650Wie in den Notizen zu Schnorr et al. beschrieben, leben die Hadza-Jäger und -Sammler in Tansania vor allem von Knollen, Affenbrotbaum-Früchten (sehr reich an Vitamin C!), Honig und Wild, wobei die pflanzliche Kost übers Jahr gerechnet mit etwa 70% überwiegt und Frauen mehr ballaststoffreiche Pflanzenteile, Männer dafür mehr Fleisch zu sich nehmen.

Im Januar hat Jop de Vrieze in Science das Projekt des US-amerikanischen Anthropologen und Tropenmediziners Jeff Leach vorgestellt, der bei den Hadza nicht nur über zwei Jahre hinweg zahlreiche Stuhl- und Hautflora-Proben sowie Proben ihrer Nahrungsmittel und ihres Trinkwassers einsammelt, sondern auch selbst einen Monat wie die Hadza leben und die Auswirkungen auf sein eigenes Mikrobiom analysieren lassen will. Seine Motivation: Seine Tochter ist an Typ-1-Diabetes erkrankt, und er hofft auf neue Therapieansätze, da die Hadza viel seltener „moderne Krankheiten“ wie Diabetes, Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen bekämen als Menschen in Industriegesellschaften.

Mir kommt ein Monat viel zu kurz vor, zumal da sich gerade gezeigt hat, dass die Kost und die sonstige Lebensweise der Hadza  stark von den Jahreszeiten abhängt. Dass ihr Mikrobiom eine so hohe Biodiversität und damit auch eine große Resilienz (Rückstellkraft bei Störungen) aufweist, dürfte gerade mit diesen Schwankungen zu tun haben: Je nach Lebensalter und Jahreszeit sind gerade andere Bakterien gefragt, die später evtl. wieder ins zweite oder dritte Glied zurücktreten, aber erhalten bleiben, um bei Bedarf wieder zu dominieren.   Weiterlesen

Homöostase und Dysbiose im Darm

Skizzen fürs Buch, angelehnt an die doch recht amerikanische Rasenpflege-Metapher von Lozupone et al., „Diversity, stability and resilience of the human gut microbiota“, 2012:

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Homöostase: Das Darm-Immunsystem stutzt die gutartige Darmflora vorsichtig zurück, wenn sie sich zu breit macht, und stabilisiert sie dadurch.

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Dysbiose: Durch Antibiotika, entzündungsfördernde Kost usw. wird die gutartige Darmflora destabilisiert, und Pathogene nehmen den Platz der Symbionten und Kommensalen ein.

Gleich und gleich gesellt sich gern: Proteobacteria bei Dickdarm-Entzündungen

Winter SE, Bäumler AJ. Why related bacterial species bloom simultaneously in the gut: principles underlying the ‚Like will to like‘ concept. Cellular Microbiology 2014, 16(2). 179-184

Im gesunden Dickdarm dominieren obligate anaerobe Bakterien aus den Stämmen Bacteroidetes (Klasse Bacteroidia) und Firmicutes (Klasse Clostridia); Arten aus den Stämmen Proteobacteria und Actinobacteria sind meist selten. Homöostase -> idealer Nährstoffaufschluss und Infektionsresistenz. Dysbiose: Clostridien gehen zurück, fakultative anaerobe Proteobacteria breiten sich aus.

Aber wie wird das Gleichgewicht aufrecht erhalten, bzw. wie kommt es zur Dysbiose? Und wieso werden dabei ganze Stämme regelrecht ausgetauscht, statt dass nur einzelne arten häufiger bzw. seltener werden? Lozupone et al. (2012) haben das mit Rasenpflege verglichen: Bei schweren Zwischenfällen wird die nackte Erde freigelegt, und statt Gras können sich Unkräuter ausbreiten. Aber diese Metapher sagt noch nichts über die Mechanismen.

Beobachtung bei Mäusen: Tiere, die viele Kommensalen der Art Escherichia coli beherbergen, sind besonders anfällig für Infektionen mit Salmonella enterica und Campylobacter jejeuni, die zum selben Stamm (Proteobacteria) gehören. -> Similis-simili-gaudet-Hypothese. Vielleicht lokale Umweltbedingung, die alle Arten eines Stammes fördert?

Normale Labormäuse gehören zu einem von zwei Enterotypen: entweder hohe Diversität der Darmflora und Dominanz von Clostridien und Bacteroidia – oder geringere Diversität, weniger Clostridien und (relativ) mehr Proteobacteria, oft verbunden mit schwacher Entzündung. Bei Menschen ist die Existenz bzw. Omnipräsenz und Bedeutung von Enterotypen allerdings noch umstritten.

Mausmodelle für Colitis: Entzündungsreaktion auf chemischen Trigger oder genetische Disposition erhöht Häufigkeit fakultativer Anaerobier, v. a. aus der Familie Enterobaceriaceae (Stamm Proteobacteria). Auch bei Infektion mit dem Einzeller Toxoplasma gondii breiten sich Enterobaceriaceae in der Darmflora unkontrolliert aus. Einige pathogene Enterobacteriae lösen mit Virulenzfaktoren ihrerseits Entzündung aus, um sich gegenüber anderen Bakterien einen Wachstumsvorteil zu verschaffen.

Menschen: Bei Morbus Crohn, Antibiotika-Behandlung, HIV-Enteropathie (chronische Diarrhö) und anderen Erkrankungen des Dickdarms ebenfalls Proteobacteria-Blüte im Verbund mit Clostridien-Rückgang. Aber sind es dieselben Selektionskräfte, die die Proteobacteria fördern und den Clostridien zu schaffen machen? Wahrscheinlich nicht.

Proteobacteria profitieren von einem Mechanismus, bei dem reaktive Sauerstoff- und Stickstoff-Species entstehen. Diese antimikrobiellen Substanzen diffundieren vom Epithel weg ins Lumen und wandeln sich dabei in Elektronenakzeptoren wie Tetrathionat oder Nitrat um. Pathogene S. enterica und kommensale E. coli können diese Elektronenakzeptoren für ihre anaerobe Respiration und damit für ein starkes Wachstum im Dickdarm nutzen.

Fitnessvorteil für Proteobacteria: Die fakulativen Anaerobier können durch die anaerobe Respiration nichtfermentierbare Substrate oder Fermentationsendprodukte als Kohlenstoffquellen nutzen und vermeiden so die Konkurrenz um fermentierbare Nährstoffe, auf die die obligaten Anaeroben (Bacteroidias und Clostridia) angewiesen sind.

Rückgang der Clostridien: wahrscheinlich durch eine andere, noch unbekannte Selektionskraft, denn Clostridien haben keine terminalen Oxidoreduktasen und können daher auf die Elektronenakzeptoren, die bei der Entzündung entstehen, nichts reagieren. Es muss ein Faktor sein, der nicht auf alle Clostridien nachteilig wirkt: Clostridium difficile und einige andere Arten aus der Familie der Lachnospiraceae vermehren sich nämlich bei Darmentzündungen, statt zu verschwinden.

Clostridien produzieren bei der Fermentation kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmend auf das Immunsystem einwirken, indem sie die Rezeptoren regulatorischer T-Zellen (Tregs) stimulieren. Daher kann es sein, dass ein Rückgang der Clostridien (zum Beispiel durch Antibiotika) der erste Schritt zur Dysbiose ist: Wenn sie fehlen, wird eine einmal gestartete Entzündung nicht rechtzeitig gestoppt, und die Entzündungsprodukte fördern dann die Proteobacteria.

So was kommt von so was.

Skizzen fürs Buch: Bei ungünstiger genetischer Prädisposition (z. B. AIE-fördernde MHC-Klasse-II-Genvarianten auf beiden Exemplaren des Chromosoms 6) kann ein stabiles, gesundes Mikrobiom das Immunsystem im Gleichgewicht halten; die regulatorischen T-Zellen hindern die entzündungsfördernden Th17-Zellen daran, eine chronische Entzündung zu entfachen:

Aber wenn die entzündungshemmenden Bakterien in der Darmflora ( z. B. ernährungsbedingt) geschwächt werden oder entzündungsfördernde Bakterien überhand nehmen (Dysbiose), …

… regen entzündungsfördernde Zytokine eher die Th17-Zellen als die Tregs zur Vermehrung und Aktivität an, sodass es den Tregs u. U. nicht gelingt, die Entzündung rechtzeitig herunterzufahren. Dann schlägt die genetische Veranlagung durch -> Autoimmunerkrankung oder chronische Entzündung:

(Das ist – zugegeben – eine grobe Vereinfachung.)

 

Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen, I

Zusammenfassung des AIE-Aspekts der Arbeit:

Yun Kyung Lee und Sarkis K. Mazmanian: Has the microbiota played a critical role in the evolution of the adaptive immune system? Science 330(6012), 2010, doi: 10.1126/science.1195568

Außer den natürlichen Tregs (CD4+Foxp3+-T-Zellen aus dem Thymus) entstehen imVerdauungstrakt auch induzierbare Tregs aus naiven T-Zellen; einige davon produzieren entzündungshemmendes IL-10. Darmbakterien können an der Differenzierung einiger dieser Tregs beteiligt sein. Kommensalen wie Bifidobacterium infantis und Faecalibacerium prausnitzii können auch Foxp3+-Tregs und die IL-10-Produktion im Darm anregen – vermutlich, um in der Schleimhaut Toleranz zu induzieren.   Weiterlesen