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Frauenfeind Fischer? Der Sargnagel-Effekt

Es wird mal wieder Zeit für einen blogthemenfremden Einschub: Mich wundert und ärgert die Zustimmung, die ein übergriffiger, infamer und dümmlicher Text in Teilen meiner Filterblase erfährt, die ich für klüger gehalten habe.

Es geht um einen „Brief“ an Bundesrichter Thomas Fischer mit dem Titel Er packt noch eins drauf, den die Autorin Simone Schmollack am 18. März in der taz veröffentlicht hat. Zwei der drei Attribute sind schnell abgehandelt: übergriffig (Beispiel: „Ich nahm Sie mit ins Bett“) und infam (das „ergaunerte“ Haus). Kommen wir zur Dümmlichkeit. Fast muss man sich sorgen, dass die Behauptung, Herr Fischer hätte ein generelles Problem mit Frauen, allmählich Realität wird, wenn er immer wieder auf schreibende Frauen trifft, die offenkundig sehr wenig verstanden haben und auf dieser Grundlage munter Urteile fällen.

Gerade haben wir die Stefanie-Sargnagel-Empörungswelle hinter uns. Zumindest in meiner Filterblase war schnell ein Konsens erzielt: nicht nur über die widerlichen, vielfach sexuell aufgeladenen Gewaltfantasien und Aufrufe zu „Aktionen“ gegen die Autorin, nicht nur über den Irrsinn der Sperrung von Sargnagels Facebook-Seite, sondern auch über die Interpretation des Textes, der die Welle ausgelöst hatte: Wer das, was eine Schriftstellerin veröffentlicht, für bare Münze nimmt, für ungebrochene autobiografische Wahrheit, auf deren Basis man sie moralisch verurteilen kann, hat einen Knall. Das gilt auch, wenn man den Text nicht für rundum gelungen, ja selbst dann, wenn man ihn für schlechte Literatur hält.

Wenn aber Thomas Fischer, der immer wieder den experimentellen, assoziativen Charakter seines Schreibens betont hat, etwa über Beate Zschäpes „teigiges Gesicht“ schreibt oder im Gespräch mit Frau Schmollack von einer „pickligen Tante“ spricht, „die nicht reden will“ – dann muss er das wohl genau so meinen in seinem Frauenhass?

In anderen seiner Texte gelingt den meisten Leserinnen und Lesern das Verstehen mühelos: wenn Fischer etwa die Durchsuchung, bei der Volker Beck mit Drogen erwischt wurde, als „gewiss rein zufällig“ bezeichnet. Oder wenn er sinngemäß schreibt, Arbeitnehmer oder Käufer gingen mit den Rechtsabteilungen von Großkonzernen doch sicher Kontrakte auf gleicher Augenhöhe ein, die sie als souveräne Individuen in allen Weiterungen durchschauten. Dann ahnen die meisten, so hoffe ich: Er meint es anders. Er paraphrasiert, was Menschen und Medien so von sich geben. Er gibt Wahrnehmungen und Meinungen Dritter wieder und hofft, dass wir den Unsinn als solchen erkennen.

Das macht, neben den profunden juristischen und rechtssoziologischen Ausführungen, den Reiz der Kolumnen aus: Da schreibt jemand, der beispielsweise mit unserer bigotten Drogenpolitik, mit einer auf einem Auge blinden und auf dem anderen umso schärfer hinsehenden Exekutive, mit der oberflächlichen, sich in Frisurbeschreibungen ergehenden Prozessberichterstattung oder mit dem Schulterzucken der Justiz gegenüber den ganz großen Schweinereien in der Wirtschaft grundsätzlich nicht einverstanden ist. Jemand, der unter der markttotalitären Deformation von Individuen und ihren Beziehungen leidet. Wenn er etwa Lohfink als geradezu grotesk fremdbestimmt beschreibt, hat das meines Erachtens mehr mit diesem Unbehagen an der kapitalistischen Deformation selbst intimster, beispielsweise sexueller Beziehungen zu tun als mit seinem Frauenbild.

Das muss man nicht mögen, und man muss es nicht für große Kunst halten. Ich finde gewiss nicht jede Formulierung gelungen und kann mir auch nicht jede Ruppigkeit und jeden Hohn mit dem eben dargestellten literarischen Mittel erklären. Die Kolumnen wechseln oft abrupt zwischen Überspitzung, paraphrasierten Fremdurteilen, eigenen Einschätzungen, Kalauern und juristischen oder soziologischen Analysen. Bei flüchtiger Lektüre, wie online nun einmal üblich, fliegt man da schon mal aus der Kurve. (Beim Verfassen wohl auch.)

Aber man sollte zumindest imstande sein, ein wesentliches Stilmittel der Kolumnen als solches zu erkennen, und dem Autor zumindest versuchsweise zugestehen, dass er uns mit seinen Paraphrasen einen Spiegel vorhalten möchte. Dabei hilft übrigens kein mitlaufendes Band: Man kann aus unverfälschten O-Tönen ganz wunderbar einen tendenziösen Interviewtext zusammenschustern, der die vorgefasste eigene Meinung zu belegen scheint.

Natürlich ist auch meine Interpretation nur eben dies: eine Interpretation. Ich kann mich irren. Wenigstens das sollten alle, die demselben Kurzschluss erlegen sind wie Frau Schmollack, auch bezüglich ihrer eigenen Deutungen einmal in Erwägung ziehen.