Schlagwort-Archive: Hypothalamus

Neuronale Basis für Krankheitsverhalten im Stammhirn aufgespürt

Maus-Netsuke

Wenn Tiere oder Menschen krank sind, zeigen sie charakteristische Verhaltensweisen, die zusammen als sickness behaviour bezeichnet werden. Mit Verhalten sind hier keine bewussten Handlungen gemeint, die sich ebenso bewusst unterbinden oder lenken lassen, sondern tief einprogrammierte, körpernahe Phänomene. Hier habe ich sie 2017 vorgestellt – und auch auf den Hypothalamus als beteiligte Hirnregion hingewiesen.

Neben dem Hypothalamus ist auch das Stammhirn an diesen Verhaltensweisen beteiligt, die bei akuten Erkrankungen der Genesung dienen, indem sie möglichst viele Ressourcen an das Immunsystem umleiten – bei chronischen Erkrankungen wie Autoimmunkrankheiten aber vermutlich Fehlsteuerungen darstellen, da beispielsweise Lethargie oder Nahrungsverweigerung auf die Dauer nicht zur Heilung beitragen. Bislang wusste man aber nicht, welche Neuronengruppen im Gehirn dafür verantwortlich sind.

Einem Beitrag in The Scientist entnehme ich, dass eine Forschergruppe um Anoj Ilanges diese Neuronen im Stammhirn von Mäusen mithilfe eines trickreichen mehrschrittigen Versuchs ausfindig gemacht hat. Die Nervenzellgruppen werden kurz als NTS und AP bezeichnet; die nur für Neurolog*innen aussagekräftigen Langnamen erspare ich uns. Einem anderen Team war kürzlich Ähnliches mit Hypothalamus-Neuronen gelungen, die offenbar für die Koordinierung von Fieber, Appetitverlust und das Aufsuchen von Wärme zuständig sind.

Noch ist nicht belegt, was genau diese Verhaltensänderungen im Krankheitsfall auslöst. Aber im Allgemeinen empfängt der NTS Signale vom Vagusnerv, der Informationen aus den inneren Organen übermittelt, während die AP auf humorale (in Flüssigkeit gelöste) Signale reagiert, also etwa Zytokine, die von Immunzellen am Infektionsort in die Blutbahn ausgeschüttet wurden. Die Nervensignale treffen schneller im zentralen Nervensystem ein als die Botenstoffe aus der Blutbahn.

Bestimmte Verhaltensweisen aus dem Komplex sickness behaviour treten auch bei Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen oder etwa ME/CFS auf, beispielsweise Fatigue – in unterschiedlichen Ausprägungen. Daher lohnt es sich, diese Forschungsrichtung weiter zu verfolgen. In meistens sehr leichter und nur wenige Tage anhaltender Form kann Krankheitsverhalten übrigens auch nach Impfungen auftreten.

Die Originalarbeit ist in Nature erschienen und frei zugänglich: Ilanges et al.: Brainstem ADCYAP1+ neurons control multiple aspects of sickness behaviour

Abb. 221: Die innere Uhr und das Immunsystem

Unsere zentrale Uhr im suprachiasmatischen Nucleus oder SCN, einem Teil des Hypothalamus im Gehirn, schwingt mit einer Periode von ungefähr im 24 Stunden. Dieser circadiane Rhythmus wird regelmäßig durch das Tageslicht nachjustiert, damit die Uhr nicht vor- oder nachgeht. Der SCN beeinflusst das Immunsystem auf drei Wegen: über die Zirbeldrüse, die zu bestimmten Tageszeiten das Hormon Melatonin ausschüttet, über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, die zu einer im Tagesverlauf schwankenden Kortisolausschüttung führt, und über das autonome Nervensystem, das Signale an die Zirbeldrüse und die Nebennierenrinde, aber auch direkt an Lymphorgane wie Milz und Leber sendet. Das Immunsystem wiederum wirkt auf unsere Uhr und damit auf unser Schlafbedürfnis zurück: durch die Ausschüttung von Zytokinen, die im SCN die Ablesung der Uhr-Gene beeinflussen.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 215: Regulierung von Immunreaktionen durch das ZNS

Immunreaktionen werden auf mehreren Wegen beendet. Das zentrale Nervensystem (ZNS) empfängt Nervensignale von hinführenden oder afferenten Nerven (AN) und sendet über die wegführenden oder efferenten Nerven (EN) Stoppsignale aus. Der Hypothalamus (HT) registriert Zytokine aus der Immunreaktion und befiehlt der Hypophyse (HP), die Nebennierenrinde (NNR) anzuweisen, entzündungshemmendes Kortison auszuschütten. Und die Immunreaktion bringt Tregs hervor, deren Botenstoffe wie IL-10 ebenfalls immunsuppressiv wirken.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Die NK-Zell-Uhr

Neben der zentralen biologischen Uhr im Hypothalamus (siehe voriger Beitrag) schwingen auch im restlichen Körper viele Vorgänge im 24-Stunden-Takt. Dank dieser lokalen Uhren, die regelmäßig durch Impulse aus dem SCN synchronisiert werden, können sich die Zellen auf regelmäßig wiederkehrende Situationen einstellen. Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) dienen z. B. der Bekämpfung von Pathogenen, die zumeist tagsüber während unserer aktiven Phase in den Körper eindringen.

P1200141_Stundenbuch_NK-Zelle_650

Die Halbkreise geben die Tageszeit (morgens, mittags, abends, nachts) an. Die obere Hälfte der vier Rechtecke stellt jeweils den Zellkern dar, die untere Hälfte das Zytoplasma, also den Zellbereich außerhalb des Kerns. Die Vorgänge sind extrem vereinfacht dargestellt; tatsächlich gibt es z. B. noch mehr Uhrgene, die der Stabilisierung des Rhythmus dienen.

Morgens werden die Uhrgene per, cry und ror abgelesen: Das Protein BMAL/CLOCK (die Uhr) hat an Sequenzen in deren Promotorbereichen angedockt und fördert so ihre Transkription. Außerdem fördert es die Ablesung zahlreicher anderer Gene, der sogenannten clock-controlled genes oder CCGs – in NK-Zellen zum Beispiel Gene, die für die Pathogenbekämpfung nötig sind. Die Transkriptionsprodukte (sogenannte Messenger-RNA oder mRNA) wandern aus dem Zellkern ins Zytoplasma und werden dort von den Ribosomen in Empfang genommen – den Proteinfabriken, die anhand der Bauanleitung in der mRNA Aminosäuren zu neuen Proteinen zusammensetzen.

Mittags haben die NK-Zellen große Mengen der Proteine hergestellt. Einen Teil davon scheiden die Zellen aus, um Viren, Bakterien und Krebszellen auszuschalten – zum Beispiel Giftstoffe aus ihren Granula (Membranbläschen) oder Botenstoffe wie den Tumornekrosefaktor (TNF). Die Proteine PER und CRY lagern sich dagegen zusammen, werden aktiviert und wandern – genau wie das Protein ROR – in den Zellkern ein. Diese Proteine sind Transkriptionsfaktoren; sie beeinflussen also die Ablesung von Genen – genau wie BMAL/CLOCK.

Abends werden die morgens fleißig transkribierten Gene nicht mehr abgelesen, da das Protein PER/CRY (Ampel) die Aktivierung durch BMAL/CLOCK (Uhr) unterbindet. Der Transkriptionsfaktor ROR hat dagegen an eine Sequenz im Promotor des Gens bmal gebunden und so dessen Ablesung eingeschaltet. Er zieht gewissermaßen die Zelluhr auf; daher der Schlüssel. Die bmal-mRNA wandert ins Zytoplasma und wird dort von Ribosomen in Empfang genommen.

Nachts haben die NK-Zellen so viel BMAL hergestellt, dass es sich mit seinem Gegenpart CLOCK zusammenlagern kann. Das Protein tritt in den Zellkern über und ersetzt dort alte, nicht mehr funktionstüchtige BMAL/CLOCK-Einheiten. PER/CRY hat ausgedient und wird von Enzymkomplexen, sogenannten Proteasomen, abgebaut (Hammer).

Damit schließt sich der Kreis. So werden die gefährlichen Wirkstoffe, deren Herstellung zudem viel Energie verbraucht, jeden Tag „just in time“ produziert: dann, wenn Pathogene in unseren Körper eindringen.

(Abbildung inspiriert durch Logan RW & Sarkar DK, „Circadian nature of immune function“, Molecular and Cellular Endocrinology 349 (2012) 82-90, und Gibbs JE & Ray DW, „The role of the corcadian clock in rheumatoid arthritis“, Arthritis Research & Therapy 2013, 15:205)

Wie erfährt Immunsystem, wie spät es ist?

Auf drei Wegen: über das Hormon Melatonin aus der Zirbeldrüse, über das Hormon Cortisol aus der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und über das autonome Nervensystem, das Signale an die endokrinen Drüsen und an Lymphorgane wie Milz und Leber übermittelt:

P1200146_SCN_Nerven_Hormone_IS_schwarz_650

Alle drei Instanzen beziehen die zentrale Uhrzeit vom suprachiasmatischen Nucleus (SCN), einem Teil des Hypothalamus. Der circadiane Rhythmus im SCN wird regelmäßig durch Tageslicht nachjustiert, damit die zentrale Uhr nicht vor- oder nachgeht.

Auch das Immunsystem kann die zentrale Uhr verstellen, zum Beispiel, wenn der Körper bei einer Infektion Ruhe braucht. Dann senden die Immunzellen Zytokine aus, Botenstoffe, die im SCN die Ablesung der Uhr-Gene beeinflussen.

(Abbildungsvorlage aus Mavroudis PD et al., Systems biology of circadian-immune interactions. J Innate Immun 2013; 5:153-162)

Neue Literatur bis einschließlich Dezember 2013, Teil 4

Der Rest, wieder unkommentiert und noch nicht verschlagwortet:

T cells and Transplantation: Drug-resistant immune cells protect patients from graft-versus-host disease after bone marrow transplant. T3

Bile Compound Prevents Diabetes in Mice: A chemical prevalent in the bear gallbladder abates a cellular stress response and stalls the progression of type 1 diabetes in rodents. T3

Matarese G et al. (2013): Hunger-promoting hypothalamic neurons modulate effector and regulatory T-cell responses (Open Access) T3
Dazu auch Neurons Govern Immunity: Hunger-associated molecules in the hypothalamus suppress inflammation.

Yu X et al. (2013): TH17 Cell Differentiation Is Regulated by the Circadian Clock (Abstract; PDF aber an anderer Stelle erhältlich) T3, T4
Dazu auch Time for T cells: Circadian rhythms control the development of inflammatory T cells, while jet lag sends their production into overdrive.

Scher JU et al. (29139: Expansion of intestinal Prevotella copri correlates with enhanced susceptibility to arthritis (Open Access) T4
Dazu auch Gut Microbes May Impact Autoimmunity: Researchers show that the prevalence of one genus of bacteria correlates with the onset of rheumatoid arthritis.

Zhong W et al. (2013): Immune anticipation of mating in Drosophila: Turandot M promotes immunity against sexually transmitted fungal infections (Open Access) T4
Dazu auch Frisky Fruit Flies: Researchers show that Drosophila females upregulate an immune gene for protection against sexually transmitted infections before copulation.

Simmonds MJ et al. (2013): Skewed X chromosome inactivation and female preponderance in autoimmune thyroid disease: an association study and meta-analysis (Abstract) T4

Alexandraki KI et al. (2013): Are patients with autoimmune thyroid disease and autoimmune gastritis at risk of gastric neuroendocrine neoplasms type 1? (Abstract) T3

Leskela S et al. (2013) Plasmacytoid Dendritic Cells in Patients With Autoimmune Thyroid Disease (Abstract) T3

Ioannou M et al. (2013): In Vivo Ablation of Plasmacytoid Dendritic Cells Inhibits Autoimmunity through Expansion of Myeloid-Derived Suppressor Cells (Open Access) T3

Simmonds MJ et al. (2013): GWAS in autoimmune thyroid disease: redefining our understanding of pathogenesis (Abstract) T3

Rege S, Hodgkinson SJ (2013): Immune dysregulation and autoimmunity in bipolar disorder: Synthesis of the evidence and its clinical application (Abstract) T3?

Linkshändigkeit, Migräne, Dyslexie und Immunstörungen

Chronologische Sammelbesprechung von fünf Arbeiten aus den letzten 30 Jahren; noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet; Anlass der Recherche war mein erster (und hoffentlich letzter), harmloser und kurzer Migräne-Anflug mit Aura vorletzte Woche:

Norman Geschwind, Peter Behan: Left-handedness: Association with immune disease, migraine, and developmental learning disorder. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 79, 1982, 5097-5100

Leonardo da Vinci, ein berühmter Linkshänder (mutmaßliches Selbstporträt)

Eine damals aufsehenerregende Arbeit, in der die aus klinischen Beobachtungen gewonnene Hypothese getestet werden sollte, dass bei Linkshändern und ihren Angehörigen Autoimmunerkrankungen, Migräne und Lernschwierigkeiten wie Dyslexie gehäuft auftreten. In zwei voneinander unabhängigen Studien wurden Immunstörungen und Lernschwierigkeiten bei Linkshändern deutlich häufiger festgestellt als bei Rechtshändern. In einer dritten Studie wurde der Linkshänderanteil bei Menschen mit Migräne bzw. der Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis mit dem Linkshänderanteil in einer Kontrollgruppe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen; er war höher.   Weiterlesen