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Multiple Sklerose und das Epstein-Barr-Virus: MS wegimpfen?

Kürzlich tauchte auf der tagesschau-Website eine Meldung auf: „Epstein-Barr-Virus: Impfung bald möglich?“ Berichtet wurde über die Forschung von Professor Wolfgang Hammerschmidt vom Helmholtz Zentrum in München: Dieser habe „gemeinsam mit anderen Forschenden einen Impfstoff gegen das Virus entwickelt, um das Pfeiffersche Drüsenfieber zu verhindern, das wissenschaftlich infektiöse Mononukleose genannt wird. Der Impfstoff, der bereits von einem Pharmaunternehmen produziert wird, soll nächstes Jahr in eine klinische Prüfung gehen, also am Menschen getestet werden.“

Und weiter: „Auch Professor Nicholas Schwab von der Uniklinik in Münster hält eine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus für ausgesprochen wünschenswert. Denn mit seinen jüngsten Forschungen konnte er bestätigen, was andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermutet hatten: Dass EBV eine entscheidende Rolle spielen kann bei der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, kurz MS.“

Da fiel mir wieder ein, dass ich im Frühjahr kurz überlegt hatte, zu zwei viel diskutierten neuen Forschungsarbeiten über Multiple Sklerose und Epstein-Barr-Viren zu bloggen. Ich hatte mich dann dagegen entschieden, weil mir die zum Teil überzogenen Erwartungen, die Vielzahl der vorgeschlagenen Wirkmechanismen bei der Entstehung von MS und die Überhöhung von Indizien zu Beweisen oder von Korrelationen zu kausalen Zusammenhängen bei diesem Thema seit Jahren auf den Zeiger gehen.

Schon vor 10 Jahren schrieb ich hier im Blog: „Ehrlich gesagt habe ich es aufgegeben, bei Multipler Sklerose den Überblick über die Fachliteratur und die Diskussionen zu ihren Ursachen und Mechanismen zu behalten: Nach meinem Eindruck wird alle paar Wochen eine neue Sau durchs Dorf getrieben, und oft wird mir nicht klar, welche Studienergebnisse nun mit welchen Theorien zusammenpassen und was sich gegenseitig ausschließt.“ Daran hat sich nichts geändert.

Nun schreibe ich doch über das verhasste Thema, denn die Impfungen, die hier in Aussicht gestellt werden, möchte ich ein wenig einordnen. Viele Details lasse ich weg; wer mag, kann sie in den unten verlinkten Artikeln nachlesen.

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Abb. 241: Infektionen und Autoimmunerkrankungen

Viele Autoimmunerkrankungen wurden mit Infektionen in Verbindung gebracht, die zum Teil ganz andere Organe oder Körperregionen (hier links) betreffen.

Oben: Multiple Sklerose schädigt Nervenzellen und soll mit dem Epstein-Barr-Virus assoziiert sein, das ausgerechnet B-Zellen, also Akteure des Immunsystems befällt. Das Guillain-Barré-Sydrom, bei dem ebenfalls die Nerven angegriffen werden, soll durch einen Befall mit dem korkenzieherförmigen Bakterium Campylobacter jejuni ausgelöst werden können.

Mitte: Rheumatoide Arthritis greift unsere Gelenke an und wurde unter anderem mit dem Bakterium Proteus mirabilis in Verbindung gebracht, das (meist unbemerkt) den Harntrakt infiziert.

Unten: Bei Menschen mit der Schilddrüsenerkrankung Morbus Basedow wurde der Magenkeim Helicobacter pylori überdurchschnittlich häufig nachgewiesen.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 85: Familiäre Häufung von Autoimmunerkrankungen

Familienstammbäume offenbaren komplexe Erbgänge und Häufungen von Autoimmunerkrankungen. In der linken Familie hat die Mutter eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse (AITD), der Sohn multiple Sklerose (MS) und eine Tochter das Sjögren-Syndrom (SS). Rechts sind beide Eltern gesund, aber von den fünf Kindern haben zwei Töchter jeweils drei Autoimmunerkrankungen: die eine systemischen Lupus erythematodes (SLE), Antiphospholipid-Syndrom (APS) und Sjögren-Syndrom, die andere Vitiligo (VIT), ebenfalls Sjögren-Syndrom und eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse.

Vier der fünf Erkrankten sind weiblich. Tatsächlich erkranken an vielen Autoimmunerkrankungen Frauen häufiger (s. Abb. 51). In beiden Familien gibt es weniger Söhne als Töchter. Auch das ist typisch für Autoimmunerkrankungen mit deutlichem Frauenüberhang – ein Indiz für eine Beteiligung der Geschlechtschromosomen
an den Erkrankungen. Ich komme in Band 2 darauf zurück.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Inflammasomen: Entzündungsmaschinen aus Fertigbausteinen

Zeit für einen Werkstattbericht: Manche Abläufe oder Objekte im Immunsystem sind höllisch schwer zu visualisieren. Oft platzt nach tagelanger vermeintlicher Stagnation ein Knoten, und ich wache mit einer Bildidee auf. Aber diese verflixten Inflammasomen – die Proteinenkomplexe in Zellen, die Pyroptose begehen und dabei Entzündungssignale an ihre Umgebung aussenden – sperren sich hartnäckig. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Beschreibungen und Abbildungen in der Fachliteratur: Sie schildern und zeigen ja „nur“ Modelle, die auf dem Kenntnisstand und den Vorstellungen der jeweiligen Autoren vom Aufbau und der Funktionsweise dieser Gebilde beruhen.

Regenschirme, Mühlräder, Raumschiffe

Für diese Funktionsweise sind der dreidimensionale Aufbau und die Dynamik der beteiligten Proteine von entscheidender Bedeutung; beides lässt sich in einfachen zweidimensionalen Schemazeichnungen schlecht einfangen. Hinzu kommt, dass es zahlreiche unterschiedlich aufgebaute Inflammasomen gibt, die jeweils durch andere Signale aktiviert werden. Ich konzentriere mich im Folgenden auf das sogenannte NLRP3-Inflammasom, das am besten erforscht ist. Sein Zusammenbau und seine Aktivität können durch zahlreiche Reize ausgelöst werden, und es scheint bei etlichen chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen eine Rolle zu spielen.

Von oben sieht dieser Proteinkomplex wie ein Regenschirm oder ein Rad mit sechs, sieben oder acht Speichen aus. Von der Seite oder vielmehr im Längsschnitt betrachtet, hat er etwas von einem Raumschiff der Sternenflotte. Er besteht aus drei Baustein-Typen:

  • dem namensgebenden Protein NLRP3, das wiederum aus drei Funktionsbereichen oder „Domänen“ zusammengesetzt ist (PYD, NACHT, LRR) und den Sensor enthält, der das Inflammasom aktiviert,
  • einem Adapterprotein namens ASC mit zwei Domänen (PYD und CARD) sowie
  • dem Enzymvorläufer Pro-Caspase 1, ebenfalls mit zwei Domänen (CARD und p20/10).

Wofür all diese Abkürzungen stehen, das erspare ich uns hier.

Domino

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Die Domänen des Adapterproteins, PYD und CARD, tauchen in den beiden anderen Proteinen ebenfalls auf. Das ist kein Zufall, sondern Voraussetzung für den raschen Zusammenbau der Inflammasomen aus den Bausteinen, die in der Zelle bereitliegen und sich mit anderen Bausteinen zusammenlagern können, die dieselben Domänen aufweisen – so, wie man Dominosteine aneinander legt. Im Zytoplasma sind sie normalerweise inaktiv: Sie verbinden sich erst, wenn die Zelle den Weg zur Pyroptose, zum entzündlichen kontrollierten Zelltod einschlägt – sobald sie also Alarmsignale aus Pathogenen (PAMPs) oder aus beschädigten Zellstrukturen (DAMPs) empfängt.

Dieses regulierte Absterben ist Teil der bereits erläuterten angeborenen Immunreaktion, mit der die Ausbreitung von Krankheitserregern eingedämmt, gefährliche Zellüberreste aus dem Gewebe entfernt und Schäden repariert werden. Die Mechanismen sind evolutionär alt und erfordern keine Mithilfe der antigenspezifischen erworbenen Abwehr, also der B- und T-Zellen. Die Gefahrensignale sind nämlich immer dieselben, zum Beispiel reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS) aus den eigenen Mitochondrien, Komponenten aus Organellen, die im Zytoplasma eigentlich nichts zu suchen haben und auf eine Beschädigung hinweisen, ein plötzlicher Verlust von Kalzium im Zytoplasma – oder eben typische Bakterienstoffe wie Lipopolysaccharide (LPS). Das eine Ende des Proteins NLRP3 besteht aus dem Rezeptor LRR, der diese Alarmzeichen direkt oder indirekt – über ein zwischengeschaltetes zellinternes Signal – erspürt.

Sobald das passiert, wird zum einen im Zellkern die Produktion von weiteren Inflammasom-Bausteinen hochgefahren. Zum anderen aber lagern sich die bereits fertigen Bausteine zusammen, denn die Zelle muss sofort auf die Gefahr reagieren; die Herstellung von Proteinen dauert ja eine Weile. Am NLRP3 hängt normalerweise ein Label, das das Protein inaktiv hält. Dieses „Schildchen“, Ubiquitin, wird bei einer Aktivierung des Rezeptors LRR abgeknipst, und NLRP3 wird aktiv. Auch das Adapterprotein ASC wird (in diesem Fall durch das Anhängen zweier Label, nämlich Ubiquitin und Phosphatgruppen) in Aktionsbereitschaft versetzt. Nun lagern sich mehrere der langgestreckten NLRP3-Proteine mit ihrem PYR-Ende zusammen, sodass sie wie die Speichen eines Rads wirken.

Prionen-ähnliche Proteinkristalle

An die PYR-Ansammlung an der Radnabe lagern sich anschließend seitlich etliche ASC-Proteine an, und zwar ebenfalls mithilfe ihrer PYR-Einheiten. Sie bilden gewissermaßen eine Radachse, die wie ein Kristall weiterwächst. In der Literatur ist von einem Prionen-artigen Gebilde die Rede. Prionen verbinden wir mit tödlichen Gehirnerkrankungen wie dem Rinderwahn (BSE), der Scrapie beim Schaf und der Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen. Aber auch normale, lebensnotwendige Zellstrukturen wie das Zytoskelett oder eben Teile der Inflammasomen sind im Grunde Proteinkristalle mit einem regelmäßigen Aufbau.

Da sich in der ASC-Achse die PYR-Einheiten innen zusammenlagern, ragen die CARD-Domänen des ASC alle nach außen. An diese docken nun die gleichartigen CARD-Einheiten der Pro-Caspase-1-Bausteine an: wieder das Domino-Prinzip. Das löst die Bildung weiterer Prionen-ähnlicher länglicher Gebilde an, die aus lauter Pro-Caspase-Molekülen bestehen und seitlich von der ASC-Achse weg wachsen. Die nunmehr enge Nachbarschaft vieler dieser Enzymeinheiten hebt ihre Selbsthemmung auf: Sie ändern ihre dreidimensionale Gestalt ein wenig, lösen sich vom Inflammasom und stehen im Zytoplasma als aktive Caspase-1 zur Verfügung. Wie im Beitrag über die Pyroptose erläutert, verwandelt Caspase-1 unter anderem die Vorformen der entzündungsfördernden Zytokine IL-1β und IL-18 in ihre aktiven Formen, die aus der sterbenden Zelle ausgeschieden werden und die Nachbarschaft alarmieren.

Nützlicher Ansteckungseffekt

Offenbar gibt es neben diesen Zytokinen noch einen weiteren Ausbreitungsweg für eine aufkeimende Entzündung. Die sterbende Zelle setzt im Zuge ihrer Pyroptose größere Bruchstücke aus den Prionen-artigen ASC-Achsen der Inflammasomen frei. Diese bereits aktivierten ASC-Kristalle können offenbar auch außerhalb von Zellen Pro-IL-1β zu aktivem IL-1β umwandeln. Außerdem werden sie von Makrophagen vertilgt, die – durch die Zytokine und Gefahrensignale aus der sterbenden Zelle angelockt – den Zellmüll beseitigen. In den Makrophagen können die Enzymkomplexe weiterarbeiten und Pro-Caspase-1 zu aktiver Caspase-1 umbauen. Durch diese Kettenreaktion kann sich eine Entzündung, die von einigen wenigen Zellen ausgeht, sehr schnell ausbreiten.

Inflammasomen bei Autoimmunerkrankungen: Rolle ungeklärt

Wie viele andere nützliche Strukturen im Immunsystem kann auch das Inflammasom an Autoimmunerkrankungen, chronischen Entzündungen und anderen Krankheiten wie Alzheimer-Demenz, Parkinson oder Diabetes mitwirken, wenn es zur falschen Zeit, am falschen Ort, zu stark oder zu schwach aktiv wird. Das wiederum kann durch kleine Varianten (sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen oder single nucleotide polymorphisms, kurz SNPs) in den vielen an seinem Aufbau und seiner Arbeit beteiligten Genen passieren. Solche SNPs in den Genen für Inflammasom-Komponenten, die in einzelnen Ethnien das Risiko einer Autoimmunerkrankung erhöhen, den Verlauf der Erkrankung verschlimmern oder die Wirksamkeit einer Therapie dagegen verringern könnten, sind bislang für Vitiligo, Lupus, rheumatoide Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis, systemische Sklerose, Nebennierenrindeninsuffizienz und Psoriasis bekannt.

Bei vielen Autoimmunerkrankungen verschlimmert eine übermäßige IL-1β und IL-18-Ausschüttung den Verlauf, was vermuten lässt, dass bestimmte Zellen der Betroffenen überaktive Inflammasomen beherbergen. Allerdings ist ein kausaler Zusammenhang mit genetischen Veränderungen in den Inflammasom-Genen noch für keine dieser Krankheiten wirklich belegt, und Studien an unterschiedlichen Tiermodellen und an Menschen liefern oft widersprüchliche Ergebnisse. Die Inflammasomen sind eben nur ein Rädchen im hochkomplexen Regulierungssystem, das externe und köpereigene Gefahrensignale, Zelltod und Zellrettung, Organschädigung und Gewebsreparatur miteinander verbindet.

(Zeichnungen im nächsten Beitrag)

Literatur

H. Guo et al. (2105): Inflammasomes: mechanism of action, role in disease, and therapeutics

C.-A. Yang, B.-L. Chang (2015): Inflammasomes and human autoimmunity: A comprehensive review

Wenn die Müllabfuhr streikt: Autophagie und Autoimmunerkrankungen

Kaum ein halbes Jahr nach der Verleihung des Nobelpreises an Yoshinori Ōsumi, der diesen zellulären Schutzmechanismus an Hefen erforscht hat, schreibe ich nun auch was zur Autophagie. Den Schwerpunkt lege ich dabei auf die Berührungspunkte zu meinem eigentlichen Thema, den Autoimmunerkrankungen.

Regelmäßige Müllabfuhr

In unseren Zellen ist ständig Müll zu entsorgen, auch wenn sie bei bester Gesundheit sind: Überraschend viele frisch hergestellte Proteine sind falsch zusammengefaltet, und wenn das nicht sofort korrigiert werden kann, müssen sie wieder abgebaut werden. Andere Makromoleküle werden mit der Zeit beschädigt oder einfach nicht mehr benötigt. Sogar ganze Organellen wie Mitochondrien müssen zerlegt werden, um nicht die Zelle zu verstopfen, leck zu schlagen oder schädliche biochemische Reaktionen in Gang zu setzen. Nicht nur, dass das alte Material schaden kann: Es besteht auch aus wertvollen Bausteinen wie Aminosäuren, die die Zelle recyceln muss, um mit ihrem begrenzten Energievorrat auszukommen.

Schienentransport

Proteine können auf zwei Wegen abgebaut werden. Etwa 80 Prozent werden in tonnenförmigen Strukturen zerlegt, den Proteasomen. Große Proteinkomplexe und Organellen passen allerdings nicht in diese Abfalltonnen hinein. Sie werden stattdessen von Lysosomen verdaut, von Membranbläschen, die mit Enzymen gefüllt sind: den sauren Hydrolasen. Die Lysosomen halten sich in der Nähe des Zellkerns auf und verschmelzen dort mit sogenannten Autophagosomen. Diese sind von einer doppelten Membranschicht umgeben und enthalten den abzubauenden Zellmüll. Sie entstehen überall in der Zelle, wo es etwas zu entsorgen gibt: Dort bilden sich zunächst Doppelmembran-Lappen, die Phagophoren, die sich dann um den Schrott herumschmiegen und zu einem Müllsack verschmelzen.

Die verschlossenen Müllsäcke (die Autophagosomen) werden dann an Schienen – den röhrenförmigen Mikrotubuli, die zum sogenannten Zellskelett gehören – zu den Lysosomen transportiert. Die kleinen Lysosomen vereinigen sich mit den größeren Autophagosomen zu Autolysosomen, sodass die Enzyme den Zellmüll zu kleinen Bausteinen zerlegen können. Diese verlassen die Autolysosomen und stehen im Zytoplasma zum Aufbau neuer Makromoleküle zur Verfügung.

Neben dem allgemeinen Recycling gibt es auch eine selektive Sondermüllabfuhr: Bei Bedarf werden zum Beispiel Mitochondrien, Fetttröpfchen, Ribosomen oder in die Zelle eingedrungene Pathogene mit speziellen Markern (sozusagen Abholzetteln) gekennzeichnet und daraufhin gezielt entsorgt.

Bedarfsgesteuerter Abfuhrtakt

Den ganzen Vorgang nennt man Makroautophagie oder kurz Autophagie, weil die Zelle Teile ihrer selbst (griechisch auto) vertilgt (griechisch phagein = essen). Die daran beteiligten Proteine sind in den Atg-Genen codiert (autophagy-related genes), von denen man in der Hefe allein 36 identifiziert hat. Bei Säugetieren wie dem Menschen sind von vielen der Proteine zudem mehrere Varianten bekannt, sogenannte Isoformen.

Wenn der Prozess gestört ist, beispielsweise weil eines dieser Gene einen Defekt hat, gerät die Zelle aus dem Gleichgewicht, aus der Homöostase: Sowohl überzogenes Reinemachen als auch ein Streik der Müllabfuhr können zu Funktionsstörungen oder zum Zelltod führen.

Es gibt jedoch Situationen, in denen der Abfuhrtakt erhöht werden muss – etwa wenn die Zelle hungert und unnötige Strukturen abbauen muss, um Lebenswichtiges damit herzustellen oder zu erhalten, oder wenn Stress wie zum Beispiel eine Infektion, Chemikalien oder UV-Licht den Verschleiß von Zellkomponenten beschleunigen. Auch Bakterien und andere Pathogene sowie ihre Überreste werden bei einer Infektion per Autophagie aus dem Zytoplasma beseitigt.

Dem Tod von der Schippe springen

Wie am Ende meiner Todesarten-Übersicht erläutert, konkurrieren am Anfang der Zelltodesprogramme Überlebenssignale mit Sterbesignalen. Ist eine Zelle nicht tödlich verwundet, unrettbar infiziert oder dermaßen entgleist, dass ihr Fortbestand andere Zellen gefährden würde, kann das Ruder noch herumgerissen werden: Dann wird die Autophagie verstärkt, um die Zelle ins Gleichgewicht zurückzubringen, und zugleich das Sterbeprogramm blockiert.

Zu den lebenserhaltenden Signalen zählen etwa der Kontakt zur extrazellulären Matrix, bestimmte Hormone, Chemokine oder Neurotransmitter sowie dezidierte Überlebensfaktoren (survival factors) wie IGF-1 (insulin-like growth factor 1). Sie binden an Rezeptoren auf der Zelloberfläche, woraufhin an der Innenseite der Zellmembran Signalketten in Gang kommen, die zur Bindung des Transkriptionsfaktors NF-κB an bestimmte Gene im Zellkern führen. Diese anti-apoptotischen Gene (zum Beispiel Bcl-2) werden dann abgelesen, und die Genprodukte hemmen die Todesprogramme der Zelle.

Das kann beispielsweise durch eine verstärkte Autophagie von Mitochondrien geschehen, die bei Zellstress beschädigt wurden und daraufhin Cytochrom C freisetzen, das die Effektor-Phase einer intrinsischen Apoptose einleitet: Kommen die Autophagosomen dem zuvor, bleibt die Zelle am Leben.

Schädliche Durchhalteparolen

Bei mildem Zellstress oder entsprechend konditionierten, also an erhöhte Stresslevel gewöhnten Zellen können Überlebenssignale also reichen, um beispielsweise eine Apoptose zu verhindern. Ist der Stress dagegen zu stark, überwiegen die pro-apoptotischen Signale, und die Zelle stirbt.

Dabei ist ein Überleben nicht immer gut für den Organismus und ein Zelltod nicht immer schlecht. Man denke nur an Krebszellen im Inneren eine Tumors, die ständig Stress wie Sauerstoff- oder Nährstoffmangel erfahren und sich trotzdem weigern einzugehen: Dank genetischer Veränderungen können sie die Apoptose verhindern, obwohl sie aus ihrer Umgebung eigentlich mehr Sterbekommandos als Überlebenssignale empfangen.

Und um allmählich die Kurve zu den Autoimmunerkrankungen zu kriegen: Autoreaktive T- und B-Zellen können nur deshalb dauerhaft Unheil anrichten, weil sie entweder in sogenannten Überlebensnischen wie dem Knochenmark mit Überlebenssignalen versorgt werden – oder weil sie, wie Krebszellen, ihr Überleben von solchen Signalen unabhängig gemacht haben.

Autophagie und Autoimmunerkrankungen

Autophagie ist im Immunsystem besonders wichtig, weil Immunzellen sich bei Bedarf in kurzer Zeit massiv vermehren müssen und ihr Stoffwechsel nach ihrer Aktivierung Hochleistungen vollbringen muss, für die viel Energie benötigt wird.

Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) haben ergeben, dass etliche kleine Varianten in den Autophagie-Genen, vor allem Atg5 und Atg16l1, mit der Neigung zu Lupus (SLE), Morbus Crohn, Multipler Sklerose und rheumatoider Arthritis assoziiert sind. Sowohl ein Übermaß als auch ein Mangel an Autophagie kann zu Autoimmunstörungen beitragen, je nachdem, in welchen Zellen die Müllabfuhr aus dem Lot gerät.

Über welche Mechanismen eine genetisch angelegte Autophagie-Fehlfunktion zu den Erkrankungen beiträgt, ist nicht immer klar. Im Folgenden führe ich einige mögliche Mechanismen an, die zum Teil erst in Tiermodellen und Gewebekulturen untersucht wurden. Der Weg zu einer Therapie ist also noch lang, und wie so oft wird die Kunst darin bestehen, den Teufel nicht mit dem Beelzebub auszutreiben – also die Autophagie gezielt in bestimmten Zelltypen anzukurbeln oder zu bremsen, ohne dass es andernorts zu unerwünschten Effekten kommt. 

Autophagie-Defizienz in der Entwicklung von Zellen der erworbenen Abwehr

T-Zellen entstehen im Knochenmark und reifen im Thymus heran, wo sie eine starke Selektion durchlaufen, die für die Selbsttoleranz des Immunsystems sorgt. Die dafür verantwortlichen Thymus-Epithelzellen (TEC) betreiben viel Autophagie, um den jungen T-Zellen ständig neue Antigene auf ihren MHC-Komplexen präsentieren zu können. Mäuse, deren TEC wegen einer Atg5-Defizienz zu wenig Material recyceln, entwickeln starke Autoimmunerkrankungen, da die autoreaktiven unter den T-Zellen im Thymus nicht zuverlässig aussortiert werden.

In den jungen T-Zellen selbst scheint Autophagie keine besondere Rolle zu spielen – wohl aber bei der Entstehung frischer B-Zellen: Bei einer Atg5-Defizienz sterben ihre Vorläufer ab.

Autophagie-Störungen in reifen Zellen der erworbenen Abwehr

Die T- und B-Zellen von Lupus-Patienten scheinen mehr Autophagie zu betreiben als die gesunder Menschen, und Wirkstoffe, die diese Überaktivität hemmen, scheinen sowohl Mäusen als auch Menschen mit Lupus gutzutun.

Aber zu wenig Autophagie schadet ebenfalls: Autophagie-Defekte führen in T-Zellen zur Anhäufung von überalterten Mitochondrien, die unter anderem reaktionsfreudigen Sauerstoff (ROS) freisetzen, was die T-Zellen vorzeitig absterben lässt. Auch fehlen den T-Zellen wegen ihrer schlechten Recycling-Quote ATP und Rohstoffe, sodass sie sich kaum noch aktivieren und zur Vermehrung anregen lassen.

Vorzeitig alternde T-Zellen mit Energiedefiziten wurden zum Beispiel im Blut von Menschen mit rheumatoider Arthritis gefunden. Man vermutet, dass der so entstehende Mangel an funktionstüchtigen T-Zellen (Lymphopenie) durch eine übermäßige Vermehrung autoreaktiver T-Zellen kompensiert wird.

Autophagie-Defizienz in Zellen der angeborenen Abwehr

Bei der Beseitigung apoptotischer Zellen durch Makrophagen sind auf beiden Seiten Autophagie-Proteine im Spiel: Die sterbenden Zellen brauchen sie, um „Kommt und holt mich“-Signale auszusenden, und in den Fresszellen sind sie an der Verdauung der vertilgten Zellbestandteile beteiligt. Bei einer Autophagie-Defizienz können sich tote Zellen oder Zellbestandteile im Gewebe ansammeln, wie man es beispielsweise bei Lupus beobachtet hat. Aus nicht rechtzeitig entsorgten toten Zellen treten Autoantigene wie DNA oder RNA aus, die Entzündungen und Autoimmunreaktionen auslösen können.

Vor allem Makrophagen und Neutrophile bilden, wenn sie entsprechend aktiviert werden, Inflammasomen: Proteinkomplexe, die für die massenhafte Ausschüttung der Zytokine IL-1β oder IL-18 sorgen, die wiederum T- und B-Zellen anlocken. Eine intakte Autophagie bremst die Bildung von Inflammasomen, denn bei guter Verdauung brauchen die Zellen keine Hilfe von außen. Schwächelt die Autophagie in Makrophagen oder Neutrophilen, kann es aber zu überzogenen Reaktionen der erworbenen Abwehr auf harmlose Antigene kommen.

Auch die Antigen-Präsentation auf MHC-Klasse-II-Komplexen gelingt Makrophagen und dendritischen Zellen offenbar nur mithilfe von Autophagie, denn die aufgenommenen Antigene müssen ja zerschnitten, zu den MHC-Klasse-II-Komplexen (den „Präsentiertellern“) transportiert und nach dem Vorzeigen wieder nach innen geschafft und entsorgt werden. Autophagosomen können entweder (bei der Autophagie) mit Lysosomen fusionieren oder (zum Zwecke der Antigen-Präsentation) mit den Kompartimenten, in denen die MHC-Klasse-II-Komplexe auf ihre Beladung mit Antigenen warten. Vielleicht führen bestimmte Genvarianten dazu, dass die Autophagosomen ihren Inhalt sozusagen an die falsche dieser beiden Adressen liefern. So können Varianten im Gen Atg16l1 das Morbus-Crohn-Risiko erhöhen – vermutlich weil die T-Zellen dann nicht genug Pathogen-Antigene präsentiert bekommen und daher nicht richtig aktiviert werden.

Bei rheumatoider Arthritis präsentieren Makrophagen und dendritische Zellen den T-Zellen chemisch leicht veränderte, sogenannte citrullinierte Antigene. Man vermutet, dass diese Veränderungen die Selbsttoleranz des Immunsystems aushebeln und zu den Autoimmunreaktionen in dem Gelenken führen. Hemmt man die Autophagie in den antigenpräsentierenden Zellen, werden vor allem weniger citrullinierte Antigene präsentiert.

Autophagie-Störungen in anderen Zellen

An Morbus Crohn, einer chronischen Entzündung, die bei Menschen mit entsprechender genetischer Disposition von Keimen aus der Darmflora ausgelöst oder zumindest beeinflusst wird, kann ein Versagen der Autophagie in den Zellen der Darmschleimhaut beteiligt sein: Bestimmte Escherichia-coli-Stämme dringen in die Epithelzellen ein, um sich in ihrem Inneren zu vermehren. Eine intakte Autophagie verhindert oder begrenzt diese Vermehrung; bei Autophagie-Defekten können die Keime dagegen überhand nehmen und tiefer ins Gewebe eindringen, wo sie die chronische Entzündung auslösen.

Störungen der internen Müllabfuhr könnten in allen möglichen Zellen auch das Endoplasmatische Reticulum (ER) unter Stress setzen, ein membranreiches, netzförmiges Organell, das unter anderem der Protein-Herstellung dient. ER-Stress wiederum trägt bei Typ-2-Diabetikern zur Insulinresistenz bei, und zwar auf mehreren Wegen: Er stört die Insulin-Herstellung in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse, treibt diese Zellen zur Apoptose, löst Entzündungen aus und führt zu einer Anhäufung von Fetten.

Auch bei Hashimoto-Thyreoiditis scheint die Müllabfuhr zu streiken: In den Follikel-Epithelzellen der Schilddrüse von Menschen mit dieser Erkrankung hemmt hoch dosiertes Jod die Autophagie und kurbelt zugleich die Apoptose an – zumindest in vitro. Sollte sich das in vivo bestätigen, könnte man versuchen, die schwächelnde Autophagie in den Schilddrüsenzellen zu stärken und so die Organzerstörung aufzuhalten.

Literatur:

Abhisek Bhattacharya, N. Tony Eissa (2013): Autophagy and autoimmunity crosstalks

Liam Portt et al. (2011): Anti-apoptosis and cell survival: A review

Chengcheng Xu (2016): Excess iodine promotes apoptosis of thyroid follicular epithelial cells by inducing autophagy suppression and is associated with hashimoto thyroiditis disease (Abstract)

Zhen Yang et al. (2015): Autophagy in autoimmune disease

Phase-2-Studie zur Stammzelltransplantation bei MS-Patienten: Der Lourdes-Effekt

Viel kann ich gar nicht schreiben zu der Studie, über die seit einigen Tagen allerorten berichtet wird, etwa bei der BBC oder im Guardian. Denn das Lancet-Paper von Harold L. Atkins et al. steckt hinter einer Bezahlschranke. Die Ergebnisse sind in der Tat vielversprechend, die Zustandsverbesserungen zum Teil atemberaubend – und sehr medienwirksam: Vom Rollstuhl auf die Skipiste, das hat was von Lourdes.

Aber man bedenke, dass die Studie sehr klein ist und die Therapieform hochriskant: Einer der 24 Teilnehmer ist an der Kombination aus aggressiver Chemotherapie und Antikörperbehandlung, mit der das Immunsystem komplett ausgeschaltet wurde, und der anschließenden Wiederbesiedlung durch die eigenen blutbildenden Zellen gestorben. Solche Therapien führt man aus guten Gründen bisher nur an praktisch austherapierten Patienten durch, sei es bei Krebserkrankungen oder nun eben bei weit fortgeschrittener schubförmig-remittierender Multipler Sklerose: Bis sich das Immunsystem erholt hat, ist die Gefahr groß, an Infektionen zu sterben.

Die Studienautoren vermeiden es, von einer echten Heilung der überlebenden Patienten zu sprechen. Aber die dramatischen Verbesserungen der Lebensqualität, das Ausbleiben von Rückfällen bis zu 13 Jahre nach der Behandlung und die Abwesenheit neuer Läsionen in den Gehirnen der Teilnehmer stimmen optimistisch, dass ein solcher Reset des Immunsystems zumindest ein Fortschreiten der Erkrankung dauerhaft stoppen kann – vielleicht weil die Behandlung die autoreaktiven Gedächtnis-T-Zellen in ihren Überlebensnischen im Knochenmark abtötet und so den fatalen Dauerbefehl an das Immunsystem auslöscht, die eigenen Nerven anzugreifen.

Nachtrag: Diese Form der Therapie ist übrigens so ziemlich das Gegenteil der zielgerichteten Ansätze, die ich hier kürzlich skizziert habe. Es wäre gute, wenn man die langlebigen autoreaktiven Gedächtnis-T-Zellen irgendwann treffsicher erledigen könnte, statt das ganze Immunsystem zu vernichten.

Ansätze zu zielgerichteten Therapien von Autoimmunerkrankungen

Im Magazin „The Scientist“ hat Lawrence Steinman vor einigen Tagen neue, im Tierversuch vielversprechende Therapieansätze vorgestellt, mit denen das Immunsystem dazu gebracht werden soll, auf bestimmte Autoantigene nicht mehr zu reagieren. Das wäre ein großer Fortschritt gegenüber den heutigen Immunsuppressionstherapien, die Entzündungen und Immunreaktionen unspezifisch dämpfen, was zu einem erhöhten Infektionsrisiko und zahlreichen Nebenwirkungen führt.

Steinman ist nicht nur Pädiater und Neurologe an der Stanford University, sondern auch Gründer eines Unternehmens mit dem treffenden Namen Tolerion, das sich auf die Entwicklung von Plasmiden und anderen biologischen Wirkstoffen spezialisiert hat, die nach ihrer Injektion oder Inhalation eine solche Toleranz des Immunsystems für ein Autoantigen induzieren sollen.

Leider ist bei vielen Autoimmunerkrankungen das maßgebliche Autoantigen noch gar nicht bekannt – oder es gibt mehrere Autoantigene, die gleichzeitig oder nacheinander die Krankheit vorantreiben. So verlief eine klinische Phase-2-Studie an MS-Patienten, in der ein Plasmid Toleranz gegen Myelin-Basische Protein (MBP) induzieren sollte, enttäuschend – vermutlich weil etliche andere Autoantigene ebenfalls zu Multipler Sklerose beitragen.

Bisher nur im Tierversuch erprobt wurde ein Plasmid, das ein Myasthenia-gravis-Autoantigen codiert: den Acetylcholin-Rezeptor (AChR). Antigepräsentierende Zellen, die diese Plasmide aufnehmen, exprimieren AChR anschließend ohne die sonst üblichen Kostimulatoren auf ihrer Oberfläche, sodass die passenden T-Zellen durch diese Präsentation nicht zu einer Autoimmunreaktion ermuntert, sondern tolerant gestimmt werden.

Wohl wegen einiger Fehlschläge bei prinzipiell ähnlichen Therapieansätzen gegen Krebs und wegen der vergleichsweise wenigen Betroffenen hält sich pharmazeutische Industrie bei der Weiterentwicklung und klinischen Erprobung solcher spezifischer Therapien gegen Autoimmunerkrankungen bisher ziemlich zurück. Immerhin: Für Typ-1-Diabetes laufen bereits einige frühe klinische Studien.

Steinmans Team hat ein Plasmid entwickelt, auf dem das Gen für Proinsulin – das normalerweise von den Betazellen der Bauchspeicheldrüse hergestellte Vorprodukt für Insulin – mit einer Sechs-Basen-Sequenz namens GpC kombiniert ist, die Immunreaktionen dämpft. Im Tierversuch wiesen besonders diabetesanfällige Mäuse (sogenannte NOD-Mäuse) nach der Injektion dieses Plasmids einen normaleren Zuckerstoffwechsel, weniger entzündetes Bauchspeicheldrüsengewebe und weniger gegen Proinsulin gerichtete Antikörper auf. Das Wirkprinzip ist dasselbe wie beim Myasthenia-gravis-Therapieansatz: Antigenpräsentierende Zellen wie Makrophagen oder auch Muskelzellen präsentieren den T-Zellen das Proinsulin ohne die sonst üblichen Kostimulatoren wie CD80 der CD86; daraufhin werden die T-Zellen, deren Rezeptoren Proinsulin erkennen, tolerant.

In einer kleinen placebokontrollierten Studie an 80 Typ-1-Diabetikern, die 2012 endete, wurde als primärer Endpunkt die Konzentration von C-Peptid erfasst, einem 31 Aminosäuren langen Fragment von Proinsulin. Seine Konzentration soll anzeigen, wie gut die Bauchspeicheldrüse noch arbeitet. In Patienten, denen das Plasmid injiziert wurde, stieg die Konzentration, während sie in der Kontrollgruppe sank. Vermutlich hatten sich bereits geschädigte, aber noch lebensfähige Betazellen in den Bauchspeicheldrüsen erholt, sodass sie wieder mehr Proinsulin herstellen konnten. T-Zellen, die auf andere Antigene reagieren, wurden durch die Therapie nicht inaktiv; sie war also – wie erhofft – autoantigenspezifisch.

Ein anderer vielversprechender Ansatz ist die Entnahme und Kultivierung von regulatorischen T-Zellen oder Tregs aus den Bauchspeicheldrüsen von Typ-1-Diabetikern: In einer (allerdings sehr kleinen) Studie von Jeffrey Bluestone und seinem Team war die C-Peptid-Konzentration noch zwei Jahre nach der Behandlung besser als in der Kontrollgruppe – wohl weil das Interleukin-10, das die vermehrten Tregs ausschütteten, die Entzündung der Bauchspeicheldrüse dämpfte.

Die Gruppe von Pere Santamaria an der University of Calgary schließlich hat in Tierversuchen Erfolge mit Nanopartikeln erzielt, die mit Peptiden aus Autoantigenen und Bruchstücken des MHC-Komplexes beschichtet sind und im Körper die Rolle von antigenpräsentierenden Zellen einnehmen. Da wiederum die Kostimulatoren fehlen, stimmen sie autoreaktive T-Zellen zu Tregs um. Bei Mäusen funktioniert das mit verschiedenen Autoimmunerkrankungsmodellen, darunter Diabetes. Am Menschen wurde das Verfahren noch nicht erprobt.

NR1H3-Mutation steigert MS-Risiko auf 70 Prozent

Einer von zahllosen Artikel über Genvarianten, die das Risiko für die eine oder andere Autoimmunerkrankung steigern: „Genetische Ursache der Multiplen Sklerose entdeckt“. Die Überschrift ist nicht falsch, aber irreführend, denn entdeckt wurde nicht die genetische Ursache, sondern nur eine von zahlreichen Genvarianten, die das Erkrankungsrisiko steigern. 70 Prozent der Träger einer von Carles Vilariño-Güell und seinem Team entdeckten Genvariante erkranken an MS, aber der Umkehrschluss gilt nicht: Nur etwa einer von 1000 Menschen mit Multipler Sklerose weist diese Mutation auf. Vermutlich ist aber bei vielen weiteren Betroffenen dasselbe Gen an anderen Stellen mutiert.

Die nun durch umfangreiche Datenbank- und Stammbaumanalysen aufgespürte Mutation im Gen NR1H3 führt dazu, dass das Regulationsprotein LXRA nicht mehr hergestellt wird, das die Aufgabe hat, entzündungshemmende und Immunsystem-regulierende Gene einzuschalten. Eingriffe in diesen Genregulationsmechanismus gelten als aussichtsreiche Kandidaten für eine MS-Therapie. Welcher Umwelteinfluss letztlich dazu führt, dass die Erkrankung bei 7 von 10 Mutationsträgern zum Ausbruch kommt und die Myelinscheiden und Nervenzellen im Gehirn durch Immunreaktionen beschädigt werden, ist nicht bekannt.

Neue Literatur, ungesichtet

Zum Wiedereinstieg nach erneut viel zu langer Pause verlinke ich hier einige neuer Artikel zum Immunsystem und angrenzenden Themen, die ich noch genauer sichten muss. Der Beitrag über Autoimmunerkrankungen als Folge einer erfolgreichen körpereigenen Krebs-Abwehr, der seit Wochen in der Blog-Pipeline hängt, folgt hoffentlich bald.

Kuhlwilm et al. (2016): Ancient gene flow from early modern humans into Eastern Neanderthals (Paywall)

Cornwall (2015): Study may explain mysterious cancer–day care connection – zu Swaminathan et al (2015): Mechanisms of clonal evolution in childhood acute lymphoblastic leukemia (Paywall)

Opas Essen macht unsere Darmflora arm Die Ernährung unserer Großeltern und Eltern beeinflusst auch unser Mikrobiom (2016) – zu Sonnenburg et al. (2015): Diet-induced extinctions in the gut microbiota compound over generations (Paywall)

Keener (2016): Cord Blood Cells Foretell Food Allergy. Scientists link an immune phenotype present at birth to the development of food allergies a year later – zu Zhang et al. (2016): Cord blood monocyte–derived inflammatory cytokines suppress IL-2 and induce nonclassic “TH2-type” immunity associated with development of food allergy (Paywall)

Taylor (2015): Absent Friends: How the Hygiene Hypothesis Explains Allergies and Autoimmune Diseases. Auszug aus dem Buch „Body by Darwin: How Evolution Shapes Our Health and Transforms Medicine“

Azvolinsky (2015): Long-Lived Immune Memories. Two types of memory T cells can preserve immunological memories for more than a decade, a study shows – zu Oliveira et al. (2015): Tracking genetically engineered lymphocytes long-term reveals the dynamics of T cell immunological memory (Paywall)

Sind Viren doch Lebewesen? Proteinvergleiche sprechen für zelluläre Vorläufer der modernen Viren (2015) – zu Nasir & Caetano-Anollés (2015): A phylogenomic data-driven exploration of viral origins and evolution (Open Access)

Azvolinsky (2015): B Cells Can Drive Inflammation in MS. Researchers identify a subset of proinflammatory cytokine-producing B cells that may spark multiple sclerosis-related inflammation – zu Li et al. (2015): Proinflammatory GM-CSF–producing B cells in multiple sclerosis and B cell depletion therapy (Paywall)

Yandell (20150: Fanning the Flames. Obesity triggers a fatty acid synthesis pathway, which in turn helps drive T cell differentiation and inflammation – zu Endo et al. (2015): Obesity Drives Th17 Cell Differentiation by Inducing the Lipid Metabolic Kinase, ACC1 (Open Access)

Scientists identify factor that may trigger type 1 diabetes (2016) – zu Delong et al. (2016): Pathogenic CD4 T cells in type 1 diabetes recognize epitopes formed by peptide fusion (Paywall)

Knut und der ganze Rest: Urlaubsnachlese

Knut hat es postum noch ein vermutlich letztes Mal geschafft, das Sommerloch zu füllen: Während meines Urlaubs ging die Nachricht um, dass der Eisbär an einer Autoimmunerkrankung zugrunde gegangen ist, nämlich an einer Anti-NMDA-Rezeptor-Encephalitis. Hier der entsprechende Forschungsartikel von H. Prüss et al.: Anti-NMDA Receptor Encephalitis in the Polar Bear (Ursus maritimus) Knut.

Weitere Immunsystem-Meldungen und -Fachartikel der letzten Wochen; über einige davon werde ich demnächst noch bloggen:

Mikrobiom

Antibiotics and the Gut Microbiome
Antibiotics given to infant mice may have long-term effects on the animals’ metabolism and gut microbiota.

The Sum of Our Parts
Putting the microbiome front and center in health care, in preventive strategies, and in health-risk assessments could stem the epidemic of noncommunicable diseases.

How Fats Influence the Microbiome
Mice fed a diet high in saturated fat show shifts in their gut microbes and develop obesity-related inflammation.

Skin Microbes Help Clear Infection
In a small study, researchers find a link between an individual’s skin microbiome and the ability to clear a bacterial infection.
Die Studie (Open Access): The Human Skin Microbiome Associates with the Outcome of and Is Influenced by Bacterial Infection

Genetics, Immunity, and the Microbiome
The makeup of an individual’s microbiome correlates with genetic variation in immunity-related pathways, a study shows.
Die Studie (Open Access): Host genetic variation impacts microbiome composition across human body sites

Thymus

Nur 160 Plätze für T-Vorläuferzellen im Thymus frei
Abstract (Rest hinter Paywall): Multicongenic fate mapping quantification of dynamics of thymus colonization.

Lymphgewebe

Rethinking Lymphatic Development
Four studies identify alternative origins for cells of the developing lymphatic system, challenging the long-standing view that they all come from veins.

Brain Drain
The brain contains lymphatic vessels similar to those found elsewhere in the body, a mouse study shows.

Krebs und Autoimmunität

Body, Heal Thyself
Reviving a decades-old hypothesis of autoimmunity
Review (Open Access): Cancer-Induced Autoimmunity in the Rheumatic Diseases

Autoimmun-Uveitis

Bacteria to Blame?
T cells activated in the microbe-dense gut can spark an autoimmune eye disease, a study shows.

Multiple Sklerose

Melatonin for MS?
Improvements in multiple sclerosis symptoms correlate with higher levels of the sleep hormone, a study finds.

Taufliegen: Erhöhung der genetischen Vielfalt zur Pathogenabwehr

Fending Off Infection in Future Generations
Female fruit flies challenged with infection during their lifetimes have offspring with greater genetic diversity.

Plazenta

The Prescient Placenta
The maternal-fetal interface plays important roles in the health of both mother and baby, even after birth.

Asthma

Wie Bauernhöfe vor Asthma schützen
Spezifisches Protein senkt Überreaktionen des Immunsystems ab

Selbstmedikation von Affen bei Peitschenwurm-Infektionen

Sickness behaviour associated with non-lethal infections in wild primates (Abstract)