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Das vorgeburtliche Immunsystem: nicht unreif, sondern aktiv tolerant

In der Immunologie entwickeln sich die Techniken und mit ihnen im Idealfall auch die Einsichten so schnell, dass fünf oder gar zehn Jahre alte Arbeiten meist zum alten Eisen gehören. Aber es gibt Ausnahmen. Manches Konzept taucht irgendwann wieder aus der Versenkung auf, in der es verschwunden war, weil es zur Zeit seiner Entstehung nicht überprüft und weiterentwickelt werden konnte. Das gilt zum Beispiel für die Hypothese vom geschichteten oder gestaffelten Immunsystem, der layered immune system hypothesis, die 1989 von Leonore und Leonard Herzenberg aufgestellt wurde.

Die Schichten oder Phasen sind dabei ursprünglich sowohl stammes- als auch individualgeschichtlich zu verstehen. Auch wenn der Name Ernst Haeckel nirgends fällt, schwingt dessen biogenetisches Grundgesetz mit, also die Rekapitulationsregel: „Die Ontogenese rekapituliert die Phylogenese.“ In seiner dogmatischen Form war dieses „Gesetz“ nicht zu halten, und Haeckel hat der Sache mit seinen didaktisch geschönten grafischen Darstellungen keinen Gefallen getan.

Aber nach wie vor gilt: Je jünger ein Embryo, desto weniger spezifische Züge seiner Art trägt er, und desto mehr Züge hat er noch mit ähnlich frühen Entwicklungsstadien entfernt verwandter Arten gemeinsam – Züge, die evolutionär älter sind als die gattungs- und artspezifischen Ausdifferenzierungen der späteren Entwicklungsstadien. Auf das Immunsystem bezogen hieße das zum Beispiel: Die Elemente der evolutionär älteren angeborenen Abwehr bilden sich im werdenden Individuum früher heraus als die Bestandteile der evolutionär jüngeren erworbenen Abwehr.

Schon bei den Herzenbergs und erst recht in den neueren Arbeiten, die sich auf die Hypothese beziehen, steht aber die Ontogenese, die Embryonalentwicklung, im Vordergrund. Die Entwicklung des individuellen Immunsystems wird traditionell als Reifung verstanden: Vor der Geburt ist das System unreif – im Sinne von unterentwickelt oder nicht funktionstüchtig; nach der Geburt reift es durch den Kontakt mit Antigenen aus der Umwelt heran; im Alter erschöpft es sich.

In den letzten Jahren mehren sich aber die Anzeichen, dass das menschliche Immunsystem bereits weit vor der Geburt Funktionen erfüllt – nur eben andere als nach der Geburt. Die Geburt markiert also nicht den Beginn der Aktivität, sondern eine Änderung des Aufgabenprofils, die mit einer Änderung der zellulären Zusammensetzung und der „Gestimmtheit“ des Immunsystems einhergeht: mit dem Rückbau einer Ebene und dem Ausbau einer anderen.

Die Entwicklungsphasen der tolerogenen Immunität durch fetale T-Zellen und der aggressiven Immunität durch adulte T-Zellen überlappen sich. Nach Burt 2013, Abb. 1

Die Entwicklungsphasen der tolerogenen Immunreaktionen durch fetale T-Zellen und der aggressiven Immunreaktionen durch adulte T-Zellen überlappen sich. Nach Burt 2013, Abb. 1

Die für eine Ebene oder Phase des Immunsystems typischen Lymphozyten besiedeln die Lymphorgane und die Peripherie nicht kontinuierlich, sondern in Wellen. Ein Beispiel sind die beiden B-Zell-Populationen, die bei Mäusen zu unterschiedlichen Zeiten auftauchen, von unterschiedlichen hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark abstammen und unterschiedliche Eigenschaften haben: In neugeborenen Mäusen dominieren die B-1-Zellen, die vor allem in der Bauchhöhle vorkommen; bei erwachsenen Mäusen herrschen B-2-Zellen vor, die schlagkräftigere Antikörper produzieren.

Auch das T-Zell-Repertoire entwickelt sich in Wellen. Wie bereits besprochen, entstehen beim Menschen während der 9. Schwangerschaftswoche zunächst γδ-T-Zellen, die bei Erwachsenen nur noch etwa fünf Prozent der T-Zellen ausmachen. Ab der 10. Woche werden αβ-T-Zellen produziert, und zwar sowohl zyto­to­xi­sche T-Zellen (CD8+) als auch CD4+-T-Zellen, die entweder zu Helferzellen oder zu regu­la­to­ri­schen T-Zellen (Tregs) werden. Die frühen CD4+-T-Zellen haben eine starke Neigung, sich – manchmal schon im Thymus, zu einem großen Teil aber erst in der Peripherie – zu Tregs zu entwickeln und fortan besänftigend auf das restliche Immunsystem einzuwirken.

Vor allem im zweiten Schwangerschaftsdrittel wimmelt es im Körper des werdenden Kindes von Tregs. In der 24. Schwangerschaftswoche machen sie 15 bis 20 Prozent aller CD4+-T-Zellen aus, während es bei der Geburt nur noch 5 bis 10 Prozent und bei Erwachsenen unter 5 Prozent sind. Fehlen sie, etwa aufgrund eines genetischen Defekts im Treg-typischen Gen FoxP3, so kommt es bereits kurz nach der Geburt zu einer massiven, viele Organe umfassenden Autoimmunreaktion (IPEX). Erst im dritten Trimester werden die tolerogenen fetalen T-Zellen allmählich von aggressiveren adulten T-Zellen abgelöst.

Das kam für viele Forscher überraschend, denn man hatte die Entwicklung der erworbenen Abwehr jahrzehntelang fast nur an Labormäusen erforscht, bei denen die T-Zell-Produktion knapp vor der Geburt anläuft und nicht bereits im ersten Trimester. Die ersten Tregs verlassen den Mäuse-Thymus sogar erst am dritten Tag nach der Geburt. Dieser grundlegende Unterschied zwischen Mensch und Maus ist – wie so vieles – mit der ebenso grundverschiedenen life history der beiden Arten zu erklären.

So, wie das mütterliche Immunsystem während der langen Schwangerschaft beim Menschen vor der Herausforderung steht, den (halb)fremden Fetus nicht abzustoßen, muss auch der Fetus mit (halb)fremden Eindringlingen zurechtkommen, nämlich mütterlichen Zellen und Antikörpern. Mikrochimärismus – der Einbau von Zellen aus der Mutter in den Organismus ihres Kindes ebenso wie der Einbau von Zellen des Kindes in den Organismus seiner Mutter – ist bei Menschen und anderen großen, langlebigen Säugetieren weit verbreitet und in den allermeisten Fällen völlig harmlos: Das Immunsystem lernt rechtzeitig, dass diese Zellen von nun an dazugehören, und die Einwanderer integrieren sich anstandslos. Zu ihnen zählen auch mütterliche Immunzellen aller Art, etwa Monozyten, natürliche Killerzellen, T- und B-Zellen. In den fetalen Lymphknoten präsentieren einige von ihnen den Immunzellen des Kindes mütterliche Antigene.

In der Mythologie ist die Chimäre ein Wesen, das vorne Löwe, in der Mitte Ziege und hinten Drachen ist. Wir alle sind Chimären: Unser Körper enthält Zellklone, die aus unseren Müttern stammen.

Die Chimäre der Mythologie ist vorne Löwe, in der Mitte Ziege und hinten Drache. Wir alle sind Chimären: Unsere Körper enthalten Zellklone, die aus unseren Müttern stammen.

Neben mütterlichen Zellen dringen auch mütterliche Antikörper in den Fetus ein, und zwar massenhaft: Gegen Ende der Schwangerschaft ist die Konzentration von mütterlichem Immunglobulin G (IgG) im Fetus höher als im mütterlichen Blut. Über die Muttermilch nimmt das Neugeborene weiter IgG auf. Diese Antikörper schützen das Kind in den ersten Lebensmonaten vor Infektionen. Antikörper sind bekanntlich Proteine und als solche nicht nur Waffen, sondern zugleich Ziele der Abwehr – sofern das Immunsystem nicht lernt, sie zu tolerieren.

Außer mütterlichen Antigenen tauchen währen der Entwicklung des Fetus auch immer wieder neue Gewebstypen und Organe auf und mit ihnen Autoantigene, auf die das Immunsystem nicht aggressiv reagieren darf. Und die bakterielle Flora, die unsere Haut und unsere Schleimhäute unmittelbar nach der Geburt besiedelt, muss zwar in ihre Grenzen verwiesen, aber ansonsten toleriert werden. Ähnliches gilt vermutlich für einige Pathogene, etwa Viren, die die Schutzwälle rings um den Fetus überwinden und ihn bereits vor der Geburt chronisch infizieren können: Auch sie müssen zwar eingedämmt, dürfen aber nicht aggressiv bekämpft werden, weil das für das werdende Kind das Ende bedeuten würde.

Die zentrale Toleranz durch die negative T-Zell-Selektion im Thymus reicht für diese Herunterregulierung der Abwehr offenbar nicht aus: Auch in der Peripherie muss Frieden gestiftet werden. Naive fetale CD4+--T-Zellen müssen sich bei Bedarf schnell zu antigenspezifischen Tregs weiterentwickeln können. Dazu brauchen sie Signale aus der TGF-β-Familie, die tatsächlich in fetalen Lymphknoten in viel höherer Konzentration vorliegen als in adulten Lymphknoten. Auch können sich fetale Tregs, wenn sie in den Lymphknoten mit Interleukin 2 angeregt werden, stark vermehren, selbst wenn ihre T-Zell-Rezeptoren gerade nicht durch das passende präsentierte Antigen stimuliert werden – was bei adulten Tregs eine strikte Voraussetzung für die Zellteilung ist.

Auch wenn sich fetale und adulte Tregs äußerlich zum Verwechseln ähneln: Sie stammen – wie Experimente an „humanisierten“ Mäusestämmen zeigen – von unterschiedlichen hämatopoetischen Stammzellen ab, haben unterschiedliche Genexpressionsprofile und Aktivierungsschwellen und gelangen in der Peripherie in unterschiedliche Signal-Landschaften, die ihr Verhalten und ihre weitere Entwicklung in entsprechende Bahnen lenken.

Einige Vertreter der Hypothese vom mehrschichtigen oder gestaffelten Immunsystem meinen, die individuell unterschiedliche Neigung zu Autoimmunerkrankungen, Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten könne mit dem Mischungsverhältnis zwischen fetalen und adulten T-Zell-Populationen zum Zeitpunkt der Geburt zusammenhängen: Neugeborene, die nur noch wenige fetale, tolerogene T-Zellen aufweisen und dafür bereits sehr viele aggressive T-Zellen vom adulten Typ, könnten im kritischen Zeitfenster nach der Geburt eine bleibende Neigung zu Überreaktionen auf Autoantigene und harmlose fremde Antigene ausbilden.

Die Hypothese vom layered immune system ist nach wie vor umstritten, wie die Diskussion zwischen Mold und Anderson (s. u.) zeigt. Aber sie passt zu den Arbeiten über die Hemmung des bereits voll einsatzfähigen neonatalen Immunsystems durch CD71+-Zellen (junge rote Blutkörperchen), die ich hier vor einigen Monaten in zwei Beiträgen besprochen habe: Offenbar kommen wir – zumindest immunologisch – keineswegs so unreif auf die Welt, wie man früher annahm. Wieder einmal zeigt sich, dass Menschen keine groß geratenen Mäuse sind.

Literatur (chronologisch)

Herzenberg, L. A., & Herzenberg, L. A. (1989). Toward a Layered Immune System. Cell, 59, 953-954. (PDF)

Mold, J. E., & McCune, J. M. (2011). At the crossroads between tolerance and aggression: Revisiting the “layered immune system” hypothesis. Chimerism,2(2), 35–41. http://doi.org/10.4161/chim.2.2.16329

Mold, J. E., & Anderson, C. C. (2013). A discussion of immune tolerance and the layered immune system hypothesis. Chimerism, 4(3), 62–70. http://doi.org/10.4161/chim.24914

Burt, T. D. (2013). Fetal Regulatory T Cells and Peripheral Immune Tolerance in utero: Implications for Development and Disease. American Journal of Reproductive Immunology (New York, N.Y. : 1989), 69(4), 346–358. http://doi.org/10.1111/aji.12083

Loewendorf, A. I., Csete, M., & Flake, A. (2014). Immunological considerations in in utero hematopoetic stem cell transplantation (IUHCT). Frontiers in Pharmacology, 5, 282. http://doi.org/10.3389/fphar.2014.00282

Yang, S., Fujikado, N., Kolodin, D., Benoist, C., Mathis, D. (2015). Immune tolerance. Regulatory T cells generated early in life play a distinct role in maintaining self-tolerance. Science, 2015 May 1;348(6234):589-94. http://doi.org/10.1126/science.aaa7017

 

Etablierung der Hautflora nach der Geburt: Ohne Tregs keine Toleranz

Eine aktuelle Arbeit, die genau zu dem Teil des Buches passt, den ich gerade schreibe, nämlich zur Entwicklung des Immunsystems rund um die Geburt:

T. C. Scharschmidt et al.: A Wave of Regulatory T Cells into Neonatal Skin
Mediates Tolerance to Commensal Microbes. Immunity 43, 1011–1021, November 17, 2015, doi: 10.1016/j.immuni.2015.10.016

Dazu auch Anna Azvolinsky: Birth of the Skin Microbiome

Unsere Haut ist eine der wichtigsten Barrieren zwischen der Außenwelt und unserem Körper und zugleich ein wichtiges Immunorgan. Ein Quadratzentimeter enthält über eine Million Lymphozyten und ist mit etwa einer Million Bakterien besiedelt. Das Mikrobiom der Haut unterscheidet sich grundlegend von der Flora etwa in unserem Darm oder in den Atemwegen, und die Ausbildung der Hautflora ist viel schlechter untersucht als die Etablierung der Darmflora. Unsere Haut ist vielschichtig und enthält zahlreiche Strukturen wie Haarfollikel oder schweiß- und Talgdrüsen, und sie wird im täglichen Leben häufig verletzt, wobei auch Bakterien in die tieferen Schichten eindringen – ohne dort normalerweise Entzündungen auszulösen.

Das kalifornische Forscherteam hat nun an Mäusen untersucht, wann und wie sich die Toleranz des Immunsystems gegenüber dem Bakterium Staphylococcus epidermis ausbildet, einem Kommensalen, der bei Mensch und Maus vorkommt. Bringt man die Bakterien auf die intakte Haut junger, aber ausgewachsener Mäuse auf, so kommt es zu einer gewissen T-Zell-Reaktion, aber nicht zu einer merklichen Entzündung. Kratzt man die Mäuse einige Wochen später und trägt erneut Bakterien auf die nunmehr verletzte Haut auf, so entzündet sie sich, es wandern viele Neutrophile (Zellen der angeborenen Abwehr) in die Haut ein, und die T-Zellen (Zellen der erworbenen Abwehr) reagieren stark auf die Eindringlinge. Das Immunsystem hat also durch den Erstkontakt keine Toleranz ausgebildet.

Anders, wenn man das Experiment mit eine Woche alten Mäusen beginnt, die vier Wochen später gekratzt und erneut mit den Bakterien konfrontiert werden: Bei ihnen werden dann nur wenige T-Zellen aktiv, und die Entzündung fällt sehr schwach aus. Der Organismus ist offenbar gegen Staphylococcus epidermis tolerant geworden. Dafür sind offenbar spezifische regulatorische T-Zellen oder Tregs vonnöten, die vor allem während der zweiten Lebenswoche der Mäuse recht abrupt in die Haut einwandern. Tregs aus dem Thymus sind auch in der Darmschleimhaut notwendig, um das Immunsystem gegen die Darmflora milde zu stimmen. Anders als im Darm beeinflusst die Zahl der Keime auf der Haut aber nicht die Zahl der Tregs.

Über 80 Prozent der CD4+-T-Zellen in der Haut von 1-2 Wochen alten Mäusen sind Tregs, während es bei erwachsenen Mäusen etwa 50 Prozent sind. Ihre Dichte in der Haut ist bei den Baby-Mäusen doppelt so hoch wie bei den ausgewachsenen Tieren, und sie sind hochgradig aktiviert – wiederum im Unterschied zu den Haut-Tregs erwachsener Mäuse. In tiefer liegenden Gewebeschichten kommt es nach der Geburt nicht zu einer Treg-Akkumulation; diese ist also hautspezifisch.

Behandelt man die neugeborenen Mäuse kurz vor dem ersten Auftragen von Staphylococcus epidermis mit einem Rezeptorantagonisten, der spezifisch die Auswanderung von Tregs aus dem Thymus unterbindet, so werden die Mäuse nicht tolerant gegen den Keim: nach dem Aufkratzen der Haut und dem zweiten Kontakt mit den Bakterien reagieren sie mit einer starken Entzündungsreaktion – anders als die Kontrollgruppe, in der die Wanderung der Tregs aus dem Thymus in die Haut nicht unterbunden wurde.

Außerdem enthält die Haut der Tiere mehr für Staphylococcus-Antigene spezifische Effektor-T-Zellen und weiterhin nur wenige für Staphylococcus-Antigene spezifische Tregs, obwohl die migrationshemmende Wirkung des vier Wochen zuvor verabreichten Rezeptorantagoisten längst abgeklungen ist und andere Tregs durchaus in der Haut vorkommen. Die Antigen-spezifischen Tregs müssen also im richtigen Zeitfenster – ein bis zwei Wochen nach der Geburt der Mäuse – aus dem Thymus in die Haut gelangen, um eine Toleranz gegen Kommensalen aus der Hautflora aufzubauen.

Anders als im Darm, in dem sowohl angeborene, direkt aus dem Thymus stammende Tregs (nTregs oder tTregs) als auch in der Peripherie durch Antigen-Präsentation induzierte Tregs (iTregs) an der peripheren Toleranz beteiligt sind, scheinen iTregs in der Haut nicht an der Etablierung der Toleranz gegen Kommensalen beteiligt zu sein – zumindest nicht in diesem frühen Zeitfenster. Auch die Mechanismen, über die Tregs andere Immunzellen tolerant stimmen, unterscheiden sich offenbar: Im Darm spielt das von den Tregs ausgeschüttete, entzündungshemmende Zytokin IL-10 eine große Rolle, während ein IL-10-Mangel das Gleichgewicht in der Haut nicht weiter zu stören scheint.

Auch die abrupte, massive Einwanderung hoch aktiver Tregs und während der zweiten Lebenswoche der Mäuse scheint hautspezifisch zu sein: Im Darm kommt es gar nicht zu einer solchen Welle, und in der Lunge ist sie erstens viel schwächer (Tregs stellen dort höchstens 15 Prozent der CD4+-T-Zellen statt über 80 Prozent) und zweitens offenbar nicht für die Ausbildung der Toleranz gegen Atemwegs-Kommensalen zuständig.

Auffällig ist, dass die Haarfollikel in der Haut der jungen Mäuse genau zur Zeit der Treg-Einwanderung entstehen. Tregs halten sich in der Haut von Mäusen wie Menschen bevorzugt an den Haarfollikeln auf. Vielleicht sondern die entstehenden Follikel ein Chemokin ab, das die Tregs anzieht. Da sich an den Haarwurzeln besonders viele Kommensalen ansiedeln, wäre es evolutionär von Vorteil, wenn auch die periphere Toleranzausbildung vor allem dort stattfände.

Da die Barrierefunktion der Haut nicht nur lokale, sondern (etwa bei der Entstehung von Asthma) auch systemische Auswirkungen hat, sollte man mit allem, was die Ausbildung einer normalen Hautflora und einer Toleranz des Immunsystems gegen diese Kommensalen beeinträchtigen könnte, sehr aufpassen – etwa mit Antibiotika-Behandlungen bei Neugeborenen.

Die Rolle von HLA-G bei Autoimmunerkrankungen

Am Ende des letzten Beitrags habe ich das Protein HLA-G erwähnt, mit dem der Trophoblast – die Kontaktfläche des Embryos zum mütterlichen Gewebe – die Immunzellen in der Gebärmutter friedlich stimmt und für die nötigen Umbaumaßnahmen im Adernetz rekrutiert.

Die klassischen HLA-Moleküle wie HLA-A sind extrem polymorph, d. h. es gibt zahlreiche leicht unterschiedliche Varianten, da diese Moleküle die Aufgabe haben, Abermillionen unterschiedlicher Antigen-Bruchstücke zu binden und den Immunzellen zu präsentieren. HLA-G weist einen viel geringeren Polymorphismus auf und hat entsprechend andere Funktionen. Sein Gen liegt – wie das von HLA-A – im Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) auf Chromosom 6. Man kennt vier membrangebundene Formen (G1 bis G4) und drei lösliche (G5 bis G7).

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Die 7 Isoformen von HLA-G und ein HLA-G5-Dimer

 

Die membrangebundenen Formen können aber durch Enzyme von der Zelloberfläche abgeschnitten werden und den Zellen dann ebenfalls als lösliche Signalstoffe dienen. Einige der Formen können sich zu Dimeren zusammenlagern (s. Abb.: unten ein Dimer aus zwei HLA-G5-Molekülen).

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Junge rote Blutkörperchen regulieren Immunreaktionen

Im letzten Beitrag habe ich eine Studie vorgestellt, der zufolge unreife rote Blutkörperchen unser Immunsystem in den Wochen nach der Geburt so stark zäumen, dass die Erstbesiedlung des Darms mit gutartigen Bakterien nicht zu einer gefährlichen großflächigen Entzündung führt. Hier nun die passenden Skizzen – zunächst ein erwachsener, kernloser Erythrozyt, der bekanntlich die Aufgabe hat, Sauerstoff aus den Lungen in unser Gewebe zu transportieren, und ein junger, unreifer Erythrozyt, der wegen seines Zellkerns noch nicht die typische Scheibenform der roten Blutkörperchen angenommen hat. Seine Aufgabe ist es, Immunreaktionen aufzuhalten:

P1260500_Reifer_unreifer_Erythrozyt_650Dass die kernhaltigen rote Blutkörperchen von Nicht-Säugetieren wie Fischen und Vögeln auch Aufgaben im Immunsystem übernehmen, ist schon lange bekannt. Insofern sollte es uns nicht überraschen, dass dies auch bei Menschen der Fall ist – wenn auch nur in einem schmalen Zeitfenster: Vorläufer späterer roter Blutkörperchen, die den Marker CD71 auf der Oberfläche tragen, hemmen durch Enzyme und womöglich weitere lösliche Substanzen die Aktivität der T-Zellen, B-Zellen, dendritischen Zellen und Makrophagen von Neugeborenen. Eventuell fördern sie zudem durch Freisetzung von Zytokinen die Bildung von regulatorischen T-Zellen (Tregs) und T-Helferzellen des Typs 2 (Th2).

Shokrollah Elahi vermutet, dass die massiven Entzündungen, unter denen viele Frühgeborene leiden, auf einen Mangel an CD71+-Zellen zurückzuführen sind. Diese Schutzpolizisten entstehen nämlich vor allem in den letzten Schwangerschaftswochen vor dem normalen Geburtstermin. Bei einer Frühgeburt ist ihre Zahl noch viel zu gering, um das Immunsystem während der Erstbesiedlung des Darms mit unseren Darmbakterien vom Amoklauf abzuhalten.

Wie aber werden unreife Erythrozyten „erwachsen“? Sie versammeln sich im roten Knochenmark um Makrophagen, scheiden ihre Zellkerne ab und nehmen ihre Arbeit als Sauerstofftransporteure auf. Die Kerne, die dabei nur stören würden, werden von den Makrophagen vertilgt:

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Wie so oft übernehmen die Makrophagen also die Müllentsorgung – besonders wichtig, wenn es um die Beseitigung von Kernen geht, da diese jede Menge Nukleinsäuren (DNA) enthalten, die andernfalls starke Immunreaktionen auslösen würden. Extrazelluläre Nukleinsäuren deuten nämlich normalerweise auf Infektionen oder ein massives Zellsterben hin.

Lit.: S. Elahi (2014): New insight into an old concept: role of immature erythroid cells in immune pathogenesis of neonatal infection

 

Epstein-Barr-Viren kapern und überdauern in B-Zellen

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Etliche Bakterien und Viren entziehen sich der Abwehr, indem sie sich ausgerechnet im Inneren von Immunzellen einnisten. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), das in T-Zellen überdauert. Viel häufiger und zum Glück weniger gefährlich ist das Epstein-Barr-Virus (EBV), das zu den Herpes-Viren gehört und sich in unseren B-Zellen versteckt. Einmal infiziert, trägt man es so ein Leben lang mit sich herum, und meistens bemerkt man davon nichts.

Bis zum 35. Lebensjahr haben sich über 95 Prozent aller Menschen das Virus zugezogen. Während sich in den Entwicklungsländern – wie früher auch bei uns – die meisten bereits als Kleinkinder symptomfrei anstecken, infizieren sich etliche Menschen in hoch entwickelten Ländern mit guter Hygiene erst als Jugendliche oder junge Erwachsene und entwickeln dann das Pfeiffer-Drüsenfieber. Nach einer akuten Infektionsphase in den Mandeln startet das Virus ein Latenzprogramm: Es nistet sich in langlebigen B-Gedächtniszellen ein, in denen es nicht weiter stört, aber die Funktion der B-Zellen subtil beeinflussen kann. Die B-Gedächtniszellen wandern über die Blutbahn in andere Organe.

Schon lange steht das Virus im Verdacht, bei Menschen mit entsprechender genetischer Veranlagung den Ausbruch von Autoimmunerkrankungen zu fördern, etwa Lupus, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Hashimoto-Thyreoiditis, Sjögren-Syndrom, Typ-1-Diabetes, systemische Sklerose oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Gegen welches Organ oder Gewebe sich die Autoimmunreaktionen richten, scheint von ererbten Risikoallelen abzuhängen, insbesondere von bestimmten MHC-Klasse-II-Genvarianten und einer Veranlagung zu einem Mangel an regulatorischen T-Zellen (Tregs). Aber wie tragen die Viren zum Ausbruch der Autoimmunerkrankung bei? Alle möglichen Mechanismen werden in der Literatur diskutiert: molekulare Mimikry zwischen EBV-Proteinen wie EBNA-1 und menschlichen Proteinen wie dem Lupus-Autoantigen Ro, Bystander Activation autoreaktiver T-Zellen durch Entzündungssignale aus den infizierten B-Zellen, Epitope Spreading über das anfangs dominante EBV-Antigen hinaus oder polyklonale Antikörperbildung im Zuge der Vermehrung und Aktivierung der befallenen B-Zellen.

Außerdem wurde spekuliert, die Viren könnten naive autoreaktive B-Zellen so umprogrammieren, dass sie sich auch ohne Aktivierung durch Autoantigen-Kontakt in sehr langlebige Gedächtnis-B-Zellen umwandeln, die dann später Autoimmunreaktionen auslösen. Die Viren könnten auch endogene Retroviren wie HERV-K18 oder HERV-W aktivieren, die normalerweise untätig in unserem Genom schlummern, nach ihrer Erweckung durch EBV aber Superantigene herstellen, die zahlreiche T-Zellen polyklonal aktivieren könnten. Bewiesen ist aber nichts.

Dass im Blut von Patienten mit Autoimmunerkrankungen manchmal deutlich mehr Anti-EBV-Antikörper oder EBV-DNA-Moleküle nachzuweisen sind als bei Gesunden, belegt noch keine Verursachung der Erkrankung durch EBV: Vielleicht stört umgekehrt die Autoimmunerkrankung das Gleichgewicht in den infizierten B-Zellen, sodass die Viren aus ihrem Latenzzustand erwachen und sich vermehren. Da die üblichen Tiermodelle für Autoimmunerkrankungen, insbesondere Mäuse- und Rattenstämme, sich nicht mit EBV infizieren lassen, können auch Tierversuche keine rasche Klärung bringen.

Polygenie der Autoimmunerkrankungen

Zwei neue Skizzen fürs Buch, inspiriert durch An Goris und Adrian Liston, „The immunogenetic architecture of autoimmune disease„, 2012 (Open Access):

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Nur wenige Autoimmunerkrankungen folgen einem einfachen Mendel’schen Erbgang. Meist sind zahlreiche Genvarianten beteiligt, die das Erkrankungsrisiko für sich genommen – wenn überhaupt – nur minimal steigern und erst gemeinsam zum Ausbruch führen. Dabei tragen einige Genvarianten zur allgemeinen Neigung des Immunsystems zu Überreaktionen bei (Voodoo-Nadeln), und andere legen fest, welches Organ betroffen sein wird (Zielscheiben).

NOD-Mäuse wurden als Typ-1-Diabetes-Modell gezüchtet; normalerweise wird ihre Bauchspeicheldrüse durch Autoimmunreaktionen zerstört (Zielscheibe auf dem Rumpf). Wenn man ihr Diabetes-Risikoallel H2g7, das zum HLA-Komplex gehört, durch die Genvariante H2h4 ersetzt, bleiben die Tiere nicht etwa gesund: Sie bekommen eine Schilddrüsen-Autoimmunerkrankung (Zielscheibe am Hals). Auch beim Menschen scheinen die meisten HLA- oder MHC-Klasse-II-Varianten auf dem 6. Chromosom festzulegen, welche Autoantigene und damit welche Organe angegriffen werden, während Risikogenorte an anderen Stellen im Genom darüber entscheiden, ob das Immunsystem überhaupt zu Autoimmunstörungen neigt.

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Die Genetik der Autoimmunerkrankungen ist ein etwas undankbares Forschungsfeld, auf dem man nicht hoffen darf, die eine Genvariante zu entdecken, die für einen Großteil der Erkrankungen verantwortlich ist, und daraus eine simple Therapie abzuleiten. Stattdessen kann es sein, dass jemand chronisch krank wird, weil

  • eine MHC-Klasse-II-Variante auf Chromosom 6 zu einer schlechten Präsentation eines Autoantigens im Thymus führt, sodass das Immunsystem diesem Autoantigen später nicht gänzlich tolerant gegenüberstehen wird (geknicktes Tablett),
  • ein anderes MHC-Klasse-II-Molekül, das auf demselben Chromosom codiert ist, ein Autoantigen besonders stabil bindet, sodass dieses Autoantigen den T-Zellen im Lymphgewebe besonders häufig und lange präsentiert wird, womit die Gefahr einer T-Zell-Aktivierung steigt (tiefes Tablett),
  • eine seiner Genvarianten zu besonders scharfsichtigen T-Zell-Rezeptoren führt, sodass die T-Zellen bei einer Präsentation des passenden Autoantigens besonders leicht aktiviert werden (Brille),
  • eine andere Genvariante die regulatorischen T-Zellen (Tregs), die überzogene Immunreaktionen normalerweise ausbremsen, träge oder blind macht (Schlafmaske),
  • ein weiteres Risikoallel in aktivierten Immunzellen zu einer ungewöhnlich starken Produktion entzündungsfördernder Zytokine führt, die dann immer weitere Immunzellen anlocken (Megafon),
  • wieder ein anderes Risikoallel die Expression bestimmter Autoantigene im Thymus schwächt, sodass das Immunsystem ihnen gegenüber nicht tolerant gestimmt wird (geschrumpftes AAG) und
  • eine Genvariante an noch einem anderen Genort die Wundheilung in einem Organ hemmt, das durch einen Autoimmunprozess beschädigt wurde (Pflaster).

Auch diese Darstellung der Polygenie der Autoimmunerkrankungen ist noch stark vereinfacht – von den Wechselwirkungen zwischen unseren Genprodukten und dem Mikrobiom, unserer Nahrung, Krankheitserregern und weiteren Umweltfaktoren einmal ganz abgesehen.

Wenn also der nächste Wunderheiler um die Ecke kommt, der behauptet, man müsse nur ein bestimmtes Vitamin weglassen oder ein Mineralpräparat zu sich nehmen, um von einer nahezu beliebigen Autoimmunerkrankung geheilt zu werden: bitte auslachen.

Gleich und gleich gesellt sich gern: Proteobacteria bei Dickdarm-Entzündungen

Winter SE, Bäumler AJ. Why related bacterial species bloom simultaneously in the gut: principles underlying the ‚Like will to like‘ concept. Cellular Microbiology 2014, 16(2). 179-184

Im gesunden Dickdarm dominieren obligate anaerobe Bakterien aus den Stämmen Bacteroidetes (Klasse Bacteroidia) und Firmicutes (Klasse Clostridia); Arten aus den Stämmen Proteobacteria und Actinobacteria sind meist selten. Homöostase -> idealer Nährstoffaufschluss und Infektionsresistenz. Dysbiose: Clostridien gehen zurück, fakultative anaerobe Proteobacteria breiten sich aus.

Aber wie wird das Gleichgewicht aufrecht erhalten, bzw. wie kommt es zur Dysbiose? Und wieso werden dabei ganze Stämme regelrecht ausgetauscht, statt dass nur einzelne arten häufiger bzw. seltener werden? Lozupone et al. (2012) haben das mit Rasenpflege verglichen: Bei schweren Zwischenfällen wird die nackte Erde freigelegt, und statt Gras können sich Unkräuter ausbreiten. Aber diese Metapher sagt noch nichts über die Mechanismen.

Beobachtung bei Mäusen: Tiere, die viele Kommensalen der Art Escherichia coli beherbergen, sind besonders anfällig für Infektionen mit Salmonella enterica und Campylobacter jejeuni, die zum selben Stamm (Proteobacteria) gehören. -> Similis-simili-gaudet-Hypothese. Vielleicht lokale Umweltbedingung, die alle Arten eines Stammes fördert?

Normale Labormäuse gehören zu einem von zwei Enterotypen: entweder hohe Diversität der Darmflora und Dominanz von Clostridien und Bacteroidia – oder geringere Diversität, weniger Clostridien und (relativ) mehr Proteobacteria, oft verbunden mit schwacher Entzündung. Bei Menschen ist die Existenz bzw. Omnipräsenz und Bedeutung von Enterotypen allerdings noch umstritten.

Mausmodelle für Colitis: Entzündungsreaktion auf chemischen Trigger oder genetische Disposition erhöht Häufigkeit fakultativer Anaerobier, v. a. aus der Familie Enterobaceriaceae (Stamm Proteobacteria). Auch bei Infektion mit dem Einzeller Toxoplasma gondii breiten sich Enterobaceriaceae in der Darmflora unkontrolliert aus. Einige pathogene Enterobacteriae lösen mit Virulenzfaktoren ihrerseits Entzündung aus, um sich gegenüber anderen Bakterien einen Wachstumsvorteil zu verschaffen.

Menschen: Bei Morbus Crohn, Antibiotika-Behandlung, HIV-Enteropathie (chronische Diarrhö) und anderen Erkrankungen des Dickdarms ebenfalls Proteobacteria-Blüte im Verbund mit Clostridien-Rückgang. Aber sind es dieselben Selektionskräfte, die die Proteobacteria fördern und den Clostridien zu schaffen machen? Wahrscheinlich nicht.

Proteobacteria profitieren von einem Mechanismus, bei dem reaktive Sauerstoff- und Stickstoff-Species entstehen. Diese antimikrobiellen Substanzen diffundieren vom Epithel weg ins Lumen und wandeln sich dabei in Elektronenakzeptoren wie Tetrathionat oder Nitrat um. Pathogene S. enterica und kommensale E. coli können diese Elektronenakzeptoren für ihre anaerobe Respiration und damit für ein starkes Wachstum im Dickdarm nutzen.

Fitnessvorteil für Proteobacteria: Die fakulativen Anaerobier können durch die anaerobe Respiration nichtfermentierbare Substrate oder Fermentationsendprodukte als Kohlenstoffquellen nutzen und vermeiden so die Konkurrenz um fermentierbare Nährstoffe, auf die die obligaten Anaeroben (Bacteroidias und Clostridia) angewiesen sind.

Rückgang der Clostridien: wahrscheinlich durch eine andere, noch unbekannte Selektionskraft, denn Clostridien haben keine terminalen Oxidoreduktasen und können daher auf die Elektronenakzeptoren, die bei der Entzündung entstehen, nichts reagieren. Es muss ein Faktor sein, der nicht auf alle Clostridien nachteilig wirkt: Clostridium difficile und einige andere Arten aus der Familie der Lachnospiraceae vermehren sich nämlich bei Darmentzündungen, statt zu verschwinden.

Clostridien produzieren bei der Fermentation kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmend auf das Immunsystem einwirken, indem sie die Rezeptoren regulatorischer T-Zellen (Tregs) stimulieren. Daher kann es sein, dass ein Rückgang der Clostridien (zum Beispiel durch Antibiotika) der erste Schritt zur Dysbiose ist: Wenn sie fehlen, wird eine einmal gestartete Entzündung nicht rechtzeitig gestoppt, und die Entzündungsprodukte fördern dann die Proteobacteria.

Neandertaler-Erbe in unserem Immunsystem

Sapiens-Neandertaler-Paar_650Schnelle Notizen zu 14 kürzlich gelesenen Artikeln – nicht allgemein verständlich aufbereitet, nicht korrekturgelesen und in dieser Form wahrscheinlich nur für mich selbst nützlich. 🙂 Das Ganze wird im letzten Teil des Buches verwurstet, in dem ich die Evolution unseres Immunsytems chronologisch abhandle.

Gibbons A. (2014): Neandertals and moderns made imperfect mates. Science 343, 31.01.2014 (News zu den Arbeiten von Sankararaman et al. 2014, s. u., sowie Vernot & Akey 2014)

Vernot & Akey haben nur moderne Humangenome aus dem 1000 Genomes Project verglichen und daraus Rückschlüsse auf Neandertaler-Einkreuzungen gezogen; Sankararaman et al. haben auch Neandertaler-Genomsequenz einbezogen. Neandertaler haben Spuren in Haut, Nägeln und Haaren (Keratin) hinterlassen; Nachfahren der Hybriden waren weniger fruchtbar als „reine“ moderne Menschen.

In über 60% von 1004 ostasiatischen und europäischen Genomen Neandertaler-Version des Keratinfunktion-Gens. Keratin macht Haut wasserdicht, blockiert Pathogene, macht Haut wärme- und kälteempfindlich -> Anpassung an kältere Habitate?

Neandertaler-Allele, die Risiko für Krankheiten wie Lupus, Morbus Crohn usw. erhöhen, haben Neandertalern vermutlich nicht geschadet, passten aber schlecht zum neuen Kontext im modernen Menschen.

Weitere Neandertaler-Allele -> Hautfarbe.

In allen untersuchten modernen Humangenomen zusammen 20 bzw. 30% des Neandertaler-Genoms wiedergefunden; in einem Individuum stammen 1-3% des Genoms vom Neandertaler. Einkreuzung vor etwa 60.000 Jahren.

Etwa 20 Regionen des Humangenoms enthalten keine Neandertaler-DNA -> negative Selektion wegen Fortpflanzungsnachteilen der Hybriden. Frauen bleiben wegen doppeltem X-Chromosom eher fruchtbar -> Jetzt wird untersucht, ob wir mehr DNA von weiblichen als von männlichen Neandertalern übernommen haben. (Gemeint ist wahrscheinlich das Geschlecht der gemischten Kinder, nicht des reinen Neandertaler-Elternteils – da macht es keinen Unterschied, solange männliche Hybriden mit Neandertaler-X und modernem Y ebenso (un)fruchtbar sind wie männliche Hybriden mit modernem X und Neandertaler-Y.)

Sankararaman S. et al. (2014): The genomic landscape of Neanderthal ancestry in present-day humans. nature, doi:10.1038/nature12961

Vergleich zwischen Neandertaler-Genomen und 1004 modernen Genomen (darunter 176 Yoruba, mutmaßlich Neandertaler-frei) -> Neandertaler-Haplotypen abgeleitet. Regionen mit vielen Neandertaler-Allelen enthalten viele Gene, die Keratinfilamente beeinflussen -> Haut und Haar -> Anpassung moderner Menschen an außerafrikanische Umwelt erleichtert? Große Neandertaler-Allel-freie „Wüsten“ im Humangenom, z. B. auf X-Chromosom, das viele Gene für männliche Fruchtbarkeit enthält; nur teilweise durch geringe Populationsgröße kurz nach Einkreuzung zu erklären  -> negative Selektion, evlt. weil Neandertaler-Allele im Genom-Kontext des modernen Menschen Fruchtbarkeit minderten.

Haplotyp-Längen -> Kreuzung vor etwa 2000 Generationen, also 37.000-86.000 Jahren. Neandertaler-Anteil in individuellen Genomen: heute durchschnittlich 1,15% in Europa, 1,38% in Ostasien; kurz nach Einkreuzung über 3% (abgeleitet aus Anteil in „Nicht-Wüsten-Regionen“). Größerer Anteil in Ostasiaten evtl. wegen über lange Zeit kleinerer Populationen als in Europa -> negative Selektion weniger effektiv. Mutmaßlichem Neandertaler-Anteil an einzelnen Genorten: bis zu 62% in ostasiatischen, bis zu 64% in europäischen Populationen. In einigen dieser Regionen Anzeichen für positive Selektion, an an deren negative Selektion.

Aus Neandertalern stammende Allele beeinflussen Risiko für SLE/Lupus, primär biliäre Zirrhose (beides: Transportin-3), Morbus Crohn (Chromosom 10: Zinkfinger-Protein 365, Chromosom 12: Gen unbekannt?), IL-18-Level (Regulator der angeborenen und erworbenen Immunität) , Typ-2-Diabetes, Rauchen und Größe des Blinden Flecks.

Obwohl bei der Einkreuzung nur etwa fünfmal mehr Zeit seit der Aufspaltung zwischen Neandertalern und Vorfahren der modernen Menschen vergangen war als heute seit der Aufspaltung zwischen Europäern und Westafrikanern, war die Fruchtbarkeit der Hybriden wohl wegen Schneeball-Effekten (Dobzhansky-Müller-Inkompatibilitäten) stark reduziert.

Prüfer K. et al. (2014): The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains. Nature 505, doi:10.1038/nature12886

Hochwertige Genomsequenz einer Neandertaler-Frau aus der Denisova-Höhle in Altai-Gebirge, Sibirien – gewonnen aus einem Zehenknochen aus einer etwa 50.000 Jahre alten Schicht. In derselben Höhle, aber in einer etwas jüngeren Schicht wurde auch der Fingerknochen gefunden, aus dem die vorläufige Genomsequenz des Denisova-Menschen ermittelt wurde. Vergleich mehrerer Neandertaler-Genome (auch aus dem Kaukasus und Kroatien, s. Karte Abb. 1), des Denisova-Menschen-Genoms und 25 moderner Humangenome -> Modell der Einkreuzungsereignisse zwischen modernem Menschen, Denisova, Neandertaler und einem unbekannten Hominiden (Abb. 8).  Weiterlesen

Lymphozyten in Schilddrüsen von Hashimoto- und Basedow-Patienten

Zusammenfassung noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet:

Bingbing Zha et al, Distribution of Lymphocyte Subpopulations in Thyroid Glands of Human Autoimmune Thyroid Disease, J. Clin. Lab. Anal. 00:1-6 (2014)

Das Aufkommen der verschiedenen Lymphozyten-Typen in der Schilddrüse von Menschen mit Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen ist bislang schlecht untersucht; meist werden nur Bluttests durchgeführt. Die Autoren haben Gewebe von 18 Morbus-Basedow- und 17 Hashimoto-Thyreoiditis-Patienten sowie 17 Patienten ohne diese beiden Erkankungen untersucht, das bei Schilddrüsen- bzw. Nebenschilddrüsenoperationen entnommen worden war.   Weiterlesen

Das Honeymoon-Tal

P1170830_AIE-Verlauf_Schübe_Honeymoon-Tal_650Viele Autoimmunerkrankungen verlaufen schubförmig. Am bekanntesten ist das bei der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RR-MS). Aber auch bei Typ-1-Diabetes kann auf den ersten Ausbruch von Symptomen, der zur Diagnose führt, eine Zeit der scheinbaren Genesung folgen – die sogenannte Honeymoon-Phase. Und bei den meisten Autoimmunerkrankungen geht der symptomatischen Phase (oberhalb der gestrichelten Linie) unbemerkt eine langjährige Entgleisung des Immunsystems voran, bei der nach und nach mehr Autoantikörper oder autoreaktive T-Zellen entstehen und es den regulatorischen T-Zellen immer schwerer fällt, diese selbstzerstörerischen Elemente in den Griff zu bekommen.