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Die ökologische Perspektive: Auch unsere Plagegeister haben Plagegeister

Gestern war kein so produktiver Tag, was das Autoimmunbuch angeht. Abends sind dann doch noch zwei Skizzen fürs Einführungskapitel entstanden.

Nicht genug damit, dass unser Immunsystem ein furchtbar kompliziertes Netzwerk ist – die Wechselwirkungen enden auch nicht an unserer Haut. Vielmehr gehören wir Ökosystemen an, in denen zum Beispiel auch Krankheitserreger untereinander in Wechselwirkung treten. So kann es sein, dass ein Wurm, der sich in uns eingenistet hat, seinerseits von Parasiten befallen ist, in denen sich Bakterien tummeln, in denen Viren leben. Und sie alle haben im Lauf der Evolution Mechanismen hervorgebracht, um einerseits ihre Plagegeister unter Kontrolle zu halten und andererseits die Schutzmaßnahmen ihrer Wirte abzumildern:

Auch auf einer Hierarchiestufe dieser Babuschka-Netzwerke herrscht keineswegs Eintracht. Erreger unterschiedlicher Art (oder auch derselben Art, aber aus unterschiedlichen Stämmen oder in verschiedenen Entwicklungsstadien) machen sich beim Kampf um Ressourcen, also zum Beispiel um Lebensraum auf unserer Haut oder in unserem Verdauungstrakt, gegenseitig Konkurrenz:

Wie wir noch sehen werden, paktieren einige Erreger sogar mit dem Feind (in Gestalt unseres Immunsystems), um lästige Neuankömmlinge auszuschalten, die sich auch noch einen Claim abstecken wollen. Wenn wir im Zuge verbesserter Hygienemaßnahmen, Wurmkuren usw. diese vermeintlichen Gegner ausschalten, die tatsächlich im Lauf der Evolution zu Verbündeten geworden sind, kann unser Immunsystem aus dem Lot geraten und körpereigenes Gewebe angreifen.

Das Jahr der Rückkehr zum ökologischen Denken

Trotz ergiebiger Autoimmun-Fachlektüre in den letzten Wochen hat die Kraft zum Bloggen nicht gereicht. Kurz vor dem Jahreswechsel möchte ich wenigstens berichten, wie ich das Jahr 2011, mein Sabbatjahr, vorläufig beurteile.

Wie bereits im August in meiner Rezension des Buches „The Autoimmune Epidemic“ von Donna Nakazawa Jackson angedeutet, bin ich 2011 durch die Fachlektüre vor allem zum ökologischen Denken zurückgekehrt, das mich in den 1980ern stark geprägt hat. Die Artikel über Humane Endogene Retroviren (HERVs), das Human Metagenome Project, die Hologenom-Theorie, molekulare Mimikry, die Zusammenhänge zwischen Infektionen und Autoimmunerkrankungen, die Symbiosen von Pflanzen oder Tieren und Mikroorganismen, evolutionär konservierte mikrobielle Antigene usw., die ich in den letzten Wochen gelesen habe, haben mir erneut verdeutlicht, dass wir Entgleisungen der angeborenen und der erworbenen Immunabwehr nur richtig verstehen werden, wenn wir nicht mehr angestrengt auf das Humangenom starren, sondern akzeptieren, dass wir Gemeinschaftswesen sind: Ökosysteme, in denen zahlreiche virale Gene, mikrobielle Genome, Einzeller und auch größere Mitbewohner wie Würmer maßgebliche Rollen spielen (oder spielten).   Weiterlesen