Zwei-Klassen-Medizin

Zeit für einen rant (neudeutsch für Philippika).

Ich habe dieses Jahr vergleichweise viel Zeit bei Ärzten verbracht, und 2012 geht es so weiter: Im Januar stehen allein sechs Zahnarzttermine und eine Unterleibsoperation an.

Das kostet nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch etwas, das ich dank meines Sabbatjahres gerade nicht im Überfluss besitze: Geld. Ich rede nicht von 10 Euro Praxisgebühr pro Quartal (die sich übrigens, wenn man auch zum Zahnarzt muss, auf 20 Euro verdoppeln). Sondern von dem, was man für Zusatzleistungen berappen soll, die einem selbst medizinisch sinnvoll, ja notwendig erscheinen, aber nicht von der Krankenkasse übernommen werden.

Dank intensiver Studien im Jahresverlauf meine ich allmählich eine gewisse Logik dahinter zu erkennen:  

  • Was der Verhinderung von Schlimmerem dient, übernimmt die Kasse nicht.
  • Wenn man halbtot in den Seilen hängt und stationär behandelt werden muss oder irre teure neue Ersatzteile benötigt, zahlt sie.

Ich beschränke mich auf das jüngste Beispiel: Am Donnerstag fragte mich die Assistentin einer Frauenärztin, die ich zur Vorsorge und zur Abklärung neuerdings ziemlich starker Monatsblutungen aufgesucht habe, ob ich zusätzlich zum Abstrich und zur Abtastung eine Ultraschall-Untersuchung wünsche. Wenn ja: 50 Euro. Trotz meines Kontostands sagte ich ja; schließlich wollte ich sicher sein, dass sich hinter den starken Blutungen kein ernstes Problem verbirgt. Ich zahlte und unterschrieb eine Erklärung, der zufolge mir bekannt sei, „dass meine Krankenkasse eine im Sinne des Gesetzes ausreichende Behandlung gewährt und vertraglich sichergestellt hat“.

Die Abtastung ergab keine Auffälligkeiten. Im Ultraschallbild waren zwei Uterus-Myome zu erkennen; das größere hat einen Durchmesser von sechs Zentimetern: wohl die Ursache für meine Beschwerden. Dringende Empfehlung der Ärztin: baldige Operation. Den Eingriff zahlt die Kasse (angeblich … ich bin da mittlerweile skeptisch; weist doch die Visitenkarte der empfohlenen Tagesklinik „Sprechstunden für Privatpatientinnen nach Vereinbarung“ aus). Die Untersuchung, die ihn überhaupt erst notwendig erscheinen ließ, zahlt sie nicht.

Hätte ich mich wenige Minuten zuvor angesichts des Betrags, den ich in diesem Quartal bereits an meinen Zahnarzt überwiesen habe, anders entschieden, so würden die Myome noch lange Zeit munter weiterwuchern. Jeden Tag sind Menschen gezwungen, solche Entscheidungen zu treffen, ohne wirklich zu wissen, worum es geht. Jeden Tag entscheiden sich Menschen gegen Zusatzleistungen, weil 50 oder 100 oder 500 Euro für sie verdammt viel Geld sind und weil sie darauf vertrauen, dass ihre Kassen tatsächlich eine „ausreichende Behandlung“ gewähren.

Oder sie erliegen den Sirenengesängen der privaten Krankenversicherungen und der mit ihnen kooperierenden Ärzte und lassen sich auf eine Versicherung ein, deren mit dem Alter rasant ansteigende Beiträge ihnen irgendwann den Hals brechen.

Liebe Regierung:  Danke für diese beschissene Zwei-Klassen-Medizin. Ich geh mich jetzt betrinken.

3 Gedanken zu „Zwei-Klassen-Medizin

  1. Irene

    Die Untersuchung, die ihn überhaupt erst notwendig erscheinen ließ, zahlt sie nicht.

    Ich würde es eher so formulieren: Die Ärztin hatte trotz des Verdachts auf Myome keine Lust, die Ultraschall-Untersuchung im Rahmen der Patientenpauschale, die sie ja ab dem Einchecken für dieses Quartal bekommt, zu erbringen, und wollte noch extra Geld dafür. Vielleicht gab es früher einen extra Betrag, und sie hat jetzt das Gefühl, „nichts“ zu bekommen. Ich hatte jedenfalls schon mal Eierstock-Ultraschall als Kassenleistung, weil mein Arzt auf die Überweisung schrieb, dass er das empfahl (leichte Bauchschmerzen auf einer Seite – die Untersuchung wurde dann auch nur auf einer Seite gemacht).

    Im Zweifel kann man bei der Krankenkasse oder der Unabhängigen Patientenberatung nachfragen. Es hilft jedenfalls manchmal, das System zu verstehen.

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  2. Andrea Kamphuis Beitragsautor

    Danke für den Hinweis auf die Patientenberatung; so etwas steht bei mir auf jeden Fall an!

    Das Dumme an der Ultraschall-Untersuchung war, dass ich mich dafür oder dagegen entscheiden (und dann auch gleich zahlen) sollte, als mein Blutdruck gemessen wurde – bevor die Frauenärztin mich überhaupt gesehen hatte. Und mangels Schmerzen hatte ich keinen konkreten Verdacht. Aber allmählich kommen sie, die Schmerzen. 🙁

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