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CORRECT!V deckt auf: Es gibt Menschen, deren Hobby Sex ist

Und schon wieder ein blogthemenfernes Zwischenspiel:

Liebes Correctiv-Team,

eigentlich mag ich keine Stücke, die sich als offene Briefe gerieren. Ich neige auch nicht dazu, Abonnements oder Mitgliedschaften zu kündigen, nur weil mir mal ein Artikel gegen den Strich geht. Aber als Correctiv-Mitglied muss ich jetzt deutlich werden.

Ihr habt „EXKLUSIV“ aufgedeckt, dass eine Kandidatin auf der Landesliste der NRW-AfD sich als Hobbyhure angeboten hat. Zum Beleg illustriert ihr euren Artikel mit einem Screenshot von Kaufmich.com. Und ihr behauptet, eure Enthüllung habe Nachrichtenwert, weil die Kandidatin durch ihre Vergangenheit erpressbar sei. (Man könnte fast meinen, ihr hättet der AfD einen Gefallen tun wollen, denn mit der Erpressbarkeit ist es spätestens jetzt vorbei.)

Mit Verlaub: Ihr verhaltet euch wie Dreizehnjährige, die mit roten Öhrchen in der „Happy Weekend“ blättern und mit der Erkenntnis ringen, dass Sex in allerlei Spielarten seit Urzeiten ein ganz normaler Zeitvertreib für ganz normale Menschen ist. Mich erinnert das an die verkrampfte Skandalisierung der angeblichen Vergangenheit der Ehefrau eines Bundespräsidenten vor wenigen Jahren. Und? Was wäre, wenn? Wenn eine Politikerin oder Politikergattin etwa bei einem offiziellen Anlass einem ehemaligen Kunden begegnet? Dann lächelt sie freundlich und sagt: „Weißt du noch, damals?“, und er sagt: „Ja, war schön“, und dann beugen sich beide wieder über ihr Spargelschaumsüppchen.

Was? Das ist naiv? Unsere Gesellschaft ist noch nicht so weit? Nun, diese Gesellschaft, die noch nicht so weit ist, besteht aus Typen wie euch, die noch nicht so weit sind. Indem ihr „so etwas“ problematisiert, reproduziert ihr die Schwierigkeiten, die ihr zu dokumentieren behauptet. Das ist genau die unehrliche, scoop- und klickgeile Meta-Boulevard-Berichterstattung, die mich in der „Qualitätspresse“ stört – und die in unabhängigen Projekten wie Correctiv nun wirklich nichts zu suchen hat.

Die Frage, ob ein Outing, wie ihr es betrieben habt, journalistisch angezeigt sein kann, wurde schon vor Jahrzehnten an weit schwierigeren Fällen ausführlich diskutiert. Man könnte es vielleicht noch rechtfertigen, wenn die Kandidatin erstens mächtig und berühmt wäre und zweitens eine Politik zu verantworten hätte, die in offenem Widerspruch zu ihrem Tun stünde. Ich habe das NRW-Wahlprogramm der AfD durchsucht: Mit keinem Wort wendet sich die Partei darin gegen Prostitution oder gegen andere Formen von einvernehmlichem Sex zwischen Erwachsenen. Von einem solchen Widerspruch kann also nicht die Rede sein.

Ob eine von euch zur „Spitzenfrau“ stilisierte, weitgehend unbekannte Kandidatin auf Platz 10 der Landesliste in ihrer Freizeit vögelt oder Stockrosen züchtet oder alte Traktoren restauriert, kann uns egal sein. Ihr habt keinen Missstand aufgedeckt, wie es euer Motto verheißt, sondern euch wie Anfänger in euren vermeintlichen Scoop verrannt. Ich bin gespannt, wie professionell ihr diese Sache nachbereitet. Mindestens ein Lastschriftmandat hängt davon ab.