Viel kann ich gar nicht schreiben zu der Studie, über die seit einigen Tagen allerorten berichtet wird, etwa bei der BBC oder im Guardian. Denn das Lancet-Paper von Harold L. Atkins et al. steckt hinter einer Bezahlschranke. Die Ergebnisse sind in der Tat vielversprechend, die Zustandsverbesserungen zum Teil atemberaubend – und sehr medienwirksam: Vom Rollstuhl auf die Skipiste, das hat was von Lourdes.
Aber man bedenke, dass die Studie sehr klein ist und die Therapieform hochriskant: Einer der 24 Teilnehmer ist an der Kombination aus aggressiver Chemotherapie und Antikörperbehandlung, mit der das Immunsystem komplett ausgeschaltet wurde, und der anschließenden Wiederbesiedlung durch die eigenen blutbildenden Zellen gestorben. Solche Therapien führt man aus guten Gründen bisher nur an praktisch austherapierten Patienten durch, sei es bei Krebserkrankungen oder nun eben bei weit fortgeschrittener schubförmig-remittierender Multipler Sklerose: Bis sich das Immunsystem erholt hat, ist die Gefahr groß, an Infektionen zu sterben.
Die Studienautoren vermeiden es, von einer echten Heilung der überlebenden Patienten zu sprechen. Aber die dramatischen Verbesserungen der Lebensqualität, das Ausbleiben von Rückfällen bis zu 13 Jahre nach der Behandlung und die Abwesenheit neuer Läsionen in den Gehirnen der Teilnehmer stimmen optimistisch, dass ein solcher Reset des Immunsystems zumindest ein Fortschreiten der Erkrankung dauerhaft stoppen kann – vielleicht weil die Behandlung die autoreaktiven Gedächtnis-T-Zellen in ihren Überlebensnischen im Knochenmark abtötet und so den fatalen Dauerbefehl an das Immunsystem auslöscht, die eigenen Nerven anzugreifen.
Nachtrag: Diese Form der Therapie ist übrigens so ziemlich das Gegenteil der zielgerichteten Ansätze, die ich hier kürzlich skizziert habe. Es wäre gute, wenn man die langlebigen autoreaktiven Gedächtnis-T-Zellen irgendwann treffsicher erledigen könnte, statt das ganze Immunsystem zu vernichten.