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Wie Lymphknoten entstehen

Mit dem Werden und Vergehen des Thymus im Lebensverlauf habe ich mich bereits ausführlich beschäftigt, etwa hier. Im letzten Beitrag habe ich die Herkunft der Lymphgefäße skizziert. (Kurz: Sie entstehen größtenteils durch Abknospung von Endothel, also Blutgefäßwänden, aus einigen Hauptadern des Embryos; in einigen Organen und Geweben tragen aber auch andere embryonale Zellen zu den Lymphgefäßen bei.) Weiter geht es mit der Entstehung den Lymphknoten.

Wer Autoimmunerkrankungen verstehen will, sollte Lymphknoten nicht ignorieren

Warum interessiert mich das überhaupt? Das Lymphsystem erfüllt im Wesentlichen drei Aufgaben: Erstens schafft es Flüssigkeit, die aufgrund des Blutdrucks aus den Kapillaren austritt und das Gewebe anschwellen lässt, in die größeren Blutgefäße zurück – jeden Tag etwa drei Liter. Zweitens transportiert es Proteine und vor allem Fette, die unser Verdauungssystem aus der Nahrung gewonnen hat, aus der Darmschleimhaut in den Blutkreislauf. Und drittens – jetzt wird es relevant für’s Buch – führt es den Lymphknoten, gewissermaßen den Kontaktbörsen des Immunsystems, Antigene und Immunzellen zu, und es schickt die dort von den Antigenen aktivierten Immunzellen in das Blut zurück, von dem sie sich an ihre Einsatzorte verfrachten lassen.

Neben den normalen Lymphknoten, die während der Embryonalentwicklung an vordefinierten Stellen entstehen, bilden sich im Körper später auch bedarfsgesteuerte Strukturen: zum einen kurz nach der Geburt die sogenannten Peyer-Plaques in der Darmschleimhaut, die dem Management unserer Beziehungen zur Darmflora dienen. Und zum anderen ein Leben lang improvisierte Lymphknötchen in der Nähe von Entzündungsherden, sogenannte tertiäre lymphatische Organe (TLO). Sie verkürzen die Transportwege für Antigene und Immunzellen und machen so die Bekämpfung der Entzündungsauslöser effizienter. Für das Buch habe ich sie als Feldlager skizziert.

Bei einer akuten Infektion ist das gut – aber bei einer chronischen Autoimmunerkrankung verstärkt es leider die Reaktion des Immunsystems auf körpereigene Antigene. Zudem unterstützen TLOs bei vielen Autoimmunerkrankungen ausgerechnet die schädlichen autoreaktiven Immunzellen, während sie andere, nützliche Immunzellen abweisen (siehe „Ärger mit dem Passwort“). Solche tertiären Lymphstrukturen entstehen im Prinzip ähnlich wie die normalen Lymphknoten, nämlich durch einen Dialog von Immunzellen und lokalen Bindegewebszellen. Daher sehen wir uns zunächst die normalen Entwicklung während der Embryogenese an.

Es beginnt im zweiten Monat

Im menschlichen Embryo schnüren sich im zweiten Monat zunächst sechs sogenannte Lymphsäcke von den Kardinalvenen im oberen Bereich des Rumpfes ab. Aus diesen Ausbuchtungen wächst dann das Lymphgefäßsystem allmählich in die Peripherie hinein, wie im letzten Beitrag beschrieben. Wo das Netzwerk besonders dicht ist, etwa in der Nachbarschaft des künftigen Verdauungstrakts, nennt man es Lymphplexus. Am Ende durchzieht das System den gesamten Körper, ähnlich wie der Amazonas das ganze Amazonasbecken drainiert.

Erste Ansätze zu Lymphknoten finden sich etwa ab Tag 36 der Embryonalentwicklung in der Nähe des Zusammenflusses zweier paarig angelegter Kardinalvenen, die dort zur Vena cardinalis communis fusionieren. Die Lymphsäcke, die noch überwiegend aus Endothel bestehen, werden jetzt mit Mesenchymzellen durchsetzt, die zur charakteristischen Zonenbildung in den Lymphknoten beitragen (H bis J in dieser Zeichnung). Weitere Mesenchymzellen bilden die Bindegewebskapsel und die Stützwände der Knoten (E bis G).

Dialoge zwischen Induktoren und Organisatoren

Doch woher wissen die Vorläuferzellen, wohin sie sich begeben sollen, mit welchen anderen Zellen sie sich wie zusammenlagern und welche genaue Funktion sie übernehmen sollen? Das wird über einen Austausch von Signalen organisiert. An einem Ort, der für einen Lymphknoten prädestiniert ist – einer sogenannten Anlage* -, wird zunächst ein Botenstoff namens TRANCE ausgeschüttet. Dieser lockt sogenannte lymphoid tissue inducer cells oder LTi-Zellen an. Das sind erste weiße Blutkörperchen, die eng mit den späteren Immunzellen verwandt sind. Über Rezeptoren auf ihrer Oberfläche nehmen sie Verbindung mit den Mesenchymzellen auf, die als lymphoid tissue organizer (LTo) bezeichnet werden. Die LTo-Zellen werden durch den Kontakt aktiviert: Sie überziehen sich mit Adhäsionsmolekülen, sozusagen Widerhaken oder Klebstoffen, und schütten sowohl entzündungstypische Botenstoffe (Zytokine) als auch Lockstoffe (Chemokine) aus. Durch diese positive Rückkopplung werden weitere Immunzellen rekrutiert, zur Ansiedlung ermuntert und aktiviert, ähnlich wie bei einer Entzündung.

Nach der Geburt

All dies geschieht im Embryo, also noch ohne Kontakt zu fremden Antigenen. Aber sobald nach der Geburt der Darm des Säuglings mit Mikroben besiedelt wird, erfährt die Entwicklung des Lymphgewebes noch einen Schub. Vor allem in der Darmschleimhaut bilden sich durch den Kontakt zur Darmflora tertiäre Lymphorgane, und zwar ähnlich wie eben beschrieben, also angestoßen durch LTi-Zellen und andere Immunzellen, die sich in der Darmschleimhaut niederlassen und mit ihren Nachbarzellen in Kontakt treten, um „Feldlager“ zu errichten. Mit diesen Strukturen kann das Immunsystem die Darmflora regelmäßig auf ihre Zusammensetzung prüfen und gegebenenfalls in ihre Schranken weisen.

Inwieweit auch die Bildung tertiärer Lymphorgane bei chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen der vorgeburtlichen Entstehung der Lymphknoten ähnelt und in welcher Hinsicht die beiden Prozesse voneinander abweichen, beschreibe ich im nächsten Beitrag.

 

* Auch in englischen Arbeiten heißen sie anlagen. In der Embryologie waren im 19. Jahrhundert deutsche Forscher führend, und die Fachsprache hat diesen Ausdruck übernommen.

Literatur:

Manuela Ferreira et al. (2012): Stroma cell priming in enteric lymphoid organ morphogenesis

Lucille Rankin et al. (2013): Diversity, function, and transcriptional regulation of gut innate lymphocytes

Florence R. Sabin und die Herkunft der Lymphgefäße

Heute blogge ich mal billig, indem ich mich selbst plagiiere: indem ich einen Abschnitt zitiere, den ich eben in den Wikipedia-Artikel über die Anatomin Florence Rena Sabin eingefügt habe. Bis gerade eben hätte man meinen können, das einzig Besondere an Sabin sei die Tatsache, dass sie als erste Frau der American Association of Anatomists vorstand und als erste Frau ein weltweit führendes Rockefeller-Institut leiten durfte. Nun, diese Vorreiterrolle kam nicht von ungefähr; Sabin hat herausragende Forschung betrieben.

Zwei ihrer Arbeiten, 1902 und 1904 erschienen, werden in aktuellen Reviews zur Entstehung der Lymphgefäße zitiert, die ich für das Buch ausgewertet habe. Was hier natürlich fehlt, sind die Wikilinks zu Fachbegriffen wie Endothel. Wohlan:

Herkunft der Lymphgefäße aus den Blutgefäßen

Zu den wissenschaftlichen Leistungen Sabins gehören ihre sorgfältigen Färbeversuche an Tierembryonen, mit denen sie die damals bereits seit gut 200 Jahren diskutierte Frage klären wollte, woher die Lymphgefäße der Wirbeltiere stammen. Zwei Hypothesen standen sich gegenüber: Viele Anatomen glaubten wie der Mediziner G. Lovell Gulland, die Flüssigkeit, die sich im Bindegewebe ansammle, übe einen Druck auf die benachbarten Zellen aus und schaffe sich so Hohlräume, die sich miteinander verbänden und schließlich mit den Blutgefäßen in Verbindung träten. Auch die Anatomen George S. Huntington und Charles F. W. McClure vertraten ein solches Zentripetalmodell (Ausdehnung des embryonalen Lymphsystems von der Peripherie in Richtung Zentrum). Sie untersuchten histologische Schnittserien von Katzenembryonen und meinten zu erkennen, dass die ersten Endothelzellen der Lymphgefäße aus isolierten Vorläuferzellen im Mesenchym entstehen. Diese lymphatischen Endothelzellen würden sich zunächst zu einem Netzwerk und erst anschließend mit dem Blutgefäßsystem verbinden, um die Lymphe aus dem Gewebe ins Blut abzuführen.

Florence Sabin war überzeugt, dass Schnittserien keinen sicheren Aufschluss über die Ausbreitung des entstehenden Lymphsystems und über Verbindungen zwischen Lymphgefäßen und Blutgefäßen geben können, und setzte stattdessen auf die Injektion von Tusche in die ersten lymphgefäßartigen Strukturen in Schweineembryonen unterschiedlichen Alters. Dabei sah sie, dass sich an den Kardinalvenen knospenartige Lymphsäcke bilden, die sich dann durch Sprossung verlängern und miteinander verbinden, sodass ein Netzwerk entsteht. Dieses Lymphgefäßnetz breitet sich vom Zentrum (den Kardinalvenen) in die Peripherie aus (Zentrifugalmodell).

Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts standen molekulare, genetische und bildgebende Verfahren zur Verfügung, mit denen man das Schicksal von Zellen im Lauf der Entwicklung wirklich verfolgen kann (sogenanntes Fate mapping oder Lineage tracing). Dabei zeigte sich, dass ein Großteil der Lymphgefäße höherer Wirbeltiere tatsächlich aus Vorläufern im Endothel der Kardinalvenen und der von ihnen abzweigenden Blutgefäße des Embryos abstammt, wie von Sabin postuliert. Ein kleiner Teil scheint jedoch zumindest in einigen Organen und Gewebetypen nichtvenösen Ursprungs zu sein.

Literatur: 

Florence Rena Sabin: The origin and development of the lymphatic system. Johns Hopkins Press, Baltimore 1913

Jan Kazenwadel, Natasha L. Harvey: Morphogenesis of the lymphatic vasculature: A focus on new progenitors and cellular mechanisms important for constructing lymphatic vessels. In: Developmental Dynamics. Band 245, Nr. 3, 1. März 2016, ISSN 1097-0177, S. 209–219, doi:10.1002/dvdy.24313

Jonathan Semo, Julian Nicenboim, Karina Yaniv: Development of the lymphatic system: new questions and paradigms. In: Development. Band 143, Nr. 6, 15. März 2016, ISSN 0950-1991, S. 924–935, doi:10.1242/dev.132431

The Florence R. Sabin Papers