Wie in den Notizen zu Schnorr et al. beschrieben, leben die Hadza-Jäger und -Sammler in Tansania vor allem von Knollen, Affenbrotbaum-Früchten (sehr reich an Vitamin C!), Honig und Wild, wobei die pflanzliche Kost übers Jahr gerechnet mit etwa 70% überwiegt und Frauen mehr ballaststoffreiche Pflanzenteile, Männer dafür mehr Fleisch zu sich nehmen.
Im Januar hat Jop de Vrieze in Science das Projekt des US-amerikanischen Anthropologen und Tropenmediziners Jeff Leach vorgestellt, der bei den Hadza nicht nur über zwei Jahre hinweg zahlreiche Stuhl- und Hautflora-Proben sowie Proben ihrer Nahrungsmittel und ihres Trinkwassers einsammelt, sondern auch selbst einen Monat wie die Hadza leben und die Auswirkungen auf sein eigenes Mikrobiom analysieren lassen will. Seine Motivation: Seine Tochter ist an Typ-1-Diabetes erkrankt, und er hofft auf neue Therapieansätze, da die Hadza viel seltener „moderne Krankheiten“ wie Diabetes, Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen bekämen als Menschen in Industriegesellschaften.
Mir kommt ein Monat viel zu kurz vor, zumal da sich gerade gezeigt hat, dass die Kost und die sonstige Lebensweise der Hadza stark von den Jahreszeiten abhängt. Dass ihr Mikrobiom eine so hohe Biodiversität und damit auch eine große Resilienz (Rückstellkraft bei Störungen) aufweist, dürfte gerade mit diesen Schwankungen zu tun haben: Je nach Lebensalter und Jahreszeit sind gerade andere Bakterien gefragt, die später evtl. wieder ins zweite oder dritte Glied zurücktreten, aber erhalten bleiben, um bei Bedarf wieder zu dominieren.
Leachs Hypothese: Die mikrobielle Verarmung, die mit unserer Lebensweise einhergeht (Kaiserschnitt, Antibiotika, antimikrobielle Reinigungsmittel, industriell gefertigte Nahrung usw.), führt zu einer Dysbiose und einer ständigen Entzündung im Darm, durch die Bakterienbestandteile ins Blut und in den restlichen Körper gelangten. Wenn sie bspw. in der Bauchspeicheldrüse von Immunzellen angegriffen würden, könne es zu Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes kommen. Um das zu überprüfen, hat er einen Abschluss in Mikrobiologie gemacht und das American Gut Project mitgegründet.
Neben den letzten etwa 200 sehr ursprünglich lebenden Hadza interessieren Leach auch diejenigen, die bereits schrittweise einen „westlicheren“ Lebensstil angenommen haben und z. B. Mais und Alkohol zu sich nehmen: Wie spiegelt sich das in ihrem Mikrobiom?
Traditionell lebende Hadza nehmen am Tag durchschnittlich etwa sieben Mal so viele Ballaststoffe zu sich wie US-Amerikaner, nämlich 75-100 Gramm – überwiegend aus Affenbrotbaum-Früchten. In der Regenzeit (Februar bis April) essen sie riesige Mengen an Honig. Wenn die Männer eine Antilope erlegt haben, essen sie beim Zerteilen rohes Fleisch einschließlich des Magens sowie den grünen, faserigen Inhalt des Dünndarms. Mit dem Inhalt des Magens reiben sie sich das Blut von den Armen. Bei diesem Prozess nehmen sie zahlreiche Mikroben aus dem Tier und dessen Verdauungstrakt auf. Beim Verteilen, Zubereiten und Verzehr des Fleischs geben sie einen Teil dieser Mikroben an die anderen Personen im Lager weiter.
Leach vermutete, dass das Mikrobiom der Hadza ganz stark und unmittelbar von ihrer Umwelt geprägt ist, also von den Keimen, die sie ständig aufnehmen, und formulierte einen Test dafür: Wenn Hadza-Männer und -Frauen trotz ihrer unterschiedlichen Ernährung dasselbe Mikrobiom hätten, spräche das für seine Annahme. Das ist inzwischen widerlegt: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Hadza-Mikrobiom.
In dem Artikel kommen auch Kritiker zu Wort: Die Evolutionsbiologin Marlene Zuk (die Autorin des Buchs „Paleofantasy“) weist darauf hin, dass die Evolution des Menschen mit Beginn der Landwirtschaft nicht geendet habe (Bsp.: Laktosetoleranz) und es daher nicht nötig sei, die Lebensweise unserer jagenden und sammelnden Vorfahren nachzuahmen. Der Anthropologe Brian Wood erklärt sich die Seltenheit von Krebs oder Herzinfarkten bei den Hadza zu großen Teilen mit ihrer mittleren Lebenserwartung von nur 34 Jahren (viele Unfälle usw.). Dass die Hadza in mancher Hinsicht gesünder seien als wir, könne einfach mit ihrer geringeren Kalorienzufuhr zusammenhängen: Sie sind schlanker als wir.
Der Anthropologe Hermann Pontzer findet es fragwürdig, aus dem Leben der Hadza Gesundheitsempfehlungen ableiten zu wollen. Er hält das Forschungsprojekt dennoch für sinnvoll, denn es könne zeigen, wie die – mutmaßlich universelle – alte Lebensweise mit ihrer starken Saisonalität und dem hohen Ballaststoffanteil in der Kost das Mikrobiom geprägt habe.
Die Analyse und weitere Erforschung der Proben, die Leach sammelt, übernimmt unter anderem das Team von Justin Sonnenburg an der Stanford University. Es wird keimfrei geborene Mäuse gezielt mit dem Hadza-Mikrobiom bzw. mit typisch „westlichem“ Mikrobiom animpfen und die Auswirkungen auf den Stoffwechsel und die Physiologie der Tiere untersuchen. Andere Forscher wollen ebenfalls an keimfrei geborenen Mäusen die Hypothese testen, dass Darmbakterien den sonst sehr schlanken Hadza-Frauen helfen, während der Schwangerschaft zuzunehmen.
Rob Knight von der University of Colorado und Jose Clemente vom Mount Sinai Hospital in New York City werden die Hazda-Daten mit US-amerikanischen Mikrobiom-Daten vergleichen.
Maria Dominguez-Bello von der New York University will die Daten von traditionell lebenden und bereits „verwestlichten“ Hadza vergleichen und auch Daten von indigenen Südamerikanern (Venezuela) zum Vergleich heranziehen, die ebenfalls eine erheblich vielfältigere Darmflora haben als typische US-Amerikaner. Sie will die Hypothese prüfen, dass afrikanische Mikrobiome am vielfältigsten sind, weil sie – anders als die europäischen und amerikanischen – nicht durch „evolutionäre Flaschenhälse“ ausgedünnt wurden (z. B. Out of Africa oder Überquerung der Beringstraße).
Wie immer sau interessant. – Kannst du bitte ganz kurz für mich erläutern, was der Kaiserschnitt an sich mit dem ganzen Thema zu tun hat bzw. wie sich ein Kaiserschnitt [direkt oder indirekt?] auf die Darmflora auswirkt? Das wäre toll!
Bei der Geburt schluckt ein Baby im Geburtskanal Bakterien – zwar überwiegend andere Arten als in der späteren Darmflora, aber eben ein „Starterkit“, das an ein Leben im Menschen angepasst ist und den bis dahin sterilen Verdauungstrakt besiedelt. Danach setzt eine ökologische Sukzession ein, bis sich nach einigen Jahren eine stabile „Erwachsenenflora“ herausgebildet hat. Beim Kaiserschnitt wurde lange Zeit nicht bedacht, dass dieses Starterkit fehlt – und durch „Zufallskeime“ aus der Luft, von der Haut des medizinischen Personals oder von anderen Oberflächen nicht vollständig ersetzt werden kann. (Soviel ich weiß, achtet man inzwischen darauf, direkt nach einem Kaiserschnitt Sekrete in den Mund des Babys zu übertragen. Das wäre jedenfalls eine Frage, die werdende Mütter ihren Ärzten vor einem Kaiserschnitt m. E. stellen sollten …)
Wow – danke für die Antwort! [Hatte ich vor der re:publica gar nicht mehr gesehen.] Das hätte ich nicht gedacht und werde mir das mal merken und hübsch verbreiten.