Buchbesprechung: Schneider/Jacobi/Thyen: Hormone – ihr Einfluss auf mein Leben

Buchcover SchneiderJacobi/Thyen: HormoneHarald J. Schneider, Nicola Jacobi, Joscha Thyen: Hormone – ihr Einfluss auf mein Leben. Wie kleine Moleküle Liebe, Gewicht, Stimmung und vieles mehr steuern

Springer 2020, ISBN 978-3-662-58978-6

Vorab: Diese Besprechung hätte längst fertig sein sollen, aber ich habe sehr mit dem digitalen Rezensionsexemplar gekämpft. In dem PDF konnte ich wegen des großen Wasserzeichens, das diagonal über jede Seite ging, nur mühsam, vielerorts auch gar keine Markierungen vornehmen. Das Wasserzeichen wurde ständig miterfasst und eingefärbt. Dafür können die Autor:innen natürlich nichts, aber ich habe mir geschworen, nie wieder ein Buch auf Basis eines solchen Rezensions-PDFs zu besprechen!

Da man mit dem Verlag Springer Nature eher Fachliteratur assoziiert, sei betont: „Hormone“ ist kein Fach-, sondern ein Sachbuch. Es ist auch für Nichtmediziner:innen gut lesbar – wohl auch deshalb, weil der Endokrinologe Harald J. Schneider es gemeinsam mit der Journalistin Nicola Jacobi verfasst hat. Hineinknien muss man sich in das Thema dennoch, denn unser Hormonsystem ist unglaublich komplex und steht zudem in ständiger Wechselwirkung mit weiteren komplexen Bereichen wie dem Immunsystem. Ohne Fachvokabular lassen sich solche Strukturen und Vorgänge nicht beschreiben, aber die Begrifflichkeit wird hier schrittweise eingeführt und gut erklärt.

Neben dem nüchternen und zugänglichen Stil erleichtern auch eine tabellarische Übersicht über unsere Hormone, eine klare Gliederung in vier Teile, Querverweise, kurze Zusammenfassungen am Ende der meisten der 53 Kapitel, ein Register, Literaturhinweise einschließlich vieler nützlicher Webadressen und etliche Strichzeichnungen den Zugang zum Thema und die spätere Weiternutzung des Buches, etwa als kompaktes Nachschlagewerk. Dass mir die schwarzweißen Strichzeichnungen von Joscha Thyen gefallen, ist kein Wunder: Sie sind stilistisch nicht weit von meinem Illustrationsstil entfernt, wenn auch professioneller und nicht so comicartig.

Die vier Teile des Buches behandeln

  1. das Hormonsystem und seine Organe,
  2. die Wirkung von Hormonen im Lauf unseres Lebens,
  3. Hormonstörungen und
  4. die häufigsten Fragen Betroffener aus der endokrinologischen Praxis.

Im ersten Teil (und an den passenden Stellen auch in den folgenden Teilen) wird deutlich, dass viele Erkrankungen und Gesundheitsprobleme des modernen Menschen mit der „Steinzeitlichkeit“ unseres Hormonsystems zusammenhängen, dessen stammesgeschichtliche Wurzeln in der tiefsten vormenschlichen Vergangenheit liegen: Es kann sich evolutionär nur äußerst langsam an veränderte Umweltbedingungen anpassen, etwa an die ständige Verfügbarkeit von Nahrung oder einen durch Kunstlicht und die heutigen Arbeitsbedingungen veränderten Tag-Nacht-Rhythmus. Das ist Wasser auf meine Mühlen; schließlich geht es in diesem Blog und in meinem Buch um die Evolutionsgeschichte und Ökologie des Immunsystems.

Der zweite Teil folgt einem Menschenleben von der Schwangerschaft über die Kindheit, Pubertät, sexuelle Reife und die Wechseljahre bis zum Alter. Aber auch die Fragen, wie Hormone unsere Psyche beeinflussen und warum wir uns so schwertun, unser Körpergewicht zu halten, werden hier abgehandelt. Das Kapitel über das Körpergewicht gibt einerseits einen guten Überblick. So werden die Rollen der Eiweiße und der Ballaststoffe als Sattmacher respektive Füllstoffe gut erklärt – wobei ich mir wegen meines besonderen Interesses am Immunsystem noch eine Erläuterung der Funktionen der Ballaststoffe für unsere Darmflora gewünscht hätte, etwa als Ausgangsmaterial für die bakterielle Produktion entzündungshemmend wirkender Botenstoffe.

Andererseits wirkt gerade dieses Kapitel wie mit der heißen Nadel gestrickt: Hier häufen sich Flüchtigkeitsfehler, im Abschnitt „Welches Körpergewicht ist normal?“ schließen die Absätze nicht logisch aneinander an, und hier wird auch eine einzelne kleine Kurzzeit-Studie zitiert (n = 20). Das ist gerade auf dem Gebiet der Ernährung nicht sinnvoll, wie etwa Bas Kast in seinem „Ernährungskompass“ überzeugend dargelegt hat. Ansonsten werden im Buch löblicherweise kaum einzelne Studien als Belege herangezogen.

Im dritten Teil stellen die Autor:innen dar, wann, wie, wo und warum das Hormonsystem entgleisen kann. Die oftmals noch unbefriedigenden oder nicht hinreichend erforschten Therapieoptionen werden nüchtern geschildert, ohne unberechtigte Hoffnungen zu schüren. Viele Erkrankungen wie die der Schilddrüse oder auch Diabetes werden knapp, aber gut erklärt. Für etliche Betroffene werden diese Kapitel dennoch unbefriedigend bleiben, weil sie es gerade ganz genau wissen wollen – aber das ist einem als Einführung und Überblick konzipierten Buch nicht vorzuwerfen.

Hier und da hätte man auf skurrile Nebenaspekte verzichten können. So enthält der an sich sehr gute Überblick über die möglichen Ursachen einer Unterzuckerung auch eine psychische Störung: Es gibt offenbar Menschen, die sich ohne medizinischen Bedarf Insulin spritzen, um sich selbst zu schaden. Das ist für Ärzt:innen sicher wichtig zu wissen – für Laien hingegen, die mit Unterzuckerung zu tun haben, eher nicht.

Auf der letzten Seite des Ausblicks schließlich sind die Autor:innen meines Erachtens einer Ente aufgesessen. Dort heißt es: „Neue Entwicklungen in Diagnostik und Therapie helfen dabei [nämlich bei der personalisierten oder Präzisionsmedizin]. Zum Beispiel die sogenannte Omik, ein ganzheitlicher, diagnostischer Ansatz, der den individuellen Besonderheiten jeder einzelnen Patientin und jedes einzelnen Patienten Rechnung trägt. Die Omik (auf Englisch „omics“) leitet sich vom Indischen Sanskrit-Wort „Om“ ab, was so viel bedeutet wie Vollkommenheit und Fülle.“ Das geht wohl auf einen launigen Kommentar von Joshua Lederberg und Alexa T. McCray in „The Scientist“ (2001) zurück, die diese vermeintliche Etymologie aber nicht ernst gemeint haben. Das Proteom, das Mikrobiom und all die anderen „Ome“ der letzten Jahre sind Analogiebildungen zum Wort Genom, und dieses wiederum wurde von Hans Winkler 1920 vermutlich in Analogie zum Chromosom benannt.

Aber das sind Kleinigkeiten, die sich im Zuge einer zweiten Auflage ohne Mühe beheben lassen. Alles in allem kann ich „Hormone“ als kompakte, gut lesbare und erschwingliche Einführung ins Thema empfehlen. (eBook: € 14,99, Softcover: € 19,99)

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