[Zweitveröffentlichung eines Artikels, den ich für das diesjährige Bücherfrauen-Magazin geschrieben habe]
Ende Mai lief die Finanzierungsphase für die „Freienbibel“ aus: ein voller Erfolg. Auf der Plattform Krautreporter, die sich auf die Crowd-Finanzierung journalistischer Projekte spezialisiert hat, hatten 428 Menschen eine der ausgelobten Prämien vorbestellt und so fast 13.700 Euro zusammengetragen, mit denen der Verein Freischreiber nun sein Handbuch für freie Journalistinnen und Journalisten verwirklichen kann.
Von Crowdfunding dürften mittlerweile die meisten gehört haben. Bei dieser überwiegend über das Internet abgewickelten Form der Projektvorfinanzierung steuern zahlreiche locker vernetzte Personen zumeist kleine Beträge bei und erhalten im Gegenzug Prämien. Das unterscheidet Crowdfunding einerseits vom Spendensammeln, bei dem die Geber nur ein „gutes Gefühl“ und eine Spendenquittung erhalten, und andererseits vom Crowdinvesting, bei dem sie Unternehmensanteile oder Gewinnbeteiligungen erwerben.
Auf den meisten Crowdfunding-Plattformen gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip: Wenn nicht mindestens die vorab bekannt gegebene Zielsumme erreicht wird, erhalten die Unterstützer ihre Beiträge zurück, denn mit einem Bruchteil des geplanten Budgets lassen sich viele Projekte nicht ordentlich realisieren. Das hält die Projektbetreiberinnen dazu an, gut zu planen und kräftig die Werbetrommel zu rühren.
Abgesehen von der Dynamik sozialer Netze und der technisch leichteren Abwicklung der Transaktionen ist das Prinzip in der Buchbranche nicht neu: Seit der Aufklärung wurde so manche aufwändige Publikation durch Subskription ermöglicht. Dennoch ist die Zahl der Bücher, die auf diese Weise realisiert wurden, in Deutschland auch drei Jahre nach dem Start der ersten Crowdfunding-Plattformen noch überschaubar.
Etliche weitere Buchprojekte stecken noch in der Pipeline – so auch mein Autoimmunbuch, das nach der erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne im Frühjahr 2011 eigentlich längst hätte erschienen sein sollen. Meine Unterstützerinnen und Unterstützer, die ich über die Gründe für die Verspätung informiert habe, bleiben gelassen. Sowohl die Verzögerung als auch die Geduld der Crowd sind typisch: Einer wissenschaftlichen Erhebung zufolge werden die Produkte bei drei Viertel aller Kampagnen später als geplant fertig.
Crowdfunding ist kein Nischenphänomen mehr. 2012 haben allein bei der größten amerikanischen Plattform Kickstarter über zwei Millionen Menschen 320 Millionen US-Dollar an gut 18.000 erfolgreiche Projekte verteilt. Von solchen Größenordnungen sind wir in Deutschland noch weit entfernt: Etwa 1,95 Millionen Euro wurden hier 2012 über die fünf Plattformen Startnext, VisionBakery, Inkubato, Pling und MySherpas an 494 erfolgreiche Projekte ausgeschüttet. (MySherpas gibt es inzwischen nicht mehr.)
Bei der größten deutschen Plattform, Startext, liegt die Erfolgsquote in der Kategorie Literatur bei 37 % und in der Kategorie Journalismus bei 33 % – also deutlich unterhalb der über alle Projekte ermittelte Erfolgsquote von 50 %. Bei Kickstarter sah es 2012 ähnlich aus: Von 5634 Kampagnen in der Kategorie Publishing erreichten 1666 ihr Ziel, also knapp 30 %, während beispielsweise gut 55 % aller Musikkampagnen erfolgreich endeten.
Warum tun sich Buchprojekte beim Crowdfunding so schwer? Zum einen ist ein vergleichsweise großer Teil der Buchliebhaberszene nicht internet-affin: So manche tut sich schwer mit der Datenspur, die sie beim Crowdfunding hinterlässt, und mit dem Online-Bezahlen. Zum anderen sind Bücher für viele Crowdfunding-Fans keine attraktiven Prämien; technische Gimmicks, Filme, Spiele usw. üben einen größeren Reiz aus. Bei einem Buchprojekt ist die wichtigste Prämie naturgemäß das fertige Buch – aber wie gestaltet man die restliche Prämienstaffel aus? Üblicherweise erhalten Unterstützer umso wertvollere Gegengaben, je mehr sie zahlen. E-Book, Taschenbuch, Hardcover, Schmuckausgabe im Schuber – so eine Staffel ist aufwändig herzustellen und auch ein wenig monoton.
Andersherum gefragt: Was zeichnet erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen für Bücher aus? Die Kampagne für die Freienbibel war mustergültig. Das Ziel war mit 7000 Euro realistisch angesetzt: Fünfstellige Zielsummen sind bei Buchprojekten noch unüblich, obwohl ein gutes Buch fast nie mit einer vierstelligen Summe zu realisieren ist, sodass Crowdfunding nur einen Teil der Kosten decken kann. (Der erreichte Endstand von 13.697 Euro liegt knapp oberhalb des meines Wissens bis dahin größten Buch-Crowdfundings in Deutschland: des Hartz-IV-Möbel-Buchs mit 13.159 Euro. Einen knapp fünfstelligen Endstand kann auch der „Schulbuch-o-mat“ verbuchen, ein freies Biologie-Lehrbuch – danach wird es schon vierstellig.)
Weitere Erfolgsfaktoren waren ein authentisches Pitch-Video, das die Menschen hinter dem Projekt vorstellt, eine pfiffig mit dem Buchtitel spielende Prämienstaffel (Ablasskarte, Taschenbibel, Missionsbibel usw.), der unmittelbare Nutzwert des Buches, die Bekanntheit der Macherinnen und Macher in der Zielgruppe und in den Social Media, ihr Selbstvermarktungs-Know-how, die direkte Kommunikation mit Interessenten und Kritikern, der emanzipatorische Charakter des Projekts (eine „gute Sache“, für die sich viele gerne einsetzen) und nicht zuletzt die Entscheidung für eine Plattform, die sich auf Journalismus spezialisiert hat: Krautreporter.
Viele dieser Faktoren finden sich auch bei anderen erfolgreichen Projekten. Le Van Bo, der Autor des Hartz-IV-Möbel-Buchs, ist darüber hinaus ein begnadeter Netzwerker, der seine Crowd in nahezu alle Entscheidungen eingebunden, also das Crowdfunding um ein intensives Crowsourcing ergänzt hat.
Ein weit verbreitetes Vorurteil gegen Crowdfunding bestätigt sich übrigens nicht, wenn ich den Blick über die Bücher schweifen lasse, die ich finanziell unterstützt habe: dass sie einem Massengeschmack genügen müssten. In meinen Regalen stehen unter anderem ein dickes Handbuch des Journalismus im digitalen Zeitalter, ein leinengebundenes Kunstfotobüchlein, ein Ratgeber über Webtypografie, ein zauberhaft illustrierter Gedichtband und eine Graphic Novel über eine Boulevardzeitung des 18. Jahrhunderts. Auch absolute Nischenprojekte wie ein Trans-Männer-Brevier haben beim Crowdfunding gute Chancen: Die Zielgruppe ist vielleicht klein, aber gut vernetzt und hochmotiviert.
Für Bücher mit breit angelegter Zielgruppe ist Startnext wegen seiner Größe und Bekanntheit eine geeignete Plattform. Für journalistische Sachbücher empfehlen sich die Krautreporter, für Projekte mit regionalem Bezug Plattformen mit regionalem Schwerpunkt. So war „Ein neues Zuhause für die Bücherkinder“ auf der Leipziger Plattform VisionBakery sehr gut aufgehoben. Bei wissenschaftlichen Vorhaben kommt auch die Plattform Sciencestarter in Betracht. Unter dem Titel „There is Literature in Africa?!“ hat dort zum Beispiel eine Doktorandin Gelder für eine Forschungsreise nach Senegal angeworben.
Crowdfunding wird gerne mit Self Publishing in einem Atemzug genannt, aber dieser Zusammenhang ist nicht zwingend: Es gibt auch Verlage, die sich an dieser Finanzierungsform versuchen, und Autoren, die trotz Crowdfunding zu einem etablierten Verlag gehen. Auch Dienstleister wie Epubli sind eine Option. Gute Informationen über Self Publishing bietet die gleichnamige Facebook-Gruppe. Auch die Facebook-Gruppe Crowdfunding ist sehr hilfreich. Weitere Tipps aus der Praxis finden sich auf den Websites der Plattformen.
Ganz gleich, für welchen Weg man sich entscheidet: Crowdfunding spielt sich nicht im rechtsfreien Raum ab. Von den eingesammelten Beträgen sind diejenigen, die mit einer materiellen Prämie belohnt werden, steuerbare Einnahmen. (Erschöpft sich die Belohnung in einer Danksagung, so ist die Zuwendung im Allgemeinen nicht steuerbar.) Vorsicht beim Mehrwertsteuersatz: Ist die Prämie ein Buch, so sind 7 % der Unterstützung als Umsatzsteuer abzuführen; bei einem T-Shirt o. ä. sind dagegen 19 % anzusetzen. Crowdfunding-Einnahmen, die einem künstlerischen oder publizistischen Vorhaben zuzuordnen sind, akzeptiert die Künstlersozialkasse als Teil des Versicherteneinkommens.
Auch gut vorbereitete und intensiv beworbene Kampagnen für Bücher können scheitern. Das Schöne: Dieses Scheitern ist zugleich ein Erfolg, denn sonst wären viel Zeit, Geld und Herzblut in Bücher gesteckt worden, die wie Blei in den Regalen gelegen hätten. Die Projekte können rechtzeitig ad acta gelegt oder so modifiziert werden, dass sie doch noch ihre Zielgruppe finden. Crowdfunding ist immer auch Marktforschung und vorweggenommenes Marketing. Wer diese Dimensionen ausblendet und nur auf den schnellen Euro schielt, sollte sich nach einer anderen Finanzierungsmethode umsehen, denn dafür sind Crowdfunding-Kampagnen zu arbeitsintensiv und nervenaufreibend. Die Crowd schießt nicht nur Geld vor, sondern auch Vertrauen, Know-how, konstruktive Kritik, Dienstleisterkontakte und die Bereitschaft zur Mundpropaganda.
Ungeeignet sind Nullachtfünfzehn-Bücher, für die man selbst keine echte Leidenschaft aufbringt. Auch sehr introvertierte Menschen sollten vom Crowdfunding Abstand nehmen, denn ohne intensive Vernetzung, offensive Bekanntmachung und persönliche Statements geht es nicht.
Wer sich exponiert, macht sich angreifbar. So wurde die amerikanische Feministin Anita Sarkeesian, die ihr Videoprojekt zu Geschlechterklischees in Computerspielen über Kickstarter finanziert hat, für zahlreiche männliche Spieler und Trolle zum Hassobjekt. Ihr Wikipedia-Eintrag wurde verwüstet, pornografische Karikaturen machten die Runde, sie erhielt bergeweise aggressive Zuschriften und Bilder, ihre YouTube-Videos wurden durch Missbrauch der Meldefunktion blockiert usw. Statt vor dieser erschreckenden Flut zu kapitulieren, hat sie sich entschieden, das sexistische Mobbing in ihre Projekt einzubeziehen: Nichts belegt besser, dass die Spieleszene tatsächlich ein Sexismus-Problem hat.
Dennoch: Crowdfunding ist eine interessante Option für viele Buchprojekte. Die wichtigste Voraussetzung hat ein Projektstarter in einer Diskussion auf den Punkt gebracht: „You just need a damn good story to tell.“