Vincenzi Bassi et al.: Autoimmune thyroid diseases and Helicobacter pylori: The correlation is present only in Graves’s [sic!] disease. World J Gastroenterol 18/10, 2012, 1093-1097, doi: 10.3748/wjg.v18.i10.1093 (Open Access)
[Bewertung vorweg: gute Arbeit zu Unterschieden zwischen den beiden wichtigsten Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (Morbus Basedow und Hashimoto-Thyreoiditis), zur Möglichkeit von Kreuzreaktionen/molekularer Mimikry und zu Th1 vs. Th2. Ob H.-pylori-Infektionen Morbus Basedow wirklich fördern oder eher ein Epiphänomen der Autoimmunerkrankung sind, bleibt letztlich offen.]
Abstract: 112 PatientInnen (48 Frauen und 4 Männer mit M. Basedow, 54 Frauen und 6 Männer mit Hashimoto-Th.) unmittelbar nach der Diagnose; Test auf H. pylori in frischen Stuhlproben und bei Hinweisen auf eine laufende Infektion ELISA-Analyse des Serums auf Gegenwart der besonders aggressiven Cag-A-Stämme des Magenbakteriums. Signifikante Korrelation zwischen Gegenwart von H. pylori bei M. Basedow, nicht aber Hashimoto-Thyreoiditis.
Einleitung: Marker von AIE der Schilddrüse: Autoantikörper gegen Tg, TPO und TR. Einige Bakterien und Viren stehen im Verdacht, das Antigenprofil der Schilddrüsenzellmembran zu imitieren (molekulare Mimikry). H. pylori ist in Industriestaaten bei bis zu 50% der Bevölkerung nachweisbar, befällt meist Magenschleimhaut; am virulentesten: Stämme mit dem cytotoxinassoziierten Gen A (Cag-A). Ziel der Studie: Prävalenz von H. pylori bei Morbus Basedow und Hashimoto-Thyreoiditis mit Prävalenz in gematchter gesunder Kontrollgruppe vergleichen.
Material und Methoden: Mittl. Alter bei Diagnose: M. Basedow 48,8 Jahre, Hashimoto-Th. 50,2 Jahre. Inklusionskriterien u. a. Abwesenheit von Magenverstimmungen und -erkrankungen. Diagnose M. Basedow: hyperthyreoid (TSH supprimiert, FT3 und FT4 erhöht), positive Titer von TPOAbs, TgAbs und TRAbs. Diagnosekriterien Hashimoto-Th.: TSH über 35 mU/ml (sehr hoch, um H.-Th. sicher gegen andere Formen der Hypothyreose abzugrenzen) , FT3 und FT4 erniedrigt, positive Titer von TPOAbs und TgAbs, echoarme Schilddrüse. H. pylori wurde in frischen Stuhlproben , Cag-A-Antikörper wurden im Serum nachgewiesen.
Ergebnisse: 82% der Morbus-Basedow-Patienten, 46% der Hashimoto-Patienten und 43% der Kontrollgruppe hatten H. pylori im Stuhl. Unter den H.-pylori-positiven Personen hatten 83,7% der Morbus-Basedow-Patienten, 89,2% der Hashimoto-Th.-Patienten und 48,8% der Kontrollgruppe Cag-A-Antikörper im Serum. Der Antikörpertiter war in allen drei Gruppen ungefähr gleich.
Diskussion: Widersprüchliche Resultate früherer Studien u. U. durch unterschiedliche Nachweismethoden. Serologische Antikörpertests unterschieden z. B. nicht zwischen vergangener und derzeitiger Infektion. Außerdem wurden vielleicht auch Patienten mit subklinischer oder einfacher Hypothyreose erfasst und nicht nur sichere Hashimoto-Fälle. In der aktuellen Studie sind Hashimoto-Patienten nicht signifikant häufiger mit H. pylori infiziert als die Kontrollgruppe.
Hashimoto-Th. ist durch ein Th1-Profil (zelluläre Abwehr, Produktion von IL-2, IFN-γ, TNF-α) geprägt, Morbus Basedow durch ein Th2-Profil (humorale Abwehr, Produktion von TRAbs oder TSH-Rezeptor-blockierenden Antikörpern und IL-4, IL-5, IL-6 sowie IL-10). Auch die entgegengesetzte Schilddrüsenfunktionsabweichung selbst (Hyperthyreose bei M. Basedow, Hypothyreose bei Hashimoto) könnten sich auf die Wahrscheinlichkeit einer H.-pylori-Infektion auswirken.
In beiden Gruppen waren allerdings die aggressiven Cag-A-Stämme signifikant häufiger nachzuweisen als bei den Infizierten aus in der Kontrollgruppe. Wichtiger Schritt bei der Etablierung einer H.-pylori-Infektion: glycokonjugatvermittelte Adhäsion der Bakterien an die Magenschleimhaut. Man hat zwei unterschiedliche Adhäsine in H. pylori nachgewiesen. Faktoren wie Hyperthyreose oder die Produktion von Zytokinen der humoralen Abwehr könnten das Profil der in der Magenschleimhaut exprimierten Adhäsionsmoleküle verändern und so die Bindung der Bakterien erleichtern, womöglich bevorzugt die Bindung von Cag-A-positiven Stämmen.
Bei Morbus-Basedow-Patienten wurden auch erhöhte Titer von Antikörpern gegen einige andere Bakterien nachgewiesen, und in vielen grampositiven und gramnegativen Bakterien wurden Antigene gefunden, die an TSH binden können. Cag-A-positive H.-pylori-Stämme wiesen auch eine gewisse Nukleotidsequenzähnlichkeit mit der TPO-Sequenz auf. Es könnte also zu einer Kreuzreaktivität der Antikörper kommen, die bei einer Infektion gegen H. pylori gebildet werden – so, wie das Bakterium ja auch bei Autoimmunerkrankungen des Magens die Bildung von Autoantikörpern gegen die körpereigene H+K+-ATPase auslöst.
Es kann sein, dass die H.-pylori-Infektion dem Ausbruch der Autoimmunerkrankung um viele Jahre vorangeht. Evtl. wäre es sinnvoll, Kinder mit sehr hohem Morbus-Basedow-Risiko therapeutisch von H. pylori zu befreien. Vielleicht werden Morbus-Basedow-Patienten aber auch einfach leichter infiziert. Die Gegenwart von H. pylori wäre dann ein reines Epiphänomen.