Diese Studie ist leider hinter einer Bezahlschranke versteckt – wie so viele Forschungsarbeiten, die aus öffentlichen Mitteln (also letztlich aus unseren Steuern und Abgaben) finanziert werden. Daher stelle ich nur die Zusammenfassung vor.
Grigoris Effraimidis et al. (2012): Involvement of stress in the pathogenesis of autoimmune thyroid disease: A prospective study. Psychoneuroendocrinology, available online 5 January 2012, http://dx.doi.org/10.1016/j.psyneuen.2011.12.009
Zahlreiche Studien scheinen darauf hinzudeuten, dass Stress Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (vor allem Morbus Basedow, eine durch Autoimmunreaktionen bedingte Überfunktion der Schilddrüse) fördert. Allerdings wurden bei all diesen Studien bereits Erkrankte nachträglich zu Stress-Ereignissen in der Zeit kurz vor dem Ausbruch der Erkrankung befragt, was aufgrund der oftmals langen und unerfreulichen Zeit zwischen mutmaßlichem Ausbruch und korrekter Diagnose zu Verzerrungen führen kann.
Die Autoren haben daher eine prospektive Studie durchgeführt: Sie haben zahlreiche Frauen mit zunächst normalen Schilddrüsen- und Autoantikörperwerten, bei deren Angehörigen bereits Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow) aufgetreten waren, über längere Zeit begleitet. Die Personen, bei denen sich fünf Jahre nach Studienbeginn TPO-Antikörper (Antikörper gegen ein Schilddrüsenhormon, also Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse) gebildet hatten, hatten nicht mehr Stress erlebt als jene, bei denen nach wie vor keine TPO-Antikörper nachzuweisen waren.
Bei den Befragungen wiesen die Teilnehmerinnen mit Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse und die Kontrollgruppe keine Unterschiede im Stress-Level auf. Allerdings hatten Teilnehmerinnen mit einer Unterfunktion (Hypothyreose) zum Zeitpunkt der Diagnose weniger negative Gefühle. [Da man sich bei einer Hypothyreose oft benebelt fühlt und sowohl positive als auch negative Empfindungen gedämpft sind, wundert mich das nicht – AK.]
Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass Stress nicht an der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse beteiligt sei.
Ich frage mich ob die bei diesen Stress-Theorien die Aktivität der Amygdala oder andere Objetive Parameter genommen wurden. M.E. sagt das Subjektive Stressempfinden nix aus…
Gruß Abdul.
Hallo Abdul,
ich als Hardcore-Naturwissenschaftlerin muss nun also die Stresstests der Psychologen verteidigen. Also: muss nicht, will aber – in diesem Fall.
Einige Heinzelmännchen haben neulich nachts den kompletten Artikel vor meiner Türschwelle abgelegt, sodass ich nachsehen konnte, wie das Stressniveau zu Beginn der Studie ermittelt wurde. Das Team hat – wir ahnten es schon – die Teilnehmer der Studie nicht einfach gefragt, wie es ihnen so geht, sondern ihnen eine Reihe etablierter Fragebögen vorgelegt – nach meinem Eindruck so viele, dass das Ausfüllen selbst schon als Stressereignis durchgeht:
* Dutch questionnaire on Recent Experienced Stressful Life Events (van de Willige et al., 1985; Brosschot et al., 1994)allein diese mit 114 Items!
* Dutch Everyday Problem Checklist, a validated version of the daily hassles scale (Kanner et al., 1981; Vingerhoets et al., 1989, 1996) –
* Positive and Negative Affect Schedule (PANAS, Watson et al., 1988)
Stress ist nun mal ein Begriff, der sich sowohl psychologisch als auch physiologisch definieren lässt – jeweils auf mannigfaltige Weise – und bei dem unklar bleibt, wie diese Definitionen aufeinander abzubilden sind. Wenn wir uns fragen, ob Stresserlebnisse Auslöser oder gar Mitursachen von Autoimmunerkrankungen sein können, wäre es unsinnig, sich auf die physiologische Seite zu beschränken.
Denn selbst wenn man nachwiese, dass bestimmte Amygdala-Aktivitäten oder Cortisol-Ausschüttungen häufig einem Ausbruch vorangehen, wäre unklar, welche Ereignisse im Leben der Betroffenen diese Aktivität ausgelöst haben – und welche Art von Ereignissen Personen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko folglich meiden sollten. Um die subjektive Erlebnisqualität „Stress“ kommen wir m. E. nicht herum.
Zudem: Zu welchen Zeitpunkten während der initialen Befragung und im Verlauf des 5-jährigen Follow-up hätte man die physiologischen Parameter bei den 521 Versuchsteilnehmern messen sollen? Typische Stressphasen in unserem Leben sehen ja anders aus als im Tierversuch, bei dem man eine Maus mal kurz auf eine heiße Platte setzt, und auch anders als in Exerimenten, bei denen man Studenten mal fünf Minuten lang Horrorfilmausschnitte oder Kriegsfotos zeigt, um anschließend den Cortisolgehalt ihres Speichels zu messen. Der Aufwand wäre immens, und man könnte sich dennoch nicht sicher sein, dass man die richtigen Augenblicke erwischt hat.
(Ganz abgesehen von der Frage, welches der drei bis fünf – in Ausnahmefällen sogar sieben – Gehirne man hätte anzapfen sollen.)
Nun um die letzte Frage vorweg zu nehmen: Was mich betrifft: Natürlich alle Gehirne, auch die im Bauch 🙂
Sicherlich bin ich in dieser Art von wissenschaftlichem Disskurs nicht so fest und sehe vieles eher von der praktischen Seite und beschränke mich auf Arbeitshypothesen, die für mich das Beobachte untermauern.
Des Weiteren ist das Thema „Wie wirkt sich (chronischer) Stress auf die Regulatiosnfähigkeit des menschlichen Körpers aus“ noch recht neu. Ich benutze den Begriff „chronischer Stress“ um den Begriff Trauma nicht zu strapazieren, gerade hier geht es mir um die Small-Traumata.
Ich glaube wir kommen keinen deut weiter, wenn wir davon ausgehen, das es das eine Ereigniss gibt, das a. Immer gleich ist z.B. Verlust vom Partner b. Immer zu einer Autoimmunkrankheit führt
Da alle Menschen keine Automobile sind oder Mäuse, müssen wir einfach von einer individuellen Beantwortung eines Stress-Reizes ausgehen.
Wenn ich zwei Personen nehme, gerne auch Zwillinge, und sie identischen Reizen aussetzte, dann wird die Antwort jedes Körpers verschieden sein. Und wenn sich bei z.B. einem der Zwillinge eine autoiummune Reaktionslage ausbildet, weiss ich nur, das die Antwort auf die Reize verschieden ist.
Ich weiss das die Stress-Resilienz eines Systems wahrscheinlich größer ist als in dem anderen System.
Dabei kann ich nichts darüber aussagen, ob es das eine besondere Ereigniss ist oder die Summe der anderen.
Leider kenne ich keinen guten, günstigen und validen Parameter, der die aktuelle Stressbelastung des Körpers darstellt.
Auch wenn Du expliziet halb esotherische Modelle wie „Die Krankheit als Weg“ ablehnst, ich im wesentlichen auch, müssen wir uns trozudem mit den intrapersonalen Gegebenheiten eines jeweiligen Systems auseinander setzten.
Abschließend und anschließend möchte ich eine Definition von „Stressor“ wagen:
– Intrapersonale Gegebenheiten => u.a. z.B. Glaubenssätze
– Klassische Trauma (z.b: Trennung, Gewalt)
– Klassische Traumen (Operationen)
– Infektionen
– Belastung mit Xenobiotika
– Small-Traumata (u.a. z.B. Peinlichkeiten, lange Belastende Lebensphasen (z.B. Projektarbeit)
Vielen Dank und Gruß Abdul
In Ermangelung eines andern „guten, günstigen und validen“ objektiven Parameters, um die Stressbelastung zu erfassen, sind Befragungen auf der Grundlage bewährter psychologischer Fragebögen m. E. ein brauchbarer Proxy. Denn dabei wird ja nicht mechanisch abgefragt, wie viele Leute z. B. in letzter Zeit gestorben sind oder ob man auf der Arbeit sehr viel um die Ohren hatte, sondern eher, wie stark einen dies und jenes mitgenommen hat. Das heißt: Es wird nicht vorgegeben, was man gefälligst als stressig zu empfinden hat, sondern man versucht zu ermitteln, was einen tatsächlich belastet.
Hier noch ein Link auf einen älteren Artikel zum Thema Stress und Autoimmunerkrankungen.
Nun, da ich weder den Fragebogen noch die Begründung der Methodenwahl kenne ist es schwer etwas darüber zu sagen.
Jedoch:
Wenn ich keinen Parameter habe, den ich valide messen kann, warum mache dann eine Studie, es sei denn ich habe Geld, das weg muss oder ich will etwas belibiges Beweisen (Aus Falschem folgt Beliebiges)
Ich halte dieses Vorgehen für höchst bedenklich.
Warum ist es falsch einen subjektiven Parameter, der auf die Verbalisierungsfähigkeit und Empfindungsfähigkeit der Betroffenen angewiesen ist, zu benutzen:
Wie m.E. hinreichend aus den Untersuchungen von
Francine Shapiro, Peter Levine, u.a. nachgewiesen ist, sinkt die
eigene Körperwahrnehmung und Körperverbalisierung mit steigendem Stress.
Warum bedenklich:
Das TH1/TH2 Modell ist ein wirklich schönes Modell zum Erklären bestimmter Phänomene, es ergibt sich daraus derzeit jedoch noch keine direkte therapeutische Konsequenz.
Und aus einer falschen Schlussfolgerung wird (wieder wie so oft) in der vermeindlich falschen Ecke geschaut.