Nach langer Pause fange ich wieder an mit kleinen Hinweisen auf von Fachartikeln oder Sekundärliteratur rund um Autoimmunerkrankungen, Evolution des immunsystems usw. Dabei bleibe ich an der Oberfläche, denn diese Beiträge sollen so schnell entstehen, dass sie das Weiterschreiben an Band 2 nicht beeinträchtigen.
Von diesen Zusammenfassungen erhoffe ich mir, dass neu entdeckte Fachliteratur, die nicht direkt zu dem Buchkapitel passt, an dem ich gerade schreibe, mir so besser im Gedächtnis bleibt. Und dem Blog tun neue Inhalte sicher auch ganz gut – obwohl die Zugriffszahlen in den letzten Jahren, in denen hier wenig passiert ist, mich immer wieder positiv überraschen. (Es sind derzeit über 40.000 Zugriffe im Monat.) Los geht’s!
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Im März 2025 hat Shelby Bradford in The Scientist eine Arbeit des Teams um Esther Melamed an der Universität von Texas zusammengefasst, die ein Thema aufgreift, das auch hier im Blog schon öfter Thema war: molekulare Mimikry. Viren können Aminosäuresequenzen oder die dreidimensionale Gestalt von Proteinen ihrer Wirte nachahmen, um von deren Immunsystem nicht als fremd erkannt und bekämpft zu werden. Manchmal schlägt unser Immunsystem aber doch Alarm. Und das kann Autoimmunstörungen auslösen, weil dann nicht nur die fremden Eindringlinge bekämpft werden, sondern auch unsere eigenen Zellen, die ja die nachgeahmten Vorbild-Proteine enthalten. Das Prinzip ist lang bekannt, aber es gab nur wenige eindeutige Belege – im Grunde nur die Korrelation von bestimmten Herpesviren (EBV) mit Multipler Sklerose.
In der Zeit der Corona-Maßnahmen war an Forschung in Präsenz, etwa im Labor, phasenweise nicht zu denken – also hat sich das Team auf die Remote-Auswertung von Datenbanken gestürzt. Die Grundidee: Während man früher vor allem die dreidimensionale Gestalt von Proteinen aus Viren und ihren Wirten verglichen hat, weil Antikörper nun mal an räumliche Strukturen binden, lohnt sich auch die Suche nach linearen Sequenzen von 8 bis 18 Aminosäuren Länge. Denn T-Zellen erkennen solche linearen Proteinschnipsel – und können, wenn sie autoreaktiv sind, ebenso Autoimmunstörungen auslösen wie autoreaktive B-Zellen.
Das Resultat: Viele Viren, die Menschen chronisch infizieren, vor allem aus den Familien Herpesviridae und Poxviridae, enthalten solche Mimikry-Sequenzen. Die nachgeahmten Proteine sind in unseren Zellen vor allem für Zellteilung und für Entzündungsreaktionen zuständig, und ihre Gene liegen auf allen möglichen Chromosomen – aber nur selten auf dem Y-Chromosom. Offenbar gab es einen Selektionsdruck auf die Viren, Proteine nachzuahmen, die in möglichst vielen Zelltypen vorkommen, und zwar bei allen Menschen, nicht nur bei Männern.
Das Team hat diese Mimikry-Sequenzen auch mit den menschlichen Genen verglichen, die in unseren Thymuszellen exprimiert werden, um dort autoreaktive T-Zellen auszusortieren. Die Überlappung ist groß, sodass T-Zellen, deren Rezeptoren auf die Erkennung dieser körpereigenen und zugleich von Viren nachgeahmten Sequenzen spezialisiert sind, eigentlich eliminiert werden sollten. Allerdings verläuft der Sortierprozess bekanntlich unvollkommen, sodass zahlreiche potenziell autoreaktive T-Zellen übrig bleiben. Bei einer Infektion mit einem Virus, das diese Sequenzen enthält, können sie aktiviert werden und Autoimmunerkrankungen auslösen.
(Die Originalarbeit habe ich nicht gelesen; mir reicht vorerst die Darstellung in The Scientist.)