Margaret McFall-Ngai hat 2007 eine provokante Antwort auf diese Frage zur Diskussion gestellt. Von der Beobachtung ausgehend, dass in und auf Menschen über 2000 nützliche Bakterienarten leben, aber nicht einmal 100 bakterielle Krankheitserreger bekannt sind (bzw. 2007 bekannt waren), vermutete sie, dass die erworbene Immunabwehr mit ihrer Gedächtnisfunktion weniger der Bekämpfung der wenigen Pathogene dient als vielmehr der Erkennung all der Bakterien, die mit uns in Symbiose leben und wegen des ständigen engen Kontakts zu unserem Gewebe gelegentlich in Körperregionen eindringen, in denen sie nichts zu suchen haben.
Während Wirbeltiere generell mit artenreichen Mikrobengemeinschaften in Symbiose leben, sieht das bei den Wirbellosen (also der überwältigenden Mehrheit aller Tiere) anders aus: Zwar beherbergen auch sie oftmals Dutzende von Bakterienarten, aber die meisten davon sind „Touristen“ oder Durchreisende, während die Wirbeltier-Mikrobenflora relativ stabil oder „sesshaft“ ist. Wirbellose halten ihre wenigen echten Mitbewohner mühelos in Schach, indem sie sie in fest umhüllte (z. B. mit Chitin ausgekleidete) Kompartimente einschließen, sie in ihre Zellen aufnehmen, wo sie für das Immunsystem unsichtbar sind und daher keine verheerenden Abwehrreaktionen auslösen, oder sie spezifisch erkennen und für ihre angeborene Immunabwehr als ungefährlich kennzeichnen.
Bei den Wirbeltieren mit ihrer viel größeren Zahl unentbehrlicher Partner würden diese Mechanismen nicht ausreichen. Daher haben sie mit der adaptiven Immunabwehr ein flexibleres, leistungsfähigeres System zum Mikrobiom-Management entwickelt. Der Preis dafür: gelegentliche Überreaktionen, die zu Autoimmunerkrankungen führen.
Lit.: M. McFall-Ngai, „Care for the community“, Nature 445, Januar 2007, S. 153.