„Gesundheit als Erbe der Evolution“ lautet der Untertitel dieses allgemeinverständlichen Sachbuchs, das 2009 bei Piper erschien und dessen Taschenbuchausgabe (2011, € 9,95) ich neulich erworben habe, um zu prüfen,
- wie weit sich der Inhalt mit meinem Vorhaben überschneidet,
- wie populär der Text gehalten ist und
- welche der im Anhang genannten Fachartikel ich mir besorgen sollte.
Ich habe es nicht sehr gründlich und auch nicht vollständig gelesen. Den allgemeinen Verlauf der Evolution vom Einzeller bis zum Menschen beispielsweise muss ich als studierte Biologin nicht zum x. Male rekapitulieren. Einige Passagen – und auch die typografisch abgesetzen Wiederholungen von „Schlüsselzitaten“ auf vielen Zeiten – erweckten bei mir den Eindruck von Seitenschinderei.
Dennoch gibt das Buch Einsteigern einen guten Überblick; es liest sich flüssig; die 357 Literaturangaben und das Stichwortverzeichnis machen es zu einem geeigneten Einstieg in die vertiefende Fachlektüre.
Autoimmunkrankheiten und verwandte Themen wie Allergien werden zum einen im Kapitel „Planet Mensch“ erwähnt, in dem es um unsere zahlreichen bakteriellen Mitbewohner geht: Die ungestörte Entwicklung der natürlichen Darmflora – angefangen mit der Geburt, bei der das Baby nützliche Keime aus der Vagina der Mutter verschluckt – ist offenbar wichtig für die Vermeidung von Autoimmunerkrankungen. Im Tierversuch konnte Typ-1-Diabetes – eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Bauchspeicheldrüse angreift und so die Insulinproduktion verringert – durch Verabreichung von Darmbakterien gemildert werden (L. Wen, R. E. Ley, P. Y. Volchkov et al.: Innate immunity and intestinal microbiota in the development of Type 1 diabetes. Nature 455, 1109-1113 (23 October 2008), doi:10.1038/nature07336).
Zum andere stellen die Autoren im Kapitel „Einführung der allgemeinen Stallpflicht?“ die Hygiene-Hypothese vor, der zufolge wir heute zu wenig Kontakt zu „Dreck“ haben, der das Immunsystem früher dazu brachte, sich bei der Abwehr von (vermeintlichen) Krankheitserregern zu mäßigen. Sie schlagen stattdessen den Ausdruck „Alte-Freunde-Hypothese“ vor, weil es keineswegs der Umgang mit gefährlichen Erregern ist, der uns fehlt, sondern der Kontakt zu harmlosen Bakterien, an die unser Immunsystem sich angepasst hat, und zu Spul-, Peitschen- und Hakenwürmern, die meist zu groß sind, um durch die Immunabwehr ganz besiegt zu werden.
Sowohl die Immunreaktion auf Würmerbefall als auch allergische Reaktionen sind Gemeinschaftsakte von T-Helferzellen vom Typ 2 (Th2), Antikörpern vom seltenen Typ IgE und Mastzellen. Beim Erstkontakt mit einem Allergen regen die Th2-Zellen die für dieses Allergen zuständigen B-Zellen an, sich zu vermehren und IgE-Antikörper auszuschütten. Diese werden an Mastzellen gebunden (Sensibilisierungsphase). Wenn das Allergen später erneut auftritt, wird es so schnell erkannt; die Mastzellen werden aktiviert, und es werden Botenstoffe wie Histamin abgesondert, die sekundenschnell starke allergische Reaktionen auslösen. Einiges deutet darauf hin, dass hier die regulatorischen T-Zellen versagen, die die Th2-Zellen eigentlich rechtzeitig zurückpfeifen müssten, wenn sie nicht auf einen Krankheitserreger, sondern auf ein harmloses Allergen reagieren. Dass diese Mäßigung der Abwehr heute so oft versagt, könnte am mangelnden „Training“ durch die Würmer liegen.
Eine Studie an Amazonas-Indianern ergab, dass 88 % von ihnen Parasiten hatten, aber kein einziger eine Allergie. Einwanderer, die aus armen Ländern in einen Industriestaat kommen, bekommen in der neuen Heimat oft Allergien oder Autoimmunerkrankungen, die in ihrer alten Heimat kaum bekannt sind. Auch dies könnte mit der ungleichen Verbreitung von Parasiten wie Würmern zusammenhängen. Und hierzulande haben Kinder, die auf einem Bauernhof aufgewachsen sind und dort Kontakt zu Kühen, Schweinen, Erdreich und ungeklärtem Wasser hatten, ein deutlich geringeres Asthma- und Allergierisiko als Stadtkinder. Im Tierversuch wurde bereits nachgewiesen, dass ein Impfstoff aus abgetöteten Listerien (eine weit verbreitete Bakteriengattung) gegen Asthma und Allergien helfen kann.
Die Autoren hoffen, dass wir uns eines Tages die wirksamen Komponenten unserer „alten Freunde“ – Teile von Bakterien oder Substanzen aus Würmern – durch Impfungen oder probiotische Nahrungsmitteln zuführen können, um unser Immunsystem, das an sie angepasst ist, wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Meine Ausbeute aus diesem Buch: ein Dutzend Literaturhinweise zum Immunsystem, denen ich demnächst nachgehen werde.