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Das seltsame Immunsystem der Tiefsee-Anglerfische

#NaNoWriMo22, Tag 5

Die Tiefsee – unendliche Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Vergangenheit. Dies sind die Abenteuer eines Tiefseeangler-Weibchens, das viele Meilen von der Wasseroberfläche entfernt unterwegs ist, um fremde Männchen zu entdecken …

Im Ernst: Wie findet man da unten in der finsteren, kalten, erdrückenden Leere Partner? Die Tiefseeanglerfische (Ceratioidei) mussten sich nicht nur an den enormen Druck der auf ihnen lastenden Wassersäule anpassen, der normale Proteine in kürzester Zeit mit Wassermolekülen durchsetzen, verformen und funktionsuntüchtig machen würde, an die völlige Dunkelheit ihres Lebensraums und an den Mangel an Nahrung, sondern auch Mittel und Wege finden, um die Wahrscheinlichkeit von Begegnungen mit Artgenossen des anderen Geschlechts zu erhöhen.

Die Weibchen tragen am Ende eines angelförmigen Auswuchses an der Stirn Laternen, in denen symbiotische Leuchtbakterien etwas Licht für sie produzieren. Damit locken sie nicht nur Krebse und Fische an, die sie dann mit ihren riesigen Mäulern verschlingen, sondern senden auch den Männchen ein Zeichen. Das klappt aber nur, wenn diese schon in der Nähe sind.

Die Männchen sind winzig klein und haben, solange sie Junggesellen sind, große Augen und einen sehr empfindlichen Geruchssinn: Sie können noch kleinste Mengen der Sexuallockstoffe erschnuppern, die die Weibchen absondern, und stöbern ihre künftige Partnerin so auf. Den letzten Meter bewältigen sie dann mithilfe ihrer Augen und des Laternen-Leuchtfeuers. Bei vielen Tiefseeanglerfisch-Arten docken sie dann mit dem Mund an das Weibchen an, um es nicht wieder zu verlieren: manche nur vorübergehend, andere permanent; sie verwachsen regelrecht mit ihren und werden von da an über den Blutkreislauf des Weibchens mit Nährstoffen versorgt – bis dass der Tod sie scheidet. Ihre eigenen Organe verkümmern, bis auf die Hoden. Es gibt sogar einige Arten, bei denen mehrere Männchen mit einem Weibchen verwachsen; bis zu acht hat man schon entdeckt. So steht immer Sperma zur Verfügung, wenn das Weibchen ablaicht.

Aber wieso stößt sich das Gewebe des Weibchens und der Männchen nicht ab? Schließlich sind die Tiefseeangler Knochenfische, und diese haben – genau wie wir – neben der angeborenen eigentlich eine erworbene Abwehr. MHC-Klasse-I- und -II-Komplexe, auf denen Antigene präsentiert werden. Zytotoxische T-Zellen, die Eindringlinge töten. T-Helferzellen, die Zytokine ausscheiden. B-Zellen und von ihnen produzierte Antikörper verschiedener Klassen, die fremde Zellen und Fremdkörper markieren und bekämpfen. All diese Komponenten der erworbenen Abwehr sind bei uns Menschen an Abstoßungsreaktionen beteiligt, etwa nach Organtransplantationen.

Ein Forschungsteam um Thomas Boehm hat dieses Rätsel 2020 ansatzweise gelöst. Es hat das Genom von 13 Ceratioidei-Arten analysiert: 3 Arten, bei denen die Männchen nicht mit den Weibchen verwachsen (die Kontrollgruppe), 4 Arten, bei denen die Männchen vorübergehend an ihnen festmachen, 3 Arten, bei denen jeweils ein einzelnes Zwergmännchen permanent mit einem Weibchen verwächst, und schließlich 3 Arten, bei denen sich mehrere permanent festgewachsene Zwergmännchen ein Weibchen teilen.

To make a long story short: Das Immunsystem der Arten, bei denen die Geschlechter eigenständige Orgainsmen bleiben, verfügt über zytotoxische T-Zellen, T-Helferzellen und B-Zellen, die Antikörper herstellen und eine Affinitätsreifung durchlaufen, also bei der Bekämpfung ihrer spezifischen Feindbilder immer effizienter werden. Alles ganz normal für Wirbeltiere, die so Krankheitserreger, Tumorzellen usw. bekämpfen.

Die Arten, bei denen sich die Zwergmännchen phasenweise an die Weibchen anflanschen, haben ebenfalls beide T-Zell-Typen und Antikörper-produzierende B-Zellen; bei ihnen fällt aber die Affinitätsreifung aus, weil die dafür erforderlichen Enzyme mutiert sind. Vermutlich würde diese Optimierung die Antikörper so schlagkräftig machen, dass schon eine vorübergehendes Verwachsen zu Abstoßungsreaktionen führen könnte.

Arten, die permanente Gespanne aus einem Weibchen und einem Männchen bilden, haben ebenfalls keine Affinitätsreifung – und darüber hinaus keine zytotoxischen T-Zellen. Die polyandrischen („vielmännigen“) Tiefseeanglerfisch-Arten schließlich müssen auch ohne T-Helferzellen und ohne jeden Antikörper auskommen: Alle entsprechenden Gene sind durch Mutationen ausgefallen.

Weder in der Forschungsarbeit von 2020 noch in mehreren Kommentaren dazu oder einem Review von 2022 habe ich eine gute Erklärung dafür gefunden, dass T-Helferzellen und Antikörper offenbar beim Verschmelzen eines Weibchens mit einem einzigen Männchen nicht zu einer Abstoßungsreaktion führen, obwohl alle Zellen des Männchens für das Weibchen allograft, also fremdes Gewebe sind – und umgekehrt.

Womöglich sind sich die Männchen der polyandrischen Arten untereinander noch fremder, weil sie miteinander um die Befruchtung der Eier des Weibchens konkurrieren? Das Problem wäre dann gar nicht die drohende Abstoßung durch das Immunsystem des Weibchens, sondern die Abstoßung des einen Männchens durch das Immunsystem des anderen. Aber hier spekuliere ich; hoffentlich löst in den kommenden Jahren jemand dieses Rätsel.

Ebenso rätselhaft ist, wie die Ceratioidei trotz des Verlusts eines großen Teils oder sogar ihrer gesamten erworbenen Abwehr überleben: Wie bekämpfen sie Krankheitserreger, wie handeln sie ohne regulatorische T-Zellen und deren friedlich stimmende Botenstoffe die Symbiose mit den Leuchtbakterien aus? Womöglich haben Teile der angeborenen Abwehr diese Aufgaben übernommen. Aber im Unterschied zu anderen Knochenfischfamilien, denen ebenfalls Teile des erworbenen Immunsystems abhanden gekommen sind, hat man im Genom der polyandrischen Tiefseeangler keine Kompensationsmaßnahmen entdeckt, etwa eine massive Ausweitung der MHC-Klasse-I-Gene. Im Gegenteil: Diese scheinen auch recht spärlich vertreten zu sein.

Offen ist auch die Reihenfolge der Ereignisse: Haben die Fische zuerst durch eine Art genetischen Großunfall Teile ihres Immunsystems eingebüßt – und dann in den folgenden Jahrhunderttausenden das Beste daraus gemacht, nämlich ihr Partnersuche-Problem durch Verschmelzen von Weibchen und Männchen gelöst? Oder war das ein schleichender Prozess der Annäherung der Geschlechter, bei dem immer nur diejenigen Paare überlebten, deren Immunsysteme auf das Gewebe der Partner so schwach wie irgend möglich reagierten? Ein echtes Henne-Ei-Problem, mit dem ich euch nun in die finstere, kalte Tiefseenacht entlasse.

Literatur:

J. B. Swann, S. J. Holland, M. Petersen, T. W. Pietsch, T. W., T. Boehm. The immunogenetics of sexual parasitism. Science. 10.1126/science.aaz9445 (2020)

Bordon, Y. Loss of immunity lets a sexual parasite hold on tight. Nat Rev Immunol 20, 590–591 (2020). https://doi.org/10.1038/s41577-020-00435-5

E. Gering. Anglerfish are not sexual parasites (Leserbrief zu Swann et al.)

N. Isakov. Histocompatibility and Reproduction: Lessons from the Anglerfish. Life 2022, 12(1), 113; https://doi.org/10.3390/life12010113

Immunreaktionen auf SARS-CoV-2

Eigentlich wollte ich mich bei Twitter und hier im Blog nicht über COVID-19 äußern, weil ich meiner Meinung nach zu wenig Ahnung davon habe. Mehr Ahnung als die allermeisten, die sich keinerlei Zurückhaltung auferlegen, aber eben doch zu wenig, um etwas Sinnvolles zur Verbesserung der Lage beizutragen.

Das habe ich schon bei Twitter nicht ganz durchgehalten. Und inzwischen gibt es erste Berichte, die in mein Wissensgebiet fallen und die ich daher kurz einordnen möchte: Man hat untersucht, wie das Immunsystem von Patient*innen auf eine SARS-CoV-2-Infektion reagiert. Ich gehe hier zum einen auf eine Besonderheit bei der Antikörper-Produktion ein, die kürzlich im Ärzteblatt mitgeteilt wurde, und zum anderen auf die Nachricht, dass Kuba mit seiner Interferon-alpha-2b-Produktion anderen Ländern bei der Behandlung der Betroffenen helfen will, wie die taz am 20. März berichtete.

Zunächst zu den Antikörpern oder Immunglobulinen. Das sind Proteine, die von B-Lymphozyten (Zellen der sogenannten erworbenen Abwehr) hergestellt werden. Sie erkennen und binden hochspezifisch bestimmte Antigene, also Bestandteile von Krankheitserregern, hier von den Coronaviren. Jeder B-Lymphozyt kann genau ein Antigen erkennen und bekämpfen, mit dem seine Rezeptoren und später seine Antikörper nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip zusammenpassen. Die zu den Viren passenden B-Lymphozyten brauchen ein paar Tage, bis sie von anderen Zellen des Immunsystems ausfindig gemacht und aktiviert wurden, sich hinreichend vermehrt und mit der Massenproduktion von Antikörpern begonnen haben.

Außerdem werden die Antikörper in einer Art Turbo-Mini-Evolution immer passgenauer; sie durchlaufen ein Feintuning, die sogenannte Affinitätsreifung. Und die B-Lymphozyten stellen normalerweise erst ziemlich klobige Antikörper her, das sogenannte Immunglobulin M (kurz: IgM). In ihm sind 5 Y-förmige Funktionseinheiten sternförmig am „Stiel“ miteinander verbunden, sodass insgesamt 10 Antigen-Bindungsstellen nach außen ragen. Diese Sterne sind so groß, dass sie die Blutbahn nicht verlassen können. Sie rauschen in der Frühphase der erworbenen Abwehrreaktion durch unsere Adern und binden dort möglichst alle Viruspartikel, denen sie begegnen. Die so entstehenden Klumpen aus IgM und Viren werden dann von bestimmten Zellen des Immunsystems beseitigt. So wird die sogenannte Virenlast schon stark verringert, aber das IgM allein schafft es meist nicht, alle Viren zu erwischen.

IgM (rechts) verklumpt Virenpartikel. Das kleinere IgG ähnelt wie IgE (Mitte) einem einzelnen Y.

Daher schalten die B-Lymphozyten im Zuge des sogenannten Klassenwechsels schon bald auf die Herstellung einer anderen Antikörperklasse um, nämlich Immunglobulin G (kurz: IgG). Dieses Protein besteht aus einem einzelnen Y und ist damit so klein, dass es aus dem Blut durch die Gefäßwände ins Gewebe eindringen kann, um dort weitere Virenpartikel aufzustöbern und durch Bindung unschädlich zu machen, bevor die Viren in unsere Körperzellen eindringen konnten. Denn nur wenn den Viren das gelingt, können sie sich massenhaft vermehren, die Zellen zerstören und in immer neue Zellen eindringen.

Wie das Ärzteblatt berichtet, hat ein Forscherteam in Melbourne immer wieder den Zustand des Immunsytsems einer 47-jährigen Frau untersucht, die an COVID-19 erkrankt war. Der Verlauf war vergleichsweise leicht, sie musste nicht beatmet werden. „Der Kampf des Immunsystems gegen das neue Virus“, so das Ärzteblatt, „scheint kurz und nicht besonders heftig gewesen zu sein. Einen Anstieg der proinflammatorischen Zytokine und Chemo­kine, die bei einer Influenza einen schweren Verlauf anzeigen, ist … ausgeblieben.“

Am 7. Tag ihres Klinikaufenthalts (der 11 Tage nach ihrer Rückkehr aus Wuhan begann, wo sie sich mutmaßlich angesteckt hatte) wurden bei ihr erstmals Antikörper nachgewiesen. Und jetzt kommt’s: IgG-Antikörper (die kleinen, die ins Gewebe eindringen) wurden zwei Tage vor den IgM-Antikörpern gefunden (den großen, die normalerweise erst mal im Blut aufräumen). Die Ergebnisse bei einer einzelnen Patientin seien aber, so die Studienautoren, vielleicht noch nicht aussagekräftig.

Bei einer Viren-Infektion produziert das Immunsystem erst das große IgM und dann zunehmend das kleinere IgG. Bei einer erneuten Infektion spielt IgM keine große Rolle; dafür schießt die IgG-Herstellung schnell in die Höhe.

Tatsächlich stellt sich die Lage in einer chinesischen Arbeit anders dar. Die Autoren haben das Blut von 173 COVID-19-Patient*innen in einer Klinik wiederholt auf die Antikörper gegen das Virus SARS-CoV-2 untersucht und dies mit der Schwere der Erkrankung in Beziehung zu setzen versucht. Antikörper vom Typ IgM, die gegen das Virus gerichtet waren, ließen sich im Median am 12. Tag nach der Klinikeinweisung nachweisen, IgG folgte dann am 14. Tag: der klassische Verlauf, wie bei anderen Infektionen. Das lässt vermuten, dass die Melbourne-Patientin untypisch war. Je schwerer der Krankheitsverlauf, desto mehr Antikörper hatten die chinesischen Patient*innen im Blut. Und vor allem bei den sehr schweren Verläufen reichten die Antikörper offenbar nicht aus, um die Infektion besiegen: Das Erbgut der Viren war trotz der starken Abwehrreaktion der B-Lymphozyten noch im Blut nachweisbar.

Nun zur zweiten Nachricht, die auch bei Twitter Entrüstung über das vermeintliche Versagen unseres Gesundheitssystems im Vergleich zu demjenigen Kubas geführt hat: Wie die taz berichtet hat, feiert Kuba große Erfolge bei der Behandlung von COVID-19-Patient*innen mit dem Zytokin Interferon alfa-2b. Ich bezweifle nicht, dass man in der Frühphase (!) bestimmter viraler Infektionen das Immunsystem durch die Gabe dieses Immunzellbotenstoffs unterstützen kann. Aber: Das ist eine sehr, sehr unspezifische Therapie, denn Interferone bewirken an tausenderlei Stellen im Organismus tausend verschiedene Dinge – nicht alle davon sind der Genesung förderlich.

Gleich zu Beginn einer Viren-Infektion stoßen befallene Zellen Interferone aus, um andere Zellen zu warnen und Immunzellen anzulocken.

Und vor allem kommt es auf das Timing an: Die großen Schwierigkeiten schwer erkrankter COVID-19-Patient*innen, die mit kaputter Lunge an einen Beatmungsapparat angeschlossen sind, stammen ja nicht primär von den Viruspartikeln und den durch sie vernichteten Zellen, sondern vor allem von der bereits heftigen Reaktion des Immunsystems auf die Infektion. Eine überschießende Abwehrreaktion kann lebenswichtiges Gewebe zerstören – hier in der Lunge.

Interferon alpha (IFNα) und beta (IFNβ) spielen in der Frühphase einer Infektion eine große Rolle. Noch bevor die Antikörperproduktion einsetzt, geht ihre Konzentration im Blut wieder stark zurück.

Die meisten COVID-19-Patient*innen in den Kliniken, insbesondere auf den Intensivstationen, sind in einem sehr weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Sie nun mit einem Interferon zu traktieren, das kann böse nach hinten losgehen. Einige Zytokine können einen sogenannten Zytokinsturm auslösen, eine Überreaktion, bei der die Botenstoffe zum Beispiel die Adern so weit stellen, dass das Blut viel langsamer fließt und daher gleich mehrere Organe des Körpers nicht mehr hinreichend mit Sauerstoff versorgt werden – und das womöglich in einer Situation, in der durch die kaputte Lunge ohnehin schon Sauerstoffmangel herrscht. Es ist also keine Borniertheit, dass Mediziner*innen in Deutschland kaum über Interferon reden, wenn es um mögliche COVID-19-Medikamente geht.

 

Abb. 253: Systemische Autoimmunerkrankungen

Angeborene Abwehr (links) und erworbene Abwehr (rechts) können einander bei einer systemischen Autoimmunerkrankung pathologisch verstärken. Die angeborene Abwehr – hier vertreten durch eine dendritische Zelle, eine natürliche Killerzelle, einen eosinophilen Granulozyten, einen Monozyten und einen Makrophagen – aktiviert B- und T-Zellen zum Beispiel über Botenstoffe wie Alpha-Interferon (IFN-α), transforming growth factor beta (TGF-β), den B-Zell-Aktivierungsfaktor (BAFF), die verstärkte Präsentation von Autoantigenen auf einem Übermaß an MHC-Klasse-II-Molekülen und die Freisetzung immer weiterer Autoantigene im Zuge einer Entzündungsreaktion. Die erworbene Abwehr – hier vertreten durch verschiedene T- und B-Zellen sowie Antikörper – produziert ihrerseits Stoffe, die die angeborene Abwehr alarmieren, etwa IL-6, IL-17, Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α), Lymphotoxin alpha (Lt-α), sowie Antikörper und Immunkomplexe.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 250: Idiotypische Dysregulation

Idiotypische Dysregulation ist eine mögliche Erklärung für die lange Zeitspanne zwischen dem ersten Anlass und dem Ausbruch einer Autoimmunerkrankung: Antikörper (AK) binden an ein Antigen (AG), das zum Beispiel von einer Infektion herrührt. Sie werden ihrerseits Antigene für Autoantikörper (AAK1). Später entstehen andere Autoantikörper (AAK2), die wiederum an die Antigen-Erkennungsstellen der ersten Autoantikörper binden, und so weiter. Jede zweite Generation hat eine ähnliche Antigen-Spezifität wie die Antikörper gegen das ursprüngliche Antigen, das längst aus dem Körper verschwunden ist. Durch eine Kreuzreaktion erkennen die neuen Autoantikörper aber auch ein Autoantigen (AAG).

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Abb. 249: Wie eine Immunneuropathie entsteht

1. Eine antigenpräsentierende Zelle (hier eine dendritische Zelle) gewinnt ein Antigen aus einem Pathogen. Die Infektion bemerken wir oft gar nicht; sie ist »stumm« oder »maskiert«.

2. Die antigenpräsentierende Zelle zeigt das Antigen und einen Kostimulator (die Kerze) vor. T-Helferzellen mit passendem T-Zell-Rezeptor werden aktiviert.

3. Die T-Helferzellen aktivieren B-Zellen mit derselben Antigen-Spezifität.

4. Die B-Zellen stellen Antikörper gegen das Antigen her und bekämpfen so die Infektion.

5. Einige T-Zellen überwinden die Blut-Hirn-Schranke und verwechseln Teile der Myelinscheiden um die Nervenzellen mit dem Pathogen-Antigen.

6. Myelinscheiden sind fettreiche Membranen von Schwann-Zellen: Gliazellen, die um Axone (Nervenzellausläufer) gewickelt sind und eine Isolationsschicht bilden. Sie sind für die
Weiterleitung von Nervenimpulsen notwendig. Links ein Längsschnitt durch ein Axon und seine Myelinscheide, rechts ein Querschnitt.

7. Die autoreaktiven T-Zellen rekrutieren Zellen der angeborenen Abwehr, zum Beispiel Makrophagen.

8. Die angelockten Immunzellen greifen die Myelinscheiden an. Das kann zu einer Lähmung
führen.

9. Bei einigen Immunneuropathien aktivieren autoreaktive T-Helferzellen auch autoreaktive
B-Zellen.

10. Die B-Zellen stellen Autoantikörper her, die an Myelinscheiden binden und so die Attacken anderer Immunzellen verstärken. – Medikamente oder die Selbstregulation des Immunsystems können die Angriffe rechtzeitig beendet. Dann bauen überlebende Gliazellen die Myelinscheiden allmählich wieder auf. Die Nerven können wieder Impulse weiterleiten; die Lähmung geht zurück.

11. Bleibt die Myelinscheide dagegen defekt, strömen durch Ionenkanäle massenhaft Ionen (z. B. Kalzium) in die Nervenzellen ein. Die Mitochondrien schwellen an und schädigen die Axone (Sterne). Dann sterben die Axon-Enden (Kreuze), und der Kontakt zu anderen Nervenzellen bricht ab.

12. In der Nähe können sich Lymphfollikel bilden, in denen autoreaktive B-Zellen eine Affinitätsreifung durchlaufen. Außer antikörperproduzierenden Plasmazellen entstehen dabei Gedächtniszellen, durch die die Autoimmunreaktion chronisch werden kann.

13. In anderen Fällen verhindern regulatorische T-Zellen die Chronifizierung: Sie schicken die autoreaktiven Lymphozyten rechtzeitig vom Platz und beenden die Immunreaktion.

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Abb. 216: Sekundäre Immunantwort – schneller und schärfer

Bei einer sekundären Immunantwort auf eine Infektion mit demselben Erreger (Pfeile) läuft die Produktion spezifischer Antikörper schneller und steiler an. Auch der Klassenwechsel von den klobigen IgM-Pentameren zu Monomeren wie IgG erfolgt schneller. Siehe auch Abb. 212 .

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Abb. 213: Klassenwechsel und Affinitätsreifung

Oben: Bei einer erstmaligen Infektion mit einem Pathogen wird vor allem IgM produziert. Ab der zweiten Infektion mit demselben Erreger überwiegen kleinere Antikörper.

Unten: Die Affinität von IgM wird mit der Zeit nur geringfügig besser. Kleinere Antikörper wie IgG durchlaufen dagegen eine starke Affinitätsreifung, die sich bei einer erneuten Infektion noch einmal steigert.

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Abb. 212: Sekundäre Immunantwort

Während der primären Immunantwort produzieren B-Zellen vor allem die großen IgM-Pentamere, die Fremdkörper im Blut verklumpen lassen. Bei einer erneuten Infektion mit demselben Pathogen werden dank des Klassenwechsels und der Affinitätsreifung kleinere Antikörper hergestellt, die das Blut verlassen können und besser an ihr Antigen binden. Die meisten B-Zellen sterben danach ab. Einige werden zu Gedächtniszellen und gehen in das Archiv unserer Infektionsgeschichte ein.

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Abb. 208: Zeitverlauf einer Vireninfektion

Bei einer typischen akuten Vireninfektion erreicht die Virenzahl nach etwa fünf Tagen ihr Maximum. Bereits kurz nach der Infektion schnellt die Konzentration antiviraler Botenstoffe (Interferone, Tumornekrosefaktor α und Interleukin-12) in die Höhe. Von ihnen angelockt und aktiviert, erreichen die natürlichen Killerzellen (NK) mit ihren Zellgiften nach etwa vier Tagen ihre höchste Zahl. Erst in der zweiten Hälfte der Infektion übernehmen die zytotoxischen T-Zellen (CD8+) und die von den B-Zellen produzierten Antikörper die Virenbekämpfung.

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Abb. 197: Was ist eine Entzündung?

Medizinstudenten lernen im Studium die fünf klassischen Entzündungszeichen auswendig: rubor, tumor, calor, dolor und functio laesa, also Rötung, Schwellung, Erwärmung, Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung . Der Schmerz ist eine Folge der örtlichen Reizung der Nerven und führt zu genesungsförderlichen Verhaltensweisen wie der Schonung des betroffenen Körperteils, solange dessen Funktion beeinträchtigt ist. Die Rötung rührt von einer starken Durchblutung her, die den raschen Transport von Immunzellen an ihren Einsatzort gewährleistet. Die Schwellung geht auf eine örtlich erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände zurück, die den Immunzellen das Eindringen ins Gewebe erleichtert. Ausgelöst wird sie durch die Ausschüttung von Histamin, Serotonin und anderen sogenannten Gefäßmediatoren.

Die an den Entzündungsherd vorgedrungenen Immunzellen übernehmen unterschiedliche Aufgaben: B-Zellen werden zu Plasmazellen und schütten spezifische Antikörper aus, die die Antigene bedecken und so unter anderem die Komplementreaktion auslösen. Granulozyten schütten den Inhalt ihrer Granula aus, bringen so Keime oder beschädigte Zellen zum Absterben, schädigen aber auch das umliegende Gewebe. Phagozyten wie die Makrophagen vertilgen Keime und abgestorbene Zellen, und so weiter. Durch die Granula-Ausschüttung und den Zerfall beschädigter Zellen ist entzündetes Gewebe sauer: Der pH-Wert sinkt von etwa 7,5 in gesundem Gewebe auf etwa 5,5 oder noch stärker ab.

Die Erwärmung zeugt von starker Stoffwechseltätigkeit und wird, wenn sie das ganze System erfasst, als Fieber bezeichnet. Die Übertemperatur ist offenbar nicht nur eine unvermeidliche Nebenwirkung der Entzündungsprozesse, sondern stärkt die Widerstandskraft gegen Infektionen. Biochemische Reaktionen laufen – bis zu einer Obergrenze, an der Enzyme und andere Proteine zerfallen – umso schneller ab, je wärmer es ist. Das gilt auch für die Produktion von Antikörpern und antimikrobiellen Substanzen.

Zu Beginn verstärkt sich eine Entzündungsreaktion selbst. Zum Beispiel schütten Mastzellen, die an antikörperbedeckte Antigene binden, aus ihren Granula Histamin aus, das die Gefäßwände durchlässiger macht, sodass noch mehr B-Zellen, Antikörper und Mastzellen an den Ort des Geschehens kommen. Eine Entzündung ist aber ein Ausnahmezustand. Wird sie chronisch, so schädigt sie das Gewebe und das Gesamtsystem. Das ist beispielsweise bei Autoimmunerkrankungen der Fall. Normalerweise setzt recht bald eine Gegensteuerung ein, zum Beispiel durch den Abtransport der Keime und beschädigten Zellen und durch die beruhigende Wirkung regulatorischer T- und B-Zellen auf andere Lymphozyten. Nach Beseitigung der akuten Gefahr wird das umliegende Gewebe zur Regeneration angeregt, zum Beispiel zur Wundschließung durch verstärkte Zellteilung.

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