Mindestens 14 Prozent der US-Bevölkerung haben Autoantikörper im Blut

Eigentlich befasse ich mich gerade mit der Frage, ob Th1-getriebene Autoimmunerkrankungen  und Th2-dominierte Allergien einander ausschließen, aber bevor ich darüber blogge, will ich noch schnell eine neue epidemiologische Studie über die Häufigkeit antinukleärer Antikörper im Serum und mögliche soziodemografische Einflussgrößen zusammenfassen. Der Text ist – wie immer – noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet.

Minoru Satoh et al.: Prevalence and sociodemographic correlates of antinuclear antibodies in the United States. Arthritis & Rheumatism, accepted, unedited article published online for future issues, DOI: 10.1002/art.34380

Abstract

Als antinukleären Antikörper (ANA) bezeichnet man alle Autoantikörper, die sich gegen Bestandteile des Zellkerns richten. Sie sind die am weitesten verbreitete Klasse menschlicher Autoantikörper. Oft sind sie ein Vorzeichen für Autoimmunerkrankungen wie SLE; ihr Nachweis ist daher eine nützliche Diagnosehilfe. Die Autoren wollten die ANA-Prävalenzen und -Typen in der US-Bevölkerung ermitteln und prüfen, welche soziodemografischen Faktoren (Alter, Geschlecht, Ethnie, Einkommen, Bildung usw.) oder Verhaltensweisen (Trinken und Rauchen) ihr Auftreten beeinflussen. Für ihre Querschnittstudie verwendeten sie NHANES-Daten von 4754 Personen aus den Jahren 1999 bis 2004. Im Serum von 13,8 Prozent der über 12-Jährigen konnten sie ANA nachweisen. Frauen waren mit 17,8 Prozent stärker betroffen als Männer (9,6 Prozent), Afroamerikaner stärker als Weiße (odds ratio 1,3). Erstaunlicherweise hatten übergewichtige und fettleibige Teilnehmer seltener ANAs im Blut als Normalgewichtige (odds ratio 0,74), obwohl Fettleibigkeit eigentlich als Faktor gilt, der chronische Entzündungen begünstigt. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung hieße das, dass über 32 Millionen US-Amerikaner ANA haben.  

Die Ergebnisse im Einzelnen

Soziodemografische Faktoren:

  • Die ANA-Prävalenz steigt mit dem Alter.
  • Schätzungsweise 32,3 Millionen US-Amerikaner (21,5 Mio. Frauen, 10,8 Mio. Männer) hatten 1999-2004 ANA im Serum.
  • Nach Korrektur um das Lebensalter ist die ANA-Wahrscheinlichkeit bei Frauen insgesamt doppelt so hoch wie bei Männern (odds ratio 2,02). In der Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen ist sie sogar 3,57-mal so hoch wie bei den Männern. Bei Menschen unter 30 Jahren gibt es dagegen keine klare Differenz.
  • Die ANA-Prävalenz variiert nicht mit dem Familieneinkommen.

Verhaltensfaktoren:

  • Übergewichtige und Fettleibige hatten im Vergleich mit Normalgewichtigen jeweils eine odds ratio von 0,74.
  • Diese reduzierte ANA-Prävalenz verschwand auch nach Korrektur um das Alter nicht.
  • Das Bildungsniveau, das stark mit dem BMI korrelieren kann, beeinflusst dieses Ergebnis offenbar nicht.
  • Alkoholkonsum, Rauchen oder eine Vorgeschichte als Raucher waren nicht mit der ANA-Prävalenz assoziiert.

Die ANA-Muster und -Antikörper im Einzelnen:

  • Bei etwa 85 Prozent der 670 NHANES-Teilnehmer mit ANA richteten sich die Antikörper gegen den Kern (nuclear staining pattern), bei gut 6 Prozent gegen den Nucleolus und bei etwa 22 Prozent gegen Bestandteile des Cytoplasmas. Etliche Personen wiesen mehrere Muster auf. (Die Muster unterscheiden sich zwischen den verschiedenen auftretenden Autoimmunerkrankungen, siehe z. B. diese Übersichtstabelle.)
  • Am häufigsten traten Anti-Ro-Antikörper auf (3,9%), gefolgt von Anti-Su-Antikörpern (2,5%). Die Gesamtprävalenz der häufigsten Autoantikörper (Anti-Ro, -La, -Su und -U1 RNP), die alle mit zahlreichen Autoimmunerkrankungen assoziiert sind, betrug 6,7%, bei Frauen sogar 8,8% (Männer: 2,4%).

Diskussion

ANA sind die am häufigsten verwendeten Biomarker für Autoimmunerkrankungen, und sie sind in Bevölkerungsstichproben besonders leicht zu messen. Bei der nötigen starken Verdünnung des Serums (1:80, um falsch-positive Ergebnisse durch die auch bei Gesunden in kleiner Zahl vorhandenen Antikörper auszuschließen) wurden in 13,8 Prozent der Stichprobe ANA nachgewiesen; das passt zu den früheren Schätzungen von 1 bis 20 Prozent.

Die nichtlineare Variation der ANA-Prävalenz mit dem Alter könnte z. B. durch Unterschiede in der Umweltfaktor-Exposition oder nichtlineare Veränderungen des Hormonsystems mit dem Alter bedingt sein. Die Altersvariationen im Verhältnis der ANA-Prävalenz-Anteile bei Frauen und Männern entspricht ähnlichen Beobachtungen bei systemischen Autoimmunerkrankungen, die mit einer ANA-Produktion einhergehen (SLE, rheumatoide Arthritis, Sklerodermie …).

Die etwas höhere ANA-Prävalenz bei Schwarzen (im Vergleich zu Weißen) entspricht ihrer höheren SLE-Inzidenz.

Die geringere ANA-Prävalenz bei Menschen (vor allem Frauen) mit hohem BMI ist überraschend, wenn man bedenkt, dass Fettgewebe entzündungsfördernde Cytokine und Estrogene produziert. Allerdings war bereits bekannt, dass Fettleibigkeit unter manchen Umständen eine Immunsuppression bewirken kann. Der Zusammenhang ist komplex und sollte weiter erforscht werden.

Die ermittelten Prävalenzen der Anti-Ro- und Anti-Su-Antikörper usw. dürften ihre tatsächliche Verbreitung unterschätzen, da nicht alle von ihnen eine starke Immunfluoreszenz zeigen.

Die Studie weist einige Beschränkungen auf. So werden hospitalisierte (z. B. sehr alte, pflegebedürftige) Menschen von NHANES nicht erfasst, was zu einer Unterschätzung der ANA-Prävalenz führen kann. Außerdem wurden nicht alle Typen von Autoantikörpern gemessen. Umgekehrt kann es auch andere Gründe für Autoantikörperproduktion geben als Autoimmunerkrankungen, z. B. Infektionen, Krebs oder bestimmte Drogen/Medikamente. Und schließlich konnten aufgrund der Art der NHANES-Daten keine Zusammenhänge zwischen dem Auftreten bestimmter ANA-Typen und spezifischen Autoimmunerkrankungen ermittelt werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.