Sara E. Walker, Estrogen and Autoimmune Disease. Clinical Reviews in Allergy and Immunology, 40/1, 2011, 60-65, DOI: 10.1007/s12016-010-8199-x
Notizen noch nicht allgemein verständlich aufbereitet
Abstract: Estrogene haben sowohl immunstimulierende als auch immunsuppressive Eigenschaften. Bei Systemischem Lupus erythematodes (SLE) geht eine Schwangerschaft mit Krankheitsschüben einher. Bei Frauen nach der Menopause mit rheumatoider Arthritis (RA) mildern Estrogen-Gaben hingegen die aktive RA und Osteoporose ab.
Um die Pathogenese der Autoimmunerkrankungen aufzuklären, muss man die vielfache Interaktion von Hormon- und Immunsystem verstehen. Estrogen beeinflusst die Zellvermehrung, Zytokinproduktion und Differenzierung der hämatopoetischen (blutbildenden) Zellen; es ist ein Transkriptionsregulator, der die Estrogenrezeptoren (α und β) aktiviert, die daraufhin in den Kern wandern und dort an Promotoren binden.
Mäuse, denen der α-Rezeptor fehlt, bilden Antikörper gegen eigene Doppelstrang-DNA aus. Bei einem anderen Autoimmun-Mäusestamm führt die Zerstörung des α-Rezeptor-Gens bei den Weibchen zu einer Verringerung der Anti-dsDNA-Antikörper und einem längeren Leben.
Schwerpunkte des Reviews: Systemischer Lupus erythematodes (SLE) und rheumatoide Arthritis (RA), zwei Autoimmunerkrankungen, die durch Estrogen ganz unterschiedliche beeinflusst werden.
SLE: Estrogen wirkt über den α-Rezeptor; bei 25% der Betroffenen ist der Serumestrogenspiegel abgesenkt; abnormer Estrogen-Stoffwechsel; normale Fruchtbarkeit; Schübe während der Schwangerschaft usw.
SLE kann auftreten oder sich verschärfen, wenn die Serumspiegel der Reproduktionshormone erhöht sind oder sich rasch ändern. Die Immunantwort verlagert sich während einer normalen Schwangerschaft von Th1 zu Th2, um eine Abstoßung des Fetus zu verhindern. Hohe Estrogen-Dosen bzw. Estrogen im Verbund mit weiteren Fortpflanzungshormonen stimulieren vermutlich die Produktion von Th2-Zytokinen.
In Studien zur Klärung der Frage, ob die Antibabypille SLE zum Ausbruch bringen oder einen bereits bestehenden SLE verschärfen kann, fand man zumeist kein signifikant gesteigertes Risiko. Eine Hormonersatztherapie nach der Menopause scheint dagegen das Risiko einer Neuerkrankung zu erhöhen. Zwei neueren Studien zufolge verschlechtert eine solche Therapie zwar einen bestehenden Lupus nicht, aber das Thromboserisiko steigt. Bei einer Hormonbehandlung zur Ovulationsinduktion für eine künstliche Befruchtung steigt der Estadiolspiegel auf das Zehnfache an; die Ovulationsinduktion geht offenbar sowohl mit vermehrten Neuerkrankungen als auch (bei 25% der Betroffenen) mit Krankheitsschüben bei bestehendem Lupus einher.
Bei Lupus-Patientinnen ist der Estrogenspiegel i. A. nicht abnorm hoch; vielmehr ist er bei 25% der Betroffenen abgesenkt. Der Estrogen-Stoffwechsel wird durch SLE beeinflusst: 17β-Estradiol und Estron gehen zurück, dafür werden mehr 16-Hydroxyestron und Estriol produziert. Diese 16-Metaboliten sind starke Mitogene, die Entzündungen fördern können.
Im Tiermodell wurde erprobt, ob sich Lupus durch eine Ernährungsumstellung behandeln lässt, die sich auf das Hormongleichgewicht auswirkt. Indol-3-Carbinol, das vor allem in Kohlgemüse in hoher Konzentration vorkommt, kann den Estrogenhaushalt von 16α-Hydroxyestron zu weniger stark mitogenen Formen umschalten. 80% der Lupus-Mäuseweibchen, die von jung auf mit Indol-3-Carbinol gefüttert wurden, lebten nach einem Jahr noch; ohne die Behandlung waren es nur 10%. Auch Estrogeninhibitoren wirkten sich auf das SLE-Tiermodell positiv aus.
Bei Menschen haben estrogenbegrenzende Behandlungen durchwachsene Ergebnisse erbracht. Eine langfristige Hormonersatztherapie wird heutzutage nicht nur bei SLE nicht mehr empfohlen. Auch alternativen Behandlungen mit Phytoestrogenen können bei SLE-Patientinnen zu abrupten Verschlechterungen führen.
Die T-Zellen von Lupus-Patienten tragen weniger Estrogenrezeptoren-α als normal.
Rheumatoide Arthritis: Serumestrogenspiegel erhöht; mehr Estrogen in der Synovia („Gelenkschmiere“); Schwangerschaft sowie Hormongaben nach der Menopause wirken sich positiv aus.
Estrogene können eine chronische inflammatorische Arthritis sowohl verschlimmern als auch abmildern. In Tiermodellen hatten Estrogengaben positive Wirkung. In einer großen Studie waren 79% der RA-Patienten weiblich, und die Frauen waren schwerer erkrankt als die Männer.
In den rheumatischen Gelenken beeinflusst Estrogen die Entzündung unmittelbar; die Hormonspiegel sind dort einer Studie zufolge um das 2- bis 2,5-Fache erhöht. Vielleicht werden Monozyten im Gelenk, die sowohl α- als auch β-Rezeptoren für Estrogen tragen, in RA-Gelenken stimuliert und tragen dann zur Entzündung und Hyperplasie bei.
Paradoxerweise wird klinische RA beim Menschen durch Estrogen supprimiert. In der Schwangerschaft könnte Estrogen oder das Schwangerschaftssteroid Estriol dies bewirken. Eine Hormonersatztherapie nach der Menopause wirkte sich günstig auf die RA-typische Osteoporose aus. Der Hormonersatz ging mit einer signifikant erhöhten Produktion des insulinähnlichen Wachstumsfaktors 1 (IGF-1) und einer Verringerung des löslichen IL-6-Rezeptors einher, aber die Standardmaße für die humorale und zelluläre Immunantwort beeinflusste das nicht.
Zur Behandlung von RA und Osteoporose versucht man auch die Estrogenrezeptoren zu beeinflussen. Derzeit werden neue Verbindungen erprobt, die selektiv an den α- oder an den β-Rezeptor binden. So will man die antiinflammatorische Wirkung von Estrogen imitieren und zugleich die übermäßige Zellvermehrung in den Brüsten und der Gebärmutter vermeiden, die mit langfristigen Estrogen-Gaben einhergeht.