Wer ein Buch über die biologischen Hintergründe von Autoimmunkrankheiten schreiben will, wäre gut beraten, sich einen Überblick über diese Krankheiten zu verschaffen. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Wie viele Autoimmunerkrankungen gibt es überhaupt? Man vergleiche nur die beiden alphabetischen Listen in der deutschsprachigen und der englischsprachigen Wikipedia. Eine alphabetische Sortierung ist ohnehin nicht gerade aufschlussreich.
Prof. Dr. B. L. Herrmann vom Technologiezentrum an der RUB in Bochum unterscheidet zwischen endokrinen und nicht endokrinen Autoimmunerkrankungen. Drüsen sind unter anderem bei Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow, Diabetes Typ I, Immunadrenalitis (Morbus Addison), Immun-Oophoritis/-Orchitis, Immun-Hypoparathyreoidismus und Immun-Hypophysitis betroffen. Zu den nicht endokrinen Erkrankungen zählt er chronische Hepatitis, rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Vitiligo (Weißfleckenkrankheit), Sprue/Zöliakie, Anämie, Gerinnungsstörung und das Sjögren-Syndrom.
Auf der Seite „Microbiology and Immunology Online“ sortieren Dr. Abdul Ghaffar und Dr. Prakash Nagarkatti die Erkrankungen stattdessen nach dem Ausmaß der Organspezifität (Tabelle 2).
In ihrem Übersichtsartikel zum Forschungsstand bei den Autoimmunerkrankungen aus dem Jahr 2001 betonen Anne Davidson und Betty Diamond, dass die übliche klinische Unterteilung in systemische und organspezifische Autoimmunerkrankungen sich zwar bei Tiermodellen bewährt hat, aber beim Menschen problematisch ist, da man oft gar nicht genau weiß, ob eine allgemeine Lymphozyten-Fehlfunktion oder aber eine antigenspezifische Abnormität eine Krankheit auslöst. Bei einigen organspezifischen Erkrankungen kann man durchaus eine Autoreaktivität auf ein ubiquitäres Autoantigen nachweisen, die aber nur bestimmte Gewebetypen schädigt. Entweder sind diese Gewebe oder Organe bereits vorgeschädigt, oder die Lymphyzyten wandern aus anderen Gründen gezielt dorthin.
Was die genetische Prädisposition angeht, lassen sich die wenigen Autoimmunkrankheiten, die man auf eine Mutation in einem einzigen Gen zurückführen kann, von den vielen unterscheiden, bei denen die Anfälligkeit auf mehrere Gene verteilt ist. Viele der ausfindig gemachten Allele kommen auch bei Gesunden vor; erst ihre Kombination macht sie gefährlich.
Dennis McGonagle und Michael F. McDermott haben 2006 eine neue Klassifikation vorgeschlagen, in der zwischen Autoimmunerkrankungen und autoinflammatorischen Erkrankungen unterschieden wird. Erstere sind demnach Defekte der zur adaptiven Abwehr zählenden B- oder T-Lymphozyten, die fälschlich auf Autoantigene reagieren. Bei den gegen eigenes Gewebe gerichtete Entzündungsreaktionen aktivieren dagegen lokale Faktoren an bestimmten, besonders gefährdeten Orten die angeborene Immunabwehr, darunter die Makrophagen und neutrophilen Granulozyten.
Zum Beispiel machen gestörte Gleichgewichte in den Zytokin-Signalwegen, fehlgeleitete Bakterienaufspürsysteme und winzige mechanische Gewebeschäden durch Zug- oder Scherspannungen einen Ort anfällig für Entzündungen, an denen die adaptive Immunantwort nicht beteiligt ist. Demnach wäre beispielsweise Morbus Crohn keine Autoimmunerkrankung. Bei einigen Krankheiten wie Schuppenflechte mischen sich beide Komponenten; unter Umständen löst eine mit der MHC-Klasse I assoziierte Autoimmunreaktion bei ihnen sekundär eine autoinflammatorische Reaktion aus.
Im Jahr 2009 haben Marina Sirota et al. die Autoimmunerkrankungen anhand ihrer Assoziationen mit Einzelnukleotid-Polymorphismen (Single Nucleotide Polymorphisms, SNP) zu klassifizieren versucht. Solche Vergleiche zwischen den genetischen Variationsprofilen von Autoimmunerkrankungen wurden durch sogenannte genomweite Assoziationsstudien (GWAS) möglich.
Die Autoren stellten fest, dass sich rheumatoide Arthritis und Spondylitis ankylosans durch zahlreiche gemeinsame SNPs auszeichnen. Eine zweite Gruppe von SNPs macht Individuen für multiple Sklerose und Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen empfänglich. Typ-1-Diabetes weist im SNP-Profil Ähnlichkeiten mit Letzteren auf, nicht aber mit Multipler Sklerose. Auch Morbus Crohn ist keiner der beiden Klassen zuzuordnen.
Von der Klassifizierung anhand spezifischer Allelkombinationen erhofft man sich Impulse für neue Therapien, denn den Krankheiten innerhalb einer Klasse dürften ähnliche biologische Abläufe zugrunde liegen. Je mehr GWAS-Daten in den kommenden Jahren veröffentlicht werden, desto mehr Erkrankungen kann man in solche „Verwandtschaftsanalysen“ einbeziehen.