Selektion durch Pest-Epidemien hat Autoimmun-Risikoallele gefördert

Schwarzweißzeichnung eines Pestarztes #NaNoWriMo22, Tag 4

Der Zusammenhang an sich ist nicht neu, ich habe bereits 2014 etwas darüber geschrieben. Aber damals waren die Indizien für die Hypothese, dass einige Risikogenvarianten für Autoimmunerkrankungen heute relativ weit verbreitet sind, weil sie in der Vergangenheit einen gewissen Schutz vor verheerenden Epidemien boten, überwiegend noch sehr indirekt. Die Datenbasis ist inzwischen viel besser. Frisch erschienen ist eine Arbeit, in der DNA aus zahlreichen Skeletten aus London und aus Dänemark analysiert wurde, die aus der Zeit kurz vor, während oder nach der großen  europäischen Pestepidemie im 14. Jahrhundert stammen.

Das Team hat vier Genvarianten identifiziert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Pest positiv selektiert wurden: Bei den damals gestorbenen 30-50 Prozent der Bevölkerung waren diese Varianten offenbar unterrepräsentiert, bei den Überlebenden und ihren Nachfahren dagegen viel häufiger. Keine der Varianten hat die Aminosäuresequenz eines Proteins verändert; alle dürften sich stattdessen auf die Stärke der Expression der Gene in bestimmten Zelltypen ausgewirkt haben – vor allem in Makrophagen, die bei einer Infektion Bakterien wie den Pest-Erreger Yersinia pestis „auffressen“ (Phagozytose), um dann den T-Zellen Bakterien-Bruchstücke zu präsentieren und so die spezifische Abwehr zu starten.

Am stärksten war die Pest-Selektions-Signatur beim Gen ERAP2, das die Fähigkeit der Makrophagen beeinflusst, die Vermehrung von Pestbakterien zu unterdrücken. Zugleich dämpft die positiv selektierte Genvariante die Ausschüttung von entzündungsfördernden Zytokinen, sodass das Gewebe rings um die Makrophagen im Falle einer Infektion nicht so stark geschädigt wird.

Die andere Seite der Medaille: Diese während Pestwellen nützliche, ja lebenswichtige Genvariante erhöht das Risiko, an Morbus Crohn zu erkranken. Eine weitere Pestschutz-Immungenvariante an einem anderen Ort in unserem Genom geht mit einem erhöhten Risiko einher, Rheuma oder Lupus zu bekommen. Salopp gesagt: Der Nachteil, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine schleichend voranschreitende Autoimmunerkrankung zu bekommen, ist an einen massiven Vorteil gekoppelt, die Pest zu überleben. Wir zahlen den Preis dafür, dass unserer Vorfahren nicht auf einem jener Pestfriedhöfe liegen, auf denen das Forschungsteam einen Teil seiner DNA-Proben gesucht hat.

(Einen kurzen Bericht über die Fachpublikation findet ihr bei The Scientist.)

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