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Inflammasomen: Entzündungsmaschinen aus Fertigbausteinen

Zeit für einen Werkstattbericht: Manche Abläufe oder Objekte im Immunsystem sind höllisch schwer zu visualisieren. Oft platzt nach tagelanger vermeintlicher Stagnation ein Knoten, und ich wache mit einer Bildidee auf. Aber diese verflixten Inflammasomen – die Proteinenkomplexe in Zellen, die Pyroptose begehen und dabei Entzündungssignale an ihre Umgebung aussenden – sperren sich hartnäckig. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Beschreibungen und Abbildungen in der Fachliteratur: Sie schildern und zeigen ja „nur“ Modelle, die auf dem Kenntnisstand und den Vorstellungen der jeweiligen Autoren vom Aufbau und der Funktionsweise dieser Gebilde beruhen.

Regenschirme, Mühlräder, Raumschiffe

Für diese Funktionsweise sind der dreidimensionale Aufbau und die Dynamik der beteiligten Proteine von entscheidender Bedeutung; beides lässt sich in einfachen zweidimensionalen Schemazeichnungen schlecht einfangen. Hinzu kommt, dass es zahlreiche unterschiedlich aufgebaute Inflammasomen gibt, die jeweils durch andere Signale aktiviert werden. Ich konzentriere mich im Folgenden auf das sogenannte NLRP3-Inflammasom, das am besten erforscht ist. Sein Zusammenbau und seine Aktivität können durch zahlreiche Reize ausgelöst werden, und es scheint bei etlichen chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen eine Rolle zu spielen.

Von oben sieht dieser Proteinkomplex wie ein Regenschirm oder ein Rad mit sechs, sieben oder acht Speichen aus. Von der Seite oder vielmehr im Längsschnitt betrachtet, hat er etwas von einem Raumschiff der Sternenflotte. Er besteht aus drei Baustein-Typen:

  • dem namensgebenden Protein NLRP3, das wiederum aus drei Funktionsbereichen oder „Domänen“ zusammengesetzt ist (PYD, NACHT, LRR) und den Sensor enthält, der das Inflammasom aktiviert,
  • einem Adapterprotein namens ASC mit zwei Domänen (PYD und CARD) sowie
  • dem Enzymvorläufer Pro-Caspase 1, ebenfalls mit zwei Domänen (CARD und p20/10).

Wofür all diese Abkürzungen stehen, das erspare ich uns hier.

Domino

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Die Domänen des Adapterproteins, PYD und CARD, tauchen in den beiden anderen Proteinen ebenfalls auf. Das ist kein Zufall, sondern Voraussetzung für den raschen Zusammenbau der Inflammasomen aus den Bausteinen, die in der Zelle bereitliegen und sich mit anderen Bausteinen zusammenlagern können, die dieselben Domänen aufweisen – so, wie man Dominosteine aneinander legt. Im Zytoplasma sind sie normalerweise inaktiv: Sie verbinden sich erst, wenn die Zelle den Weg zur Pyroptose, zum entzündlichen kontrollierten Zelltod einschlägt – sobald sie also Alarmsignale aus Pathogenen (PAMPs) oder aus beschädigten Zellstrukturen (DAMPs) empfängt.

Dieses regulierte Absterben ist Teil der bereits erläuterten angeborenen Immunreaktion, mit der die Ausbreitung von Krankheitserregern eingedämmt, gefährliche Zellüberreste aus dem Gewebe entfernt und Schäden repariert werden. Die Mechanismen sind evolutionär alt und erfordern keine Mithilfe der antigenspezifischen erworbenen Abwehr, also der B- und T-Zellen. Die Gefahrensignale sind nämlich immer dieselben, zum Beispiel reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS) aus den eigenen Mitochondrien, Komponenten aus Organellen, die im Zytoplasma eigentlich nichts zu suchen haben und auf eine Beschädigung hinweisen, ein plötzlicher Verlust von Kalzium im Zytoplasma – oder eben typische Bakterienstoffe wie Lipopolysaccharide (LPS). Das eine Ende des Proteins NLRP3 besteht aus dem Rezeptor LRR, der diese Alarmzeichen direkt oder indirekt – über ein zwischengeschaltetes zellinternes Signal – erspürt.

Sobald das passiert, wird zum einen im Zellkern die Produktion von weiteren Inflammasom-Bausteinen hochgefahren. Zum anderen aber lagern sich die bereits fertigen Bausteine zusammen, denn die Zelle muss sofort auf die Gefahr reagieren; die Herstellung von Proteinen dauert ja eine Weile. Am NLRP3 hängt normalerweise ein Label, das das Protein inaktiv hält. Dieses „Schildchen“, Ubiquitin, wird bei einer Aktivierung des Rezeptors LRR abgeknipst, und NLRP3 wird aktiv. Auch das Adapterprotein ASC wird (in diesem Fall durch das Anhängen zweier Label, nämlich Ubiquitin und Phosphatgruppen) in Aktionsbereitschaft versetzt. Nun lagern sich mehrere der langgestreckten NLRP3-Proteine mit ihrem PYR-Ende zusammen, sodass sie wie die Speichen eines Rads wirken.

Prionen-ähnliche Proteinkristalle

An die PYR-Ansammlung an der Radnabe lagern sich anschließend seitlich etliche ASC-Proteine an, und zwar ebenfalls mithilfe ihrer PYR-Einheiten. Sie bilden gewissermaßen eine Radachse, die wie ein Kristall weiterwächst. In der Literatur ist von einem Prionen-artigen Gebilde die Rede. Prionen verbinden wir mit tödlichen Gehirnerkrankungen wie dem Rinderwahn (BSE), der Scrapie beim Schaf und der Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen. Aber auch normale, lebensnotwendige Zellstrukturen wie das Zytoskelett oder eben Teile der Inflammasomen sind im Grunde Proteinkristalle mit einem regelmäßigen Aufbau.

Da sich in der ASC-Achse die PYR-Einheiten innen zusammenlagern, ragen die CARD-Domänen des ASC alle nach außen. An diese docken nun die gleichartigen CARD-Einheiten der Pro-Caspase-1-Bausteine an: wieder das Domino-Prinzip. Das löst die Bildung weiterer Prionen-ähnlicher länglicher Gebilde an, die aus lauter Pro-Caspase-Molekülen bestehen und seitlich von der ASC-Achse weg wachsen. Die nunmehr enge Nachbarschaft vieler dieser Enzymeinheiten hebt ihre Selbsthemmung auf: Sie ändern ihre dreidimensionale Gestalt ein wenig, lösen sich vom Inflammasom und stehen im Zytoplasma als aktive Caspase-1 zur Verfügung. Wie im Beitrag über die Pyroptose erläutert, verwandelt Caspase-1 unter anderem die Vorformen der entzündungsfördernden Zytokine IL-1β und IL-18 in ihre aktiven Formen, die aus der sterbenden Zelle ausgeschieden werden und die Nachbarschaft alarmieren.

Nützlicher Ansteckungseffekt

Offenbar gibt es neben diesen Zytokinen noch einen weiteren Ausbreitungsweg für eine aufkeimende Entzündung. Die sterbende Zelle setzt im Zuge ihrer Pyroptose größere Bruchstücke aus den Prionen-artigen ASC-Achsen der Inflammasomen frei. Diese bereits aktivierten ASC-Kristalle können offenbar auch außerhalb von Zellen Pro-IL-1β zu aktivem IL-1β umwandeln. Außerdem werden sie von Makrophagen vertilgt, die – durch die Zytokine und Gefahrensignale aus der sterbenden Zelle angelockt – den Zellmüll beseitigen. In den Makrophagen können die Enzymkomplexe weiterarbeiten und Pro-Caspase-1 zu aktiver Caspase-1 umbauen. Durch diese Kettenreaktion kann sich eine Entzündung, die von einigen wenigen Zellen ausgeht, sehr schnell ausbreiten.

Inflammasomen bei Autoimmunerkrankungen: Rolle ungeklärt

Wie viele andere nützliche Strukturen im Immunsystem kann auch das Inflammasom an Autoimmunerkrankungen, chronischen Entzündungen und anderen Krankheiten wie Alzheimer-Demenz, Parkinson oder Diabetes mitwirken, wenn es zur falschen Zeit, am falschen Ort, zu stark oder zu schwach aktiv wird. Das wiederum kann durch kleine Varianten (sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen oder single nucleotide polymorphisms, kurz SNPs) in den vielen an seinem Aufbau und seiner Arbeit beteiligten Genen passieren. Solche SNPs in den Genen für Inflammasom-Komponenten, die in einzelnen Ethnien das Risiko einer Autoimmunerkrankung erhöhen, den Verlauf der Erkrankung verschlimmern oder die Wirksamkeit einer Therapie dagegen verringern könnten, sind bislang für Vitiligo, Lupus, rheumatoide Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis, systemische Sklerose, Nebennierenrindeninsuffizienz und Psoriasis bekannt.

Bei vielen Autoimmunerkrankungen verschlimmert eine übermäßige IL-1β und IL-18-Ausschüttung den Verlauf, was vermuten lässt, dass bestimmte Zellen der Betroffenen überaktive Inflammasomen beherbergen. Allerdings ist ein kausaler Zusammenhang mit genetischen Veränderungen in den Inflammasom-Genen noch für keine dieser Krankheiten wirklich belegt, und Studien an unterschiedlichen Tiermodellen und an Menschen liefern oft widersprüchliche Ergebnisse. Die Inflammasomen sind eben nur ein Rädchen im hochkomplexen Regulierungssystem, das externe und köpereigene Gefahrensignale, Zelltod und Zellrettung, Organschädigung und Gewebsreparatur miteinander verbindet.

(Zeichnungen im nächsten Beitrag)

Literatur

H. Guo et al. (2105): Inflammasomes: mechanism of action, role in disease, and therapeutics

C.-A. Yang, B.-L. Chang (2015): Inflammasomes and human autoimmunity: A comprehensive review

Burning Down the House: Pyroptose

Im vorigen Beitrag habe ich einen Überblick über die Todesarten von Zellen gegeben. Eine Methode des zellulären Selbstmords, die Pyroptose, stelle ich hier ausführlicher vor.

Der 2001 geprägte Name bedeutet so viel wie „Feuertod“. Die Pyroptose ist ein stark entzündliches Todesprogramm, das vor allem mit Bakterien infizierte Zellen aktivieren, um eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Der Zelltod wird durch einen Proteinkomplex namens Inflammasom vermittelt. Das klassische Beispiel sind Makrophagen, also professionelle Fresszellen aus der angeboren Abwehr, die von Salmonella typhimuroum, Shigella flexneri, Listerien, Legionellen oder anderen Bakterien befallen sind, die in ihrem Zytoplasma leben. Aber auch Zellen der Darmschleimhaut, die mit Salmonellen infiziert sind, sterben durch Pyroptose und entlassen dabei die Bakterien wieder in den Darm, aus dem sie gekommen sind. So verhindern sie, dass die Salmonellen durch die Darmschleimhaut-Barriere tiefer ins Gewebe eindringen.

Evolutionäres Wettrüsten

Zwischen innerzellulären Pathogenen und ihren Wirtszellen herrscht ein Wettrüsten: Die Keime versuchen mit immer neuen Gift- und Signalstoffen, die Selbstmordprogramme der Zellen entweder zu forcieren und zu ihrer eigenen Verbreitung zu nutzen oder zu unterbinden, um im Verborgenen überdauern zu können. Und die Zellen versuchen die Keime entweder zu verdauen oder auszuhungern – oder sich selbst stillzulegen, um die Vermehrung der Keime und damit die Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Da Pathogene diese Strategie zu unterwandern versuchen, verfügen Zellen über mehrere Selbstmordprogramme: Im Fall einer Blockade können sie auf eine andere Todesart umschalten.

An der Pyroptose sind wie an der bekannteren intrinsischen Apoptose Enzyme aus der Caspase-Familie beteiligt. Die Ähnlichkeit der Wirkmechanismen könnte auf die Verwandtschaft von Bakterien und Mitochondrien zurückzuführen sein: Diese Zellkraftwerke, deren Durchlöcherung ein zentraler Schritt der intrinsischen Apoptose ist, sind evolutionär wohl aus innerzellulären Bakterien hervorgegangen. Pathogen-Bestandteile oder PAMPs (bei der Pyroptose) bzw. das Protein Cytochrom C aus den Mitochondrien (bei der Apoptose) lösen den Zusammenbau von Proteinkomplexen namens Inflammasom bzw. Apoptosom aus, die die späteren Schritte der Todesprogramme ausführen.

Ein Ende mit Knalleffekt

Ein Inflammasom besteht typischerweise aus Sensoren oder Rezeptoren für bakterielle Moleküle und andere Zellstress-Signale, dem Enzym Caspase-1 und Adapterproteinen. Die Zusammenlagerung dieser Komponenten im Inflammasom aktiviert die Caspase-1. Das Enyzm zerschneidet dann wohl einige Proteine, die an der Glykolyse – dem Zuckerabbau – beteiligt sind. So wird die Herstellung des Energieträgers ATP unterbunden: Sowohl den Pathogenen als auch der Wirtszelle geht gewissermaßen der Sprit aus.

Außerdem zerschneidet Caspase-1 die Vorformen der Zytokine IL-1β und IL-18, sodass sie aktiviert und ausgeschieden werden, in der Nachbarschaft Entzündungsalarm geben und Immunzellen anlocken können – vor allem Neutrophile, die dann Bakterien bekämpfen, die aus den infizierten Zellen ausgestoßen wurden oder entkommen sind. (Die Neutrophilen selbst können keine Pyroptose durchlaufen; sind gegen diese Form des infektionsinduzierten Selbstmords immun und daher ideale Bakterienbekämpfer.) Die gleichzeitige Freisetzung von Zytokinen, Bakterien, antimikrobiellen Substanzen und Alarmsignalen oder DAMPs – etwa dem kürzlich hier vorgestellten Molekül HMGB1 – sorgt für eine besonders energische Immunreaktion.

Anders als bei der weitgehend still verlaufenden Apoptose entstehen bei der Pyroptose außerdem Poren in der äußeren Membran der Zellen, die daraufhin wegen des osmotischen Drucks anschwellen und schließlich platzen (Lyse). In dieser Hinsicht ähnelt die Pyroptose der Nekrose.

Der Auslöser entscheidet über Tod oder Rettung

Der bloße Zusammenbau eines Inflammasoms und selbst die Aktivierung von Caspase-1 sind aber nicht immer ein Todesurteil für die Zelle: Ein Inflammasom, das in einer frisch infizierten Zelle zusammengesetzt wird, ist etwas anders aufgebaut als eines, dessen Zusammenbau durch Gefahrensignale aus der Umgebung der Zelle initiiert wird, etwa aus infizierten Nachbarzellen. Im ersten Fall wird die infizierte Zelle eliminiert und die Nachbarschaft mit starken Entzündungssignalen geflutet. Im zweiten Fall wird stattdessen ein Reparaturprogramm ausgeführt, bei dem die Zelle nicht stirbt, sondern sich selbst heilt, indem sie durch Autophagie defekte Komponenten und Mikroben abbaut und ggf. undichte Membranen flickt.

Wenn die Strategie der verbrannten Erde fehlschlägt

Normalerweise hilft die Pyroptose dem Organismus, infizierte Zellen und mit ihnen die Keime zu beseitigen. Ein exzessives pyroptotisches Makrophagensterben kann allerdings das Immunsystem schwächen, da es dann zu wenig professionelle Fresszellen und antigenpräsentierende Zellen für weitere Immunreaktionen gibt. Etwas ähnliches geschieht bei einer HIV-Infektion: Die Retroviren nisten sich in ruhenden T-Zellen ein, die daraufhin durch Pyroptose sterben. Die Viren werden dadurch aber nicht ganz eliminiert, sondern weichen in andere T-Zellen aus, die dann durch Apoptose sterben. Der Mangel an T-Helferzellen führt schließlich zu AIDS.

Auch droht eine Sepsis, wenn aus zahlreichen pyroptotischen Zellen große Mengen an Alarmsignalen oder DAMPs austreten. Dann bricht ein sogenannter Zytokinsturm los, bei dem eine Massenausschüttung von Zytokinen zahlreiche Immunzellen anlockt, die ihrerseits massenhaft Zytokine ausschütten. Dieser Entzündungsteufelskreis lässt sich oft nicht rechtzeitig stoppen.

Und spätestens bei „Teufelskreis“ ahnt man es: Auch bei einigen Autoimmunerkrankungen könnte Pyroptose eine unglückliche Rolle spielen, weil bei der Lyse der Zellen Autoantigene freigesetzt werden, was Attacken autoreaktiver Immunzellen auslösen oder verstärken kann. Allerdings konnte man bisher nur in wenigen Fällen Bakterien oder andere Pathogene nachweisen, die sich langfristig in unseren Zellen einnisten, so ständig die Pyroptose anheizen und damit schließlich Autoimmunreaktionen auslösen. Wahrscheinlicher ist es, dass in den Zellen von Menschen mit entsprechender genetischer Disposition auch ohne Infektion als Auslöserreiz gelegentlich Inflammasomen zusammengebaut werden, sodass Caspase-1 in Aktion tritt und zur Ausschüttung entzündungsfördernder Zytokine führt: sozusagen ein falscher Feueralarm, der dann wirklich zu einem Brand führt.

Literatur:

Dave Boucher, Kaiwen W. Chen, Kate Schroder (2015): Burn the house, save the day: pyroptosis in pathogen restriction (PDF)

Katherine Labbé, Maya Saleh (2011): Pyroptosis: A Caspase-1-Dependent Programmed Cell Death and a Barrier to Infection (PDF)

Christopher N. LaRock, Brad T. Cookson (2013): Burning Down the House: Cellular Actions during Pyroptosis

Kompendium der Todesarten

So nützlich die Wikipedia ist, viele ihrer Texte zu immunologischen Themen und angrenzenden Wissensgebieten sind hoffnungslos veraltet – so veraltet, dass ich oft gar nicht erst versuche, sie zu verbessern, da mir die Probleme uferlos erscheinen. So beruht der Artikel „Programmierter Zelltod“ auf einer Doktorarbeit aus dem Jahr 2004. Hundejahre muss man angeblich mit 7 multiplizieren, um ungefähr auf das Menschenalter zu kommen; mit der Zellbiologie verhält es sich ähnlich: Nach 13 Jahren ist der Artikel vergreist.

Da mich der Wildwuchs der Zelltod-Bezeichnungen in der Fachliteratur verwirrt hat, habe ich kürzlich zwei Arbeiten des internationalen Nomenklatur-Komitees für Zelltod (Nomenclature Committee on Cell Death, NCCD) gelesen, auf deren Basis ich demnächst wenigstens den zentralen Abschnitt des Wikipedia-Eintrags überarbeiten kann.

Programmierter Zelltod als Teilmenge des geregelten Zelltods

Das NCCD unterscheidet zwischen „accidental cell death“, also dem unfalls- oder zufallsbedingten, ungeplanten Zelltod, und „regulated cell death“, also geregeltem Zelltod. Der programmierte Zelltod ist eine Teilmenge des Letzeren und umfasst alle Fälle, in denen tatsächlich ein genetisch verankertes Programm abläuft, und zwar entweder im Zuge der Entwicklung eines Lebewesens, bei der Interim-Strukturen wieder abgebaut werden müssen, oder zum Erhalt des ausgewachsenen Organismus, etwa beim Ersatz infizierter, beschädigter oder alter Zellen.

Geregelt, aber nicht im eigentlichen Sinne programmiert sterben beispielsweise Zellen, in denen Reparaturversuche gescheitert sind und die Lebensprozesse nun geordnet heruntergefahren werden. Ungeplant ist typischerweise die Nekrose, von der hier schon oft die Rede war: Bei ihr treten Substanzen aus dem Zellinneren aus, die als Autoantigene Autoimmunreaktionen auslösen oder als Gefahrensignale (DAMPs) die angeborene Abwehr aktivieren können, wie kürzlich am Beispiel des Moleküls HMGB1 erläutert. In den letzten Jahren hat sich aber gezeigt, dass es Mischformen gibt, etwa eine regulierte Nekrose.

Paradigmenwechsel: Biochemie statt Morphologie

In seinen vorvorletzten Empfehlungen hatte das NCCD 2009 noch versucht, die Typen des Zelltods morphologisch zu definieren, also etwa danach einzuteilen, ob eine Zelle von einer anderen vertilgt wird oder sich selbst geregelt abbaut oder ohne jeden Verdauungsprozess stirbt. Wegen der Schwierigkeit, Zellen anzusehen, welches Programm in ihnen abläuft, und zugleich großer technischer Fortschritte schwenkte es 2012 auf molekulare Definitionen um: Welchen Tod eine Zelle stirbt, sollte eine Reihe genau messbarer biochemischer Eigenschaften zeigen.

Das hat für Laien den Nachteil, dass die Definitionen mit den Namen aller möglicher Signalstoffe und Enzyme vollgestopft sind, die das jeweilige Programm ausführen. Ich lasse im Folgenden viele Details weg, aber einige Bezeichnungen lassen sich nicht vermeiden.

Die Haupttodesarten

Extrinsische Apoptose: Dieses Zelltodesprogramm wird durch außerzelluläre Stress-Signale ausgelöst – entweder durch „Todesbotenstoffe“, die an spezifische Todesrezeptoren in der Zellmembran andocken, oder durch den Verlust von Lebenserhaltungssignalen, die normalerweise an bestimmte Rezeptoren gebunden sind. Alle Todesrezeptoren tragen an ihrer Innenseite, also am Ende, das in das Zytoplasma ragt, dieselbe 80 Aminosäuren lange Todes-Domain, die durch eine Konformationsänderung des Rezeptors bei Bindung des Todessignals aktiviert wird und in der Zelle eine Signalkette auslöst, die letztlich zum Tod und zur geordneten Entsorgung der Zelle führt.

An dieser Signalkette sind Caspasen beteiligt, Apoptose-typische Enzyme, die andere Proteine hinter einer bestimmten Aminosäure zerschneiden. In manchen Zellen wird dadurch die äußere der beiden Membranen der Mitochondrien durchlöchert, sodass die Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – quasi entladen und damit funktionsuntüchtig werden und zugleich giftige Proteine ins Zytoplasma freisetzen. Unter diesen spielt Cytochrom C eine besondere Rolle: Im Zytoplasma stößt es die Bildung eines Komplexes aus vielen Proteinen an, des Apoptosoms, das wiederum Caspasen aktiviert, die die Proteine in der Zelle zerlegen. In anderen Zellen wie den Lymphozyten werden die Caspasen, die den Zelltod vollstrecken, ohne vorherige Zerstörung der äußeren Mitochondrien-Membran aktiviert.

Wie die Apoptose abläuft, die nicht durch Bindung von Todessignalen, sondern durch den Verlust von Lebenserhaltungssignalen ausgelöst wird, ist noch nicht so gut untersucht; auch hier sind aber Caspasen beteiligt.

Intrinsische Apoptose: Dieses Programm wird durch alle möglichen innerzellulären Stress-Signal ausgelöst, etwa durch DNA-Schäden, oxidativen Stress, die Anhäufung falsch gefalteter Proteine usw. Gleichzeitig mit diesen pro-apoptotischen, also das Todesprogramm fördernden Signalkaskaden werden oft auch konkurrierende anti-apoptotische, also lebenserhaltende Prozesse gestartet, die den Zellstress auf nicht tödliche Weise zu beseitigen versuchen. Die Signale laufen in den Mitochondrien zusammen und werden dort verrechnet: Überwiegen die Todessignale, wird die äußere Mitochondrien-Membran durchlöchert, sodass der Zelle die Energie ausgeht, toxische Stoffe aus den Mitochondrien ins Zytoplasma gelangen und sich aggressiver Sauerstoff (ROS) anhäuft, der wiederum die pro-apoptotischen Signale verstärkt.

Es folgen, wie oben bei der extrinsischen Apoptose, die Bildung eines Apoptosoms und die Aktivierung von Caspasen. Andere Enzyme zerschnippeln im Zellkern die DNA-Stränge. Ein Teil der Prozesse ist also Caspase-abhängig, ein anderer nicht. Entsprechend enttäuschen verliefen Versuche, diese Art des Zelltods durch Caspase-hemmende Wirkstoffe aufzuhalten: Das Ende wird oft nur etwas hinausgezögert.

Regulierte Nekrose: Auch eine Nekrose, früher der Inbegriff eines traumatischen Zelltods, kann geregelt ablaufen. Auslöser sind zum Beispiel bestimmte DNA-Schäden oder die Bindung externer Todessignale (etwa Tumornekrosefaktor α) an Todesrezeptoren. Wenn man die Caspasen in einer durch externe Signale zur Apoptose angehaltenen Zelle gezielt ausschaltet, stirbt sie oftmals trotzdem. Vermittelt wir der Tod dann über andere Enzyme namens RIP1 und RIP3. RIP steht dabei nicht für „requiescat in pace“ oder „rest in peace“, sondern für „receptor interacting protein“.

Ob diese Todesart mit der sogenannten sekundären Nekrose identisch ist, die laut der immunologischen Literatur in der Spätphase einer Apoptose auftreten kann, ist mir unklar – vermutlich eher nicht.

Autophagischer Zelltod: Die Bezeichnung ist problematisch, da sie suggeriert, dass die Autophagie – also ein eigentlich der Rettung von Zellen in Hungerzeiten und anderen Notlagen dienendes Programm – die Zellen sterben lässt. Tatsächlich sehen manche sterbende Zellen autophagischen Zellen mit ihren vielen Vakuolen im Zytoplasma unter dem Mikroskop ähnlich, aber das heißt nicht, dass hier dasselbe Programm abläuft: ein gutes Beispiel für die Untauglichkeit morphologischer Zelltod-Definitionen.

In ausgewachsenen Organismen sind Zelltod und Autophagie (also die Verdauung kurzfristig nicht lebensnotwendiger Zellstrukturen zum Recycling wichtiger Rohstoffe oder zur Bekämpfung innerzellulärer Pathogene) zumeist gegenläufige, einander blockierende Programme. Während der Entwicklung eines Organismus endet Autophagie dagegen häufig mit dem Tod der Zelle. Dann kann man sie als Form des programmierten Zelltods ansehen.

Mitotische Katastrophe: Auch wenn bei einer Zellkernteilung oder Mitose etwas schief geht, wird ein Todesprogramm gestartet, um etwa zu verhindern, dass Zellklone mit unvollständigen oder falsch organisierten Chromosomensätzen entstehen, aus denen Tumoren werden könnten. Dieses Programm ist also eher ein onkosuppressiver, d. h. Krebs unterdrückender Mechanismus, der entweder zum Tod oder zur Seneszenz – gewissermaßen dem Ruhestand – der Zelle führt.

Ferner liefen

Anoikis: Eine deutsche Entsprechung (Anoike?) für diesen Ausdruck, der „Unbehaustheit“ bedeutet, hat sich noch nicht etabliert. Viele Zellen etwa in unserer Haut benötigen Kontakt zu einer extrazellulären Matrix und den von ihr ausgehenden Überlebenssignalen (etwa Integrin und epidermaler Wachstumsfaktor), um zu gedeihen. Verlieren sie diese Bodenhaftung, gehen sie ein. In der Ausführungsphase ähnelt dieses Programm der intrinsischen Apoptose.

Entosis: Auch für diesen Tod durch Verzehr durch eine Nicht-Fresszelle, der vor allem in Tumoren beobachtet wird, fehlt noch ein deutscher Ausdruck wie Entose. Dem NCCD zufolge sollte man nur von Entosis sprechen, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: 1. Die verschlungene Zelle darf nicht aus dem Phagosom (quasi deren Schlund) der anderen Zelle entweichen und muss von deren Lysosom (gewissermaßen dem Magen) abgebaut werden. 2. Beide beteiligten Zellen gehören demselben Typ an; professionelle Fresszellen sind nicht beteiligt. 3. Substanzen, mit denen man die Caspase-abhängige oder -unabhängige intrinsische Apoptose blockieren kann, halten den Prozess nicht auf.

Parthanatos: Das Kofferwort bezeichnet einen Tod (griechisch thanatos) durch das Enzym Poly(ADP-Ribose)-Polymerase 1, kurz: PARP1. Normalerweise trägt es zur Reparatur von DNA-Schäden bei, aber seine Überaktivierung vergiftet die Zelle gewissermaßen: Die lebenswichtigen Moleküle NAD+ und ATP gehen verloren, und der Apoptose-Induktionsfaktor (AIF) wird freigesetzt. Dieses Todesprogramm läuft unter anderem bei Schlaganfällen, Diabetes, Entzündungen und neurodegenerativen Erkrankungen ab, ist von Caspasen unabhängig und zählt möglicherweise zu den oben behandelten regulierten Nekrosen.

Pyroptose: Zunächst bei Salmonellen-infizierten Makrophagen beschrieben, ist dieses Todesprogramm keineswegs auf Makrophagen und Bakterieninfektionen (auch mit Shigella, Listeria, Pseudomonas usw.) beschränkt. Pyroptotische Zellen können sowohl nekrotischen als auch apoptotischen Zellen ähneln. In ihnen wird das Enzym Caspase-1 aktiviert, und es ist noch unklar, ob es sich um eine Sonderform der oben besprochenen Caspase-abhängigen intrinsischen Apoptose handelt. An ihrer Ausführung sind die entzündungs- und fieberfördernden (pyrogenen) Interleukine IL-1β und Il-18 beteiligt.

NETose: Neutrophile und eosinophile Granulozyten können durch Stimuli wie bakterielle Moleküle dazu angeregt werden, sogenannte neutrophile extrazelluläre Netze (kurz NETs) auszustoßen, die überwiegend aus Inhalten ihrer Zellkerne wie DNA und Histonen bestehen und antimikrobiell wirken. Unter physiologischen Bedingungen sterben die Zellen durch den Ausstoß eines Teils ihres Zellkerns merkwürdigerweise nicht. Bei der Stimulation mit bestimmten künstlichen Verbindungen wird jedoch in manchen Neutrophilen ein seltsames Todesprogramm ausgelöst, die NETose. Sie geht oft, aber nicht immer mit dem Ausstoß von NETs einher, ist nicht Caspase-abhängig, wohl aber auf die enzymatische Bildung von Hyperoxiden (O2) und auf Teile der Autophagie-Maschinerie angewiesen. Sie ähnelt teils dem autophagischen Zelltod, teils der regulierten Nekrose.

Verhornung: Die Zellen der äußeren Schicht unserer Epidermis sterben geregelt ab und bilden so die Hornhaut: eine Schicht aus toten Keratinozyten, die großenteils aus bestimmten Proteinen wie Keratin und aus Fetten bestehen und die Haut stabil, widerstandsfähig, elastisch und wasserabweisend machen. Zwar durchlaufen auch andere Zellen eine ähnliche „terminale Differenzierung“, etwa rote Blutkörperchen oder die Zellen im Augenlinsen-Epithel, die dabei ihre Zellkerne einbüßen. Aber anders als diese können die Keratinozyten anschließend keinen stressbedingten Tod mehr sterben. Daher wird die Verhornung als gesondertes Todesprogramm angesehen.

Point of no Return

In seinen bislang jüngsten Empfehlungen aus dem Jahr 2015 beschäftigt sich das NCCD vor allem mit den Phasen des regulierten Zelltods. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Versuche, den Zelltod etwa bei bestimmten Erkrankungen medikamentös auszubremsen. Viele Ansätze erwiesen sich als wirkungslos – wohl da sie in der späten Phase ansetzten, in der sich das Todesprogramm nicht mehr aufhalten lässt.

Das NCCD teilt den regulierten Zelltod in neun Schritte ein.

Die ersten beiden zählen zur reversiblen Phase und können durch geeignete zytoprotektive, d. h. zellschützende Maßnahmen gestoppt werden:

  • Störung der Homöostase
  • frühe Signalwege

Es folgt die Grenze zwischen Leben und Tod:

  • Point of no Return

Dann beginnt die irreversible Phase, in der zytoprotektive Maßnahmen nicht mehr fruchten:

  • späte Signalwege
  • unmittelbare Ursachen oder Effektoren des regulierten Zelltods
  • primärer Zelltod

In der dritten, der vermeidbaren Phase breitet sich der Zelltod auf die Nachbarschaft aus, wenn das nicht – etwa medikamentös – verhindert wird:

  • Freisetzung von Gefahrensignalen (DAMPs)
  • Entzündungsreaktionen
  • Einleitung des sekundären regulierten Zelltods (teils direkt durch die DAMPs, teils durch die Entzündung)

Besonders enttäuschend verliefen Versuche, den Tod von Säugetierzellen durch die Blockade von Caspasen zu stoppen: Die Zellen starben nun ein wenig langsamer, da die Effektorphase des regulierten Zelltods offenbar aus mehreren parallelen Strängen besteht. Für den Tod unmittelbar verantwortlich sind wohl nicht die Caspasen, sondern der Verlust des Zelltreibstoffs ATP und die Störung des Redox-Gleichgewichts, die zahlreiche Enzyme deaktivieren und Organellen und Membranen der Zelle beschädigen.

Erfolgversprechender ist die Stärkung von Überlebenssignalen, die ganz am Anfang des Sterbevorgangs, also direkt nach der Störung der Homöostase, mit den frühen Todesprogramm-Signalen konkurrieren. Eingriffe in die Spätphase können dennoch sinnvoll sein, wenn sie die Freisetzung von DAMPs und damit die Ausbreitung des Sterbens auf das benachbarte Gewebe verhindern. Das gilt auch und besonders für den Teufelskreis aus Zelltod, DAMP- bzw. Antigen-Freisetzung und Angriffen des so aktivierten Immunsystems auf weitere Zellen, wie wir ihn bei Autoimmunerkrankungen beobachten.

Literatur:

L. Galluzzi et al. (2012): Molecular definitions of cell death subroutines: recommendations of the Nomenclature Committee on Cell Death 2012

L. Galluzzi et al. (2015): Essential versus accessory aspects of cell death: recommendations of the NCCD 2015

 

Literaturliste zum Immunsystem der Pflanzen, Teil 7: Zelltod

Sinn und Anfang der Liste: s. Teil 1.

Andrew P. Hayward, S. P. Dinesh-Kumar: What can plant autophagy do for an innate immune response? Annual Review of Phytopathology 49, 2011, 557-576, doi: 10.1146/annurev-phyto-072910-095333
[nur Abstract gelesen] Autophagie, programmierter Zelltod, PCD, Immunabwehr der Säugetiere.

J.-L. Cacas: Devil inside: does plant programmed cell death involve the endomembrane system? Plant, Cell & Environment 33, 2010, 1453-1574, doi: 10.1111/j.1365-3040.2010.02117.x
[nur Abstract gelesen] endoplasmatisches Reticulum, Golgi-Apparat, Vakuole, programmierter Zelltod, Endomembransystem.

Kirsten Bomblies: What Can Plant Autophagy Do for an Innate Immune Response? Annual Review of Phytopathology 49, 2009, 557-576, doi: 10.1146/annurev-phyto-072910-095333
[nur Abstract gelesen] Hybridnekrose, Inkompatibilität, Autoimmunität, programmierter Zelltod, Abwehr, Artbildung, Evolution.   Weiterlesen