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Klimawandel: Der Makrelen-Streit

Kurzvortrag mit vier Flipchart-Blättern, also ohne Stromverbrauch vorgetragen – aber zur Not auch mit einem Beamer zu halten, etwa vor großem Publikum. Der Vortrag dauert je nach Fragefreudigkeit der Zuhörer*innen 20 bis 30 Minuten. Vortragsanfragen bitte an die im Impressum genannte Mailadresse!

Das Goldilocks Principle in der Ökologie: Viele Umweltparameter wie die Wassertemperatur im Meer müssen „gerade richtig“ sein, damit Organismen gedeihen. Wird es z. B. zu warm, wandern viele Arten in Richtung der Pole ab. Um wieder in ihren Wohlfühlbereich zu gelangen, müssen sie in den Meeren wegen der flacheren Temperaturgradienten weitere Strecken zurücklegen als an Land.

Der Fang von Makrelen (Scomber scombus) galt lange als nachhaltig, war zertifiziert vom Marine Stewardship Council (MSC). Ab 2007 haben sich die Bestände abrupt weit nach Norden verlagert. Seither beanspruchen Island, die Färöer und Grönland erheblich größere Fangmengen für sich. Da sie sich mit den angestammten Makrelenfang-Nationen nicht einigen konnten und weit mehr fangen, als diese für vertretbar halten, wurde die Zertifizierung aufgehoben.

Arten, die nicht so rasch und so weit abwandern können, droht ein phänologischer Mismatch. So können Jungtiere zu einem Zeitpunkt schlüpfen oder geboren werden, wenn ihre wichtigste Nahrungsquelle schon verschwunden ist – oder sich noch nicht entwickelt hat. Die phänologischen Jahreszeiten haben sich durch die Erderwärmung bereits bis zu 4 Wochen vorverlagert. Zum Beispiel schlüpfen Heringslarven in der erwärmten Ostsee inzwischen so früh im Jahr, dass die Algen, von denen sie leben, noch nicht ausreichend gewachsen sind (denn die orientieren sich eher an der Tageslänge als an der Temperatur).

Mobile Generalisten wie die Makrelen kommen mit den Veränderungen besser zurecht als weniger mobile Spezialisten wie die Heringe.

Dramatische Veränderungen bei mobilen Arten wie den Makrelen sind wichtige Warnsignale für das, was in den nächsten Jahrzehnten noch kommt. Naturschutzmechanismen wie das Ausweisen von Schutzgebieten oder Fangquoten-Verhandlungen sind u. U. zu langsam, um zum Beispiel mit der Abwanderung von Populationen in Richtung Nordpol schrittzuhalten.

Die Darmflora der Inuit

Vor zwei Jahren war ich in Grönland und habe gesehen, wie stark die Kultur dort bei aller Modernisierung noch durch die Jagd geprägt ist. Seither habe ich mich gefragt, wie sich die traditionelle, an tierischen Fetten und Proteinen außerordentlich reiche Kost der Inuit auf die Zusammensetzung und Diversität ihrer Darmflora auswirkt.

Vergleiche zwischen dem Mikrobiom von Menschen mit „westlicher“ Ernährung und solchen aus traditionellen Agrargesellschaften in Afrika (etwa in Burkina Faso) oder Nordamerika (etwa bei den Hutterern) habe ich hier im Blog bereits vor Jahren vorgestellt. Nach meiner Rückkehr war ich erpicht darauf, zu erfahren, wie die Darmflora der Inuit aussieht: Ist sie artenreicher als unsere verarmte „westliche“ Darmflora? Dominieren in ihr wegen der Fleischlastigkeit der Kost womöglich andere Schlüsselorganismen?

Zu meiner großen Verwunderung fand ich dazu absolut nichts in der Fachliteratur: keine einzige Arbeit. Genetische Anpassungen der Inuit an ihren Lebensraum und deren Auswirkungen auf ihre Gesundheit waren durchaus untersucht worden, ihre Darmflora aber nicht – obwohl das nun wirklich sehr nahe lag. Seither habe ich die Literatursuche ab und zu wiederholt – und inzwischen bin ich fündig geworden:

Forscherinnen und Forscher um B. Jesse Shapiro haben 2017 in zwei Arbeiten die Resultate ihrer 16S-rRNA-Analysen von Stuhl- und Toilettenpapier-Proben veröffentlicht, die sie zum einen in Inuit-Siedlungen in Resolute Bay (Nunavut, Kanada) und zum anderen in Montréal (Québec, Kanada) bei Nachfahren von Europäern gesammelt haben. Diese Nukleinsäuren stammen aus den Ribosomen von Bakterien, und es gibt große Datenbanken, in denen man einer bestimmten Basensequenz eine Bakterienart oder -Gattung zuordnen kann.

Zur Überraschung des Teams unterschied sich die typische Darmflora der weitgehend traditionell lebenden Inuit kaum vom Artenspektrum im Darm der „westlich“ lebenden Leute aus Montréal. Die Unterschiede zwischen den Individuen in beiden Gruppen waren viel größer als die zwischen den Gruppen. Auch war das Mikrobiom der Inuit nicht auffällig vielfältiger als das der „Westler“. Allerdings waren Bakterienarten der Gattung Prevotella, die vor allem Ballaststoffe aus pflanzlicher Nahrung aufschließen können, bei den Inuit signifikant schwächer vertreten als bei den Städtern europäischer Herkunft.

In einer weiteren Analyse hat das Team die Veränderung der Darmflora-Zusammensetzung im Jahresverlauf untersucht – in der Annahme, dass die Kost der Inuit sich mit den Jahreszeiten stärker verändert als in der Großstadt. Sie fanden zwar Unterschiede, aber auch diese waren außerordentlich subtil: Bei den Inuit erklärt die Saisonalität einen etwas höheren Prozentsatz der Variabilität der Mikrobiom-Zusammensetzung als bei den europäischstämmigen Städtern. Diese Schwankungen schlagen sich aber nicht in einer klaren Zu- oder Abnahme bestimmter Bakterienarten, -gattungen oder -familien im Jahreszyklus nieder, sondern nur in stärkeren Abweichungen zwischen den Individuen in der Inuit-Gruppe. Vermutlich ist deren Ernährung (noch) nicht so standardisiert wie bei den Nachfahren der Europäer in der großen Stadt.

Womöglich – so die Autorinnen und Autoren – ist die alles homogenisierende „Verwestlichung“ der Lebensweise und Ernährung bereits zu stark vorangeschritten, um noch markante Unterschiede zu entdecken. Jedenfalls ist das Inuit-Mikrobiom weder das „andere Extrem“ im Vergleich zur artenreichen Darmflora sehr fleischarm lebender ländlicher Gemeinschaften, nämlich besonders artenarm, noch ein weiteres Exempel für die größere Darmflora-Vielfalt nicht westlich lebender Menschen: Es ähnelt in fast allem unserem eigenen Mikrobiom.

 

Girard, Catherine et al. “Gut Microbiome of the Canadian Arctic Inuit.” Ed. Rosa Krajmalnik-Brown. mSphere 2.1 (2017): e00297–16. PMC. Web. 18 Aug. 2018.

Dubois, Geneviève et al. “The Inuit Gut Microbiome Is Dynamic over Time and Shaped by Traditional Foods.” Microbiome 5 (2017): 151. PMC. 

Fotos vom Arctic Circle Trail zwischen Kangerlussuaq und Sisimiut sowie von Fleischmarkt in Nuuk, Westgrönland, 2016