Höchste Zeit, den Bogen vom Mikrobiom zu den Allergien und Autoimmunerkrankungen zu schlagen. Hier die erste Arbeit dazu:
Ilkka Hanski et al.: Environmental biodiversity, human microbiota, and allergy are interrelated. PNAS Early Edition, 2012, doi: 10.1073/pnas.1205624109
Biodiversitätshypothese: Weniger Kontakt zu natürlicher Umwelt -> Mikrobiom verändert -> Immunmodulation verändert -> mehr Allergien und ander chronische Entzündungen (wie Autoimmunerkrankungen). Analyse der atopischen Sensibilisierung (Entwicklung von IgE-Antikörpern in Reaktion auf Allergengabe) in einer Zufallsstichprobe von 118 Heranwachsenden in einem heterogenen Gebiet von 100 * 150 km in Ostfinnland (Kleinstadt, verschieden große Dörfer, einzelne Häuser; alle Tn. lebten seit der Kindheit dort).
Resultat: Biodiversität im langjährigen Lebensumfeld (gemessen als Vegetationsbedeckung der Grundstücke und als Hauptlandnutzungstyp in einem 3-km-Umkreis) beeinflusst die Zusammensetzung der Hautflora (Bakterienklassen). Individuen mit Allergien lebten in einer weniger artenreichen Umgebung und wiesen eine geringere Gattungsdiversität von Gammaproteobacteria auf der Haut auf. Bei gesunden Individuen, nicht aber bei Personen mit Allegien, korrelierte die IL-10-Expression positiv mit der Menge der Gammaproteobakteriengattung Acinetobacter auf der Haut.
Urbanisierung, 2050 werden bis zu 2/3 der Menschheit in Städten leben, chronische Entzündngen werden weiter zunehmen. Mikroben beeinflussen Immunsystem über Toll-like Receptors und andere Antigenrezeptoren die Regelkreise des Immunsystems, und zwar je nach Bakterium unterschiedlich stark.
Hautflora wird von Actinobacteria, Bacilli, Clostridia, Betaproteobacteria, Alphaproteobacteria, Gammaproteobacteria dominiert. Hauptkomponentenanalyse (PCA) der Zahl der Gattungen in diesen 6 Klassen -> PC1env der Landnutzungstypen korreliert signifikant mit PC2bac: mehr Proteobacteria-Gattungen auf der Haut von Personen, deren Umwelt von Wald und landwirtschaftlichen Nutzflächen dominiert war und nicht von bebauten Flächen oder Gewässern. Grundstücke um die Häuser: 15 Vegetationstypen, dorchschnittlich 0,17 ha. PC2bac korrelierte nicht mit Pflanzenartenreichtum auf dem Grundstück oder Typ, Alter oder Zustand des Hauses.
Allergie ließ sich signifikant durch die Umweltdiversität erklären: weniger Allergie in der Umgebung von Wäldern und landwirtschaftlichen Nutzflächen. Vegetationstyp des Grundstücks ohne Einfluss, aber Artenreichtum bei den seltenen einheimischen Blütenpflanzen korrelierte signifikant negativ mit Allergiehäufigkeit; etwa 25% mehr seltene Blütenpflanzenarten in den Gärten der Gesunden als in den Gärten der Allergiker. Ohne signifikanten Einfluss auf Allergiehäufigkeit: Artenreichtum anderer Pflanzen, rauchende Familienangehörige, Bauernhof, enger Kontakt mit Haustieren.
Allergie korrelierte nicht mit der PC2bac, die für die Charakterisierung der Hautflora verwendet worden war, wohl aber stark negativ mit der Gattungsvielfalt (nicht dem Anteil an der Gesamthautflora!) der Gammaproteobacteria. Das galt für alle getesteten inhalativen Allergene: Katze, Hunde, Pferd, Birke, Wiesen-Lischgras, Beifuß). Gammaproteobacteria scheinen, obwohl sie nur 3% der Hautflora ausmachen, eine starke Allergieschutzwirkung zu haben. (Dass es umgekehrt sein könnte, halten die Autoren aus mehreren Gründen für unplausibel.) Dafür spricht auch, dass bei Gesunden die IL-10-Expression in peripheren mononukleären Zellen (Zellen des Immunsystems) stark positiv mit der relativen Häufigkeit der Gammaproteobacteria, insbesondere Acinetobacter, korreliert. Bei Allergikern korrelierte die IL-10-Expression dagegen negativ mit der relativen Acinetobacter-Häufigkeit. Welche Immunzellen primär für die IL-10-Sekretion zuständig sind (allergenspezifische Tregs, T-Effektorzellen, B-Zellen oder Monoyten/Makrophagen), ist noch unklar.
IL-10 spielt offenbar eine Schlüsselrolle beim Erhalt der Immuntoleranz gegenüber harmlosen Substanzen. Dass Acinetobacter und IL-10-Expression bei Allergikern nicht mehr assoziiiert sind, deutet auf einen Zusammenbruch der Regulierung und ein Ungleichgewicht zwischen Tregs und T-Gedächtiszellen hin. In einem Mausmodell hatte A. lwoffii eine starke Schutzwirkung vor Allergien, und hier konnte kein Zweifel an der Kausalität bestehen. Vermutlich sorgen Gammaproteobacteria – ähnlich wie bestimmte Darmbakterien – für eine gesunde, gut geschlossene Barriere in der Haut. Gammaproteobacteria kommen im Boden, v. a. aber auf der Vegetation vor und wurden z. B. auf Graspollen nachgewiesen. Warum Allergien nicht mit der relativen Häufigkeit, sondern mit der Gattungsvielfalt der Gammaproteobacteria assoziiert ist, bleibt zu klären. Vielleicht liegt es daran, dass der Studie viele Jahre nach Ausbruch der Allergien durchgeführt wurde: Evtl. ist die Gattungsvielfalt ein stabileres Merkmal als die relative Häufigkeit, sodass die eigentliche Kausalität durch den langen Zeitraum verwischt wurde.
sehr interessanter Artikel und Ansatz. Ich beschäftige mich mit dem Thema Allergie aus dem Blickwinkel der Nahrung. Erst letztens habe ich mir das Buch von Sigi Nesterenko geakuft und bearbeitet und fand es hier auch spannend, dass auch der candida pilz allergien positiv beeinflusst…
Nach Deinem Artikel möchte man glatt wieder aus der Stadt ziehen 😉