Nach langer Pause wegen Überstunden und Krankheit stürze ich mich wieder in die Arbeit am Buch. Ich bin immer noch mit der Beschreibung der wichtigsten Mechanismen beschäftigt, über die Infektionen mutmaßlich Autoimmunerkrankungen auslösen: molekulare Mimikry, Bystander Activation, Epitope Spreading und polyklonale Aktivierung, z. B. durch Superantigene.
Nebenbei wühle ich mich durch die Wissenschafts-Newsletter der letzten Monate. Evtl. fürs Buch relevante Meldungen verlinke ich hier. Den Anfang macht The Scientist, vor allem mit Meldungen zum Mikrobiom.
Microbes Fight Chronic Infection: Eine am 23.10.2014 in Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass Clostridium scindens und in geringerem Umfang 10 weitere Bakterien-Taxa aus dem Darm-Mikrobiom Antibiotika-behandelte (und daher dysbiotische) Mäuse vor Infektionen mit Clostridium difficile schützen können. Evtl. lässt sich daraus eine Therapie für dysbiotische Menschen entwickeln, die weniger riskant ist als die Stuhltransplantationen, die derzeit in, äh, aller Munde sind.
Gut Microbes Trigger Malaria-Fighting Antibodies: Eine am 04.12.2014 in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass E. coli im Darm von Mäusen die Bildung von Antikörpern gegen den Kohlenwasserstoff Galα1-3Galb1-4GlcNAc-R (kurz: α-gal) auslöst, der sowohl an der Oberfläche der Bakterien als auch auf Malaria-Erregern (bei Mäusen Plasmodium berghei, bei Menschen Plasmodium falciparum) zu finden ist. Diese Antikörper sind auch im Blut gesunder Menschen in großen Mengen anzutreffen. Dank einer Dreifach-Mutation in den gemeinsamen Vorfahren der Menschen und der Menschenaffen stellen unsere Zellen kein α-gal mehr her, sodass die Antikörper nicht den eigenen Körper angreifen. Mit P. berghei infizierte Mäuse mit den durch das Bakterium induzierten Antikörpern im Blut erkrankten nur halb so häufig an Malaria wie Mäuse ohne die Antikörper.
Platelets Fan Inflammation: Eine am 04.12.2014 in Science veröffentlichte Studie zeigt, dass Blutplättchen (Thrombozyten) maßgeblich an Entzündungsreaktionen beteiligt sind: Durch ein lokales Gefäßtrauma aktivierte Blutplättchen lagern sich an das Protein PSGL-1 am Hinterende von Neutrophilen an, die chemotaktisch an den Entzündungsherd gelockt werden und dort an den Blutgefäßwänden entlangkriechen, bevor sie sich zwischen deren Zellen hindurchquetschen und ins Gewebe eindringen (siehe Blogbeiträge über Homing und Rolling). Nur solcherart von Thrombozyten aktivierte Neutrophile dringen effektiv in das Gewebe ein und werfen dort z. B. ihre DNA-Netze aus. Durch Blockade der Wechselwirkung zwischen Thrombozyten und Neutrophilen könnte man gefährliche Gefäßentzündungen dämpfen.
Mother’s Microbes Protect Baby’s Brain: Eine am 19.11.2014 in Science Translational Medicine veröffentlichte Studie zeigt, dass die Schließung der Blut-Hirn-Barriere gegen Ende der Embryonalentwicklung bei Mäusen von der Darmflora der Mutter abhängt. Im Nachwuchs keimfrei aufgezogener Mäuse bliebt die Barriere undicht; die Tight-Junction-Proteine werden zu schwach exprimiert und ordnen sich nicht korrekt an. Die Barriere kann aber nachträglich abgedichtet werden, indem man keimfrei aufgezogenen Mäusen entweder Stuhlproben von Mäusen mit normalem Mikrobiom oder aber kurzkettige Fettsäuren (SCFA, Bakterien-Stoffwechselprodukte mit Signalfunktion) verabreicht. Der Mechanismus ist noch nicht aufgeklärt, dürfte aber etwas mit der Strukturähnlichkeit der Tight Junctions in der Darmschleimhaut und im Gehirn zu tun haben.
Virus Protects Mouse Gut: Eine am 19.11.2014 in Nature erschienene Studie zeigt, dass das Murine Norovirus (MNV) im Darm Antibiotika-behandelter oder keimfrei aufgezogener Mäuse Teile der Schutzfunktion gegen Darmverletzungen und -infektionen übernehmen kann, die normalerweise die Darmflora ausübt: In Mäusen, die zwar keine normale Darmflora hatten, aber mit dem Virus infiziert waren, heilten Darmverletzungen besser, und sie verfügten über mehr Zellen und Botenstoffe des Immunsystems als MNV-freie Mäuse. Anders als beim Menschen sind Noroviren-Infektionen bei Mäusen symptomfrei und langanhaltend. Die Funktionen des Virioms (aber auch der Pilze und Archaebakterien im Darm) sind bislang schlechter untersucht als die Funktionen des bakteriellen Mikrobioms.
Gut Microbiome Heritability: Eine am 06.11.2014 in Cell veröffentlichte Analyse einer großen Studie an ein- und zweieiigen Zwillingen zeigt, dass die Anwesenheit von Bakterien aus der Familie Christensenellaceae in der Darmflora eine starke erbliche Komponente hat. Eine Bakteriengemeinschaft, in der Christensenellaceae eine Schlüsselrolle einnehmen, ging in der Zwillingsstudie zudem mit einem niedrigen Body Mass Index (BMI) einher. Dieser Effekt lässt sich durch Stuhltransplantationen auf Mäuse übertragen: Je mehr Christensenellaceae in der übertragenen Probe, desto geringer die Gewichtszunahme bei vordem keimfreien Mäusen und desto größer der Gewichtsverlust bei Mäusen, die zuvor ein zu Übergewicht führendes Mikrobiom hatten.
Great Ape Microbiomes: Eine am 03.11.2014 in PNAS erschienene Studie zeigt, dass die Mikrobiom-Diversität bei Schimpansen, Bonobos und Gorillas deutlich größer ist als beim Menschen. Die starke Divergenz von den Mikrobiomen der anderen Menschenaffen und die stark reduzierte Vielfalt sind wohl auf die fleischreiche Kost des Menschen zurückzuführen.
Supporting the „Good“ Gut Microbes: Eine am 01.10.2014 in Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass Mäuse bei einer systemischen Bakterieninfektion den Zuckerstoffwechsel im Dünndarmepithel so verändern, dass der Darmflora der Zucker Fucose zur Verfügung steht. Damit stärken sie diese Bakterien während ihrer Erkrankung, die typischerweise mit reduzierter Nahrungsaufnahme und damit einer Mikrobiom-Schwächung einhergeht, und senken das Risiko einer erneuten Infektion. Ausgelöst wird die Fucose-Bereitstellung durch das Zytokin IL-22, das von Zellen der angeborenen Abwehr ausgeschüttet wird. Wie die durch Fucose unterstützten Bakterien dem Organismus bei der Bekämpfung der Infektion helfen, ist noch unbekannt. Die Schutzwirkung gilt nur für systemische, nicht für reine Darminfektionen. Das für die Fucose-Herstellung nötige Gen Fut2 fehlt etwa 20% der Bevölkerung, und sein Fehlen wurde mit Morbus Crohn assoziiert.
Ancient Europeans Were Lactose Intolerant: Eine am 21.10.2014 in Nature Communications veröffentlichte DNA-Analysen an Europäern, die 5700 bis 800 v. u. Z. gelebt haben, zeigen, dass der genetische Wandel weit hinter einem kulturellen Wandel herhinken kann: Als die Viehhaltung und der Konsum von Milchprodukten in Europa bereits weit verbreitet waren, war die Bevölkerung noch laktoseintolerant. Zugleich zeigt die Studie, dass Laktosetoleranz und andere Anpassungen an die neue, importierte Lebensweise mit der Vermischung von Populationen einhergingen und nicht durch Neumutationen in der alteuropäischen Population entstanden.
Intensive Loss of Gut Bacteria Diversity: Eine am 23.08.2014 in mBio veröffentlichte Studie zeigt, dass eine längere Intensivbehandlung im Krankenhaus, insbesondere mit Antibiotika und intravenöser Ernährung, mit einem Zusammenbruch der Diversität der Darmflora einhergeht. Zudem dominieren in diesen Darm-Mikrobiomen häufig Pathogene wie Enterococcus oder Staphylococcus, oftmals Antibitika-resistente Stämme, sowie Pilze der Gattung Candida. Die Forscher haben die Organismen aus der dysbiotischen Darmflora von sechs Patienten kultiviert und in den Darm von Fadenwürmern übertragen, die ein Modellorganismus für die Virulenz von Säugetier-Pathogenen. Die Bakterien allein richteten in den Würmern wenig Schaden an; die Pilze allein brachten einen Großteil der Würmer um; aber Bakterien und Candida gemeinsam wurden besser vertragen. Einige Bakterien-Pilz-Gemeinschaften veränderten ihr Verhalten, wenn sie mit Opioiden behandelt wurden, die als Stresssignale häufig im Darm von Intensivpatienten anzutreffen sind: Ohne Opioide verhielten sie sich wie Kommensalen, mit Opioiden wurden sie pathogen und brachten die Würmer um. Auch ein Phosphatmangel im Darm der Würmer (analog zum Nährstoffmangel im Darm von Intensivpatienten) erhöhte die Pathogenität der dysbiotischen Gemeinschaften. Um Intensivpatienten möglichst schnell wieder ein gesundes Mikrobiom zu verschaffen und damit ihre Abwehrkräfte zu stärken, könnte man ihnen künftig zu Beginn ihres Aufenthalts eine Stuhlprobe entnehmen, um ihre Darmflora später damit anzuimpfen.
Antibiotics, Immunity, and Obesity: Eine am 14.08.2014 in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass niedrig dosierte Antibiotika-Gaben an trächtige oder ihre Jungen säugende Mäuse oder an gerade entwöhnte Jungmäuse die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms vorübergehend verschieben, ohne die Diversität merklich zu verringern. Diese vorübergehenden Veränderungen im Mikrobiom ziehen ein dauerhaft überdurchschnittliches Gewicht der Tiere nach sich. Der Gewichtseffekt lässt sich durch eine Mikrobiom-Transplantation auf Mäusejunge übertagen, die selbst keinen Antibiotika ausgesetzt waren. Offenbar verändert die Manipulation des Mikrobioms der Jungtiere, die sich durch den Rückgang der Bakteriengattungen Lactobacillus, Candidatus und Allobaculum auszeichnet, den Hormonhaushalt und den Kohlenwasserstoff- und Fettstoffwechsel. Außerdem schwächt sie die Immunabwehr im Darm: Es entstehen weniger Th17-Zellen und antimikrobielle Peptide – wohl, weil durch die Penicillin-Behandlung mikrobielle Signale fehlen, die die Produktion sonst anregen.
Epigenetics of Trained Innate Immunity: Zwei am 25.09.2014 in Science veröffentlichte Studien und eine zugehörige dritte Veröffentlichung bringen Licht in das Makrophagen-Training, eine kürzlich entdeckte Form des immunologischen Gedächtnisses bei Makrophagen, die zur angeborenen Abwehr zählen. Nach herkömmlicher Ansicht ist das Gedächtnis des Immunsystems auf die B- und T-Zellen der erworbenen Abwehr beschränkt. Aber Makrophagen können unter bestimmten Umständen lernen, auf neue Erreger zu reagieren, die sie bis dahin toleriert haben. Das könnte die unspezifische Schutzwirkung mancher Impfungen erklären. Die Forscher haben die epigenetischen Charakteristika trainierter, toleranter und naiver Makrophagen sowie Monozyten (Vorformen der Makrophagen) verglichen: die Methylierungs- und Acetylierungsmuster der Histone. Einige Gene, die mit dem cAMP-Signalweg (wichtig für den Zellstoffwechsel) und mit der Glykolyse (der Energiegewinnung aus Glukose) assoziiert sind, sind nur in trainierten Makrophagen aktiviert. Mäuse, bei denen diese beiden Stoffwechselwege blockiert sind, sind anfälliger für erneute Infektionen. Ob Makrophagen-Training auch an Überreaktionen des Immunsystems beteiligt ist, muss noch geklärt werden.