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Die Crux mit dem Storytelling: Das Ende bleibt offen

Die letzten Wochen waren anstrengend, und ich habe mich entschieden, meine kleine Serie über die wissenschaftliche Evidenz zum Storytelling (Teil 1, Teil 2) unvollendet zu lassen. Ohne Groll, wenn auch ein bisschen verzagt nehme ich zur Kenntnis, dass eine kritische, differenzierte Auseinandersetzung damit, wie wir komplexe wissenschaftliche Botschaften in adäquate Geschichten packen können, ohne sie in ihrer Substanz zu beschädigen, nicht eben viele Hunde hinter dem Ofen hervorlockt.

Das hat die Ablehnung meiner Vortragseinreichung zu re:publica* ebenso gezeigt wie die Nichtreaktion der in Teil 1 erwähnten Forscherinnen und Forscher und weiterer Personen, die ich über den Text informiert hatte. Es deckt sich auch mit dem, was Sören Schewe alias @roterhai mir vor einigen Monaten bei Twitter** schrieb, und mit meinen Beobachtungen auf eben jener re:publica – die mir insgesamt durchaus gefallen hat, sich aber selbst in einem Jahr mit dem Motto „too long; didn’t read“ eher für oberfächliche Storytelling-Botschaften eignete.

Normalerweise lasse ich mich vom Desinteresse anderer an meinen Themen und Ideen nicht so leicht beeindrucken; sonst wäre ich beim Autoimmunbuch nicht so lange am Ball geblieben. Aber zurzeit zehren der Broterwerb, eine schwierige Nachlass-Angelegenheit und kleinere, aber umso hartnäckigere gesundheitliche Probleme zu stark an meinen Kräften. Ich möchte endlich mit Band 2 vorankommen; alles andere muss dahinter zurückstehen. Die bereits durchgearbeitete Literatur werfe ich ja nicht weg; vielleicht kann ich das Thema zu einem Abschluss bringen, sobald ich ein paar andere Baustellen geschlossen habe.

 

* Nämlich:

Evidence-based Storytelling? Forschungsnarrative mit Risiken und Nebenwirkungen

Short thesis

Storytelling aktiviert Stereotype und appelliert an das „schnelle Denken“. Das ist kein Bug, sondern Feature. Forschungsergebnisse sind oft abstrakt und sperrig. Auch das ist kein Bug, sondern Feature. Storytelling in der Wissenschaftsvermittlung: Passt das zusammen – trotzdem oder gerade drum? Eine Nutzenbewertung.

Description

Vor der Predigt muss man die Kirche voll bekommen. Um in einer veränderten Medienlandschaft Gehör zu finden für komplexe und abstrakte Forschungsergebnisse, braucht es griffige Narrative – so ein Mantra der Wissenschaftskommunikation.

Also versuchen Forschungseinrichtungen, sich locker zu machen: Sie produzieren coole Cartoons und Comics, ergreifende Patientinnengeschichten, gefühlvolle Infografiken und Interviews, bebildern ihre Websites mit menschelnden Stockfotos, dichten Pressetexte zu Heldenreisen um.

Ich unterziehe diese Versuche einer Nutzenbewertung, wie wir sie aus der evidenzbasierten Medizin kennen: Was ist der Nutzen? Vor allem aber: Kann das auch schaden?

Kommunikationswissenschaftliche Studien zeigen:

  • Narrative Formate können Interesse wecken, aber auch in die Irre führen.
  • Emotional aufgeladene Geschichten sprechen primär das schnelle Denken an, die periphere Route der Kognition, über die wir uns beeindrucken, aber nicht unbedingt überzeugen lassen. Gegennarrative machen den Effekt dann rasch zunichte.
  • Besonders eingängige Erklärstücke können die Illusion wecken, alles verstanden zu haben und keine weiteren Informationen zu benötigen, um einen komplizierten Sachverhalt zu beurteilen.
  • Heldenreise-Geschichten aktivieren Stereotype aus vordemokratischen Zeiten und eliminieren so zum Beispiel Frauen und Teamarbeit aus Forschungsschilderungen.
  • Fallgeschichten verleiten zur Identifikation und konterkarieren so das Ziel der nichtdirektiven Aufklärung als Basis informierter Entscheidungen.
  • Anekdoten können die abstrakten, nicht unmittelbar erfahrbaren Ergebnisse von Metaanalysen überstrahlen. Dann haben wir vielleicht die Kirche voll gemacht, aber die Predigt vergeigt – denn oft liefern uns nur Metaanalysen halbwegs sichere, Bias-freie Erkenntnisse.

Kurz: Manchmal ist Sperrigkeit kein Bug, sondern das Feature. Wir brauchen Geschichten, die dem gerecht werden.

Ein Vortrag voller bunter Bilder, prägnanter Anekdoten – und abstrakter Diagramme.

 

** Nämlich den hier.

Closing the gap: rp13-Rückblick und Ausblick aufs HealthCareCamp

(Fortsetzung meines Rückblicks auf die Gesundheits-Sessions bei der diesjährigen re:publica; hier geht es zu Teil 1.)

Trotz der schwierigen Akustik im Workspace C hat sich der Besuch der vier Gesundheitsvorträge am re:publica-Mittwoch unbedingt gelohnt. Den Anfang machte Thomas Schmidt von der TU Braunschweig und vom Online-Portal Firsttrimester, auf dem Ersttrimester-Screening-Risikoberechnungen für Ärzte angeboten werden. In seinem Vortrag „Soziale Netze im ärztlichen Behandlungsraum“ erklärte er, was seine Kollegen und er mit einer Ärztebefragung und Auswertungen von Zugriffszahlen über die Orte herausgefunden haben, an denen Ärzte sich online über Behandlungsmethoden informieren. Seine Kernthese fasst er in seinem Blog so zusammen: „Konferenzen und Unis sind schön und gut, aber Wikipedia-Artikel haben bessere Reichweiten.“

Die Auswertung von Inforamtionsangeboten für Ärzte ergab: Zertifikate bringen herzlich wenig, der Aufbau der Seiten sollte ganz einfach sein (eine Menüspalte rechts wird beispielsweise ingoriert), und SEO lohnt sich: Die meisten Fachbesucher kommen über Google. Wikipedia-Artikel zu medizinischen Themen werden auch dann fleißig gelesen, wenn am Anfang die bekannte Warnung wegen unzureichender Belege steht. Darin spiegelt sich die Erfahrung, dass viele medizinische Wikipedia-Artikel von Fachleuten geschrieben wurden und im Großen und Ganzen stimmen.  Weiterlesen

Mind the gap: Der lange Weg des Gesundheitswesens ins Netz (re:publica-Rückblick, Teil 1 von 2)

Von Montag bis Mittwoch war ich in Berlin auf der re:publica – meiner dritten. Diesmal habe ich mich auf die Themen Opendata/OpenGov, neue Wege in der Wissenschaftsberichterstattung und Gesundheit konzentriert. Die Gesundheitsthemen, von denen im Folgenden ausschließlich die Rede sein wird, werden auf der re:publica von Tobias Neisecke kuratiert, der die Sessions am Dienstag und Mittwoch auch moderierte.

Tobias habe ich im März in Freiburg kennen gelernt, und zwar gegen Ende des Workshops zu systematischen Übersichtsarbeiten, den die Cochrane Collaboration zweimal im Jahr anbietet: Gerd Antes, der Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, machte im Rahmen seiner Vorlesung einige unvorsichtige Behauptungen über den Einfluss von Social Media auf die Verbreitung von evidenzbasiertem Medizinwissen, und Tobias, der zufällig neben mir saß, warf ganz zu Recht ein, das sei jetzt aber nicht gerade evidenzbasiert gewesen. 🙂

Die Situation war typisch, und zwar branchenübergreifend: Koryphäen, die sich mit Social Media nicht auskennen (was keine Schande ist), meinen dennoch darüber urteilen zu können (was zum Problem werden kann). Das verzögert das letztlich zwangsläufige Zusammenwachsen der Welten und schränkt Gestaltungsspielräume ein. Um einen Stoßseufzer zu zitieren, den Frank Krings vom diesjährigen Buchcamp absetzte:

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