Vergleich der Darmflora in Amazonien, Malawi und den USA

Eine hervorragende Ergänzung zu der Arbeit von De Filippo et al., die ich bereits für eine Buchskizze genutzt habe. Zusammenfassung, noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet:

Tanya Yatsunenko et al.: Human gut microbiome viewed across age and geography. Nature 486, 222–227 (14.06.2012), doi:10.1038/nature11053; PDF

Abstract: Analyse des Mikrobioms aus Stuhlproben von 531 Personen und der Genaktivität im Stuhl von 110 dieser Personen. Gesunde Kinder und Erwachsene aus der Amazonasgegend in Venezuela, dem ländlichen Malawi und Metropolen in den USA. In den ersten drei Lebensjahren reift das Darm-Mikrobiom in allen drei Populationen auf ähnliche Weise; z. B. ändert sich die Genaktivität, die mit der Vitaminsynthese und dem Vitaminstoffwechsel zusammenhängt, mit dem Alter. Die Artenzusammensetzungen und die Repertoires der Genfunktion unterscheiden sich deutlich zwischen den USA und den beiden anderen Ländern.  

Intro: 2 Dörfer der Guahibo-Indios mit 100 Personen aus 19 Familien, 4 Dörfer in Malawi mit 115 Personen aus 34 Familien; in beiden Ländern dominiert Mais bzw. Maniok die Kost. USA: Metropolengebiete von St. Louis, Philadelphia und Boulder mit 316 Personen aus 98 Familien. 326 Individuen waren 0-17  Jahre als, 202 Personen 18-70 Jahre alt. Sequenziert wurde die variable Region 4 (V4) der bakteriellen 16S-rRNA-Gene. Bakterielle Phylotypen auf Artniveau wurden durch mindesten 97%ige Übereinstimmung der Sequenzen deifiniert. An 110 Stuhlproben von möglicht gut altersgematchten Personen wurden auch Genfunktionsanalysen durchgeführt.

Ergebnisse:

  1. In allen drei Populationen nahm das Mikrobiom in den drei Jahren nach der Geburt allmählich die erwachsenentypische Konfiguration an.
  2. Interpersonelle Unterschiede waren zwischen Kindern größer als zwischen Erwachsenen.
  3. Signifikante Unterschiede in der phylogenetischen Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms zwischen den Ländern, insbesondere zwischen den USA auf der einen und Malawi und Venezuela auf der anderen Seite (Hauptkoordinatenanalyse = PCoA). Entlang der Haptkoordinate 3 bildeten aber auch beiden Länder separate Cluster. Zwischen den einzelnen Dörfern bzw. urbanen Regionen gab es keine klaren Unterschiede.
  4. In allen Ländern nimmt die Bakterienvielfalt mit dem Alter zu; das Mikrobiom der US-Amerikaner wies die geringste Vielfalt auf.

Welche Bakterientaxa verändern sich monoton mit dem Alter? Nur gestillte Kinder in Analyse einbezogen. Bifidobacterium longum: Anteil sinkt mit steigendem Alter in allen 3 Ländern signifikant. Bifidobacteria dominieren aber noch im ganzen ersten Lebensjahr.

Erwachsene: Mikrobiomsignatur der USA deutlich anders als in den beiden anderen Ländern. Gattung Prevotella in den USA deutlich unterrepräsentiert; das bestätigt die Ergebnisse von De Filippo et al. Der Unterschied zwischen Malawi und Venezuela weniger extrem. Die Kinder aus den USA und aus den anderen Ländern unterschieden sich in nur 28 OTUs (in etwa: Arten), die aus Malawi und venezuela in 23 OTUs. In Venezuela war die Enterococcaceae-Familie überrepräsentiert. Ein westlicher Lebensstil scheint die Mikrobiom-Zusammensetzung also systematisch zu beeinflussen, wobei die Unterschied zwischen den Individuen einer Population allerdings größer sind als zwischen den Populationen (ähnlich wie beim Humangenom unterschiedlicher Ethnien).

Finden sich die kürzlich postulierten, aber schon wieder in Frage gestellten drei diskreten Enterotypen wieder (Arumugam et al. 2011)? Nein, vielmehr bei Erwachsenen kontinuierliche Variation: je mehr Prevotella, desto weniger Bacteroides und umgekehrt.

Funktionswandel mit dem Lebensalter: Stuhl von 110 Personen analysiert, KEGG KO annotations und EC-Zahlen (Enzymgene). Kinder unterscheiden sich nicht nur in der Zusammensetzung ihres Darm-Mikrobioms stärker voneinander als Erwachsene, sondern auch in den Repertoires der im Mikrobiom codierten Funktionen. Keine ECs sind nur bei Kindern oder nur bei Erwachsenen nachziweisen, und die Gesamtzahl der ECs bei Erwachsenen unterscheidet sich nicht signifikant von der bei Babys. Aber die Anteile von 1008 ECs am Gesamtbild unterschieden sich bei allen untersuchten gestillten Babys von denen bei allen Erwachsenen (unabhängig vom Land); 530 waren in Erwachsenen signifikant stärker vertreten. Bsp.: Stoffwechsel der Vitamine B12 (Cobalamin) und Folsäure. Folsäure wird von Mikroben und Pflanzen synthetisiert, Vitamin B12 nur von Mikroben. Das Darm-Mikrobiom von Babys enthält mehr Enzymgene, die an der De-novo-Biosynthese von Folsäure beteiligt sind, während in Erwachsenen mehr mikrobielle Gene aktiv sind, die mit der Nahrung aufgenommene Folsäure verstoffwechseln.

Die geringere Häufigkeit der Enzyme für die Vitamin-B12-Biosynthese in den Baby-Mikrobiomen korreliert mit dem geringeren Anteil an Baceroidetes, Firmicutes und Archaea. Das Babydarm-Mikrobiom wird von Bifidobacterium, Streptococcus, Lactococcus und Lactobacillus dominiert, denen die Gene für diese Enzyme fehlen. Einige frühe Darmbesiedler verfügen aber über Enzyme für Folsäure-Biosynthese und -Stoffwechsel. Auch mikrobielle Enzyme für den Vitamin-B7- und -B1-Stoffwechsel sind im Darm von Erwachsenen signifikant häufiger als bei Kleinkindern, ebenso Enzyme für  Fermentation, Methanogenese und den Arginin-, Glutamat-, Aspartat- und Lysin-Stoffwechsel. Bei Babys sind dafür Enzyme für den Cystein-Stoffwechsel und die Milchsäuregärung stärker vertreten.

Populations- und altersspezifische Funktionsunterschiede: Die US-Mikrobiome unterschieden sich in 476 ECs signifikant von denen aus den anderen Ländern, vor allem in der Vitamin-Biosynthese und im Kohlenhydrat-Stoffwechsel. Stuhl von Kindern aus Malawi uns Venezuela enthält mehr ECs, die zur Synthese von Vitamin B2 (Riboflavin) nötig sind; bei Erwachsenen verschwindet der Unterschied. Riboflavin ist in Muttermilch, Milchprodukten und Fleisch enthalten. Vermutlich ist das Mikrobiom der Kleinkinder in Malawi und Venezuela daran angepasst, dass die Kinder weniger von diesem Vitamin mit der Nahrung aufnehmen.

Die Darmmikrobiome der Babys enthalten mehr ECs, die für die Verarbeitung von Glykanen (Polysacchariden) aus der Muttermilch und aus der Darmschleimhaut zuständig sind. Bei den Nicht-US-Babys sind etliche davon stärker vertreten, insbesondere einen Sialidase und eine Fucosidase. Das kann auf einen niedrigeren Glykangehalt in der Muttermilch hindeuten. Der Anteil der Glykosidhydrolasen sinkt, sobald die Kinder abgestillt und auf Kost umgestellt werden, die überwiegend aus Mais, Maniok und anderen pflanzlichen Polysacchariden besteht. Bei den US-Kindern steigt der Anteil der Fucosidas dagegen mit dem Alter an, wohl da sie auf eine Kost umgestellt werden, die reich an Zuckern ist, die vom menschlichen Dünndarm mühelos absorbiert werden, und wenig im Dünndarm unverdauliche Polysaccharide enthält.

In den Mikrobiomen Babys aus Malawi und Venezuela sind Urease-Gene signifikant stärker vertreten als bei den US-Babys. Bei den erstgenannten nimmt der Anteil mit dem Alter ab, bei den US-Babys bleibt er konstant. Die Urease baut Harnstoff – der bis zu 15% des Stickstoffs in der Muttermilch ausmacht –  zu Ammoniak ab, der für diemikrobielle  Synthese von Aminosäuren gebraucht wird. Besonders bei Proteinmangel ist Urease wichtig für das Stickstoff-Recycling. Das dürfte bei Stickstoffknappheit sowohl den Mikroben als auch dem Wirt nützen. Die Urease stammt wahrscheinlich aus fünf Arten, die bei den Nicht-US-Kindern überrepräsentiert waren: Bacteroides cellulosilyticus WH2, Coprococcus comes, Roseburia intestinalis, Steptococcus infantarius und Streptococcus thermophilus. Auch die Unterschiede zwischen den gestillten und den nicht gestillten Babys aus den USA (supplementary results) zeigen, dass die Kost das Mikrobiom von Kleinkindern prägt.

Unterschiede der adulten Darmflora: Die Erwachsenen aus den USA unterschieden sich im Anteil von 893 Enzymgenen von denen aus den anderen Ländern; zwischen Malawi und Venezuela betrug der Unterschied nur 445 ECs. Typische US-Kost ist proteinreich, in malawi und Venezuela herrschen Mais und Maniok vor. Die deutlichsten Unterscheide bei den  ECs entsprechen recht genau dem Unterschied zwischen den Mikrobiomen von fleischfressenden und pflanzenfressenden Säugetieren: Glutamatsynthase ist in Malawi udn Venezuela sowie bei herbivoren Säugern stärker vertreten, Glutamin abbauende Enzyme sind bei den US-Amerikanern und bei carnivoren Säugern stärker vertreten. Bei den US-Personen waren außerdem Enzyme, die am Aminosäureabbau und an der Verstoffwechslugn einfacher Zucker beteiligt sind, überrepräsentiert. Alpha-Amylase, die dem Stärkeabbau dient, war dagegen bei den Personen aus den anderen Ländern stärker vertreten. Die US-Mikrobiome enthielten außerdem mehr Enzyme für die Vitaminsynthese, die Verstoffwechslung von Xenobiotika, die Quecksilberreduzierung und den Gallensalz-Stoffwechsel, was evtl. auf eine fettreichere Kost hindeutet. [Anmerkung AK: Die Quecksilberreduzierungsenzyme sind vermutlich keine Folge der Industrialisierung, sondern eine Folge des erhöhten Fleischkonsums: Schwermetalle reichern sich in der Nahrungskette an; Fleischfresser am oberen Ende der Kette nehmen auch in einer natürlichen Umwelt deutlich mehr Quecksilber auf als Pflanzenfresser.]

Auswirkung des Verwandtschaftsgrads auf das Mikrobiom: Die Erblichkeit der Mikrobiomzusammensetzung ist gering. Obwohl Mütter bei und nach der Geburt Teile ihres Mikrobioms auf das Kind übertragen, ähnelt ihr Mikrobiom dem ihrer Teenager-Kinder nicht stärker als das der Väter. Die Mikrobiome von Partnern gleich sich im Lauf des Zusammenlebens an.

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