Notizen zum 16. Kapitel des Lehrbuchs Janeway’s Immunobiology von Kenneth Murphy, Paul Travers und Mark Walport, 7. Auflage, Garland Science, 2008 – Teil 1: S. 711-720
Die angeborene oder nicht-adaptive Immunabwehr ist evolutionär älter als die adaptive Immunabwehr. Ihre Rezeptoren sind direkt im Genom codiert, entstehen also nicht durch somatische oder V(D)J-Rekombination und anschließende klonale Expansion.
Bis vor kurzem dachte man, eine adaptive Immunabwehr sei erst bei den Kiefermäulern (einer Überklasse der Wirbeltiere) aufgekommen, und zwar mit den Genen RAG1 und RAG2. Inzwischen ist klar, dass auch andere genetische Mechanismen zur Erkennung einer sehr großen Zahl von Antigenen führen können – auch bei den Insekten, Stachelhäutern, Weichtieren und Kieferlosen. Es gibt auch adaptive Immunsysteme, die ohne V(D)J-Rekombination in den Lymphozyten auskommen.
Da alle Organismen von Pathogenen angegriffen werden, ist anzunehmen, dass sie alle irgendwelche Schutzmechanismen hervorgebracht haben. Selbst Bakterien müssen sich gegen parasitäre Plasmide und Bakteriophagen wehren.
Findet man ein Gen in ähnlicher oder identischer Form in zwei unterschiedlichen rezenten Lebensformen, so kann man davon ausgehen, dass auch ihr letzter gemeinsamer Vorfahr dieses Gen enthielt. Je weitläufiger die beiden Lebensformen verwandt sind, desto früher hat dieser Vorfahr gelebt.
Beispielsweise hat der Modellorganismus Drosophila (die Taufliege) ein gut entwickeltes angeborenes Immunsystem, und sowohl die Rezeptoren, die für die Pathogenerkennung zuständig sind, als auch die innerzellulären Signalwege, die sich an die Erkennung anschließen und in die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFκB (s. u.) münden, ähneln ihren Entsprechungen bei den Wirbeltieren. Dass die Gene für diese Proteine fast im gesamten Tierreich hochkonserviert sind, lässt vermuten, dass die Aktivierung von NFκB der ursprüngliche und zentrale Signalweg der angeborenen Immunabwehr ist.
Antimikrobielle Peptide wie die Defensine gibt es sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren; sie sind vermutlich die älteste Form der angeborenen Immunabwehr. Sie unterscheiden sich bei Pflanzen, Insekten und Säugetieren im Detail, enthalten aber alle eine kurze α-Helix, die mit einem β-Faltblatt aus zwei oder drei antiparallelen Strängen in Verbindung steht. Man nimmt an, dass Defensine die Membranen von Bakterien und Pilzen sowie die Hüllen mancher Viren zerstören können; einige dringen vielleicht auch ins Innere von Mikroben ein.
Die Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) stellt 13 Defensine her, Drosophila mindestens 15, und in einer einzigen menschlichen Darmzelle können sogar 21 unterschiedliche Defensine nachgewiesen werden. Einige kommen gegen grampositive, andere gegen gramnegative Bakterien oder gegen Pilze zum Einsatz.
Ob auch in Protisten, für die Bakterien weniger Pathogene als vielmehr Nahrung darstellen, antimikrobielle Peptide vorkommen, ist unbekannt. Aber es ist nicht auszuschließen, dass ein Teil des angeborenen Immunsysteme, nämlich die Phagozytose durch Makrophagen und ähnliche Fresszellen, vom Fressverhalten einzelliger Eukaryoten abgeleitet ist.
Die Toll-like Receptors (TLRs) der Säugetiere sind eng mit dem Toll-Rezeptor von Drosophila verwandt; auch bei Pflanzen und anderen Tieren hat man ähnliche Rezeptoren entdeckt. Sie stehen am Anfang von Signalwegen, die zur Transkription von Genen für antimikrobielle Peptide und zu weiteren Abwehrmechanismen führen. Bei Drosophila beeinträchtigen Mutationen in Toll oder den übrigen an diesen Signalwegen beteiligten Genen die Produktion des Peptids Drosomycin, sodass die Fliegen anfälliger für Pilzinfektionen werden.
Menschen und Mäuse haben etwa 10 funktionsfähige Toll-like Receptors, die Bakterien-, Hefe- und Pilzzellwände, Bakterienflagellen, virale RNA oder bakterielle DNA erkennen. TLR-4 löst zum Beispiel eine angeborene Immunreaktion auf bakterielle Lipopolysaccharide (LPS) aus, die in den äußeren Membranen gramnegativer Bakterien vorkommen.
Auch der weitere Signalweg scheint stark konserviert zu sein und lässt sich daher bei Drosophila und Mensch gut vergleichen. An seinem Ende steht die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren, die in den Zellkern hineinwandern und dort die Herstellung antimikrobieller Peptide initiieren – bei der Taufliege DIF und Dorsal, die zur Rel-Familie gehören, und bei uns NFκB.
Der Drosophila-Rezeptor Toll bindet nicht direkt an einen Pathogen-Baustein, sondern an eine gespaltene Version eines körpereigenen Proteins namens Spätzle. Vermutlich interagieren die eigentlichen Pathogenerkennungsmoleküle mit Serinproteasen, die daraufhin Spätzle spalten. Eines von ihnen, das Produkt des Gens semmelweis, zählt zur Familie der Peptidoglycan-Erkennungsproteine (PGRPs), die an die Peptidoglycan-Komponenten in bakteriellen Zellwänden binden. Daneben codiert Drosophila auch GNBPs, also Gramnegativ-bindende Proteine, die Pilz- und Bakterien-Glucane erkennen.
Die Serinprotease, die Spätzle aktiviert, ist noch unbekannt, aber man hat eine Serinprotease namens Persephone identifiziert, die an der Erkennung von Pilzinfektionen beteiligt ist. Sie ähnelt den Proteasen, die für die Gerinnung von Insekten-Hämolymphe und Säugetierblut sorgen, und wird offenbar direkt von Pilz-Bestandteilen aktiviert.
Unter den Toll-like Receptors der Säugetiere ähnelt TLR-4 dem Drosophila-Toll am stärksten. Er bindet nicht direkt an bakterielle LPS, sondern an ein lösliches LPS-bindendes Protein. Parallelen gibt es auch zum Komplementsystem, in dem die proteolytische Aktivierung einer Reihe von Proteasen Liganden für Rezeptoren an der Zelloberfläche bereitstellt, die wiederum eine Phagozytose auslösen. Ob andere TLRs direkt an Pathogen-Komponenten binden können oder stets weiters Moleküle dazwischengeschaltet sind, ist noch unbekannt.
Beim Purpur-Seeigel (Strongylocentrotus purpuratus) ist die angeborene Immunabwehr außergewöhnlich komplex: Sein Genom enthält 222 TLR-Gene. Ansonsten scheint der Signalweg aber fast derselbe zu sein wie bei Drosophila und den Säugetieren; er mündet wie üblich in eine Familie von NFκB-Transkriptionsfaktoren.
Die Außenseiten von Toll-like Receptors sind durch zahlreiche Aminosäuresequenzen namens leucine-rich repeats (LRRs) geprägt, die wohl für die Signalerkennung zuständig sind. Die Hypervariabilität einiger dieser Seeigel-LRR-Regionen und die Vielzahl von Pseudogenen in der entsprechenden Genfamilie deuten auf raschen evolutionären Wandel hin – also auf eine schnellere Anpassung an neue Pathogene, als wir es von den Wirbeltieren kennen, bei denen eine kleine Zahl unveränderlicher TLRs immer dieselben pathogenassoziierten Molekülmuster (pathogen-associated molecule patterns = PAMPs) erkennt.
Ob dieses Seeigel-System bereits als eine einfache adaptive Immunabwehr gelten kann, ist noch unklar, denn wir wissen nicht, ob alle Seeigel-TLRs im selben Immunzelltyp exprimiert werden oder aber eine klonale Selektion stattfindet.
Bei Drosophila wurde ein zweites angeborenes System zur Erkennung gramnegativer Bakterien nachgeweisen, das zum Tumornekrosefaktor-Rezeptor- oder TNFR-Signalweg der Säugetiere homolog ist: der Imd-Signalweg (immunodeficiency). Das Imd-Protein selbt entspricht dem TNFR-bindenden Säugetierprotein RIP. Am Ende des Signalwegs steht bei Drosophila die Aktivierung des Transkriptionsfaktors Relish, der mehrere Gene der Immunantwort aktiviert – darunter jene für die antimikrobiellen Proteine Diphtericin, Attacin und Cecropin, die über den Toll-Signalweg nicht hergestellt werden können.
Vermutlich sind der Toll- und der Imd-Signalweg durch Duplikation aus einem älteren Abwehrsystem hervorgegangen. Bei Säugetieren scheint allerdings der Toll-like-Receptor-Weg die Immunfunktion des Imd-Wegs übernommen zu haben.
Auch das Komplementsystem ist ein sehr alter Bestandteil der Immunabwehr. Seine einfachste Funktion scheint die Opsonierung von Pathogenen zu sein, durch die die Effektivität der Phagozytose gesteigert wird. Ein simples Komplementsystem besteht aus mindestens drei Teilen: einer zentralen Komponente C3, die – wie beim alternativen Weg der Komplementaktivierung bei den Säugetieren – spontan aktiviert wird und dann an ein Äquivalent des Faktors B bindet, wodurch eine C3-Konvertase entsteht. Diese verstärkt das ursprüngliche Singal, indem sie viele weitere C3-Moleküle spaltet und aktiviert. Die dritte Zutat ist ein C3-Rezeptor, der von Phagozyten exprimiert wird und die Phagozytose von C3-bedeckten Pathogenen aktiviert.
Bei Stachelhäutern wie den Seeigeln hat man ein C3-Homolog entdeckt, das von den amöboiden Coelomozyten hergestellt wird, die Phagozytose betreiben. Bei einer Bakterieninfektion wird es vermehrt exprimiert. Im Verstärkungskreislauf des alternativen Signalwegs ihres Komplementsystems bindet spontan aktiviertes C3 an Faktor B, der dann von Faktor D gespalten wird, wodurch eine aktive C3-Konvertase entsteht, die weiteres C3 spaltet.
Zwar hat man bei Stachelhäutern noch keinen C3-Rezeptor identifiziert, aber C3-bedeckte Zellen werden effektiver phagozytiert als unbedeckte Zellen. Das deutet auf ein funktionales Opsonierungskomplementsystem hin. (Die spontane C3-Altivierung wirft bei Stachelhäutern wie Säugern die Frage auf, wie eine Schädigung körpereigener Gewebe verhindert wird.)
Als die Chordatiere aufkamen, waren also bereits alle Hauptkomponenten des Komplementsystems ausgereift. Bei der Seescheide Ciona, einem Manteltier mit vollständig sequenziertem Genom, wurden Entsprechungen zu C3 und Faktor B sowie mehreren Integrinen identifiziert, aus denen die Komplementrezeptoren aufgebaut sein könnten. Wie alt die Opsonierung ist, weiß man nicht. Auch bei nur entfernt mit den Wirbeltieren verwandten Wirbellosen wie den Pfeilschwanzkrebsen und Drosophila wurden C3-homologe Proteine identifiziert, aber ihre Funktion ist unbekannt.
C3, das von Serinproteasen gespalten und aktiviert wird, ist wohl durch Duplikation des Serinprotease-Inhibitors α2-Makroglobulin entstanden. Die C3-ähnlichen Proteine in Drosophila werden als TEPs (thioester-containing proteins) bezeichnet und haben wohl eine Immunfunktion, denn mindestens drei von ihnen werden bei einer Bakterieninfektion verstärkt exprimiert. Für eine Opsonierung und anschließende vermehrte Phagozytose der Eindringlinge durch die Hämozyten gibt es aber bislang keine Indizien – anders als bei der Stechmücke Anopheles gambiae, bei der Hämozyten im Falle einer Infektion das Protein TEP1 herstellen, das offenbar direkt an die Oberflächen von gramnegativen Bakterien bindet, die dann phagozytiert werden.
Im weiteren Evolutionsverlauf scheint das Komplementsystem um weitere Signalwege wie den Lektin-Signalweg erweitert worden zu sein, durch die zusätzliche Mikroben-Oberflächen erkannt werden konnten. Beim Menschen zählt zum Beispiel das Mannose-bindende Lektin (MBL) dazu, ein Collectin. Die mit den Collectinen verwandten Ficoline haben eine kollagenähnliche und eine kohlenwasserstoffbindende Domäne und lagern sich zu Multimeren zusammen, die an Tulpensträuße erinnern. Ihre Analyse deutet darauf hin, dass das erst viel später aufgekommene erste Immunglobulin, das für die antikörpervermittelte Komplementaktivierung nötig ist, auf eine bereits ausdifferenzierte Familie von Collectinen traf.
Die Komplementaktivierung durch Ficoline und Collectine wird durch MBL-assoziierte Serinproteasen (MASPs) vermittelt, die C2, C3 und C4 spalten können. Auch bei Wirbellosen gibt es ein Ficolin-Komplementsystem, das genauso funktioniert wie die Ficolin- und MBL-vermittelten Signalwege bei den Säugetieren. Das Minimal-Komplementsystem der Stachelhäuter wurde also bei den Manteltieren um ein Aktivierungssystem ergänzt, das C3 auf den Oberflächen von Mikroben deponieren kann.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die angeborene Immunabwehr schon früh herausgebildet hat. Sie verstärkt die Produktion antimikrobieller Peptide und die Phagozytose und aktiviert das Komplementsystem. Heute informiert sie zudem das adaptive Immunsystem über eine Infektion. An beiden Funktionen ist der sehr alte Toll-Signalweg beteiligt.
(Fortsetzung: Teil 2)