Jack/Du Pasquier: Evolutionary Concepts in Immunology, Teil 2

Fortsetzung meiner Notizen zum Buch, Kapitel 3: angeborene Abwehr

Modularität: Abwehrsysteme bestehen aus 3 Teilen: 1. Information über gefährliche Lage (lösliche extrazell. Rezeptormoleküle und zellassoziierte Sensoren), 2. Befehls- und Steuerungskomplex (Signalketten), 3. Effektoren (Enzyme, ROS etc.), die gut dosiert und verwahrt werden müssen, da sie auch eigenes Gewebe zerstören. Ausnahme: „smart weapons“ wie konstitutiv exprimierte kationische antimikrobielle Peptide, die an anionische Mikroben-Oberfläche binden und dann mit hydrophober Domäne in die Membran eindringen.

Evolution der Rezeptoren: in angeb. Abwehr alle möglichen Proteine, während sie in der erw. Abwehr alle zur Immunglobulin-Superfamilie gehören. Vielfalt über Jahrmillionen selektiert, für Pathogene schwerer auszuschalten als eine einzelne Proteinfamilie. Keimbahn-codiertes „phylogenetisches Pathogen-Gedächtnis“. Gene für erfolgreiche Rezeptorstrukturen oftmals dupliziert -> neue Bindungseigenschaften -> Familien. Viele Rezeptoren bestehen aus 2 oder mehr funktionalen Modulen.

Genduplikation: Jojo-artige Expansion und Kontraktion von Genfamilien; die meisten Duplikate werden rasch zu Pseudogenen; manche übernehmen neue Funktion – v. a. im IS. Whole genome duplications bei Pflanzen relativ häufig; Wirbeltier-Linie: 2 Runden vor 550 und 600 Mio. J., 3. viel später -> Knochenfische. Danach nur noch bei Fischen, Amphibien und Reptilien. Duplikation kürzerer Abschnitte/Gene durch zwischen Genen eingestreute repetitive Sequenzen forciert, die über 50% des Humangenoms einnehmen -> Misalignment bei Chromosomen-Paarung und Rekombination in Meiose I (Abb. 3.1).

Bsp. für Evolution einer Genfamilie mit Expansionen/Kontraktionen: TLRs. Caenorhabditis elegans hat nur 1, Seeigel Strongylocentrotus purpuratus über 200, Säuger um die 10. Bemerkenswert unterschiedliche Bindungseigenschaften. LRR-Domänen bilden hufeisenförmige Strukturen, ihre Liganden binden an die innere (konkave) Seite, wo sie wegen der Dichte der LRR gut interagieren können. Ausnahme: TLRs von Säugern; hier binden Liganden an unterschiedliche Bereiche der Außenseite der Hufeisen. Jeder LRR besteht aus 25 AS, die ersten 10-11 sind hochkonserviert und bilden Innenseite des Hufeisens. Konvexe Seite hat variablere AS-Sequenzen -> viele Ligandenbindungsoptionen; auch mehrere Liganden gleichzeitig möglich -> Säuger-TLRs können als Und-Gatter dienen. [Diese Besonderheit ins Buch aufnehmen?]

Exon-Shuffling: Exons/Introns in Eukaryoten beschleunigen Evolution rasant. Exons anderer Gene können dank repetitiver Sequenzen in den Introns requiriert werden; so z. B. intrazelluläres Signalketten-Protein -> membrangebundener Rezeptor in einem einzigen Schritt. Sobald eine funktionsfähige Protein-Domäne entstanden ist, kann sie auch von anderen Genen übernommen werden.

Exon-Splicing: ein Gen -> mehrere Produkte. Oft interagieren die Spleißvarianten mit unterschiedlichen Netzwerken, übernehmen unterschiedliche Funktionen.

Adaptive Introgression: Übernahme von Genen anderer Arten, in Pflanzen häufiger als in Tieren. Neandertaler- und Denisova-Haplotyp des Gens für TF EPAS1 in 80% der Tibeter*innen (aber nur dort); erhöhte Hämoglobinkonz. dort vorteilhaft. 2. Bsp.: angeborene Abwehrrezeptoren TLR-6, TLR-1, TLR-10 sind benachbart; es sind 7 Haplotypen bekannt. 2 davon aus Neandertalern, 1 aus Denisovamenschen. Neandertaler-Haplotyp III in 11-51% der nicht afrikanischen Populationen, also wohl positiv selektiert. Unterschiede liegen in den nicht codierenden Bereichen, wohl in TF-Bindungsstellen. Der N.-Haplotyp ist mit verändertem Immun-Phänotypen assoziiert, darunter verringerter Seroprävalenz von Helicobacter pylori und erhöhter Allergie-Anfälligkeit. Kann in bestimmten Populationen, die mehrere Pathogen-Wellen durchlebt haben, vorteilhaft gewesen sein (Dannemann/Andres/Kelso 2016, hab ich hier im Blog schon vorgestellt).

Extrazelluläre angeborene Rezeptoren und ihre Ziele: Zahl der potenziellen Pathogene unbegrenzt, Zahl der Gene und damit Keimbahn-codierten Rezeptoren strikt limitiert. Zielstrukturen müssen für Überleben oder Virulenz der Pathogene essentiell sein und sollten möglichst in Eukaryoten selbst nicht vorkommen. Außerdem sollten sie Kommensalen/mikrobielle Symbiosepartner verschonen. Wie? Gram-negative Bakterien: LPS in äußerer Membran; lange hydrophile Zuckerkette ist wegen ihrer Variabilität nicht als Ziel geeignet. Anders der hydrophobe Lipid-Kern, Lipid A, der aber in wässriger Umgebung durch Polysaccharide gut abgeschirmt wird. Lösung: Lipopolysaccarid-bindendes Protein löst LPS aus Mizellen, reicht es an Carrier CD14 -> weiter zu MD-2, das nicht kovalent an TLR-4 auf angeborenen Wächterzellen bindet -> TLR-4 gibt Signal über Gram-negative Bakterien ins Zellinnere. Kaskade aus 4 Proteinen lohnt sich offenbar. Andere angeborene Abwehrrezeptoren reagieren zwar auf Substanzen, die auch Eukaryoten/Säuger produzieren, aber bei Mikroben anderes Expressionsmuster zeigen, z. B. Verteilung bestimmter Zuckerreste auf Membranen.

V. a. Pflanzen bieten Pathogenen endogene Ködermoleküle an (siehe Blogbeitrag von 2012). Vorteil: Es müssen nicht die vielen unterschiedlichen Pathogene spezifisch erkannt werden, sondern der Alarm geht los, wenn irgendetwas den Köder angreift. Im Hühner-Darm reagiert TLR-15 an der dem Lumen zugewandten Seite der Epithelzellen auf Proteasen, die von Bakterien produziert werden, um die Schleimhautzellschicht zu durchdringen. TLR-15 erkennt nicht die Proteasen selbst, sondern wird aktiv, wenn diese ihre extrazelluläre Domäne zerstören. Vor den Proteasen der harmlosen Darmflora ist der Rezeptor durch den Schleim geschützt. Pathogene Hefen oder Bakterien durchdringen diese, „schlucken den Köder“ und lösen so örtliche Entzündungsreaktion aus. [Bsp. ins Buch aufnehmen?]

Intrazelluläre Rezeptoren: Virenhüllen haben nichts Markantes wie LPS, und ihr Genom ist nur zugänglich, wenn die Zelle schon infiziert ist. Nukleinsäure-Rezeptoren müssen es von eigener Nukleinsäure unterscheiden, dazu sind weitere Indizien aus der Zytoplasma-Geografie, Ligandenkonzentration oder Nukleinsäure-Feinstruktur nötig:

1. Große Mengen DNA frei im Zytosol -> da stimmt was nicht. Retroviren: RNA -> cDNA -> dsDNA. cDNA ist kurz frei im Zytosol; zelluläre Deaminasen aus APOBEC3-Familie nutzen die Gelegenheit zum massenhaften Umbau von Desoxycytidin (cD) in Desoxyuridin (cU). Neue Virenpartikel sind dann nicht mehr funktionsfähig. – Die aktivierungsinduzierte Deaminase AID, die in der adaptiven Abwehr eine Schlüsselrolle spielt, stammt aus derselben Enzymfamilie und kam mit den Wirbeltieren auf.

2. Lokale DNA-Konzentrationen orten: Enzym cGAS bindet an DNA und synthetisiert dann das zyklische Dinukleotid cGMP+cAMP = cGAMP. Dieses wird von Protein STING gebunden, das dann Interferon-Expression einschaltet. Diese werden ausgeschieden und dienen als Zytokine, die Zellen der angeborenen antiviralen Abwehr rekrutieren. Gutes Bsp. für evolutionäres „Leihwesen“: Gene für cGAS und STING haben Wirbeltiere von Wirbellosen geerbt; früh ind er Wirbeltier-Evolution hat cGAS durch Exon-Shuffling eine Domäne hinzubekommen, das DNA bindet, und wurde so von einem Enzym zu einem zytosolischen DNA-Sensor. STING spielt auch in Drosophila eine Rolle bei der Pathogen-Abwehr, kann Expression antimikrobieller Peptide induzieren und ist an Abwehr bestimmter Viren beteiligt. Neu ist die Rolle als Inducer wirbeltierspezifischer Interferon-Gene. Grundprinzip Tinkering, Gebastel. Kleine Menge DNA aus Mitochondrien reicht nicht, um diese Abwehr zu starten; cGAS bindet an DNA-Backbone, kann also nicht zwischen eigener und fremder DNA unterscheiden; das wird über Grenzwert geregelt: zytoplasmatische Nuklease Trex-1 kann kleine Mengen DNA abbauen, wird bei Vireninfektion überwältigt.

3. RNA-Feinstruktur wahrnehmen: Zytosol ist voll mit eigener RNA unterschiedlicher Art. Zytoplasmatischer RIG-I-Rezeptor erkennt stumpf endende Doppelstrang-RNA mit terminaler 5′-Triphosphat-Gruppe; erste Nukleotide metazoischer mRNA sind an der 2′-OH-Position der Ribose methyliert -> kommt nicht an Histidin-Rest am Eingang von RIG-I-Bindungsstelle vorbei. Seltenes Bsp. für einen angeborenen Toleranz-Mechanismus anstelle Nicht-Selbst-Erkennung.

NLR-Familie: Proteine mit vielen Domänen, haben wie TLR in der Evolution massive Expansion und Kontraktion durchlaufen. Seeigel 98 NLR-Gene, Zebrafisch 400, Mensch 22. Manche erkennen Pathogene, andere Stress-Moleküle = Gefahrensignale. Also nicht nur Pathogenabwehr, sondern auch Aufräumarbeiten bei Apoptose, Gewebstrauma, Entwicklung/Metamorphose.

Gefahrensignale sind in gesunden Zelle „weggeschlossen“, z. B. F-Aktin, das nur bei Zell-Lyse austritt. Wieder Grenzwerte nötig, damit nur deutliche Leckage als Gefahr interpretiert wird. Sinkt der Grenzwert in den Zellen der angeborenen Abwehr, kann es zu autoimflammatorischen Krankheiten kommen.

Missing Self: alter Abwehrmechanismus, schon in aus Bakterien: Virale DNA hat nicht die erforderliche schützende Methylierung, wird daher von Endonuklease erkannt und zerstört. Natürliche Killerzellen sind Lymphozyten, aber Teil der angeborenen Abwehr. Verhältnis zwischen aktivierenden und inhibierenden Rezeptoren/Signalen entscheidet über Vernichtung der MHC-I-präsentierenden anderen Zelle. Viren oder auch Krebs versuchen der Vernichtung durch Herunterregulieren der MHC-I-Expression zu entgehen, die Zellen also zu verstecken. NK-Zellen prüfen das aber und werden bei „Missing Self“ aktiv.

IS als Kalkulatoren: um schnell optimale Reaktion auf unerwartete Störung zu finden, muss Information von vielen verschiedenen Rezeptoren gesammelt und integriert werden. Viele der Signalketten wirken unnötig lang – wieso? Um auf Abweichungen von der Homöostase situationsgerecht reagieren zu können, müssen versch. Signalwege miteinander verbunden sein. Bsp. NK-Zellen: Jede hat anderes Rezeptor-Repertoire, das Ergebnis (Überleben oder Sterben des Gegenübers) kann nicht fest verdrahtet sein, sondern die Zellen programmieren sich selbst. 1 Ebene höher: Auch die versch. Zelltypen der angeborenen Abwehr tauschen via OF-Molekülen und Zytikinen Informationen über die Lage aus und finden gemeinsam zu einer angemessenen Reaktion. Selbstregulierung des Systems versagt nur selten, z. B. bei Zytokinsturm (Informations-Overload, Rechner stürzt quasi ab.)

Der Output: Alle Optionen sind evolutionär alt, z. B. Phagozytose, Entzündung. Mechanismen zur Bewegung und Rekrutierung von Immunzellen entstand früh in Wirbeltier-Entwicklung. In größeren Tieren bedarf es eines dezidierten Transportwegs, da Kriechen durch die extrazelluläre Matrix viel zu lang dauert. In Wirbellosen bestehen Gefäßwände aus Matrixmaterial, Druck niedrig. Wirbeltiere: Endothelzellen bilden geschlossene Schicht, Druck und damit Transporttempo höher. Direkt hinter dem Herz sind Zellen im Blut 40-50 cm/s schnell. In Kapillaren etwa 3 Größenordnungen langsamer. In den Adern hinter den Kapillaren treten die meisten Immunzellen aus dem Blutstrom ins Gewebe über. Damit Scherkräfte sie nicht zerreißen, werden sie zunächst durch Selektine und Selektinliganden gebremst. Dann Chemokin-Chemokinrezeptor- und schließlich Integrin-Integrinligand-Wechselwirkung -> gemeinsam „Postleitzahl“, die festlegt, wo Leukozyt Blutbahn verlässt. Erst kommen Neutrophile, dann Monozyten, dann Lymphozyten.

Komplementvermittelte Phagozytose: Zentraler Akteur C3 enthält verborgene Thioesterbindung, die in wässriger Umgebung sehr reaktiv ist, genau wie Alpha2-Makroglobulin. Beide frühe Mitglieder der Thioester-Protein-Familie kommen schon in Nesseltieren vor, nicht aber in Choanoflagellaten oder Schwämmen -> Familie wohl früh in der Eumetazoa- = Gewebetiere-Evolution entstanden. Knochenfische haben ihr C3-Repertoire massiv ausgeweitet. Insekten haben ihr C3 verloren, aber dann aus Alpha-2-Makroglobulin-Sequenz neu erfunden. Das zeigt, wie stark der Selektionsdruck für eine analoge Lösung hier ist. In Wirbeltieren führt C3 ein Doppelleben: als häufiges, träges Serumprotein und als hochaktives Molekül mit zahlreichen spezifischen Reaktionspartnern dank einer Reihe von Fragmenten, C3a bis C3g. Lektinweg wird durch angeborene Immunrezeptoren gestartet, die an Nicht-Selbst-OF gebunden haben. Mit Aufkommen der erworbenen Abwehr entwickelte das Komplementsystem die Fähigkeit, Antikörper zu erkennen, die an Antigene gebunden hatten (klassischer Weg der Komplementaktivierung).

Membranangriffskomplex (MAC): entsteht, wenn genug C3-Konvertase auf einer Oberfläche abgelagert wurde -> C5-Konvertase aktiviert C5, die wiederum C6-C9 aktiviert. Unklar, was der Selektionsdruck war und wofür MAC wirklich dient. Gram-positive Bakterien sind immun dagegen wegen ihrer dicken Zellwand. Menschen ohne MAC unterschieden sich von ihren Geschwistern nur durch Anfälligkeit für Neisseria-Infektionen. Wäre arg extravagante Lösung, um Meningokokken-Infektionen zu bekämpfen. In Wirbellosen gibt es keine Entsprechung zum MAC, aber in Neunaugen, die keine Antikörper produzieren und auch keine Homologe für C6 bis C9 haben. Stattdessen arbeiten sie mit VLRB + C3. Weiteres Bsp. für Tinkering der Evolution; vermutlich haben MAC also doch eine ganz entscheidende Funktion. [-> Buch?]

Programmierter Zelltod: Nekrose und Apoptose wohl Enden eines kontinuierlichen Spektrums; Pyroptose (gegen Pathogene im Zytosol) auf halber Strecke. Ähnelt Apoptose in der Caspase-Anhängigkeit, aber Membran zerreißt wie in der Nekrose. Evtl. die ursprünglichste Form des programmierten Zelltods, schon vor den Metazoen aufgekommen? Infizierte Zelle nur töten ist keine gute Idee, weil Pathogene dann freigesetzt werden. Aber aktivierte Caspase-1 spaltet auch die inaktive Form des Zytokins IL-1beta -> Aktive Form wird aus pyroptotischer Zelle freigesetzt, startet Entzündungsreaktion Neutrophile werden rekrutiert, die die sterbenden Zellen auffressen. Wohl deshalb sabotieren so viele Viren Schlüsselschritte in den Zelltod-Programmen.

Warum überhaupt noch eine erworbene Abwehr? Weil angeborene Abwehr durch kurze Generationszeit vieler Pathogene ausgehebelt werden kann, die schneller neue Mittel gegen das begrenzte Repertoire der angeborenen Rezeptoren hervorbringt, als die angeborene Abwehr das durch mutierte neue Rezeptoren heilen kann (Generationslücke, siehe Teil 1).

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