Ich habe in diesem Blog bereits mehrere Fachartikel über Zusammenhänge zwischen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und weitere Autoimmunerkrankungen vorgestellt: den Review von Weetman (2011), die Fragebogen-Querschnittstudie von Boelaert et al. (2010) und die Arbeit von Sirota et al. (2009), die Assoziationen mit Einzelnukleotid-Polymorphismen untersucht haben. Zur Ergänzung fasse ich hier einen neuen brasilianischen Review zusammen.
Teresa Cristina Martins Vicente Robazzi, Luis Fernando Fernandes Adan: Autoimmune thyroid disease in patients with rheumatic diseases. Rev Bras Reumatol 52(3), 2012, 417-430 (ohne doi)
Abstract: Bei Patienten mit Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis (z. B. Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes (SLE) oder Sklerodermie) werden häufig auch Fehlfunktionen der Schilddrüse und/oder Schilddrüsen-Autoantikörper festgestellt. Die Autoren fassen Erkenntnisse über Assoziationen zwischen endokrinen und rheumatischen Autoimmunerkrankungen in verschiedenen Altersgruppen und klinischen Situationen zusammen. Dazu haben sie große medizinische Literaturdatenbanken durchsucht. Trotz einiger Widersprüche in der Literatur stellen sie fest, dass Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und rheumatische Erkrankungen positiv assoziiert sind, was auf gemeinsame Ursachen oder Mechanismen hindeuten kann.
Einleitung: Die häufigste Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, Hashimoto-Thyreoiditis, ist durch die Einwanderung von Lymphozyten in die Schilddrüse und durch die Autoantikörper Anti-TG und Anti-TPO gekennzeichnet. Diese Autoantikörper treten aber auch bei vielen Menschen mit anderen Autoimmunerkrankungen und selbst bei Gesunden auf. Umgekehrt findet man bei vielen Patienten mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse auch antinukleäre Antikörper (ANA); hier scheinen also organspezifische und systemische polyklonale Autoimmunreaktionen auftzutreten. Viele Menschen mit rheumatoiden Erkrankungen haben auch eine gestörte Schilddrüsenfunktion oder Schilddrüsenautoantikörper.
Schilddrüsen- und rheumatische Autoimmunerkrankungen: Unter den Assoziationen zwischen endokrinen und rheumatischen Autoimmunerkrankungen ist die zwischen dem Sjögren-Syndrom und Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen am häufigsten, und zwar vor allem bei erwachsenen Frauen. Das weist auf gemeinsame Ursachen (Umweltfaktoren und/oder genetische Faktoren) und ähnliche pathologische Mechanismen hin. Bei kaukasischen Patienten mit beiden Krankheiten sind die HLA-Haplotypen HLA-B8 und -DR3 besonders häufig. Histologisch und funktional ähneln sich die Tränen- und Speicheldrüsen auf der einen und die Schilddrüse auf der anderen Seite. In beiden Fällen kommt es zur Infiltration von T-Lymphozyten, was darauf hindeutet, dass sich dieselbe Immunantwort gegen Follikelzellen der Schilddrüse und gegen Epithelzellen der Speicheldrüsen richten kann.
Bei einer retrospektiven Studie an 218 Patienten mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse wurden in 13,7 Prozent weitere Autoimmunerkrankungen festgestellt, und zwar am häufigsten Sjögren-Syndrom und SLE. Das primäre Sjögren-Syndrom ist bei Patienten mit einer Schilddrüsen-Autoimmunerkrankung zehnmal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, und Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen treten bei Menschen mit Sjögren-Syndrom neunmal häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. Daher raten die meisten Autoren zu regelmäßigen Screenings bei den Patienten, jedenfalls bei erwachsenen Frauen mit einer der beiden Erkrankungen.
SLE: Bei Patienten bzw. in Familien mit SLE und Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen treten bestimmte Risiko-Allele gehäuft auf, z. B. HLA-B8 und -DR3. Etwa 5,7 Prozent der SLE-Patienten bilden auch eine Schilddrüsenunterfunktion aus – fünfmal so viele wie in der Allgemeinbevölkerung. Nicht alle diese Fälle dürften Autoimmunerkrankungen sein; auch SLE-Medikamente wie Corticosteroide können das Schilddrüsenhormonsystem beeinflussen. Zwischen der Schwere von SLE und Schilddrüsenstörungen konnte kein klarer Zusammenhang nachgewiesen werden. Anti-Tg- und Anti-TPO-Antikörper werden auch bei SLE-Patienten ohne Schilddrüsenerkrankung häufiger nachgewiesen als in der Allgemeinbevölkerung (14 bis 68 Prozent).
Rheumatoide Arthritis (RA): HLA-DR2 und -DR4 sind mit seronegativen wie seropositiven Formen der RA assoziiert, und in Patienten mit RA sowie Hashimoto-Thyreoiditis sind HLA-A24, -DR3 und -DR4 besonders häufig. Bei durchschnittlich 11 Prozent (2 bis 32 Prozent) aller untersuchten RA-Patienten wurden Schilddrüsen-Autoantikörper nachgewiesen. In einer Studie waren Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen bei erwachsenen Frauen mit RA dreimal so häufig wie in der demografisch entsprechenden Kontrollgruppe.
Sklerodermie und Bindegewebserkrankungen: In einer Studie wurden bei 12 bzw. 19 Prozent aller Sklerodermie-Patienten Anti-Tg- bzw. Anti-TPO-Antikörper nachgewiesen. Personen mit Anti-TPO-Antikörpern trugen besonders häufig das Allel HLA-DR15. Bei Patienten mit stabiler Sklerodermie, die eine Autoimmunerkrankung zu sein scheint, kommt es oft zu einer Schilddrüsenunterfunktion. Auch zwischen lokalisierter Sklerodermie oder Morphea und Hashimoto-Thyreoiditis wurden Zusammenhänge ausgemacht [wovon meine Hautärztin, die ich wegen einer Morphea aufgesucht und ausdrücklich auf meine HT hingewiesen habe, offenbar noch nie etwas gehört hat …], was darauf hindeutet, dass auch lokalisierte Formen der Sklerodermie Autoimmunerkrankungen sind.
Weitere rheumatische Erkrankungen: Bei rheumatischer Polymyalgie, Riesenzellenarteriitis (Arteriitis cranialis), rheumatischem Fieber, juveniler idiopathischer Arthritis und Fibromyalgie liegen überwiegend noch nicht genug Studien vor, um Zusammenhänge mit Schilddrüsen-Autoimmunerkrankungen zu belegen oder aber auszuschließen.
Schluss: Häufig bildet sich im Verlauf einer Autoimmunerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis auch noch eine Schilddrüsen-Autoimmunerkrankung aus. Bezüglich der Pathogenese konkurrieren mehrere Hypothesen: ursächliche Beteiligung von Autoantikörpern, Überlappungen zwischen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und anderer Organe sowie systemische Entzündungsreaktionen, die mit Thyreoiditis einhergehen.