Jose U. Scher und Steven B. Abramson: The microbiome and rheumatoid arthritis. Nature Reviews Rheumatology 7, 2011, 569-578, doi: 10.1038/nrrheum.2011.121 (Open Access)
(Notizen nicht allgemeinverständlich aufbereitet; Abstract bereits im Artikel über Zusammenhänge zwischen Parodontitis und AIE zusammengefasst)
Die Bakterien in unserem Darm wiegen etwa 3 Pfund. Rheumatoide Arthritis (RA) ist chronische, unheilbare Erkrankung mit komplexem genetischen Hintergrund. Genetische Risikoallele (per GWAS ermittelt) erklären bislang nur 16% der Krankheitsvarianz; davon entfallen 12% auf die MHC-Klasse-II-Region. Konkordanz bei eineiigen Zwillingen maximal 15%; das ist nicht viel mehr als in der Allgemeinbevölkerung.
Hypothese, das RA in Amerika entstand: Verbreitung in der Welt könnte der Ausbreitung eines Umweltfaktors wie eines Pathogens oder einer bestimmten mirkobiomverändernden Kost gefolgt sein. Indizien: Rubens (frühes 17. Jh., also nach der Entdeckung Amerikas) litte selbst unter schwerer RA und malte die ersten Gemälde, auf denen recht eindeutig Leute mit RA zu sehen sind. 6 Skelette aus Nordwest-Alabama, die aus der Zeit von 6000 bis 3000 v. Chr. stammen, zeigen Symptome, die auf RA zurückzuführen sein könnten (symmetrische, erosive, periphere Polyarthritis ohne Einbeziehung der Wirbelsäule oder der äußersten Fingergelenke). In alten Skeletten aus der alten Welt gibt es keinerlei Hinweise auf RA. Höchste RA-Prävalenz bei Indianern wie den Chippewa, Pima und Tiglit. In Populationen aus dem Subsahara-Afrika und Asien, die erst spät mit Europäern in Kontakt kamen, ist RA viel seltener. Insgesamt scheinen die RA-Inzidenzen proportional zum steigenden Einsatz von Antibiotika in der 1. Hälfte des 20. Jh. gesunken zu sein; neuerdings Stabilisierung. [Es gibt aber auch Arbeiten, in denen von steigenden Inzidenzen die Rede ist – AK]
Parodontose-Erreger Porphyromonas gingivalis könnte Bindeglied zwischen Parodontitis, Peptid-Citrullinierung, Autoantikörperbildung und Gelenkentzündung sein.
Henle-Koch-Postulate in der Formulierung von Friedrich Loeffler:
… so müssen sich … jene drei Postulate erfüllen lassen, deren Erfüllung für den strikten Beweis der parasitären Natur einer jeden derartigen Krankheit unumgänglich notwendig ist:
- Es müssen constant in den local erkrankten Partien Organismen in typischer Anordnung nachgewiesen werden.
- Die Organismen, welchen nach ihrem Verhalten zu den erkrankten Theilen eine Bedeutung für das Zustandekommen dieser Veränderungen beizulegen wäre, müssen isoliert und rein gezüchtet werden.
- Mit den Reinkulturen muss die Krankheit wieder erzeugt werden können.
Das war lange nicht einzuhalten, da von bis zu 80% Bakterien, die auf und in uns leben, niemals Reinkulturen erzeugt werden konnten. Das änderte sich erst durch die Massensequenzierungen vor allem der 16S-rRNA aus der 30S-Untereinheit der prokaryotischen Ribosomen, die Abschnitte enthalten, die zwischen den verschiedenen Bakterienarten hochkonserviert sind und sich daher für phylogenetische Studien eignen, da man PCR-Primer auf diese konservierten Sequenzen ansetzen kann. Zugleich enthät die 16S-rRNA hypervariable Sequenzen, an denen sich die Arten unterscheiden lassen. Diese Studien müssen aber durch Shotgun Sequencing (Schrotschuss-Sequenzierung) des ganzen Genoms ergänzt werden, da die 16S-rRNA keinen Aufschluss über die Stoffwechselwege und Enzyme (und damit Funktionen) der Bakterien gibt.
Das Mikrobiom im menschlichen Darm ist von zwei Bakerien-Phyla dominiert, den Bacteroidetes und den Firmicutes, die zusammen etwa 2/3 der gesamten Darmflora ausmachen. Man kann alle Erwachsenen einem von nur drei Enterotypen (stabilen Bakterienartenkombinationen) zuordnen. [Wir durch neuere Arbeiten in Frage gestellt, bei denen kontinuierliche Übergänge gefunden wurden – AK] Kommensalen sind nicht, wie früher gedacht, passive Organismen, die vom Wirt Nahrung erhalten und nichts zurückgeben.
Schutz der Schleimhaut und des darunter liegenden Gewebes von der Darmflora: Schleim, antimikrobielle Sunstanzen, Ausscheidung vin IgA-Antikörpern, Tight Junctions zwischen den Epithelzellen, Ausscheidung von Defensinen, Cathelicidinen und C-Typ-Lektinen. Außerdem haben Epithelzellen zum Darmlumen hin Toll-like Receptors (TLRs), die PAPMs (pathogen-associated molecular patterns) erkennen und ggf. das Signaladaptormolekül MyD88 aktivieren -> Entzündungsreaktion. Angeborene Immunabwehr: Makrophagen in der Lamina propria phagozytieren (fressen) Mikroorganismen, dendritische Zellen (DCs) fungieren hier als Antigen-präsentierende Zellen (APCs), die ihre MHC-Klasse-II-Moleküle mit den fremden Peptiden beladen -> Priming von B- und T-Zellen für adaptive Immunabwehr. Komplexes Netzwerk aus rezeptoren, Zytokinen und Transdkriptionsfaktorenin naiven T-Zellen ermöglicht biologische Plastizität -> Differenzierung in diverse entzündungsfördernde und -hemmende Subpopulationen, z. B. intrazelluläre Pathogene -> Th1, extrazelluläre Pathogene -> Th2 und Th17; Tregs regeln durch Aktivierung ihres Transkriptionsfaktors FoxP3 und Erzeugung entzündungshemmender Zytokine wie IL-10 Entzündung herunter. -> Im gesunden Darm arbeiten Th1-Zellen, Th17-Zellen und Tregs mit B-Zellen, DCs, Epithelzellen und Phagozyten zusammen, um zu verhindern, dass Kommensalen ihren Wirten schaden.
Wie hat das Immunsystem gelernt, Kommensalen von Pathogenen zu unterscheiden? Mit Hilfe der Kommensalen! Bacteroides fragilis aktiviert IL-10-produzierende Tregs durch eine Komponente seiner Kapsel, Polysaccharid A (PSA), das den TLR2-Signalweg nutzt, um die Entzündung über Tregs zu hemmen und zugleich die Th17-Reaktion zu dämpfen. Auch einige Clostridia-Arten können Tregs induzieren. Segmentierte filamentöse Bakterien (SFB) aktivieren dagegen die Th17-Zellen der Lamina propria, die das entzündungsfördernde IL-17 ausscheiden (siehe Artikel Schwerter zu Pflugscharen).
Dysbiose und Autoimmunerkrankungen: Dybiose (Zunahme von Pathogenen oder Abnahme von Symbionten, also nützlichen Kommensalen) kann über inflammatorische Kettenreaktion und anschließende Gewebszerstörung zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) führen. Inflammasom (Schlüsselkomponente der angeborenen Immunabwehr, die zur Produktion der entzündungsfördernden Zytokine IL-1 und IL-8 führt) ist für Erhalt der Gesundheit notwendig. Knockout-Mäuse -> Vermehrung von Bakterien wie Prevotella und TM7 -> Verschlimmerung von Colitis. Wildtyp-Mäuse, die mit den erkrankten Inflammasom-Knockout-Tieren zusammenleben, werden ebenfalls krank – also „ansteckende“ CED wg. verändertem Mikrobiom! Mehrere Studien zeigen, dass einzelne Kommensalen-Arten lokale adaptive Immunantwort auslösen können, die anschließend an weit entfernten Orten wie dem ZNS Autoimmunerkrankungen auslösen oder aber verhindern kann. Bsp.: Stämme von Salmonella typhimurium, die den Kolonisationsfaktor Antigen I exprimieren, schützen vor EAE (MS-Modell) und kollageninduzierte Arthritis.
Mikrobiom und rheumatoide Arthritis: 1. Hinweis: Versuch Ende der 1970er, keimfrei aufgezogene Ratten entwickelten zu 100% eine Adjuvans-induzierte Arthritis; unter konventionell gehaltenen Ratten desselben Typs erkrankten dagegen nur wenige leicht -> Suppression der Entzündungen durch Immunsystem, dasd vom Mikrobiom beeinflusst ist. Humorale Immunabwehr ist keine Voraussetzung für diese xperimentelle Arthritis; die keimfreien kranken Ratten produzierten keine spezifischen Autoantikörper gegen das Hitzeschock-Protein hsp65. Ob die Darmflora (insbes. bestimmte gramnegative Bakterien) Gelenkschäden eher verhüten oder verschlimmern, könnte vom genetischen Hintergrund abhängen.
Indizien aus Studien an gnotobiotischen Mäusen: Gnotobiotisch = zunächst keimfreie Mäuse, die mit einem wohldefinierten Mikrobiom angeimpft werden. Um in Tiermodellen für RA eine entzündliche Arthritis auszulösen oder zu verschlimmern, sind bestimmte dysbiotische Zusammensetzungen des Mikrobioms und wohl auch genetische Prädispositionen des Wirts erforderlich.
Erkenntnisse aus arthritischen Erkrankungen beim Menschen: Bester Beleg für Mikrobiom-Einfluss: Whipple-Krankheit, die durch das Dünndarm-Bakterium Tropheryma whipplei verursacht wird und mit gelenkentzündungen einhergeht. Sulfasalazin, eine Kombination aus dem Antibiotikum Sulfonamid und Salicylsäure, führte bei RA zu guten Anfangserfolgen, wurde aber später nicht mehr gege RA eingesetzt (wohl hingegen noch bei CED). In mehreren Studien erwies sich das Antibiotikum Tetracyclin als effektiv zur Behandlung früher seropositiver RA. Die Wirkmechanismen wurden bislang nicht vollständig aufgeklärt.
Ausblick: Bei RA-Patienten funktionieren die zirkulierenden Tregs nicht richtig, und es gibt zu viele Th17-Zellen im Plasma und in der Gelenkflüssigkeit. Womöglich haben RA-Patienten einen besonderen Enterotyp, der bei Menschen mit genetischer Prädisposition Autoimmunreaktionen auslöst. Andere Enterotypen könnten schützend wirken. Um gesund zu bleiben, ist ein fein austariertes Gleichgewicht zwischen potenziell entzündungsfördernden und entzündungshemmenden Darmbakterien nötig.
(Abb. 3: Homöostase und Dysbiose; H.: Kommensalen produzieren PSA -> Tregs aktiviert, IL-10 ausgeschüttet, Th17-Zellen supprimiert -> keine unkontrollierte Entzündung; D.: SFB und bestimmte Lactobacillus-Arten im Darm -> zu viele Th17- und Th1-Zellen in der Lamina propria -> Auswanderung ins periphere Immunsystem (Lymphknoten und Milz) -> B-Zellen produzieren Autoantikörper -> RA)