Diese Frage wird schon lange diskutiert und erforscht. Dahinter steckt das bis vor wenigen Jahren kaum hinterfragte Standardmodell der zweiarmigen erworbenen Immunabwehr: Im gesunden Organismus sind die Th1-dominierte zelluläre und die Th2-dominierte humorale Immunabwehr im Gleichgewicht; die Botenstoffe im Th1-Arm hemmen den Th2-Arm und umgekehrt; beide Abwehrtypen werden so im Zaum gehalten.
Wird das Gleichgewicht – beispielsweise aufgrund genetischer Anlagen – zugunsten des Th1-Arms gestört, so kommt es typischerweise zu Autoimmunerkrankungen: Die zelluläre Abwehr richtet sich gegen körpereigenes Gewebe und wird zum Selbstläufer, weil die Entzündungsreaktion nicht mehr von Th2-Botenstoffen eingedämmt wird. Gewinnt dagegen der Th2-Arm die Oberhand, so entwickelt der Betroffene Allergien oder Asthma: Es werden massenhaft Antikörper gegen an sich harmlose Pollen oder andere Umweltstoffe freigesetzt; der Mangel an hemmenden Th1-Cytokinen führt wiederum zur Chronifizierung.
Doch dann zeigte sich, dass es neben T-Helferzellen von Typ 1 und 2 noch weitere Subpopulationen gibt, die nicht zu diesem einfachen Wippen-Modell passen. Neben den Th17-Zellen wären vor allem die regulatorischen T-Zellen oder Tregs zu nennen, die im Normalfall beide Arme der erworbenen Immunabwehr bremsen, bevor es zu chronischen Reaktionen kommt, und die dies bei Autoimmunerkrankungen oder Allergien nicht schaffen, weil es zu wenige von ihnen gibt oder weil sie inaktiv sind.
Dennoch sind viele Autoimmunerkrankungen tatsächlich Th1-dominiert, während Allergien Th2-geprägt sind. Müsste dann nicht eine vorliegende Erkrankung aus einer der beiden Kategorien eine weitere Erkrankung aus der anderen Kategorie ausschließen oder zumindest unwahrscheinlicher machen bzw. schwächer ausfallen lassen? Dieser Fragestellung sind bereits viele Forschergruppen nachgegangen – mit widersprüchlichen Ergebnissen. Hier und in den folgenden beiden Artikeln stelle ich zwei Studien und einen Review-Artikel vor.
Amir Tirosh et al.: Autoimmune Diseases in Asthma. Ann Intern Med. 2006; 144: 877-883.
Ziel und Studiendesign: Die Autoren wollten die Hypothese, dass Asthma vor Autoimmunerkrankungen schützt, anhand einer großen Kohorte junger Erwachsener prüfen: israelischer Rekruten, die zwischen 1980 und 2003 zur Einschätzung ihrer Tauglichkeit und zur Ermittlung der am besten für sie geeigneten Aufgaben medizinisch untersucht wurden (Querschnittstudie). Es handelte sich um 307.367 Soldaten und 181.474 Soldatinnen im Alter von 18 bis 21 Jahren. Während ihrer Dienstzeit – 36 Monate für die Männer, 22 Monate für die Frauen – wurde zudem überprüft, wie viele Autoimmunerkrankungen bei Personen mit und ohne Asthma neu auftraten (Längsschnittstudie).
Ergebnisse: Deutlich mehr Frauen als Männer hatten bei der Erstuntersuchung Autoimmunerkrankungen; nur bei Typ-1-Diabetes war es umgekehrt (Unterschied aber nicht signifikant). Bei nicht asthmatischen Frauen waren die meisten Autoimmunerkrankungen (Ausnahme: Antiphospholipid-Syndrom) signifikant häufiger als bei den Asthmatikerinnen. Bei nicht asthmatischen Männern traten Typ-1-Diabetes, Vaskulitis und rheumatoide Arthritis häufiger auf als bei den Asthmatikern.
Während der Folgeuntersuchungen traten Vaskulitis und rheumatoide Arthritis bei beiden Geschlechtern häufiger bei Nichtasthmatikern als bei Asthmatikern auf. Bei nicht asthmatischen Frauen traten zudem die immunthrombozytopenische Purpura, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und das Antiphospholipid-Syndrom öfter auf als bei den Asthmatikerinnen. Bei den nicht asthmatischen Männern waren während der Nachuntersuchungen neue Fälle von Typ-1-Diabetes signifikant häufiger als bei den Asthmatikern.
Schlussfolgerung: Asthma scheint einen gewissen (aber nicht absoluten) Schutz vor Autoimmunerkrankungen darzustellen, allerdings bei Frauen und Männern in unterschiedlichem Maße.
Dass die Autoren sich auf Asthma als einzige allergische Erkrankung konzentriert haben, liegt an den relativ eindeutigen Diagnosekriterien. Bei vielen anderen Allergien haben sich die Kriterien im langen Zeitraum der Datenerhebung (24 Jahre) geändert. Interessant wäre auch die umgekehrte Fragestellung gewesen: Schützt eine bereits vorliegende Autoimmunerkrankungen vor späteren Allergien? Aber erstens brechen Allergien im Allgemeinen früher im Leben aus als Autoimmunerkrankungen, und zweitens wurden Rekruten, die bei der Musterung bereits eine Autoimmunerkrankung aufwiesen, zumeist vom Militärdienst freigestellt, sodass sie aus dem Datenbestand herausfielen.
Als mögliche Ursachen für eine ungesunde Th1- oder Th2-Dominanz im Immunsystem nennen die Autoren genetische Prädispositionen und Umwelteinflüsse wie den Wegfall bestimmter Pathogene in der modernen Welt (Hygiene-Hypothese). Sie verweisen auf eine Studie aus dem Jahr 2003, in der bei etwa 20.000 Teilnehmern keine signifikanten Beziehungen zwischen Allergien und Autoimmunstörungen gefunden wurden. Diesen Unterschied zu den eigene Ergebnissen erklären sie sich mit der geringeren Datenmenge, der vageren Allergie-Definition und dem Verzicht auf eine nach Geschlechtern getrennte Auswertung der Daten in der älteren Studie. Außerdem hatten 2003 nicht Ärzte, sondern die Patienten selbst von ihren Krankheiten berichtet, und es war nicht zwischen den einzelnen Autoimmunerkrankungen unterschieden worden.
Theoretisch könnte auch die Therapie gegen Asthma den Ausbruch von Autoimmunerkrankungen behindert haben, aber da auch Soldaten mit nur schwachem Asthma, die vermutlich keine Corticosteroide inhalierten, weniger Autoimmunerkrankungen bekamen als Nichtasthmatiker, halten die Autoren das für unwahrscheinlich.
Dass Frauen anfälliger für Autoimmunerkrankungen sind, dürfte nach Ansicht der Autoren mit den Sexualhormonen zusammenhängen. Sie erwähnen, dass Frauen nach Infektionen oder Impfungen im Allgemeinen stärkere zelluläre (also Th1-dominierte) Immunreaktionen zeigen als Männer.
Um sicherzustellen, dass die beschriebenen Effekte wirklich etwas mit der erworbenen Immunabwehr zu tun haben, untersuchten die Autoren auch die Häufigkeit von Gallen- und Nierensteinen, an deren Auftreten das Immunsystem nicht beteiligt ist. Hier gab es keine Unterschiede zwischen den Asthmatikern und den Nichtasthmatikern.