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Aus dem Bauch heraus: Mikrobiom beeinflusst Immunzellen im Gehirn

Unser Gehirn ist ein immunologisch privilegiertes Organ, in dem Immunreaktionen besonders strikt reguliert werden, um Kollateralschäden zu vermeiden. Dennoch enthält es Immunzellen, vor allem solche der angeborenen Abwehr – insbesondere Mikroglia.

Zu deren Aufgaben gehört das Pruning: das Wegschneiden überflüssiger Verbindungen (Synapsen) zwischen Nervenzellen, vor allem während der Kindheit und Adoleszenz. Mikroglia sind gewissermaßen die Gärtner des Gehirns, die die Sträucher regelmäßig zurückschneiden, bevor sie zu einem undurchdringlichen, dysfunktionalen Gestrüpp zusammenwuchern. Krankhaft überaktive Mikroglia übertreiben das Stutzen; sie zerstören auch Verbindungen zwischen Neuronen, die für die Gehirnfunktion notwendig sind. Andererseits sind auch erschöpfte, nicht hinreichend aktive Mikroglia schädlich, denn sie kommen mit dem Aufräumen, dem Entsorgen von Krankheitskeimen oder toten oder erkrankten Nervenbestandteilen nicht mehr hinterher. Abnorme Mikroglia werden unter anderem mit Multipler Sklerose, aber auch mit Alzheimer-Demenz und Schizophrenie in Verbindung gebracht.

Offenbar wird ihre Aktivität unter anderem von unserer Darmflora reguliert. Vermittelt wird diese Fernwirkung vermutlich über sogenannte kurzkettige Fettsäuren (short-chained fetty acids = SCFA), also Gärungsprodukte wie Essig-, Propion- und Buttersäure, die die Darmbakterien aus unserer Nahrung gewinnen. Diese durchdringen das Darmepithel und gelangen dann entweder selbst über das Blut ins Gehirn, oder sie regen in unserem Darmgewebe Zellen zur Ausschüttung von Botenstoffen an, die dann ihrerseits über die Adern ins Gehirn kommen.

Im Gehirn von Menschen, die ein hohes Schizophrenie-Risiko haben oder sich bereits in der Frühphase der Erkrankung befinden, ist die Konzentration von Zytokinen erhöht; ihre graue Materie geht zurück, und ihre Mikroglia sind überaktiv: Anzeichen für eine Entzündung. Je stärker ihre Mikroglia aktiviert sind, desto stärker sind die Schizophrenie-Symptome, wenn die Erkrankung schließlich ausbricht. Die zeitliche Abfolge lässt vermuten, dass die Mikroglia-Aktivierung nicht lediglich eine Folge einer bereits eingetretenen Störung im Gehirn ist, sondern diese mit verursacht. Dazu passt auch das Lebensalter, in dem Schizophrenie und weitere psychische Erkrankungen besonders häufig ausbrechen: während oder kurz nach der Adoleszenz – genau dann, wenn die Mikroglia im Frontalkortex viel Pruning betreiben.

Literatur:

D. Erny et al.: Host microbiota constantly control maturation and function of microglia in the CNSNature Neuroscience 18, 965–977 (2015), doi:10.1038/nn.4030 (nur Abstract frei)

Dazu auch Katrin Zöfel: Bakterien für ein gesundes Gehirn (09.10.2015)

P. S. Bloomfield et al.: Microglial Activity in People at Ultra High Risk of Psychosis and in Schizophrenia: An [11C]PBR28 PET Brain Imaging StudyAmerican Journal of Psychiatry, http://dx.doi.org/10.1176/appi.ajp.2015.14101358 (nur Abstract frei)

Dazu auch Mo Costandi: Brain’s immune cells hyperactive in schizophrenia (16.10.2015)

Multiple Sklerose: Zelldegeneration primär, chronische Entzündung und Autoimmunreaktion sekundär?

Axon mit Myelinscheide im Querschnitt, CC BY-SA 3.0, http://en.wikipedia.org/wiki/User:Roadnottaken

Ehrlich gesagt habe ich es aufgegeben, bei Multipler Sklerose (MS) den Überblick über die Fachliteratur und die Diskussionen zu ihren Ursachen und Mechanismen zu behalten: Nach meinem Eindruck wird alle paar Wochen eine neue Sau durchs Dorf getrieben, und oft wird mir nicht klar, welche Studienergebnisse nun mit welchen Theorien zusammenpassen und was sich gegenseitig ausschließt. Aber wenigstens diesen Meinungsbeitrag möchte ich vorstellen – wie immer noch nicht allgemeinverständlich zusammengefasst:

 

Peter K. Stys et al.: Will the real multiple sclerosis please stand up? Nature reviews Neuroscience 13, Juli 2012, 507-514; doi: 10.1038/nrn3275

Die Autoren legen dar, warum MS in ihren Augen eine Kombination aus einer primären neurodegenerativen Erkrankung und einer durch diese ausgelösten (und sie evtl. verstärkenden) Autoimmunreaktion bzw. chronischen Entzündung ist. Die nicht entzündliche primär progrediente Form der MS (PP-MS) ist ihres Erachtens die „eigentliche“ MS, die entzündlichen Formen wie die schubförmig remittierende MS (RR-MS) sind auf sekundäre (wenngleich sehr wichtige) Reaktionen zurückzuführen.

MS gilt ihnen zufolge traditionell als Autoimmunerkrankung, bei der wild gewordene T-Zellen Elemente des zentralen Nervensystems, insbesondere Myelin, angreifen. In der Zerebrospinalflüssigkeit der Patienten ist für gewöhnlich oligoklonales Immunglobulin G nachweisbar, und transiente Läsionen im Magnetresonanzscan weisen auf Entzündungen und Zusammenbrüche der Blut-Hirn-Schranke hin. Biopsien: Perivaskuläre Entzündungsinfiltrate bestehen überwiegend aus T-Zellen und Makrophagen; das Myelin wird abgebaut; die Axone degenerieren. Neuere Belege: nicht nur weiße, auch graue Substanz (Neuronen und Synapsen) betroffen.

Allgemein wird angenommen, dass die Pathophysiologie mit Immundysregulation beginnt, die das ZNS schädigt (Outside-in-Modell). Das passt aber nicht zu allen Befunden. Die Autoren vergleichen MS mit anderen neurodegenerativen Krankheiten, die wie Alzheimer oder Parkinson Stoffwechselursachen haben und nicht mit auffälligen Entzündungsphasen einhergehen. Sie schlagen ein alternatives Inside-out-Modell vor und untersuchen, welche molekularen Strukturen bei MS ohne primäre Beteiligung des Immunsystems gestört sein könnten.  Weiterlesen

Immunologische Meldungen im VBIO-Newsletter 27/2012

Links und Anreißer, aus dem Newsletter des Biologenverbands übernommen:

Natürliche Darmflora kurbelt Immunsystem an
Freiburger Forscher beschreiben in dem Fachmagazin Immunity den Einfluss der natürlichen Darmflora auf die Immunantwort gegen virale Erreger.

Wenn Komponenten der Immunabwehr gesunde Nervenzellen töten
Charité-Studie: Das Absterben gesunder Nervenzellen kann auf Komponenten des Immunsystems zurückgeführt werden.

Kreisverkehr im Lymphknoten
Die asymmetrische Teilung der Antikörper-produzierenden B-Zellen beschleunigt die Immunabwehr. Eine Tochterzelle beginnt schon mit der Produktion von Antikörpern, während die andere versucht, ihre Antikörper weiter zu verbessern.