Schlagwort-Archive: Antiphospholipid-Syndrom

Abb. 85: Familiäre Häufung von Autoimmunerkrankungen

Familienstammbäume offenbaren komplexe Erbgänge und Häufungen von Autoimmunerkrankungen. In der linken Familie hat die Mutter eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse (AITD), der Sohn multiple Sklerose (MS) und eine Tochter das Sjögren-Syndrom (SS). Rechts sind beide Eltern gesund, aber von den fünf Kindern haben zwei Töchter jeweils drei Autoimmunerkrankungen: die eine systemischen Lupus erythematodes (SLE), Antiphospholipid-Syndrom (APS) und Sjögren-Syndrom, die andere Vitiligo (VIT), ebenfalls Sjögren-Syndrom und eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse.

Vier der fünf Erkrankten sind weiblich. Tatsächlich erkranken an vielen Autoimmunerkrankungen Frauen häufiger (s. Abb. 51). In beiden Familien gibt es weniger Söhne als Töchter. Auch das ist typisch für Autoimmunerkrankungen mit deutlichem Frauenüberhang – ein Indiz für eine Beteiligung der Geschlechtschromosomen
an den Erkrankungen. Ich komme in Band 2 darauf zurück.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Dominante, rezessive, intermediäre und komplexe Vererbung

Die monogenen Erbgänge, wie wir sie in der Schule gelernt haben (Mendels Erbsen!): Im ersten Bild ist „schwarz“ ein rezessives Merkmal, das nur in sogenannten homozygoten Nachkommen zur Ausprägung kommt, die von beiden Eltern ein entsprechendes Allele geerbt haben.

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Im zweiten Bild ist „schwarz“ ein dominantes Merkmal, das auch in heterozygoten Nachkommen zum Ausdruck kommt:

P1170843-Mendelscher_Erbgang_Schwarz_dominant_650

Im dritten Bild tragen beide Allele zu einer intermediären Ausprägung bei; Schwarz und Weiß mischen sich zu Grau:

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Nur ganz wenige Autoimmunerkrankungen sind monogen. Meistens tragen Allele mehrerer Gene zur Erkrankung bei (Polygenie), und umgekehrt kann ein bestimmtes Allel das Risiko für mehrere Erkrankungen erhöhen. Hier zwei typische Stammbäume von Familien, in denen sich Autoimmunerkrankungen häufen:

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AITD = autoimmune thyroid disease, also Autoimmunerkrankung der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow)
MS = Multiple Sklerose
SS = Sjögren-Syndrom
SLE = systemischer Lupus erythematodus
APS = Antiphospholipid-Syndrom
VIT = Vitiligo

Quelle der Familienstammbäume: Cárdenas-Roldán et al. BMC Medicine 2013; 11:73

Hormonwerte sind nicht alles: Hypothyreose-unabhängige Symptome bei Hashimoto-Thyreoiditis

In der Patientenszene häufen sich seit Jahrzehnten Berichte von Hashimoto-Patienten, denen es trotz Hormonwerten im Normalbereich schlecht geht. Viele kämpfen gegen die TSH-Wert-Fixierung ihrer Ärzte an, die so etwas gerne als „psychisches Problem“ abtun. Neuerdings zeichnet sich in der Fachwelt ein Umdenken ab: Mehrere Forschergruppen bestätigen die Existenz von ernsten Symptomen und krankhaften Gewebsveränderungen bei Hashimoto-Thyreoiditis, die nicht von der Schilddrüsenhormonversorgung abhängen, sondern vermutlich durch die Autoimmunreaktionen selbst bedingt sind. Hier fasse ich einige Arbeiten zusammen – wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet, gesundheitsbedingt ziemlich flüchtig und wahrscheinlich mit noch mehr Tippfehlern als sonst: Ich sehe momentan sehr schlecht, möchte aber meinen Rückstand aufholen.

Johannes Ott et al.: The incidence of lymphocytic thyroid infiltration and Hashimoto’s thyroiditis increased in patients operated for benign goiter over a 31-year period. Virchows Arch 2011, 459, 277-281, doi: 10.1007/s00428-011-1130-x

Die HT-Inzidenz scheint in den letzten Jahrzehnten gestiegen zu sein. Autoren haben Lymphpzyten-Infiltration der Schilddrüse (lymphocytic thyroid infiltration = LTI) in Gewebsproben von 1050 Patienten untersucht, die wegen eines gutartigen Kropfs an der Schilddrüse operiert worden waren. Ausmaß LTI (Grad 0-4) korreliert positiv mit HT. Vergleich der Jahre 1979-1989 und 1994-2009: Nach der Erhöhung der Salziodierung in Österreich höhere HT-Inzidenz als vorher – was natürlich kein Beleg für einen kausalen Zusammenhang ist. [Weiteres Problem: die winzige Zahl histologisch eindeutiger Hashimoto-Fälle – insgesamt 8 von 1050, also 0,8%!] In der Lit. genannte mögliche Ursachen für steigende Inzidenz: intauterine Erreger-Exposition (Enterovirus usw.), industrielle Endokrindisruptoren oder Schwermetalle, radioaktive Strahlung (Tschernobyl), Iodierung. Mögliche pathophysiologische Mechanismen: erhöhte Immugenität von stark iodiertem Thyreoglobulin, toxische Wirkung von Iod auf Schilddrüsenzellen oder direkte Stimulation der Immunzellen durch Iod. [Arbeit für meine Zwecke unergiebig.]

Johannes Ott et al.: Hashimoto’s Thyroiditis Affects Symptom Load and Quality of Life Unrelated to Hypothyroidism: A Prospective Case–Control Study in Women Undergoing Thyroidectomy for Benign Goiter. Thyroid 2011, 21(2), 161-167; doi: 10.1089/thy.2010.0191.

Prospektive Kohortenstudie an 426 euthyreoiden Frauen, die wegen gutartigen Kropfs operiert wurden. Gewebsuntersuchung: 28 der Frauen (6,6%) hatten HT. Aufteilung in zwei Gruppen: Anti-TPO-Antikörper-Werte > bzw. ≤ 121,0 iU/ml. In beiden Gruppen nahmen etwa 30% Schilddrüsenhormone. Mittlere Zahl der von den Patientinnen berichteten Symptome war in der Gruppe mit hohen Anti-TPO-Antikörper-Werten signifikant größer. TSH-Werte: kein signifikanter Unterschied (1,7 bzw. 1,4 µU/ml). Chronische Erschöpfung, trockenes Haar, chronische Reizbarkeit, chronische Nervosität, chronische Schwäche, Schlafstörungen, Vorgeschichte Brustkrebs und frühe Fehlgeburten sowie niedrigere Lebensqualität (allgemeiner Gesundheitszustand, Einschränkungen durch körperliche Beeinträchtigungen, Vitalität, Teilnahme am Sozialleben, geistige Gesundheit; ermittelt mit SF-36-Fragebogen): alle signifikant mit hohen Anti-TPO-Antikörper-Werten assoziiert. Schluss: Diese HT-typischen Symptome können auch auftreten, wenn keine Hypothyreose vorliegt.  Weiterlesen

Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 1

Diese Frage wird schon lange diskutiert und erforscht. Dahinter steckt das bis vor wenigen Jahren kaum hinterfragte Standardmodell der zweiarmigen erworbenen Immunabwehr: Im gesunden Organismus sind die Th1-dominierte zelluläre und die Th2-dominierte humorale Immunabwehr im Gleichgewicht; die Botenstoffe im Th1-Arm hemmen den Th2-Arm und umgekehrt; beide Abwehrtypen werden so im Zaum gehalten.

Wird das Gleichgewicht – beispielsweise aufgrund genetischer Anlagen – zugunsten des Th1-Arms gestört, so kommt es typischerweise zu Autoimmunerkrankungen: Die zelluläre Abwehr richtet sich gegen körpereigenes Gewebe und wird zum Selbstläufer, weil die Entzündungsreaktion nicht mehr von Th2-Botenstoffen eingedämmt wird. Gewinnt dagegen der Th2-Arm die Oberhand, so entwickelt der Betroffene Allergien oder Asthma: Es werden massenhaft Antikörper gegen an sich harmlose Pollen oder andere Umweltstoffe freigesetzt; der Mangel an hemmenden Th1-Cytokinen führt wiederum zur Chronifizierung.

Doch dann zeigte sich, dass es neben T-Helferzellen von Typ 1 und 2 noch weitere Subpopulationen gibt, die nicht zu diesem einfachen Wippen-Modell passen. Neben den Th17-Zellen wären vor allem die regulatorischen T-Zellen oder Tregs zu nennen, die im Normalfall beide Arme der erworbenen Immunabwehr bremsen, bevor es zu chronischen Reaktionen kommt, und die dies bei Autoimmunerkrankungen oder Allergien nicht schaffen, weil es zu wenige von ihnen gibt oder weil sie inaktiv sind.

Dennoch sind viele Autoimmunerkrankungen tatsächlich Th1-dominiert, während Allergien Th2-geprägt sind. Müsste dann nicht eine vorliegende Erkrankung aus einer der beiden Kategorien eine weitere Erkrankung aus der anderen Kategorie ausschließen oder zumindest unwahrscheinlicher machen bzw. schwächer ausfallen lassen? Dieser Fragestellung sind bereits viele Forschergruppen nachgegangen – mit widersprüchlichen Ergebnissen. Hier und in den folgenden beiden Artikeln stelle ich zwei Studien und einen Review-Artikel vor.   Weiterlesen