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Jack/Du Pasquier: Evolutionary Concepts in Immunology, Teil 1

Etwa A5 großes Buch mit einer Festung auf dem Cover; gehalten von meiner linken Hand; im Hintergrund eine mit Plattencovern dekorierte Arbeitszimmer-WandKeine Besprechung des 2019 erschienenen, 145 Seiten schmalen, aber gehaltvollen und klugen Büchleins von Robert Jack und Louis Du Pasquier – sondern simple Notizen zu Stellen, die für Band 2 des Autoimmunbuchs relevant sind – hier erst mal bis Ende Kapitel 2; Fortsetzung folgt.

Und zugleich der Anfang einer Reihe von Blogartikeln ähnlicher Art, wie ich sie schon in den Jahren 2011ff. zuhauf verfasst habe: eilige, holperige Notizen zu neuer (oder neu entdeckter) immunologischer Fachliteratur, einfach um „Friendly Fire“ wiederzubeleben und nicht alles nur unsichtbar in Scrivener zu verarbeiten, dem Programm, in und mit dem ich meine Bücher schreibe.

Vorwort: Versuch zu zeigen, wie Kräfte der Evolution Immunsysteme im Laufe der Stammesentwicklung geformt haben. Dobzhansky-Zitat (natürlich!).

Kapitel 1: Wie arbeitet Evolution?

  • Ernst Mayrs Wie- und Warum-Fragen (s. auch Anfang Arvay oder Autoimmunbuch, Bd. 1, S.16: Tinbergens 4 Fragen). Warum -> Anpassungswert, Evolution von Abwehrsystemen.
  • „Lebende Fossilien“: Quastenflosser ähnelt 400 Mio. J. alten Fossilien, hat zwar die ganze Zeit Mutationen angesammelt, aber in den Tiefen des Meeres hat sich die Umwelt und damit der Selektionsdruck kaum gewandelt -> erst Selektion macht Mutationen evolutionär bedeutsam.
  • Varianten = Sequenzelemente, die in mindestens 1% einer Population vertreten sind; Mutanten = in weniger als 1%, entweder gerade erst entstanden und noch nicht positiv selektiert – oder schädlich, aber noch nicht komplett eliminiert.
  • Menschen: Problem -> Lösung; Evolution: potenzielle Lösungen (Mutationen in den Genomen einiger Individuen einer Population) warten auf das passende Problem. Wie Lymphozyten.
  • Eukaryoten können schwach nachteilige Mutationen bewahren, da sie diploid sind; daher größere Toleranz genetischer Drift als haploide Organismen. Ansammlung solcher Mutationen in Keimbahn bietet großes Lösungspotenzial.
  • Mikroorganismen nicht nur wg, kurzer Generationszeit, sondern auch wg. riesiger Populationen im Vorteil; Selektion effektiver.
  • In codierenden Regionen bei Menschen 1 Variante alle 8 Basenpaare. Jeder Mensch hat statistisch mindestens 85 Gene, bei denen 1 Kopie durch Mutation zerstört wurde, und 35, bei denen beide Kopien zerstört wurden.
  • Ansammlung leicht nachteiliger Mutationen = Muller-Ratsche. Meiotische Rekombination bei sexueller Fortpflanzung löst das Problem. R. kombiniert auch Allele intakter Gene neu -> einzigartige Individuen. F. Jacob: „To create is to recombine.“ Gilt auch für somatische Rekombination in Lymphozyten.
  • Generationslücke: Reproduktionszeit 20 Minuten – 20 Jahre = Faktor 525.000. Wie konnten wir überleben? 1. Diploidie, Mutationsvorrat, s. o. 2. adaptives IS, Selektion von Keimbahn in Soma verlagert. Nun keimbahn-codierte Abwehr zu unflexibel.
  • Evolution IS: Flache Küstengewässer energie- und nährstoffreich; bakterienfressende Amöben wohl 1. eukar. Organismen; von Viren, Transposons und Bakterien befallen. Alles, was bei Abwehr hilft, wird getan, auch wenn die Lösungen bizarr wirken.
  • „Amöben“ (lt. Literaturangabe: Nanoflagellat Cafeteria roenbergensis!) integrieren Mavirus in ihr Genom, um Mimivirus-Attacken abzuwehren: Mavirus wird bei Infektion aktiviert, Amöbe stirbt, aber da um 2-3 Größenordnungen mehr Ma- als Mimiviren produziert wurden, können neue Mimiviren wenig neue Amöben anstecken.
  • IS ist enorm verschwenderisch. Mensch: jeden Tag Milliarden Immunzellen wie Granulo- oder Lymphozyten produziert und fast alle direkt danach wieder ungenutzt zerstört. Trotzdem evolutionär stabile Strategie, da Vorteil schwerer wiegen.

Kapitel 2: Von Einzeller- und Vielzeller-IS

  • Übergang zu Mehrzellern wegen Arbeitsteilung zwischen Zelltypen vorteilhaft; einzelne Zelle muss weniger Kompromisse zwischen ihren u. U. widerstreitenden Funktionen eingehen. Preis dafür: Fitness einzelner Zellen = 0.
  • 4 Situationen, die Architektur der Abwehr in Metazoen beeinflussen; Übergang hat Änderungen erzwungen: 1. Trennung Keimbahn-Soma, 2. Beschränkung zellulärer Kompetenzen, 3. Aufweichung Grenze Selbst-Nichtselbst, 4. großes Tempo + Reichweite mobiler Immunzellen.
  • 1. Erst strikte Trennung Keimbahn-Soma macht proteinbasiertes, somatisch diverses IS möglich, weil die erforderlichen riskanten Rekombinations- und Mutations-Runden so die DNA in der Keimbahn nicht gefährden.
  • 2. Phagozytose: Nur noch bestimmte Zelltypen dürfen das. Phagozytose in jeder Phase, von der Suche bis zur Fusion Phagosom-Lysosom, vom Zytoskelett abhängig. Zellen dürfen ihre Nachbarn nicht auffressen. Dictyostelium discoideum: etwa 1% patrouillierende Wächterzellen, da Slug attraktive Quelle für Energie und Metaboliten ist. Phagozytose von Ernährungsweise zu Verteidigungsmethode diszipliniert.  Weiterer Vorteil: Pathogene können Phagozytose nicht mehr flächendeckend ausnutzen. Legionella pneumophila befällt Süßwasseramöben, verbirgt sich in Phagozytose-Vakuolen und injiziert mit dort aufgebauter Spritze etwa 300 bakterielle Mediatoren ins Zytosol -> Zytoskelett verändert -> Bakterien vermehren sich in Vakuolen. Legionärskrankheit ist „Unglück“, das erst durch Klimaanlagen mit großen Wassertanks passieren konnte, weil die Legionellen nun in Aerosolen in unsere Lungen gelangen können, wo sie via Phagozytose alveolare Makrophagen befallen. Zeigt, dass grundlegende Phagozytose-Mechanismen seit über 600 Mio. J. unverändert sind! Andere Pathogene wie Salmonellen, Shigella, Listerien, Chlamydien können auch andere Zelltypen zur Phagozytose bewegen, indem sie von außen durch ihre „Spritzen“ Mediatoren injizieren, die zu Membranausstülpung usw. führen. Die Bestandteile des Phagozytose-Apparats sind also in vielen Zelltypen noch komplett da. Autophagie = „interne Phagozytose“, Selbstabbau als „Vetter“ der Phagozytose: Proteasomen haben relativ kleine Einlassöffnungen, daher sammelt sich in langlebigen Zellen Müll an -> in Vakuolen gepackt, die mit Lysosomen fusionieren. Abbaumethode auch bei Nährstoffmangel und zur Vernichtung zytosolischer Pathogene eingesetzt. Problem der Selbst-Nichtselbst-Erkennung; auch Mitochondrien könnten wegen Bakterien-Herkunft vernichtet werden. Aber nur Pathogene, die aus Phagosom entswischen, tragen Glycane, mit denen Innenseite der Phagosom-Membran gespickt ist; zytosolische Galectine binden daran -> Glycan-Galectin-Komplexe als Friss-mich-Signale für Autophagie-Maschinerie.
  • 3. Selbst = Gesellschaft der Zellen in Metazoen. Zur Erkennung Vielzahl an Oberflächenmarkern und passenden Rezeptoren entwickelt, auch für lösliche Mediatoren wie Hormone oder Zytokine, die Infos aus weiter entfernten Körperteilen übermitteln. Mobile Abwehr aber nicht nur gegen Pathogene = Nichtselbst, sondern auch gegen verändertes Selbst wie Krebszellen, apoptotische und nekrotische  Zellen. – Apoptotische Zellen werden bei Nematoden, die kein echtes IS haben, von Nachbarzellen vertilgt, die dafür kurz ihr Phagozytose-Programm aktivieren, Bei Säugern können ggf. Epithel-, Endothelzellen und Fibroblasten als Amateur-Phagozyten dienen, aber das meiste erledigen Makrophagen. Sterbende Zellen senden Finde-mich-Signale, bei Kontakt Friss-mich-Signale aus. Koevolution des Apoptose- und des Fressprogramms bei den Partnern. So schnell, dass sogar in Knochenmark oder Thymus, wo sehr viele Zellen sterben, kaum tote Zellen sichtbar werden. – Nekrose: Zellmembran nicht mehr dicht; diverse Ursachen: zu viel Apoptose, steriles Trauma, Vireninfektion, … Phagozyten deuten ausgetretene Zytosolbestandteile als Gefahrensignal. Anders als bei Apoptose wird u. U. Entzündung -> Immunreaktion ausgelöst. – Krebs: Zellen fangen an zu mogeln, um sich rascher zu teilen – schon bei Algenmatten zu beobachten. Es braucht also neben altruistischer Kooperation auch altruistische Bestrafung der Betrüger -> IS. Krebszellen sind so was wie endogene Pathogene, halten sich nicht an Regeln, müssen um jeden Preis zerstört werden.
  • 4. Mobilität der Immunzellen: Bei einfachsten Vielzellern wie Schwämmen keine komplexen Organe. Nächste Stufe: Nesseltiere (Cnidaria) mit 2 Zellschichten, Ectoderm und Endoderm. Dann 3 Keimblätter, neu: Mesoderm. Bei Diploblasten wie Nesseltieren ist Epidermis für Abwehr zuständig, enthält Rezeptoren (strukturell ähnlich denen von Wirbeltieren wie TLR), produziert antimikrobielle Peptide, betreibt Phagozytose. Hydra enthält bakterielles Mikrobiom und symbiotische grüne Algen, die nicht bekämpft werden dürfen; „Selbst + Freunde“ vs. Feinde. Auch manche Triploblasen wie Nematode Caenorhabditis elegans haben nur epitheliale Abwehr. Komplexe Metazoen brauchen aber mobiles IS, da Apoptose, Nekrose, Tumorbildung und Infektionen überall im Körper stattfinden können. Siehe Buchcover: Verteidigung einer mittelalterlichen Stadt/Burg: Arbeitsteilung in Entdeckung und Hilferufen; zuständige Zellen müssen kommunizieren und sich gerichtet weit und schnell fortbewegen können; koordinierte Zytoskelett-Aktivität erforderlich. Dafür geänderte Konstruktion nötig: Bei Invertebraten bestehen Gefäße aus extrazellulärer Matrix, bei Vertebraten aus Endothelzellen; intelligente Oberflächen zur Rekrutierung von Immunzellen usw.

Teil 2: angeborene Abwehr

Abb. 0: Theodosius Dobzhansky – Im Lichte der Evolution betrachtet


»Im Lichte der Evolution betrachtet, ist die Biologie wohl die intellektuell befriedigendste
und anregendste Naturwissenschaft. Ohne dieses Licht wird sie zu einem Haufen verstreuter
Sachverhalte, von denen manche vielleicht Interesse oder Neugier wecken, ohne sich aber zu
einem sinnvollen Bild zusammenzufügen.«

Theodosius Dobzhansky (1900–1975)
»Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution«
Essay in The American Biology Teacher, 1973

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Nothing in Oncology Makes Sense Except in the Light of Evolution

„Nichts in der Biologie ist sinnvoll außer im Lichte der Evolution“, schrieb der Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky 1973: Ohne dieses Licht bleibe die Biologie ein Haufen unzusammenhängender Fakten, die kein stimmiges Bild ergeben.

Es lohnt sich, Widersprüchen zwischen Tatsachen und etablierten Vorstellungen nachzuspüren und dabei die Evolution als Richtschnur zu nehmen – also das Wechselspiel von Mutation und Selektion, durch das sich Arten in ihrer Umwelt, aber auch bestimmte Zellpopulationen in unserem Körper entwickeln.

Merkwürdigkeiten

Ein solcher Widerspruch ist Peto’s paradox: 1975 wies der Epidemiologe Richard Peto darauf hin, dass große Säugetiere wie Blauwale oder Elefanten trotz ihrer erheblich höheren Zellzahl und ihrer Langlebigkeit nicht wesentlich früher oder häufiger an Krebs erkranken als kleine, kurzlebige Arten wie Mäuse.

Petos Paradox: Obwohl Wale älter werden und sehr viel mehr Zellen enthalten als Mäuse, sterben sie nicht sehr viel öfter an Krebs.

Petos Paradox: Obwohl Wale und Elefanten mehr Zellen haben und älter werden als Mäuse, sterben sie nicht wesentlich öfter an Krebs.

Das passt nicht recht zu dem allgemein akzeptierten Mehrstufenmodell der Krebsentstehung. Nach diesem müsste Krebs nämlich ausbrechen, sobald sich in einer Zell-Linie nacheinander mehrere zufällige Mutationen ereignet haben, die zusammen zu einer unkontrollierten Zellvermehrung führen.

Wenn mehrere Mutationen zusammenkommen müssen, bevor Krebs ausbricht, steigt die Chance dafür in Zellen, die sich nach der ersten Mutation schneller teilen (oberer Zweig, Hase).

Wenn Krebs ausbricht, sobald bestimmte Mutationen zusammenkommen, müssten Zellen, die sich schneller teilen (oberer Zweig), krebsanfälliger sein. Aber das ist nicht immer der Fall.

Eine zweite Merkwürdigkeit ist der oftmals späte Ausbruch von Krebs beim Menschen, typischerweise nach dem Ende der Reproduktionsphase, und zwar über die meisten Krebsarten und betroffenen Organe hinweg – ob es dort nun viele oder wenige Stammzellen gibt, aus denen die ersten Krebszellen hervorgehen, und ob sich diese Stammzellen nun häufig oder selten teilen. Denn nach dem Mehrstufenmodell müsste Krebs in Organen mit großem Stammzellpool und hohen Zellteilungsraten früher ausbrechen, da sich die tumorbildenden Mutationen dort früher anhäufen sollten – genau wie in größeren Tieren.

Was ist Krebs überhaupt?

Zum besseren Verständnis des Mehrstufenmodells und seiner Unzulänglichkeit blenden wir die beträchtlichen Unterschiede zwischen all den Krebsformen und individuellen Verläufen einmal aus und betrachten das große Ganze: Was ist Krebs?

Wenn im Erbgut einer Zelle etwas schief gelaufen, etwa bei der letzten Zellteilung ein Kopierfehler aufgetreten ist, gibt es mehrere Möglichkeiten. Die DNA kann von Enzymkomplexen im Zellkern repariert werden. Oder die Zelle kann unschädlich gemacht werden – entweder durch einen Ruhestandsmodus namens Seneszenz, in dem sie sich insbesondere nicht weiter teilt, oder durch ein Selbstmordprogramm namens Apoptose, das auch die Beseitigung der Überreste durch Zellen des Immunsystems einschließt.

Eine Zelle, in deren Erbgut etwas schief gelaufen ist (Alarm, Mitte), kann entweder repariert werden oder in Seneszenz verfallen oder Selbstmord begehen oder - wenn diese Schutzmechanismen versagen - zur Krebszelle werden.

Eine Zelle, in deren Erbgut etwas schief gelaufen ist (Alarm, Mitte), kann entweder repariert werden oder in Seneszenz verfallen oder Selbstmord begehen oder – wenn diese Schutzmechanismen versagen – zur Krebszelle werden.

Versagen diese Mechanismen, teilt sich die defekte Zelle unter Umständen unkontrolliert weiter. So entstehen im Gewebe Tumoren, also bösartige Geschwulste, oder im Fall von Blutzellen Blutkrebs. (Im Folgenden geht es überwiegend um Tumoren.)

Weiterlesen

Im Leben ist nichts zu fürchten


 

 

 

 

Im Leben ist nichts zu fürchten,
alles ist zu verstehen.

Marie Curie (1867–1934) zugeschrieben

 

Nichts in der Biologie hat einen Sinn außer im Lichte der Evolution … Ohne dieses Licht wird sie zu einem Haufen unzusammen- hängender Fakten, die zum Teil interessant oder merkwürdig sein mögen, aber kein sinnvolles Gesamtbild ergeben.

Theodosius Dobzhansky (1900–1975)