Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 3

Nachdem die Autoren der beiden bereits vorgestellten Studien zu diesem Thema zu dem Schluss gelangten, dass zumindest einige Allergien einen gewissen Schutz vor Autoimmunerkrankungen darstellen, wird es Zeit für einen Dämpfer: Wie in beiden Studien erwähnt, fanden andere Forscher keine belastbaren negativen Korrelationen zwischen diesen beiden Erkrankungstypen. Im Jahr 2011 erschien ein Review-Artikel, in dem die Frage durch eine Metaanalyse (eine systematische Zusammenführung der Ergebnisse mehrerer Einzelstudien) beantwortet werden sollte. Hier die Zusammenfassung – wie immer: noch nicht allgemein verständlich aufbereitet. Dazu werde ich demnächst einen kleinen Zeichentrickfilm drehen.

L. Monteiro et al., Association between allergies and multiple sclerosis: a systematic review and meta-analysis. Acta Neurol Scand 2011, 123/1: 1–7. DOI: 10.1111/j.1600-0404.2010.01355.x

Abstract: Multiple Sklerose (MS) ist eine Th1-dominierte Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems. Die vorliegende systematische Übersicht und Metaanalyse soll die umstrittene Beziehung zwischen MS und Allergien klären. Alle entsprechenden klinischen und epidemiologischen Studien, die bis zum Juli 2009 veröffentlicht wurden, sollten auf ihre Tauglichkeit für eine Einbeziehung in die Metaanalyse untersucht werden. Von 1010 gefundenen Artikeln wurden schließlich 10 Studien in der Analyse zusammengefasst. Das Ergebnis: Es gibt keine signifikante Assoziation zwischen MS und Allergien (odds ratio: 0,91; Konfidenzintervall 95%: 0,98-1,23), Asthma (OR: 0,83, KI: 0,48-1,44), allergischer Rhinitis (Heuschnupfen, OR: 0,81, KI: 0,59-1,12) oder Ekzemen (OR: 0,93, KI: 0,71-1,23).  

Einleitung: Bis vor kurzem galten Allergien und Autoimmunerkrankungen als unvereinbar. Eine Th1-Immunreaktion, bei der Interleukin 2 (IL-2) und Gamma-Interferon  (IFN-γ) produziert werden, aktiviert die zelluläre Abwehr. Eine Th2-Antwort, bei der IL-4, IL-5, IL-6, IL-10 und IL-13 produziert werden, aktiviert die humorale Immunabwehr. Th1- und Th2-Zellen wirken hemmend aufeinander. Bei Menschen sind die beiden Arme aber weniger klar getrennt als in den meisten Tiermodellen menschlicher Erkrankungen. Die Th1-Th2-Polarisierung ist eine allzu stark vereinfachte Vorstellung.

Manche Patienten haben sowohl Th1- als auch Th2-Krankheiten. Bei der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE), einem Tiermodell für MS, haben der Tumornekrosefaktor α (TNF-α) und IFN-γ eine schützende Wirkung, wenn sie vor dem Auftreten der ersten Gewebeschäden verabreicht werden; außerdem verstärkt IFN-γ die Th2-Antwort. Offenbar können komplexe Wechselwirkungen im Immunsystem also zum Auftreten beider Erkrankungstypen im selben Organismus führen.

Methode: Gründe für den Ausschluss von Studien aus der Metaanalyse: Studie war Review, hatte keine Kontrollgruppe, konzentrierte sich nicht auf Zusammenhang zwischen MS und Allergien, hatte keine mit anderen Studien vergleichbaren Ergebnisse. Unter den 10 übrig gebliebenen Studien waren 5 Querschnittuntersuchungen und 5 Fall-Kontroll-Studien. Es wurden gepoolte odds ratios (OR) und ihre Konfidenzintervalle zum Konfidenzniveau 95% berechnet.

Ergebnisse: Die 10 Studien enthielten 2764 MS-Fälle und 262.620 Kontrollen. In jeweils acht dieser Studien ging es um Allergien und um Asthma, in sechs Studien um Heuschnupfen und in vier Studien um Ekzeme. In keinem dieser vier Fälle erbrachte die gemeinsame Auswertung signifikante Assoziationen zwischen diesen Erkrankungen und MS. Allerdings waren in allen Fällen die OR < 1,0; es gab also Trends zu negativen Assoziationen.

Diskussion: Das Ungleichgewicht zwischen dem Th1- und dem Th2-Arm der Immunabwehr, das zu einer Allergie oder Autoimmunerkrankung führt, kann zum Beispiel durch eine verringerte Konfrontation mit Antigenen in der frühen Kindheit zustande kommen. Bei unzureichender Entwicklung der regulatorischen T-Zellen (Tregs) neigt das Individuum später zur Überreaktionen auf den vorherrschenden Antigenreiz.

Sowohl Allergien als auch Autoimmunerkrankungen haben in den letzten fünf Jahrzehnten stark zugenommen – vor allem in den Industrieländern und den Städten. Wo die hygienischen Verhältnisse besser werden, treten Asthma und MS häufiger auf. Epidemiologen vermuten einen Zusammenhang mit dem Rückgang von Parasiten, insbesondere parasitischen Würmern. Diese aktivieren, wenn sie Kleinkinder befallen, deren Tregs und fördern die Ausschüttung von IL-10 und TGF-β, was zu immunologischer Toleranz führt.

Einige Zytokine spielen bei der Reaktion auf manche Substanzen Doppelrollen, die noch nicht ganz verstanden sind. Hinzu kommen neu entdeckte Steuerungsmechanismen: Th17-Zellen, die IL-17 produzieren, sind offenbar an der Verstetigung von Entzündungsprozessen im Zentralnervensystem beteiligt. Ihr IL-17 und weitere Botenstoffe wirken an etlichen Autoimmunerkrankungen mit, darunter rheumatoide Arthritis, Autoimmungastritis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Schuppenflechte und MS. Auch in den Atemwegen von Asthmatikern ist die IL-17-Expression erhöht. Das von Th2-Zellen produzierte IL-25 wiederum löst im Tiermodell allergische Entzündungen aus und hemmt sowohl Th1- als auch Th17-Zellen. Angesichts dieser komplizierten Verhältnisse können Th1- und Th2-Muster unter bestimmten genetischen Voraussetzungen und Umweltbedingungen durchaus koexistieren.

Es gibt sowohl atopisches Asthma, das Th2-dominiert ist, als auch nicht atopisches Asthma, das überwiegend ein Th17-Muster zeigt. Dass diese Typen in den Studien nicht unterschieden wurden, kann negative Assoziationen überdeckt haben. Bei Fall-Kontroll-Studien können zudem Erinnerungsfehler die Resultate verfälschen. Dies ließe sich durch prospektive Studien vermeiden.

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