Schlagwort-Archive: Tuberkulose

Jack/Du Pasquier: Evolutionary Concepts in Immunology, Teil 4: der Rest

Methicillin-resistenter Stamm des Bakteriums Staphylococcus aureus

Teil 1Teil 2Teil 3

Notizen/Exzerpte

Kapitel 5: Die andere Seite des Wettrüstens

Strategien der Pathogene: per Mutation und Selektion die Abwehr der Wirte ausschalten, also den Rezeptoren entwischen, den Signalweg stören oder dem terminalen Effektor entkommen. Oft kann Pathogen seine Fitness durch Mäßigung der Virulenz erhöhen, damit es länger in einem Wirt bleiben kann. Bsp.: Myxomatose in australischen Kaninchen. Ursprünglich tötete eingeführtes Virus 99,5% der Kaninchen, im Mittel in 11 Tagen. Durchgesetzt hat sich Mutante, die zu 90% tötet und dafür im Mittel 23 Tage braucht. Bsp. für Kompromiss: Wasserfloh Daphia magna und im Verdauungstrakt lebendes pathogenes Bakterium Pasteuria ramosa: Polymorphe Resistenzallele und polymorphe Virulenzallele -> dynamisches Gleichgewicht = negativ häufigkeitsabhängige Selektion; kein Bakterienstamm kann alle Wasserflöhe in einer Population befallen, kein Wasserfloh ist gegen alle Stämme resistent. Bsp. für trojanische Pferde/Zombies, um Hauptwirte zu infizieren: Toxoplasma gondii manipuliert Mäuseverhalten, um in Katzen zu gelangen; auch viele Bsp. im Insektenreich (parasitoide Wespen machen mit Viren-Hilfe Raupen zu Wächter-Zombies …). Bsp. Amöben, domestiziertes Mavirus und Mimivirus: s. Teil 1.

Strategien gg. angeborene Abwehr: 1. unsichtbar machen für Rezeptoren, z. B. durch Polysaccharidkapsel. Verlust der Kapsel beseitigt oder reduziert Pathogenität. Kapsel schränkt aber auch Virulenzmechanismen durch ggs. Abschirmung ein. Yersinia pestis verursacht Beulen- und Lungenpest mit sehr unterschiedlichem R0, hat zahlreiche Virulenzfaktoren, darunter strukturell verändertes Lipid-A in LPS durch temperaturabhängige Acyltransferase: Flöhe 26 °C -> normal -> Hexa-Acyl-Lipid A; Menschen 37 °C -> Enzym inaktiv -> Tetra-Acyl-Lipid-A, das TLR-4 nicht aktiviert -> Zeitgewinn. Auch Helicobacter pylori beherrscht den Trick, Hexa- in Tetra-A. umzuwandeln. 2. Praktisch alle Signalwege von Rezeptoren zu Effektoren wurden von irgendeinem Pathogen gehackt. 3. Effektoren ausschalten: z. B. Phagozytose: Listeria monocytogenes löst Endosom-Membran und flieht ins Cytosol, Salmonella manipuliert mit Mediatoren Zellskelett (MT) und repliziert in Endosomen; ist dort vor Lysosomen und Cytosol-Rezeptoren geschützt. Zellen versuchen die Bakterien auszuhungern, Salmonellen scheiden Siderophoren aus, um dennoch an divalente Metallionen heranzukommen.

Strategien gg. adaptive Abwehr: HIV, HCMV (Humanes Cytomegalovirus), Mycobacterium tuberculosis oder Trypanosoma brucei entkommen ihr durch 1. brute force, 2. Totstellen oder 3. ständige Veränderung. 1. HIV vernichtet direkt die aktivierten CD4+-T-Zellen, HCMV reduziert Wirksamkeit der CD8+-T-Killerzellen. NK-Zellen als Backup aus dr angeborenen Abwehr, Missing self – aber HCMV exprimiert auf Oberfläche infizierter Zellen Moleküle, die MHC-Klasse-I-Molekülen sehr ähnlich sehen – usw. usf. 2. Latente Infektionen, ebenfalls bei HIV und HCMV. Tuberkulose: größter bakterieller Killer der Menschheit; etwa 90% der Infizierten bleiben symptomfrei. Makrophagen können die Bakterien nicht vertilgen, kapseln sie zusammen mit T-Zellen in Granulomen aus Bindegewebe ein. In deren Mitte gibt es praktisch keinen Sauerstoff, fast nur tote Zellen. M. tuberculosis kann in äußerst feindseliger Umwelt „schlafend“ überleben; ein paar aktive Bakterien verlassen als Scouts die Granulome. Sobald Wirt z. B. durch HIV-Infektion geschwächt ist, erwachen sie.  3. HIV: Hypermutation während reverser Transkription. Schlafkrankheit: Trypanosomen von Tsetsefliegen übertragen, sind im Blut von variablen Oberflächen-Glycoproteinen (VSG) bedeckt. Immunsystem sieht nur Spitzen dieser Fäden, die schlechtes Ziel sind. Die VSG werden im Fließbandverfahren so schnell von vorne nach hinten transportiert und am Flagellum recycelt, dass jedes Molekül, das von einem angeborenen Rezeptor erkannt wurde, nach spätestens 120 Sekunden verschwunden ist. Zwar sind VSG hervorragende Antigene, sodass sie viele Antikörper hervorrufen, aber ein paar Bakterien entkommen aufgrund ihrer Variabilität und breiten sich dann aus. Trypanosomen haben 2000 VSG-Gene, die durch Genkonversion zu einer riesigen Vielfalt gemixt werden.

Kapitel 6: Nachwort

Bei Infektionen und Abwehr geht es ums Überleben, da zählt nicht die eleganteste Lösung, sondern alles, was funktioniert. Ständig werden alte Gene ausgeborgt und durch Mutation zurechtgebogen oder durch Exon-Shuffling neu zusammengewürfelt; permanente Umwälzung.

 

Das Immunsystem indigener Gruppen und das ethische Dilemma des Erstkontakts

Vor einem Jahr erschien eine Arbeit über das Mikrobiom unkontaktierter Yanomami, die ich damals nur kurz besprechen konnte. Jetzt habe ich sie noch einmal gelesen, obwohl sie immunologisch unergiebig ist: Die Entnahme von Blutproben, die Aufschluss über den Zustand des Immunsystems dieser Menschen hätte geben können, war bei einem Erstkontakt selbstverständlich unmöglich. Man muss schon froh sein, dass sie Abstriche aus ihrer Mundschleimhaut und das Einsammeln von Stuhlproben gestattet haben – vermutlich nicht, ohne sich über dieses merkwürdige Verhalten zu amüsieren.

Die Hauptergebnisse: Die Bakteriengemeinschaften auf der Haut und im Stuhl dieser mutmaßlich seit über 11.000 Jahren isolierten Menschen sind erheblich artenreicher als unsere – und auch als die Mikrobiome anderer naturnah lebender Völker. Die sogenannte Alpha-Diversität ihrer Mikrobiome ist also sehr hoch, vermutlich, weil sie nie mit antimikrobiellen Substanzen zu tun hatten und weil sie in ständigem Kontakt mit ihrer Umwelt leben. In ihrer Darm- und Hautflora leben zum Beispiel Bakterien, die man bislang für reine Bodenbakterien gehalten hat. Zugleich sind die Unterschiede in der Mikrobiom-Zusammensetzung zwischen den 34 Yanomami, von denen die Proben stammen, viel geringer als zwischen denen zweier Menschen aus einer Gruppe aus unserem Kulturkreis. Die sogenannte Beta-Diversität ist mithin sehr klein – wohl wegen des engen Zusammenlebens, der hygienischen Verhältnisse und der gleichartigen Lebensweise und Ernährung aller Gruppenmitglieder.

Unter den Genen dieser Bakterien, und zwar überweigend den Genen von zuvor unbekannten Stämmen des Darmbakteriums Escherichia coli, finden sich 28, die Antibiotika-Resistenzen vermitteln – sogar gegen einige neue, synthetische Antibiotika. Allerdings werden diese Gene in den Bakterien nicht abgelesen, sie sind „stummgeschaltet“ (silenced), sodass die Bakterien anfangs dennoch auf die Antibiotika ansprechen würden. Aber man muss damit rechnen, dass sie sehr bald wirklich Resistenzen entwickeln würden, und zwar gleich gegen mehrere Antibiotika. In Weltgegenden und Kulturen, in denen die sogenannte Therapietreue (die regelmäßige Einnahme des Medikaments über den kompletten notwendigen Zeitraum) vermutlich gering ist, geht das umso schneller.

Erstkontakt: Es gibt keinen Weg zurück

Dem Forscherteam war bewusst, dass die Probensammlung beim Erstkontakt eine einmalige Gelegenheit ist, ein Mikrobiom-Archiv anzulegen, das vermutlich große strukturelle und funktionale Ähnlichkeiten mit dem Mikrobiom unserer altsteinzeitlichen Vorfahren hat – auch wenn sich die einzelnen Bakterien-Arten und -Stämme natürlich auf dem Weg ihrer Wirte nach und durch Südamerika weiterentwickelt haben. 11.000 Jahre entsprechen ungefähr 100 Millionen Bakteriengenerationen. Zugleich begann mit dieser Begegnung zwischen der bislang isolierten Dorfgemeinschaft und den Medizinern und Wissenschaftlern unwiderruflich der Niedergang dieser Diversität – spätestens mit der ersten Antibiotika-Gabe.

Die Autoren schreiben in ihrer Danksagung: „Wir sind auch den Leuten in dem neu kontaktierten Dorf dankbar für ihr Vertrauen und für unser gemeinsamen Wunsch, dass der unvermeidliche Kontakt mit unserer Kultur ihrem Volk gesundheitliche Vorteile und Schutz bringen möge.“ Ist das nicht ein arg frommer Wunsch angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der gesundheitlichen und sozialen Entwicklung neu kontaktierter, kleiner indigener Gruppen?  Weiterlesen

Immunschwäche durch Autoimmunreaktion

Gamma-Interferon, Grafik von Nevit Dilmen, GNU Free Documentation License, Wikimedia

In der vergangenen Woche wurde unter anderem bei Spiegel Online über eine neue Aids-ähnliche Immunschwäche berichtet, die vor allem bei älteren Erwachsenen aus Thailand und Taiwan auftritt und nicht durch HIV-Viren ausgelöst wird, sondern durch Autoantikörper gegen das Zytokin Gamma-Interferon (IFN-γ).

Der Fachartikel ist nicht frei zugänglich, würde mir für mein Buch aber auch nicht weiterhelfen, da die Mechanismen, die zu der Autoimmunreaktion führern, noch völlig unklar sind. Aus dem Abstract geht hervor, dass 88 Prozent der Betroffenen, bei denen – ähnlich wie bei unbehandelten Aids-Patienten – zahlreiche opportunistische Infektionen auftreten, Autoantikörper im Serum haben, die das körpereigene Gamma-Interferon attackieren und ausschalten. Dieser wichtige Botenstoff wird bei bakteriellen Infektionen von Th1-Zellen ausgeschüttet, sobald sie Kontakt mit einer antigenpräsentierenden Zelle hatten (einem Makrophagen, der Bakterien oder Bakterienteile verschlungen hat). Er aktiviert weitere Makrophagen und löst die Herstellung antibakterieller Peptide aus. Durch seinen Ausfall können die Infektionen nicht richtig bekämpft werden.

Aufgrund der ähnlichen Symptome kann die Erkrankung leicht mit Aids oder mit Tuberkulose verwechselt werden. Da sie nicht familiär gehäuft auftritt, ist sie wohl nicht im engeren Sinne erblich. Warum sie aber bisher nur bei Asiaten nachgewiesen wurde, ist unklar. Wenn ich raten sollte: Vielleicht betreibt irgendein ansonsten harmloser Erreger, der vor allem in Asien auftritt, molekulare Mimikry mit Gamma-Interferon als „Vorlage“, sodass unsere gegen den Erreger gerichteten Antikörper bei entsprechender genetischer Prädisposition (z. B. bei bestimmten MHC-Varianten, die vielleicht auf Asiaten beschränkt sind) übers Ziel hinausschießen und auch das ähnlich strukturierte Gamma-Interferon angreifen.

Der Fall zeigt, dass Immunschwäche und Autoimmunerkrankungen, obwohl sie gewissermaßen entgegengesetzte Störungen (Unter- und Überreaktionen) des Immunsystems sind, einander nicht ausschließen: Eine Autoimmunreaktion kann, wenn sie sich ausgerechnet gegen eine andere Komponente des Immunsystems richtet, auch zu einer Immunschwäche führen.