Archiv der Kategorie: Allgemein

Chemische Formeln sind Kassengift

Das habe ich mir jedenfalls gerade anhören müssen. 🙂 Dennoch eine neue Skizze fürs Buch: die Code-Sonne, die zeigt, welches Basentriplett bei der Translation in welche Aminosäure übersetzt wird. Für zwei der 20 natürlichen Aminosäuren sind auch die Strukturformeln zu sehen. Rechts in den Strukturformeln der bei allen Aminosäuren identische Teil. Durch Verbindung der Aminogruppe (NH2) einer Aminosäure mit der Hydroxygruppe (OH) des Säurerests der nächsten Aminosäure entstehen unter Wasserabscheidung Peptide; der rechte Teil wird also zum Grundgerüst der Polypeptidkette. Links der variable Rest: die Seitenkette der Aminosäure, die mal kleiner, mal (wie hier) größer ausfällt und entweder hydrophil oder hydrophob sein kann.

P1120583_Codesonne_neu_650Die Dastellung ist unorthodox: Ich habe alles nach der zweiten (mittleren) Base der Tripletts sortiert und nicht nach der ersten (in der Sonne ganz  innen). So erkennt man, dass immer dann, wenn die mittlere Base ein U ist, eine Aminosäure mit hydrophober/apolarer Seitenkette in das Polypeptid eingebaut wird. Wenn in der Mitte des Tripletts dagegen die komplementäre Base, das A, steht, werden überwiegend Aminosäuren mit hydrophiler/polarer Seitenkette eingebaut. Die dritte Base des Tripletts ist in vielen Fällen unbedeutend; egal, ob dort A, U, C oder G steht – in das Polypeptid wird dieselbe Aminoäsure eingebaut.

Einer (Außenseiter-)Hypothese zufolge ist die Polaritätssortierung anhand der mittleren Base kein Zufall: Wenn beide DNA-Stränge in Gegenrichtung, aber im selben Raster abgelesen werden, sodass immer dann, wenn auf einem Strang ein A in der Mitte eines Tripletts steht, auf dem Gegenstrang ein T in der Mitte steht (das dem U auf der mRNA entspricht), entstehen zwei Polypeptide, die komplementäre Verteilungen hydrophiler und hydrophober Aminosäuren aufweisen. Diese beiden Polypeptide sollen sich dann auch komplementär zusammenfalten: Hydrophile Aminosäuren landen im wässrigen innerzellulären Milieu an der Oberfläche der Proteine und bilden dort Ausstülpungen (maximale Berührungsfläche mit dem Wasser), während hydrophobe Aminosäuren sich eher vom wässrigen Zytoplasma zurückziehen und Einstülpungen bilden (minimale Wechselwirkung mit dem Wasser). Diese beiden Proteine würden dann wie Puzzlestücke aneinanderpassen. Solche Proteinpaare könnten z. B. in den Regulierungsnetzwerken des Immunsystems eine Rolle spielen und evtl. auch an Autoimmunerkrankungen beteiligt sein.

Schädliche Antioxidantien: Vitamin E und Vitamin C verkürzen das Leben wilder Erdmäuse

Ein weiterer wissenschaftlicher Artikel, der mit vermeintlichen Gewissheiten aufräumt – und gut zu dem aktuellen Artikel in The Atlantic passt:

Selman et al.: Deleterious consequences of antioxidant supplementation on lifespan in a wild-derived mammal (2013)

In den letzten Jahrzehnten hat die Freie-Radikale-Theorie des Alterns weite Verbeitung gefunden. Ihr zufolge schädigen freie Radikale, vor allem reaktive Sauerstoffspecies, die Proteine, Fette und DNA der Zellen, und diese Schäden nehmen mit dem Alter zu. Antioxidantien wie Vitamin C oder Vitamin E sollen als Nahrungsergänzungsmittel diesen Prozess bremsen. Die Autoren haben in früheren Experimenten Labormäuse ein Leben lang mit Vitamin E versorgt und auf diese Weise deren Lebensspanne gegenüber der Kontrollgruppe verlängert. Bezüglich des Effekts beim Menschen liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor.

Nun haben die Autoren anstelle von Labormäusen Erdmäuse aus einer Wildpopulation verwendet, diesen mit ihrer Nahrung Vitamin C bzw. Vitamin E verabreicht und sie bei 7 °C bzw. bei 22 °C gehalten, um zu prüfen, ob die erhöhte Stoffwechselrate in kühler Umgebung den Effekt der Antioxidantien auf die Lebensdauer beeinflusst. Sie erwarteten längere mittlere Lebensspannen bei einer Supplementierung – und mussten überrascht das Gegenteil feststellen: Sowohl bei kühler als auch bei warmer Umgebung lebten die supplementierten Erdmäuse erheblich kürzer als die Erdmäuse aus den Kontrollgruppen (Mediane bei 7 °C: Vit. C 353 Tage, Vit. E 424 Tage, Kontolle 477 Tage; bei 22 °C: Vit. C 303 Tage, Vit. E 305 Tage, Kontrolle 368 Tage).

Bei Kühle wogen mit Vitamin E supplementierte Erdmäuse bei identischer täglicher Nahrungsaufnahme im Alter von 11 Monaten deutlich mehr als die Kontrolltiere. Insgesamt fraßen die Mäuse bei Kühle wegen des erhöhten Stoffwechselumsatzes erwartungsgemäß mehr als bei Wärme. Sowohl bei Vitamin-C- als auch bei Vitamin-E-Supplementierung waren bei beiden Umgebungstemperaturen nicht etwa weniger, sondern etwas mehr oxidative DNA-Schäden in den Lymphozyten und in den Hepatozyten zu verzeichnen als in der Kontrollgruppe (statistisch nicht signifikant).

Die Gründe für den unterschiedlichen Ausgang des Experiments an Labormäusen und an Erdmäusen sind derzeit unbekannt. Neben dem lebensverkürzenden Effekt der Antioxidantien verblüfft im neuen Experiment auch die längere mittlere Lebensspanne bei Kälte – gilt eine hohe Stoffwechselrate doch eigentlich als lebensverkürzend.

Hashimoto-Thyreoiditis kein Ausschlussgrund für Registrierung als Knochenmarkspender

Auf der Website der DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei
gemeinnützige Gesellschaft mbH steht unter den Ausschlusskriterien unter anderem:

Erkrankungen des Autoimmunsystems:
wie z.B. rheumatoide Arthritis (Rheuma), Kollagenosen, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

Erkrankungen der endokrinen Drüsen:
wie z.B. Diabetes mellitus, Morbus Basedow

Da ich mich an eine Diskussion in einem Hashimoto-Forum zu erinnern meinte, der zufolge Menschen mit Hashimoto-Thyreoiditis zwar kein Blut spenden dürfen, wohl aber als Knochenmarkspender infrage kommen, habe ich bei der DKMS nachgefragt. Die Antwort:

Der Morbus Hashimoto gehört zu den wenigen Autoimmunerkrankungen, die für eine Stammzellspende kein großes Problem darstellen. Es ist lediglich wichtig, dass die Schilddrüse medikamentös gut eingestellt ist. Allerdings kann es sein, dass Sie – zumindest zeitweise – nur für die operative Stammzellentnahme aus dem Beckenknochen zugelassen werden können. Dies würde genauer abgeklärt werden, sobald Sie für einen Patienten als Spender in Frage kommen.

Dann man los! Hier geht es zur Registrierung.

Closing the gap: rp13-Rückblick und Ausblick aufs HealthCareCamp

(Fortsetzung meines Rückblicks auf die Gesundheits-Sessions bei der diesjährigen re:publica; hier geht es zu Teil 1.)

Trotz der schwierigen Akustik im Workspace C hat sich der Besuch der vier Gesundheitsvorträge am re:publica-Mittwoch unbedingt gelohnt. Den Anfang machte Thomas Schmidt von der TU Braunschweig und vom Online-Portal Firsttrimester, auf dem Ersttrimester-Screening-Risikoberechnungen für Ärzte angeboten werden. In seinem Vortrag „Soziale Netze im ärztlichen Behandlungsraum“ erklärte er, was seine Kollegen und er mit einer Ärztebefragung und Auswertungen von Zugriffszahlen über die Orte herausgefunden haben, an denen Ärzte sich online über Behandlungsmethoden informieren. Seine Kernthese fasst er in seinem Blog so zusammen: „Konferenzen und Unis sind schön und gut, aber Wikipedia-Artikel haben bessere Reichweiten.“

Die Auswertung von Inforamtionsangeboten für Ärzte ergab: Zertifikate bringen herzlich wenig, der Aufbau der Seiten sollte ganz einfach sein (eine Menüspalte rechts wird beispielsweise ingoriert), und SEO lohnt sich: Die meisten Fachbesucher kommen über Google. Wikipedia-Artikel zu medizinischen Themen werden auch dann fleißig gelesen, wenn am Anfang die bekannte Warnung wegen unzureichender Belege steht. Darin spiegelt sich die Erfahrung, dass viele medizinische Wikipedia-Artikel von Fachleuten geschrieben wurden und im Großen und Ganzen stimmen.  Weiterlesen

Status: Alive and Kicking (na ja)

Doch, ich lebe noch, und ich arbeite auch ab und zu am Buch. Heute zum Beispiel. Leider gab und gibt es wieder gesundheitliche Querschüsse (unter anderen eine leichte Gastritis – das Biopsie-Ergebnis erfahre ich am Montag), und ich war beruflich sehr eingespannt. Aber heute klappe ich endlich wieder das Whiteboard auf und mache mindestens eine Skizze.

In den nächsten Wochen werde ich dieses Blog gelegentlich für ein paar sachfremde Beiträge nutzen, denn ich besuche Barcamps, die zum Teil mit Blogparaden verbunden sind, und die Institution, für die ich arbeite, hat kein Blog. Den immensen Rückstau an neuer Autoimmun-Fachliteratur werde ich in den nächsten Monaten höchstens in ganz kleinen Häppchen abarbeiten: Das Buchmanuskript geht vor.

Befremdliche Veröffentlichungssitten

Neben informativen und anregenden Arbeiten habe ich in den letzten beiden Jahren auch unverständliche, kuriose oder dubiose Artikel über Autoimmunerkrankungen gelesen. Manchmal erkennt oder ahnt man zumindest, woher der seltsame Eindruck rührt. Einige Autoren kämpfen mit der englischen Sprache, andere haben über die Jahre so viel Widerstand vonseiten des wissenschaftlichen Mainstreams erfahren, dass sie sich einen missionarischen Außenseiter-Duktus angewöhnt haben, mit dem sie sich selbst und ihren Ideen keinen Gefallen tun. Auffällig oft finden sich in Ein-Autor-Artikeln gewisse Schrullen.

In den letzten Tagen habe ich einen Übersichtsartikel (Review) aus einer Elsevier-Zeitschrift gelesen, der sprachlich weitgehend in Ordnung ist und fünf Autoren hat und mich dennoch kopfkratzend bzw. -schüttelnd zurücklässt. Nach meinem Verständnis sollte ein Review einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zu einem Thema vermitteln, am besten aus der Warte anerkannter Experten, die viel Erfahrung mitbringen und nicht mitten im Rattenrennen (publish or perish) stecken.

In diesem Review aber schreiben die Autoren über sich selbst in der dritten Person und attestieren einem von ihnen entwickelten Verfahren „great promise in both preventing and curing autoimmune disorders“: befremdliches Eigenlob. Neben einem Tierversuch, bei dem mit diesem Verfahren eine bestimmte Autoimmunstörung offenbar beendet werden konnte, verweisen die Autoren darauf, die Methode habe auch bei Krebs ein vergleichbares Potenzial gezeigt – Quelle: „unpublished result“.

Bei Heilungsversprechen in Sachen Autoimmunerkrankungen und/oder Krebs gehen bei mir die Alarmlampen an. Der Text stammt aus dem Jahr 2011, und eine kleine Literaturrecherche zeigt, dass besagtes Verfahren bis heute fast ausschließlich von den Autoren selbst in Fachartikeln erwähnt wird. Ich frage mich wirklich, welche Kumpanei bzw. welche Interessen dazu geführt haben, dass der durchaus renommierte Herausgeber der Zeitschrift so etwas durchgehen ließ.