Schlagwort-Archive: Mutation

Abb. 244: Von der Krebsvorstufe zur Autoimmunerkrankung


1. Eine Zelle wird zur Krebsvorläuferzelle; sie produziert sehr viel von einem für unreife Zellen
typischen Protein.

2. Eine Mutation (MUT) in einer solchen Zelle verändert das Protein.

3. Im Tumor kommen Zellen mit der Mutation und solche mit dem normalen Protein vor, dem
sogenannten Wildtyp (WT).

4. Aus mutierten Zellen wird das veränderte Protein freigesetzt, zum Beispiel, wenn sie sterben.

5. Antigenpräsentierende Zellen nehmen dieses Antigen auf und präsentieren es zusammen mit Kostimulationssignalen (Kerze).

6. Das Antigen wird wegen seiner Fremdartigkeit als gefährlich eingestuft und aktiviert das Immunsystem.

7. Die aktivierten Effektorzellen bekämpfen den Tumor. Dabei treten weitere Proteine aus – sowohl veränderte als auch unveränderte.

8. Auch das normale Protein wird nun als Antigen präsentiert, zusammen mit Kostimulationssignalen.

9. Im Kontext der laufenden Immunreaktion wird auch das normale Autoantigen als gefährlich eingestuft (molekulare Mimikry); autoreaktive Lymphozyten werden aktiviert (bystander activation).

10. Fernab vom Tumor, zum Beispiel in Blutgefäßwänden, produzieren unreife Zellen dasselbe Antigen und werden damit zum Ziel der Abwehr.

11. Die Lymphozyten greifen die unreifen Zellen an und setzen so noch mehr der Autoantigene frei, auf die sie reagieren.

12. Dieser Teufelskreis läuft auch weiter, wenn der Tumor längst verschwunden ist: Die Autoimmunerkrankung hat sich etabliert.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 242: Systemische Sklerose und Krebs

Oben: Kreuzreaktion. Unser Immunsystem bekämpft nicht nur Krankheitserreger, sondern auch mutierte Zellen, aus denen Krebs entstehen kann. Bei einigen Patienten mit Krebs und der Autoimmunerkrankung systemische Sklerose ist das Protein RPC1 mutiert, das vor allem in unreifen Zellen vorkommt. Die mutierte Form wird nur von Krebsvorläuferzellen hergestellt, und zwar in großen Mengen. Diese Kombination – ein ungewöhnliches Antigen, das außergewöhnlich stark exprimiert wird – alarmiert das Immunsystem. Die daraufhin produzierten Antikörper unterscheiden nicht zwischen der mutierten und der normalen Version von RPC1: Offenbar binden sie an Stellen, die sich in beiden Proteinvarianten gleichen.


Unten: Die Masse macht’s. Ob aus einer Kreuzreaktion eine langfristige Autoimmunstörung wird, hängt wiederum von den Mengenverhältnissen ab. Einige autoreaktive Immunzellen gibt es in jedem Körper. Normalerweise sind sie harmlos: Wenn ihr Autoantigen in ihrer Umgebung nur vereinzelt vorkommt (links), bleibt der Reiz unterhalb der Aktivierungsschwelle. Wird die Umgebung jedoch mit dem Autoantigen überschwemmt, etwa weil bei einer Entzündung oder bei der Tumorbekämpfung viele Zellen absterben und »auslaufen«, erwachen die wenigen autoreaktiven Immunzellen aus ihrem Schlummer, schlagen Alarm und vermehren sich (rechts). Entstehen dabei auch Gedächtniszellen, laufen die Autoimmunattacken unter Umständen weiter, obwohl die Auslöser (etwa die Krebsvorstufen) längst beseitigt wurden.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 87: Mutationen im Körper und in der Keimbahn

 

Mutationen im Körper (Soma) und in der Keimbahn: Alle Zellen des Körpers entstehen durch wiederholte Zweiteilung aus der Zygote, dem Verschmelzungsprodukt einer Samen- und einer Eizelle. Einige Zellen (am rechten Rand der Zellteilungspyramide) sind Vorläufer von Keimzellen, also Samen- oder Eizellen. Alle anderen bilden im Laufe der Embryonalentwicklung den Körper.

Oben: Mutationen in den Vorläufern der Körperzellen können Eigenschaften von Organen oder Körperteilen prägen, zum Beispiel für dunkle Flecken in einem hellen Fell sorgen. Eine mutierte Zelle gibt die Veränderung nämlich an ihre Tochterzellen weiter. Viele Mutationen lassen die Zelle aber absterben oder führen zu einer weniger effizienten Zellteilung. Auf die Eigenschaften der nächsten Generation haben somatische Mutationen keinen Einfluss.

Unten: Nur Mutationen in den Vorläufern der Keimzellen werden vererbt. Im Beispiel mutiert ein Spermienvorläufer so, dass die Hälfe aller Spermien die veränderte Genvariante enthält. Verschmilzt ein solches Spermium mit einer Eizelle, erbt jede Zelle im Embryo das mutierte Gen, sodass das ganze Tier die darin codierte Eigenschaft ausprägt. Hier hat die Maus dunkles Fell.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Nothing in Oncology Makes Sense Except in the Light of Evolution

„Nichts in der Biologie ist sinnvoll außer im Lichte der Evolution“, schrieb der Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky 1973: Ohne dieses Licht bleibe die Biologie ein Haufen unzusammenhängender Fakten, die kein stimmiges Bild ergeben.

Es lohnt sich, Widersprüchen zwischen Tatsachen und etablierten Vorstellungen nachzuspüren und dabei die Evolution als Richtschnur zu nehmen – also das Wechselspiel von Mutation und Selektion, durch das sich Arten in ihrer Umwelt, aber auch bestimmte Zellpopulationen in unserem Körper entwickeln.

Merkwürdigkeiten

Ein solcher Widerspruch ist Peto’s paradox: 1975 wies der Epidemiologe Richard Peto darauf hin, dass große Säugetiere wie Blauwale oder Elefanten trotz ihrer erheblich höheren Zellzahl und ihrer Langlebigkeit nicht wesentlich früher oder häufiger an Krebs erkranken als kleine, kurzlebige Arten wie Mäuse.

Petos Paradox: Obwohl Wale älter werden und sehr viel mehr Zellen enthalten als Mäuse, sterben sie nicht sehr viel öfter an Krebs.

Petos Paradox: Obwohl Wale und Elefanten mehr Zellen haben und älter werden als Mäuse, sterben sie nicht wesentlich öfter an Krebs.

Das passt nicht recht zu dem allgemein akzeptierten Mehrstufenmodell der Krebsentstehung. Nach diesem müsste Krebs nämlich ausbrechen, sobald sich in einer Zell-Linie nacheinander mehrere zufällige Mutationen ereignet haben, die zusammen zu einer unkontrollierten Zellvermehrung führen.

Wenn mehrere Mutationen zusammenkommen müssen, bevor Krebs ausbricht, steigt die Chance dafür in Zellen, die sich nach der ersten Mutation schneller teilen (oberer Zweig, Hase).

Wenn Krebs ausbricht, sobald bestimmte Mutationen zusammenkommen, müssten Zellen, die sich schneller teilen (oberer Zweig), krebsanfälliger sein. Aber das ist nicht immer der Fall.

Eine zweite Merkwürdigkeit ist der oftmals späte Ausbruch von Krebs beim Menschen, typischerweise nach dem Ende der Reproduktionsphase, und zwar über die meisten Krebsarten und betroffenen Organe hinweg – ob es dort nun viele oder wenige Stammzellen gibt, aus denen die ersten Krebszellen hervorgehen, und ob sich diese Stammzellen nun häufig oder selten teilen. Denn nach dem Mehrstufenmodell müsste Krebs in Organen mit großem Stammzellpool und hohen Zellteilungsraten früher ausbrechen, da sich die tumorbildenden Mutationen dort früher anhäufen sollten – genau wie in größeren Tieren.

Was ist Krebs überhaupt?

Zum besseren Verständnis des Mehrstufenmodells und seiner Unzulänglichkeit blenden wir die beträchtlichen Unterschiede zwischen all den Krebsformen und individuellen Verläufen einmal aus und betrachten das große Ganze: Was ist Krebs?

Wenn im Erbgut einer Zelle etwas schief gelaufen, etwa bei der letzten Zellteilung ein Kopierfehler aufgetreten ist, gibt es mehrere Möglichkeiten. Die DNA kann von Enzymkomplexen im Zellkern repariert werden. Oder die Zelle kann unschädlich gemacht werden – entweder durch einen Ruhestandsmodus namens Seneszenz, in dem sie sich insbesondere nicht weiter teilt, oder durch ein Selbstmordprogramm namens Apoptose, das auch die Beseitigung der Überreste durch Zellen des Immunsystems einschließt.

Eine Zelle, in deren Erbgut etwas schief gelaufen ist (Alarm, Mitte), kann entweder repariert werden oder in Seneszenz verfallen oder Selbstmord begehen oder - wenn diese Schutzmechanismen versagen - zur Krebszelle werden.

Eine Zelle, in deren Erbgut etwas schief gelaufen ist (Alarm, Mitte), kann entweder repariert werden oder in Seneszenz verfallen oder Selbstmord begehen oder – wenn diese Schutzmechanismen versagen – zur Krebszelle werden.

Versagen diese Mechanismen, teilt sich die defekte Zelle unter Umständen unkontrolliert weiter. So entstehen im Gewebe Tumoren, also bösartige Geschwulste, oder im Fall von Blutzellen Blutkrebs. (Im Folgenden geht es überwiegend um Tumoren.)

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NR1H3-Mutation steigert MS-Risiko auf 70 Prozent

Einer von zahllosen Artikel über Genvarianten, die das Risiko für die eine oder andere Autoimmunerkrankung steigern: „Genetische Ursache der Multiplen Sklerose entdeckt“. Die Überschrift ist nicht falsch, aber irreführend, denn entdeckt wurde nicht die genetische Ursache, sondern nur eine von zahlreichen Genvarianten, die das Erkrankungsrisiko steigern. 70 Prozent der Träger einer von Carles Vilariño-Güell und seinem Team entdeckten Genvariante erkranken an MS, aber der Umkehrschluss gilt nicht: Nur etwa einer von 1000 Menschen mit Multipler Sklerose weist diese Mutation auf. Vermutlich ist aber bei vielen weiteren Betroffenen dasselbe Gen an anderen Stellen mutiert.

Die nun durch umfangreiche Datenbank- und Stammbaumanalysen aufgespürte Mutation im Gen NR1H3 führt dazu, dass das Regulationsprotein LXRA nicht mehr hergestellt wird, das die Aufgabe hat, entzündungshemmende und Immunsystem-regulierende Gene einzuschalten. Eingriffe in diesen Genregulationsmechanismus gelten als aussichtsreiche Kandidaten für eine MS-Therapie. Welcher Umwelteinfluss letztlich dazu führt, dass die Erkrankung bei 7 von 10 Mutationsträgern zum Ausbruch kommt und die Myelinscheiden und Nervenzellen im Gehirn durch Immunreaktionen beschädigt werden, ist nicht bekannt.

Affinitätsreifung der B-Zellen in den Keimzentren

In den Follikeln des sekundären und tertiären Lymphgewebes kommt es nicht nur zum Immunglobulin-Klassenwechsel, den ich im letzten Beitrag skizziert habe, sondern auch zur Affinitätsreifung durch somatische Hypermutation und anschließende Selektion auf verbesserte Antigen-Bindungsstärke:

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Im Uhrzeigersinn, bei 4 Uhr beginnend:

A  Eine B-Zelle, die ein Antigen aufgenommen hat, präsentiert ihren Fund einer T-Helferzelle und wird vollends aktiviert, sofern der T-Zell-Rezeptor das Antigen erkennt. Sie erhält von der T-Helferzelle die Lizenz, in das Keimzentrum des Follikels einzutreten.

B  Im Keimzentrum des Follikels vermehrt sich die B-Zelle stark durch Teilung. Währenddessen verändert das Enzym AID in dem Gen, das die antigenspezifische Bindungsstelle des Immunglobulins codiert, nach dem Zufallsprinzip einzelne Basen (A, T, C, G). Diesen Vorgang nennt man somatische Hypermutation.

C  Die B-Zellen treten aus der dunklen Zone des Keimzentrums in die helle Zone über, wo sie von dendritischen Zellen (DC) erwartet werden und nach der Mutation eine Selektion durchlaufen.

D  Die dendritischen Zellen präsentieren ihnen das Antigen, um die Bindungsstärke des mutierten B-Zell-Rezeptors zu prüfen.

E  Hat die Mutation die Bindung der Immunglobuline an das Antigen geschwächt, stirbt die B-Zelle durch Apoptose kontrolliert ab.

F  Hat die Mutation die spezifische Bindung an das Antigen gestärkt, so führt die B-Zelle dieses Antigen nun auf ihrem MHC-Klasse-II-Komplex einer follikulären T-Helferzelle vor, die es mit ihrem spezifischen T-Zell-Rezeptor erkennt. Durch diesen Kontakt wird auch der Klassenwechsel bei den Immunglobulinen ausgelöst, sodass die B-Zelle nun kein IgM mehr herstellt, sondern IgG, IgE oder IgA – je nachdem, welchen Botenstoff die T-Helferzelle ausschüttet.

Je nach Bedarf und dem Ergebnis dieser weiteren Prüfung schlägt die B-Zelle danach einen von vier Wegen ein:

G  Die B-Zelle ist unbrauchbar, weil sie der T-Zelle ihr Antigen nicht effizient präsentiert, und stirbt durch Apoptose.

H  Die B-Zelle ist zur humoralen Abwehr geeignet, verlässt das Keimzentrum und entwickelt sich zur Plasmazelle weiter, die massenhaft Antikörper erzeugt.

I  Einige B-Zellen reifen stattdessen zu Gedächtniszellen heran, die mit ihrem Wissen um die aktuelle Infektion dafür sorgen, dass das Immunsystem auf ein späteres erneutes Auftreten desselben Antigens schneller und stärker reagieren kann.

J  Einige besonders schlagkräftige B-Zellen erhalten die Order, erneut in das Keimzentrum einzutreten, um sich zu vermehren und durch Mutation und Selektion weiter zu verbessern. So steigert der Organismus die Affinität der Immunglobuline zu einem bestimmten Antigen mit der Zeit. Diesen Vorgang nennt man Affinitätsreifung.