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T-Zell-Rezeptoren sind degeneriert

Manche Fachbegriffe fordern Missverständnisse geradezu heraus; „degeneriert“ gehört sicherlich dazu. Gemeint ist, dass das Repertoire der T-Zell-Rezeptoren in jedem einzelnen Menschen zwar groß ist (schätzungsweise 1-100 Millionen unterschiedliche Typen), aber längst nicht ausreicht für eine hochspezifische 1:1-Erkennung jeweils eines Antigen-Peptids durch einen Rezeptortyp. Die Zahl der Peptide, die die antigenpräsentierenden Zellen im Laufe unseres Lebens auf ihren MHC-Molekülen präsentieren können, ist einfach gigantisch. Daher muss ein T-Zell-Rezeptor auf zahlreiche verschiedene Peptid-MHC-Komplexe reagieren können. Und so geht’s:

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Unten das MHC-Molekül, das als Präsentierteller in der Membran einer antigenpräsentierenden Zelle (etwa einer dendritischen Zelle oder einer B-Zelle) verankert ist. In der Mitte das Peptid, also die Aminosäurenkette, die diese Zelle aus einem aufgenommenen Antigen gewonnen hat und nun vorführt. Und oben der T-Zell-Rezeptor, der in der Membran einer T-Zelle verankert ist. Dieser Rezeptor braucht nur an wenige Stellen – teils an der Oberfläche des MHC-Moleküls, teils an der ihm zugewandten Seite des Peptids – wirklich gut zu binden, um die T-Zelle zu aktivieren. Die Hohlräume zeigen: Welche Aminosäure-Seitenketten ihm an den anderen Stellen entgegengestreckt werden, ist dem Rezeptor egal.

Folglich erkennt eine T-Zelle mit ihrem individuellen Rezeptortyp nicht nur ein Antigen, sondern etliche. Hier sind es zwei Pickelhauben (in meinen Cartoons die typische Kopfbedeckung pathogener Bakterien), aber leider auch ein harmloser Bauhelm – also ein Antigen, das vielleicht von einem Pflanzenpollenkorn, von einem gutartigen Bakterium aus unserem Mikrobiom oder von einer körpereigenen Zelle stammt:

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Und hier noch eine „realistischere“ oder zumindest weniger schematische Darstellung der Bindungsstelle eines MHC-Moleküls und des passenden T-Zell-Rezeptors:

MHC-Peptid-TCR-Bindung_650

Wir blicken aus der Perspektive der T-Zelle auf die Front eines MHC-Moleküls der antigenpräsentierenden Zelle. Die Kontur des darauf präsentierten Antigen-Peptids ist gepunktet. Die sechs „Würmer“ sind die entscheidenden Erkennungsschlaufen an der Front des ansonsten unsichtbaren T-Zell-Rezeptors. Normalerweise binden nur die mittleren zwei oder drei Schlaufen Aminosäuren des Antigen-Peptids, während die äußeren Schlaufen vor allem mit der Oberfläche des MHC-Moleküls Kontakt haben.

Da die mittleren Schlaufen nicht starr, sondern ein wenig verformbar sind, akzeptieren sie unterschiedliche Peptide als Bindungspartner. Ab und zu leider auch solche, die aus Autoantigenen stammen. Und wenn dann noch ein paar Kontrollmechanismen versagen, kommt eine Autoimmunreaktion in Gang.

Polyklonale Aktivierung

Die heutige Skizze zeigt – nach molekularer Mimikry, Bystander Activation und Epitope Spreading – den letzten der vier wichtigsten molekularen Mechanismen, über die Infektionen zu Autoimmunerkrankungen führen können: die polyklonale Aktivierung. Dabei expandiert nicht nur ein einziger, für ein Antigen spezifischer B- oder T-Zell-Klon, sondern es bilden sich mehrere Lymphozyten-Klone, die jeweils ein anderes Epitop des Antigens erkennen:

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Was im Falle einer Infektion gut ist, weil das Pathogen auf diese Weise rasch von mehreren Seiten attackiert werden kann, kann im Falle eine irrtümlichen Reaktion auf ein Autoantigen leider ebenso zuverlässig zu einer Ausweitung der Abwehr führen – in diesem Fall gegen Epitope aus einer Darmepithelzelle:

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Immunologie-Lehrbücher

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Kürzlich habe ich meine Bibliothek um „Immunologie für Dummies“ von Bärbel Häcker erweitert – nicht, weil ich daraus inhaltlich Neues zu lernen hoffte, sondern weil mich die Darstellung des Immunsystems interessierte. Ich finde es enttäuschend, muss aber einräumen, dass ich mich nur noch schwer in die Lage etwa einer Studentin versetzen kann, die sich immunologisches Grundwissen aneignen möchte. Vielleicht ist es für einen ersten Überblick ganz in Ordnung. Dennoch: Die zum Teil sinnlosen oder ungeschickt aufgemachten Abbildungen, die wenigen, bemerkenswert witzlosen Cartoons, das reihentypische Layout, das auf mich bieder und lieblos wirkt, der plötzliche Einsatz von Fachbegriffen, die vorher nicht erklärt wurden, und Unstimmigkeiten z. B. in der Kategorisierung von Immunzellen* machen auf mich keinen guten Eindruck.

* Dendritische Zellen zählen mal wohl, mal nicht zu den Phagozyten.

Auch mit „Grundwissen Immunologie“(2. Aufl., 2009) von Christine Schütt und Barbara Bröker bin ich nie richtig warm geworden. Allerdings fällt es mir schwer, das zu begründen: Ich habe es mehrmals versucht, fand die Lektüre aber immer wieder zäh und kam mit dem Aufbau nicht zurecht. Unter den deutschsprachigen Einführungen sagt mir die „Immunpharmakologie“ (2010) von Klaus Resch, Michael U. Martin und Volkhard Kaever noch am ehesten zu: klarer Aufbau, klare Sprache, klare Abbildungen.

Auch unter den beiden großen englischsprachigen Lehrbüchern habe ich einen eindeutigen Favoriten, nämlich „Cellular and Molecular Immunology“ (7. Aufl., 2012) von Abul K. Abbas, Andrew H. Lichtman und Shiv Pillai. Und wieder kann ich nicht richtig benennen, was mich am anderen Buch – „Janeway’s Immunobiology“ (7. Aufl., 2008) von Kenneth Murphy, Paul Travers und Mark Walport – stört. Obwohl (oder weil?) der Janeway’s mit etwa 900 Seiten mehr Raum bietet als der Abbas mit seinen gut 500 Seiten, habe ich aus dem Abbas mehr gelernt. Solide gemacht sind sie beide.

Das Monstrum „The Autoimmune Diseases“ (5. Aufl., 2014) mit seinen 1700 Seiten läuft außer Konkurrenz. Ich bereue die Anschaffung nicht; es gibt kein anderes Buch, das einen so umfassenden und halbwegs aktuellen Überblick über das Thema vermittelt. Allerdings merkt man den einzelnen Kapiteln die Lehrmeinung der jeweiligen Autoren stark an. Im Kapitel über die Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse blickt man beispielsweise sehr durch die Brille von Anthony B. Weetman. Es handelt sich also nicht um ein Lehrbuch, sondern eher um eine Sammlung subjektiv gefärbter Reviews.

Umso wichtiger ist die begleitende Lektüre der Arbeiten anderer Autoren. Ohnehin können Bücher die Lektüre aktueller Fachartikel nicht ersetzen, sondern nur unterfüttern. Es dauert etliche Jahre, bis wichtige neue Erkenntnisse in Lehrbücher hineindiffundieren, und umgekehrt steht in ihnen – trotz aller Vorsicht – vieles, was schon kurz nach Erscheinen veraltet ist. In einem so dynamischen Feld wie der Immunologie ist das unvermeidlich.

 

Gewichtige Lektüre

Nach langer Blogpause ein kurzes Update: Ich war im Urlaub, habe dann eine Weile gebraucht, um wieder in das Manuskript des Buches hineinzufinden, und sitze jetzt täglich daran – schreibend, überarbeitend oder lesend. Spätestens zu Halloween gibt es einen neuen Blogartikel mit Skizzen. Und ich habe mir ein gewichtiges Nachschlagewerk gegönnt:

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 (5. Auflage, 2014)

Der kanonische NF-κB-Signalweg

So dröges Zeug muss halt auch mal sein: einer der wichtigsten entzündungsfördernden Signalwege in vielen Immunzellen; nähere Erläuterungen folgen im Buch.

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1  Ein TRAF (TNF-Rezeptor-assoziierter Faktor) wurde an der Innenseite eines Rezeptors in der Zellmembran aktiviert und löst den weiteren Signalweg aus.

2  Er ubiquitiniert IKKγ im IKK-Komplex, der daraufhin seine Gestalt ändert. (Bei der Ubiquitinierung wird einem Protein das Protein Ubiquitin angeheftet, wodurch es zum Abbau freigegeben wird.)

3  Die Kinase IKKβ löst sich von IKKα und IKKγ.

4  IKKβ kann nun durch eine andere Kinase phosphoryliert und damit aktiviert werden.

5  Der Transkriptionsfaktor NF-κB (ein Heterodimer) ist noch an den Inhibitor IκBα gebunden. Aber jetzt phosphoryliert die aktivierte Kinase IKKβ den Inhibitor doppelt, …

6  … woraufhin er auch noch ubiquitiniert und damit zum Abbau freigegeben wird.

7  Der Komplex zerfällt: Der Inhibitor wandert in ein Proteasom und wird zerlegt.

8  Der Transkriptionsfaktor NF-κB ist befreit und kann durch eine Kernpore in den Zellkern einwandern.

9  Im Zellkern lagern sich ein Koaktivator und das Enzym RNA-Polymerase mit dem Transkriptionsfaktor zusammen.

10  Der Komplex dockt am Promotor des abzulesenden Gens an und startet dessen Transkription, also die Erzeugung einer Messenger- oder mRNA, die die Informationen für die Synthese eines Proteins (z. B. eines entzündungsfördernden Zytokins) enthält.

Die mRNA wandert anschließend ins Zytoplasma, wo sie als Vorlage für die Proteinsynthese (Translation) dient.

Vorlagen: Wikipedia und Abbas, 7. Auflage, Abb. 7.26

Sotschi-Special: Signalketten

Extrazelluläre Signale wie Zytokine, die auf eine Infektion hinweisen, werden von Rezeptoren in den Membranen der Immunzellen wahrgenommen und in den Zellen zum Beispiel durch Enzymkaskaden weitergegeben:

P1170880_Signalkette_Kinasen_Phosphatase_01okmP1170880_Signalkette_Kinasen_Phosphatase_02okmEine Kinase wird durch Übernahme einer Phosphatgruppe (Flamme/Fackel) aktiviert, sie aktiviert ihrerseits die nächste Kinase usw. (Weitergabe der Fackel):

P1170880_Signalkette_Kinasen_Phosphatase_03okmP1170880_Signalkette_Kinasen_Phosphatase_04okmAuch Phosphatasen können sich an solchen Signalketten beteiligen, indem sie beispielsweise einem Inhibitor (Verkehrspolizist) eine Phosphatgruppe abnehmen und ihn dadurch ausschalten:

P1170880_Signalkette_Kinasen_Phosphatase_05okmAm Ende erreicht das Signal zum Beispiel ein Chromosom im Zellkern, woraufhin bestimmte Gene abgelesen werden, deren Produkte dann etwa an einer Abwehrreaktion beteiligt sind:

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Kurze Durchsage zu meinen Kommentarfreischaltungskriterien

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass ich nicht jeden Kommentar freischalte, der in diesem Blog eingeht.

Als Naturwissenschaftlerin und Anhängerin der evidenzbasierten Medizin verzichte ich insbesondere auf die Freischaltung von Beiträgen, die zu Webpräsenzen führen, auf denen nicht evidenzbasierte Produkte beworben oder extreme Außenseiter-Hypothesen vertreten werden.

Vielen Dank für Ihr Verständnis. Ach, eigentlich ist mir das Verständnis der Betroffenen egal.

Neue Literatur bis einschließlich Dezember 2013, Teil 2

Weiter geht’s mit der Ausbeute der aufgelaufenen Wissenschafts-Newsletter. T1-T5 sind die Buchteile, für die der Artikel jeweils relevant sein könnte (T1 Einführung, T2 Grundlagen Immunsystem, T3 Ablauf [Auto]Immunrekation, T4 Entwicklung Immunsystem von der Zeugung bis ins Alter, T5 Evolution Immunsystem).

How HIV Destroys Immune Cells T3

Dogs, Dust Microbes, and Allergies T4, T5 (Koevolution Immunsystem – Mikrobiom)

Nishikawa H et al. (2013): Sex differences in the protection of host immune systems by a polyembryonic parasitoid (Abstract) T3, T5

Kallio ER et al. (2013): Maternal antibodies contribute to sex-based difference in hantavirus transmission dynamics (Abstact) T4

Bolte S et al. (2913): Specific immune priming in the invasive ctenophore Mnemiopsis leidyi (Abstract) T5

Rosengaus RB et al. (2013): Immune-priming in ant larvae: social immunity does not undermine individual immunity (Abstract) T3, T5

McFall-Ngai M et al. (2913): Animals in a bacterial world, a new imperative for the life sciences (Open Access) T4, T5 (Mikrobiom)

Zuk M, Borrello ME (2103): Parasites and altruism: converging roads (Open Access) T5

Potlukova, Eliska, et al. (2013): Association between Low Levels of Mannan-Binding Lectin and Markers of Autoimmune Thyroid Disease in Pregnancy (Open Access) T3, T4

Choi YM et al. (2013): Low Levels of Serum Vitamin D3 are Associated with Autoimmune Thyroid Disease in Pre-Menopausal Women (Abstract) T3, T4

Miskinyte M et al. (2013): The Genetic Basis of Escherichia coli Pathoadaptation to Macrophages (Open Access) T3, T5
Dazu auch How Bacteria Evade the Immune System

David LA et al. (2013): Diet rapidly and reproducibly alters the human gut microbiome (Abstract) T4, T5
Dazu auch Gut Bacteria Vary with Diet

Probst AJ et al. (2013): Archaea on Human Skin (Open Access) T4, T5
Dazu auch Neue Mitbewohner auf der menschlichen Haut entdeckt

Ristori G et al. (2103): Effects of Bacille Calmette-Guérin after the first demyelinating event in the CNS (Abstract)  T3
Dazu auch TB Vaccine Protects Against MS

Hsiao EY et al. (2013): Microbiota Modulate Behavioral and Physiological Abnormalities Associated with Neurodevelopmental Disorders (Open Access) T4
Dazu auch Gut Microbes and Autism

Joseph CG et al. (2013): Association of the Autoimmune Disease Scleroderma with an Immunologic Response to Cancer (Abstract) T3
Dazu auch A Cancer Culprit in Autoimmunity