Archiv der Kategorie: Aus der Sekundärliteratur

Immunschwäche durch Autoimmunreaktion

Gamma-Interferon, Grafik von Nevit Dilmen, GNU Free Documentation License, Wikimedia

In der vergangenen Woche wurde unter anderem bei Spiegel Online über eine neue Aids-ähnliche Immunschwäche berichtet, die vor allem bei älteren Erwachsenen aus Thailand und Taiwan auftritt und nicht durch HIV-Viren ausgelöst wird, sondern durch Autoantikörper gegen das Zytokin Gamma-Interferon (IFN-γ).

Der Fachartikel ist nicht frei zugänglich, würde mir für mein Buch aber auch nicht weiterhelfen, da die Mechanismen, die zu der Autoimmunreaktion führern, noch völlig unklar sind. Aus dem Abstract geht hervor, dass 88 Prozent der Betroffenen, bei denen – ähnlich wie bei unbehandelten Aids-Patienten – zahlreiche opportunistische Infektionen auftreten, Autoantikörper im Serum haben, die das körpereigene Gamma-Interferon attackieren und ausschalten. Dieser wichtige Botenstoff wird bei bakteriellen Infektionen von Th1-Zellen ausgeschüttet, sobald sie Kontakt mit einer antigenpräsentierenden Zelle hatten (einem Makrophagen, der Bakterien oder Bakterienteile verschlungen hat). Er aktiviert weitere Makrophagen und löst die Herstellung antibakterieller Peptide aus. Durch seinen Ausfall können die Infektionen nicht richtig bekämpft werden.

Aufgrund der ähnlichen Symptome kann die Erkrankung leicht mit Aids oder mit Tuberkulose verwechselt werden. Da sie nicht familiär gehäuft auftritt, ist sie wohl nicht im engeren Sinne erblich. Warum sie aber bisher nur bei Asiaten nachgewiesen wurde, ist unklar. Wenn ich raten sollte: Vielleicht betreibt irgendein ansonsten harmloser Erreger, der vor allem in Asien auftritt, molekulare Mimikry mit Gamma-Interferon als „Vorlage“, sodass unsere gegen den Erreger gerichteten Antikörper bei entsprechender genetischer Prädisposition (z. B. bei bestimmten MHC-Varianten, die vielleicht auf Asiaten beschränkt sind) übers Ziel hinausschießen und auch das ähnlich strukturierte Gamma-Interferon angreifen.

Der Fall zeigt, dass Immunschwäche und Autoimmunerkrankungen, obwohl sie gewissermaßen entgegengesetzte Störungen (Unter- und Überreaktionen) des Immunsystems sind, einander nicht ausschließen: Eine Autoimmunreaktion kann, wenn sie sich ausgerechnet gegen eine andere Komponente des Immunsystems richtet, auch zu einer Immunschwäche führen.

Nathan Wolfe: Virus. Die Wiederkehr der Seuchen

Aus dem Englischen von Monika Niehaus. Rowohlt, 2012.

Ich habe das Buch des Virologen und Direktors der „Global Viral Forecasting Initiative“ bisher gut zur Hälfte gelesen und kann es schon jetzt empfehlen: Es ist spannend geschrieben und von der Biologin Monika Niehaus sehr flüssig und stimmig ins Deutsche übersetzt worden. Der Autor, ein führender Viren- und Seuchenforscher, hat Wichtiges mitzuteilen und betreibt dabei weder Panikmache noch Schönfärberei.

Aus dem 3. Kapitel, „Der genetische Flaschenhals“, habe ich Informationen und Erkenntnisse über die Menschwerdung und den mit ihr verbundenen Wandel unserer Pathogene ziehen können, die ins Autoimmunbuch einfließen werden.

Immunologische Meldungen im VBIO-Newsletter 28/2012

Links und Anreißer aus dem Newsletter des Biologenverbands:

Selbst ist der Thymus: Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums widerlegen Dogma der Immunologie
Die so genannten T-(Thymus-abhängigen) Lymphozyten, eine bestimmte Sorte weißer Blutzellen, stammen wie alle anderen Blutzellen von Vorläuferzellen aus dem Knochenmark ab. Im Thymus, einem immunologischen Organ im Brustkorb, reifen die Zellen dann zu aktiven Immunzellen heran. Nach bisheriger Lehrmeinung kann der Thymus ohne ständigen Nachschub aus dem Knochenmark keine T-Zellen produzieren. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg konnten dieses Dogma nun widerlegen – offenbar ist der Thymus auch ohne Nachschub aus dem Knochenmark für mehrere Monate in der Lage, reife T-Zellen zu erzeugen.

Neue Hypothese zur Entstehung der Multiplen Sklerose
Eine heute publizierte Studie in der Fachzeitschrift Nature mit deutscher Beteiligung wirft neues Licht auf die genetischen Ursachen der Multiplen Sklerose. Die Patienten weisen einen veränderten TNF-Rezeptor-1 auf, der nun als Schlüsselprotein im Krankheitsgeschehen in Frage kommt. „Diese Rezeptorvariante ist spezifisch für MS-Patienten und darum Ansatzpunkt für die Entwicklung verbesserter Therapien“, erklärt Professor Ralf Gold, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Direktor der Neurologischen Klinik an der Ruhr-Universität Bochum.

Starke Abwehr schon vor der Geburt
Das Immunsystem wächst mit seinen Aufgaben: In den ersten Lebensjahren lernt es, auf Krankheitserreger zu reagieren. So entsteht ein reaktionsfähiges immunologisches Gedächtnis aus spezifischen B- und T-Lymphozyten – das erworbene Immunsystem. Doch auch schon vor der Geburt schützt das sogenannte angeborene Immunsystem den Körper. Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben nun entdeckt, dass bestimmte T-Lymphozyten schon vor der Geburt wissen, welche Aufgaben sie später in der Immunabwehr erwarten.

Selbst ist der Thymus: Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums widerlegen Dogma der Immunologie

Die so genannten T-(Thymus-abhängigen) Lymphozyten, eine bestimmte Sorte weißer Blutzellen, stammen wie alle anderen Blutzellen von Vorläuferzellen aus dem Knochenmark ab. Im Thymus, einem immunologischen Organ im Brustkorb, reifen die Zellen dann zu aktiven Immunzellen heran. Nach bisheriger Lehrmeinung kann der Thymus ohne ständigen Nachschub aus dem Knochenmark keine T-Zellen produzieren. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg konnten dieses Dogma nun widerlegen – offenbar ist der Thymus auch ohne Nachschub aus dem Knochenmark für mehrere Monate in der Lage, reife T-Zellen zu erzeugen.

Immunologische Meldungen im VBIO-Newsletter 27/2012

Links und Anreißer, aus dem Newsletter des Biologenverbands übernommen:

Natürliche Darmflora kurbelt Immunsystem an
Freiburger Forscher beschreiben in dem Fachmagazin Immunity den Einfluss der natürlichen Darmflora auf die Immunantwort gegen virale Erreger.

Wenn Komponenten der Immunabwehr gesunde Nervenzellen töten
Charité-Studie: Das Absterben gesunder Nervenzellen kann auf Komponenten des Immunsystems zurückgeführt werden.

Kreisverkehr im Lymphknoten
Die asymmetrische Teilung der Antikörper-produzierenden B-Zellen beschleunigt die Immunabwehr. Eine Tochterzelle beginnt schon mit der Produktion von Antikörpern, während die andere versucht, ihre Antikörper weiter zu verbessern.

Immunologische Meldungen aus Spektrum 7/2012 und BiuZ 3/2012

Spektrum der Wissenschaft, Juli 2012

S. 8, Starkes Immunsystem führt zu Kleinwuchs der Pygmäen: Kurzmeldung auf der Basis einer Arbeit von Sarah Tishkoff und ihrem Team aus PLoS Genetics 8, e1002641, 2012 (Open Access). Pygmäen sind wohl deshalb so klein, weil die genetische Basis der Körpergröße eng mit Genen für die Funktion des Immunsystems gekoppelt ist, vor allem in einem Bereich des Chromosoms 3. Im Lebensraum der Pygmäen herrscht ein enorm hoher Selektionsdruck durch Krankheitserreger, z. B. Malaria- oder Tuberkuloseerreger. Die nötige erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen ging auf Kosten der Körpergröße. (Wichtig für Teil III meines Buches.)

Biologie in unserer Zeit, 3/2012

S. 152, Axel Brennicke, Innere Uhr. Pflanzen bereiten sich auf den abendlichen Angriff von Insekten vor: Bericht auf der Basis einer Studie von D. Goodspeed et al., Proc Natl Acad Sci USA 2012, 109, 4674 (Closed Access, nur Abstract). Da eine alarmbereite Immunabwehr energetisch kostspielig ist und u. U. auch dem eigenen Gewebe schaden kann, regulieren Pflanzen ihre Abwehrkraft gegen die Raupen im Tagesverlauf je nach voraussichtlicher Gefahrenlage hormonell hinauf oder herab. Abends, wenn die Raupen am meisten fressen, schmecken die Blätter besonders bitter, weil das Hormon Jasmoninsäure, das mittags seine höchste Konzentration erreicht, im Laufe des Nachmittags für eine Anhäufung von Bitterstoffen sorgt. Diese durch die circadiane Uhr der Pflanze gesteuerte Vorsorgemaßnahme wird dann bei den ersten tatsächlichen Bissen von Raupen noch um akute Abwehrmaßnahmen ergänzt. Gegen Schädlinge und Erreger, die in die Pflanze eindringen, um von ihren Nährstoffen zu leben, wirkt ein anderer Arm des pflanzlichen Immunsystems, der durch Salicylsäure gesteuert wird. (Ebenfalls für Teil III meines Buches geeignet.)

S. 174ff, Wolfgang Schumann, Bakterien-Evolution: Das bakterielle Mobilom. Artikel über die Transposons und sonstigen mobilen Elemente, die auf drei Wegen asexuell und horizontal zwischen verschiedenen Baktertien ausgetauscht werden, nämlich Transformation (Aufnahme nackter DNA aus der Umgebung), Konjugation (Übertragung von Plasmiden von einer Donor- auf eine Empfängerzelle, v. a. durch Pili) und Transduktion (Infektion durch Phagen, also Viren, die Bakterien befallen). Das Genom von Escherichia coli kann z. B. zwischen 4,56 und 5,7 Millionen Basenpaare umfassen, weil es mal mehr, mal weniger mobile Elemente enthält. (Ebenfalls für Teil III interessant, gerade i. Zsh. mit der Auswirkung der Umwelt auf die Zusammensetzung unseres Mikrobioms; Bsp.: mikrobielle Porphyranase-Gene im Mikrobiom der japanischen Bevölkerung wg. Verzehr von Rotalgen, s. Kau et al. 2011.)

Immunologisches im neuen „Spektrum der Wissenschaft“

Auf S. 9 des Juni-Heftes von Spektrum der Wissenschaft werden die Ergebnisse zweier Fachartikel zum Thema Darmflora und Immunabwehr zusammengefasst. Beide unterstützen die sogenannte Hygiene-Hypothese, der zufolge die Zunahme von Allergien und Autoimmunerkrankungen in den Industriestaaten mit einem übermäßigen Schutz des frühkindlichen Darmtrakts vor Mikroben oder mit einem verfrühten Verschluss des anfangs durchlässigen Darmepithels zusammenhängt:

Torsten Olszak und sein Team haben in Tierversuchen nachgewiesen, dass es in der Kindheit (jedenfalls von Mäusen) ein Zeitfenster gibt, in dem eine natürliche Darmflora nötig ist, um die sogenannten natürlichen Killerzellen in Schach zu halten und überschießenden Immunreaktionen wie Asthma und Allergien (und vermutlich auch Autoimmunerkrankungen) vorzubeugen. Der im März 2012 in Science erschienene Fachartikel ist im Netz als PDF frei zugänglich.

Auch David Hill und seine Mitarbeiter haben junge Mäuse ihrer natürlichen Darmflora beraubt und festgestellt, dass die Tiere später zu viele der für Allergien typischen IgE-Antikörper im Blut hatten und ihr Immunsystem überempfindlich reagierte. Das PDF dieses Artikels aus Nature Medicine findet sich ebenfalls im Netz. Beide Forschergruppen vermuten, dass die Verhältnisse beim Menschen ähnlich sind.

Auf den Seiten 22 bis 29 berichten Edgardo D. Carosella und Nathalie Rouas-Freiss von den Ergebnissen ihrer langjährigen Erforschung der Immuntoleranz im Mutterleib, die dafür sorgt, dass das mütterliche Immunsystem das Gewebe des heranwachsenden Embryos (der ja zur Hälfte väterliche, also fremde Proteine exprimiert) im Normalfall nicht attackiert. Die embryonalen Zellen exprimieren ungewöhnliche Oberflächenmarker, die in den HLA-G-Genen codiert sind und die natürlichen Killerzellen an Angriffen hindern. Das Intro des Artikels findet sich auf den Seiten von Spektrum der Wissenschaft; Abonnenten können dort auch das PDF abrufen.

Ein Kinderbuch über das Immunsystem (auch für Erwachsene)

Buchcover (Zeichnung: Tomoko Ishikawa)

Da tun Leute mit großem Aufwand Gutes – und reden dann nicht laut genug darüber! Wie sonst sollte man sich erklären, dass dieses bereits seit Juni 2011 auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Immunologie verfügbare Büchlein meiner Aufmerksamkeit bisher entgangen war? Gestern habe ich mich auf der Website umgesehen, auf der ich durch einen Veranstaltungshinweis gelandet war, und habe mir das PDF heruntergeladen.

Das Buch richtet sich an Kinder und Jugendliche, ist aber auch für Erwachsene eine gute Einführung in das menschliche Immunystem. Erstellt wurde es von der Japanischen Gesellschaft für Immunologie, und die deutsche Übersetzung entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen einem Erlanger Gymnasium und Immunologen an der Uni Erlangen: Schülerinnen und Schüler nahmen an immunologischen Lehrveranstaltungen der Uni teil und fertigten danach auf der Basis der englischen Ausgabe die Rohübersetzung des Buches an. Die Übersetzung wurde anschließend von Lehrern und Wissenschaftlern durchgesehen und überarbeitet.

Die anschaulichen Illustrationen – an die Manga-Ästhetik und zugleich an die Bildsprache der wissenschaftlichen Immunologie angelehnt – hat Tomoko Ishikawa gezeichnet. In Teil I werden Aufbau und Arbeitsweise des Immunsystems dargestellt, in Teil II geht es um Krankheiten: Infektionen, Autoimmunerkrankungen, Allergien und Krebs. Abgeschlossen wird das Büchlein durch eine Kombination aus Glossar und Index – eine Idee, die ich bereits vor Monaten auch für das Autoimmunbuch hatte. Das Büchlein wird meine Grafiker und mich sicherlich inspirieren, auch wenn mir ein ganz anderer Illustrationsstil vorschwebt.

Schade nur, dass man das passwortgeschützte PDF nicht ausdrucken kann. (Ja, ich weiß: Solche Schutzmaßnahmen lassen sich umgehen. Aber ich finde sie einfach hinderlich.)

Immunologische Meldungen des VBIO, November 2011

Der heutige Newsletter des Verbands Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin enthält drei Meldungen, die für das Thema dieses Blogs und des Autoimmunbuchs relevant sind:

Brokkoli schützt vor Darmerkrankungen

Angeborene Immunabwehr kontrolliert erworbenes Immunsystem

Bisher unbekannter Mechanismus des Immunsystems entdeckt

Immunologische Meldungen des VBIO, Juli/August 2011

Auch aus den älteren VBIO-News will ich noch ein paar Meldungen zusammenfassen und verlinken:

Zentraler Schalter für das Immunsystem
Ein Team um Joachim Schultze, Direktor Genomforschung und Immunregulation am Institut Life and Medical Sciences (LIMES) der Universität Bonn, hat herausgefunden, dass das Protein SATB1 ein zentraler Schalter des Immunsystems ist. In den T-Zellen, die im Zuge einer Immunantwort Krankheitserreger bekämpfen sollen, wird es hochgefahren; in den regulatorischen T-Zellen (Tregs), die ein Überschießen der Abwehr (und damit z. B. Autoimmunerkrankungen) verhindern sollen, ist SATB1 hingegen abgeschaltet.

Immunsystem entscheidend für Multiple Sklerose verantwortlich
Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin am Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Sprecher des Exzellenzclusters Entzündungsforschung, konnte einen Durchbruch in der Erforschung der MS vermelden. In Nature wurde die bislang größte MS-Genomstudie der Welt veröffentlicht, bei der 23 bekannte Risikogenvarianten bestätigt und 29 neue genetische Varianten entschlüsselt wurden, die zur Auslösung der MS beitragen. Ein Drittel der identifizierten Gene steht auch mit der Entstehung anderer Autoimmunkrankheiten wie Morbus Crohn oder Diabetes Typ 1 in Verbindung. Auch der bereits bekannte Zusammenhang von MS und Vitamin-D-Mangel wurde weiter aufgeklärt: Zwei der gefundenen Gene sind am Vitamin-D-Stoffwechsel beteiligt.   Weiterlesen